Nach dem selbstgekochten Kaffee auf der knappen Stube und einem kleinen Frühstück kommt das Rad und die Manschaft ins Auto. Über die Nacht scheint jemand die Kulissen geschoben zu haben. Nix mit kurz-kurz. Eine leichte Prise, einzelne Wassertropfen in der Luft.. „So this is Roubaix“ geht es mir carbo-nuckelnd beim Blick auf die von den Scheinwerfern erhellte Straße wieder durch den Kopf. Am ersten Parkplatz in Busigny setzen sie mich im Morgengrauen in die feuchte Brise. Ich
pumpe die
Reifen auf 6 bar, setze den
Helm auf und ziehe die Handschuhe fest. Meine Teammates wünschen mir Glück, wir sehen uns am Bierstand im Velodrom! Ich rolle davon.
Ich stelle mich in die Reihe mit den anderen Startern. Wir warten auf die verspäteten Sicherungsmotorräder. Es werden immer mehr Fahrer nach hinten. Ein Mann spricht über Lautsprecher mit uns, Musik plärrt über den Platz vor dem Rathaus. Um zwanzig nach Sieben schießt vorne einer in die Luft, Pedale klicken,
Reifen beginnen zu singen, Ketten knacken, es wird kaum gesprochen.
Das Feld rollt los, ganz leicht pedalierend eine Rund durch den Ort, vorbei an Reihen von holländischen, englischen und belgischen Omnibussen die fortwährend Fahrer und Räder ausspucken. Vorbei am Ortsschild hinaus aufs freie Feld, leichter Wind, es regnet. Ich fühle mich befreit, endlich! Über leichte Wellen zieht sich das Fahrerfeld in die Länge, nach ein paar schönen Kilometern stockt es leicht und es geht ab ins erste Pavé. Ich denke, okay, halte die Kette stramm und halte rein. Mein erster Gedanke/Gefühl auf dem Pavé: ich muß kotzen. Okay ich finde einen Gang, einen Tritt, ein Hinterrad, bin schön auf der besten Mitte des Pflasters. Ich will kotzen. Ich komme durch. So und so ähnlich geht es nun abwechselnd alle paar Kilometer. Ein paar schöne Kilometer auf Asphalt und dann wieder der Abzweig ins Pflaster. Ich bedenke alles was ich in Erfahrung über dieses Rennen bringen konnte: Halt den Oberlenker mit dem Daumen von hinten dagegen. Führe dein Rad streng aber lasse es locker. Bleibe oben in der Mitte des Weges, je schneller Du bist desto weniger Schmerzen hast Du. Wer schnell sein will braucht Kraft um einen dicken Gang zu treten. Woher die Kraft nehmen wenn meine Musklen gerade dabei sind sich vom Gerippe zu lösen ? Ich lerne rasch die Vorzüge des schmalen Chickenways zwischen Pfalster und Acker schätzen. Auch daß man diesem nicht blind vertrauen sollte. Gerade die ersten Sektoren sind naß, das Pflaster hat Schmierseifencharakter. Das schmale Lehmband ist an manchen Stellen moddrig, zu moddrig-tief. An einer Stelle merke ich es spät, mein hoppelndes Scheitern an der hohen Kante zum Pavé wirft mich ins weiche Gras in Nord-Pas de Calais, Region 59, Frankreich. Ich drehe meinen Lenker gerade und fahre weiter. Ich könnte kotzen.
Bei km 42 ungefähr kommt eine Verpflegung. Ich habe eindreiviertel Stunden gearbeitet, ich könnte kotzen und habe Kohldampf. Meine komplette Muskulatur scheint präsent zu sein, ich werfe zwei 75er Diclophenac ein und zwei Honigkuchen um meinen Magen zu beruhigen und die Schmerzen zu lindern. Irgendwie denke ich dabei an Ausschäumen, damit das erbärmliche Organ nicht mehr in der hohlen Bauchhöhle herum klappert.
Nach anderthalb Kilometer geht es gleich wieder in ein leichtes 3-Sterne Pavé. Meine gesamten Innereien schleudern durch den Innenraum meines Körpers. Ich könnte kotzen. Um mich nicht fortlaufend zu wiederholen, dieses Kotzgefühl wird mich den ganzen Tag nicht verlassen, ein treuer zuverlässiger Begleiter, das muß man doch schätzen. Irgendwann fahre ich rechts raus, hänge mich, das Rad zwischen den Beinen um einen hohen Straßenpfosten und will diesem erbärmlichen Gefühl mit Nachdruck aus meinem Leib verhelfen. Ich würge um mein Leben, nichts aber auch gar nichts will in diesen elendigen Straßengraben zwischen den endlosen Äckern fliegen, nicht ein Tropfen und nicht mal der Magen als Ganzes. Ich werde damit leben müssen, einklinken, treten, die Fuhre in Fahrt halten, je mehr desto eher ist es vorbei. Die Pavés sind mittlerweile abgetrocknet.
Bis hierhin habe ich keine Überblick über meine Position, die Namen der Sektoren, die km lese ich vom aufgeklebten Roadbook auf dem Oberrohr. Jetzt da ich schreibe. Auf dem Rad habe ich keine Zeit das zu entziffern.
Und schließlich erreiche ich fast ohne es zu bemerken eines der wenigen Waldstücke. Ich weiß das bedeutet nichts Gutes. Jetzt weiß ich genau wo ich bin. Trouée d’Arenberg. Fünf Sterne. Ich fasse mein Herz, mit festem Tritt fahre über die Zeitleiste und mein Fahrrad beginnt einen wilden Tanz. Ich sehe spitz aufsteigenede Quaderecken nach meinen
Felgen beißen, Lücken in denen meine
Reifen locker verschwinden könnten. Natürlich ist im Wald noch alles feucht. Das Rad springt und rutscht, ich reisse es über Abgründe, fange es wieder ein selbst als es sich unter mir schier um 30° verdreht, die fein lamellierten
Reifen tun das Reifenmögliche um nicht einfach auf einer der unzähligen schmierigen Steinflächen und Spitzen einfach ins Off geschmiert oder geschmettert zu werden. Um mich herum knattert und knackt es wie irr, hier leidet gar kein Material leise. Es gibt überhaupt keine Spur, keine Mitte, kein irgendwie auch besser. Es gibt keinen Rhythmus.
Im schlechtesten Fahrbahnrand rattern ein paar junge Typen wie verrückt und ohne Furcht vor dem Teufel vorbei, weiter vorne legen sich welche kollektiv aufs Pflaster. Ich bin froh sauber zum Stehen zu kommen. Packe mein Rad über das Geländer auf den Chickenway und hiefe mich hinterher. Wie ich merke tut es sicher die Häfte so. Solange mir keiner ein adäquates Jahresgehalt weiter bezahlt und keine Sponsor den Materialbruch ersetzt werde ich da drinnen nichts riskieren. Ey, Du bist auf dem Chickenway gefahren ! - ? – Leck mich am Arsch !
Die Jungs auf dem Pflaster tun immer wieder stockend ihr bestes, rackern sich ins Bild der Fotografen die natürlich wie immer an den übelsten Stellen lauern. Manche vom Seitenstreifen heben ihr Rad noch schnell aufs Pflaster um ein Helden-Fake-Foto zu bekommen. Ich fahre erhobenen Hauptes nebens Bild. Das piepsen der Zeitnahme am Ende des Sektors bzw. deren Resultat soll sich einer ins Haar schmieren. Neben der Zeitnahme gibt es noch Plätze zum
Reifen wechseln.
An der zweiten Verpflegung ist deutlich mehr los, die beiden kurzen Strecken sind dazu gestoßen. Ich finde eine stille Ecke sitze da und esse stumm. Ich muß weiter, das soll aufhören. Als ich mein Rad nehme sagt ein junger Engländer zu mir „You have a puncture I can hear it“. „I hör nix, the pressure is gut“. Ein paar Kilometer später fahre ich einen kleinen Weg rein um in Ruhe den vergessenen PeeStop nachzuholen. Wie ich wieder raus rolle spüre ich, der verdammte Tommy hatte recht ! Im
Schlauch ist Caffelatex, mir egal wie das mit Vittoria Dichtspray harmoniert, das haue ich rein. Der Druck paßt, weitere Überprüfung verschiebe ich auf Unterwegs. Vielleicht 15 km später, auf einem Pavé ohne Chickenway und/oder Standpur spüre ich, daß die hintere Felge nur noch vom flatten
Reifen gedämpft wird. Ich schaffe es noch knapp bis zu Campern auf einem kleinen Wiesenstück. Der erste kommt und fragt ob ich Hilfe benötige, der zweite stellt wortlos eine Standluftpumpe neben mich: „C’est une bonne pompe!“ Ich schenke ihnen den ausgedienten Schlauchreifen. „Schau, da steht’s: „Parigi-Roubaix“ das kannst Du dir ausschneiden und an die Wand tackern, Good Souvernir. Handmade – Stonekilled. Harr, harr ... Sie freuen sich, nette ältere Jungs auf Wochenendausflug.
Der angelutsche Conti Gatorskin geht wirklich smart auf die Felge, das ganze Gemodder konnte dem Vorkitt auf der weichen Innenseite nichts anhaben. Rundlauf kommt von alleine bei dem Belag. Noch ein kurzes Stück raus aus dem Pflaster und weiter.
Längst hat sich der Fatal-Devotion-Stampfmodus bei mir eingestellt. Los, fahr das Ding zu Ende, je schneller desto besser! Das sagt sich leicht, aber ab Mittag scheint sich die französische Fernseh Wettervorhersage zu bestätigen welche sagte ab Mittag gäbe es Wind mit Böen bis 70 km/h. Das sorgt natürlich in genialer Weise für gute Laune im Fahrerfeld. Da hast Du schon so deine Mühe irgendwie auf dem Geracker voran zu kommen, dann dreht der Feldweg ums Eck und Du denkst Du fällst im Stehen bei 39/27 einfach um oder fährst wieder rückwärts.
35 Kilometer vorm Ende, bei der letzten Verpflegung, will sich schon fast so etwas wie Erleichterung mit dem vermeintlich nahen Ende des Ausfluges breitmachen. Aber dann drängt sich das pausierende Peloton zusehends mit dem herbei geblasenen ziemlich flachen Regen unter die aufgestellten Zelte. Zeit es zu Ende zu bringen.
Ich muß sagen, nach dem ersten leichten Regen am Morgen bis hierher wo der Nachmittagsregen einsetzt, hat man Rad eine fantastisch schöne Patina bekommen. Das schwarze italienische Monocoque sieht von feinem erdfarbenen Airbrush an den signifikanten Stellen extrem anregend aus. Das wäscht der Regen jetzt ab.
Auch wenn die, von der lokalen Berichterstattung stets hervorgehobenen, Bemühungen der Gemeinden um die Pflege und Verbesserung des Parcours immer wieder mit neuen Nachpflasterungen sichtbar sind, frage ich mich ob das alte nicht doch besser zu nehmen war.. Diese Frage ist irrelevant als ich mal wieder über eine Zeitleiste fahre und mir in meiner monotonen Leidensbereitschaft klar wird, daß ich den auf dem Oberrohr geklebten noch ausstehenden 5-Sterne Sektor vollständig verdrängt hatte. Carrefour de l’Arbre. Kaum bin ich über die blaue Rampe ins Pavé eingedrungen packt mich der Wind von der Seite und versucht mich auf dem extrem verschlammten, nassen Pflaster einfach eben mal wegschmieren zu wollen. Es gibt keinen Seitenstreifen, keine 5 cm, Pflaster der übelsten Sorte oder dunkelbraune, durchgeweichte Scholle. Aus den
Bremsen quillt der Schlamm, den blanken Speichen ist das Glitzern vergangen. Im Augenwinkel sehe ich ein Bauernpaar welches anscheinend versucht mit einem davon flatternden Absperrband so etwas wie eine Schutzzone gegen die morgigen Zuschauerströme auf den Acker zu stecken. Sicher Radsporthasser, denke ich, die haben den Dreck auf die Gasse gekippt damit wir Idioten uns auf die Fresse legen. Jetzt erst recht. Um die Ecke, ich frage mich wie ich da immer rum komme, gibt es den Wind auf dem glibbrigen Geholper voll auf die Kappe. Einige bleiben stehen schimpfen im Sprachgewirr, ziehen ein Gesicht als wollten sie dem Veranstalter hinterher mal so richtig die Meinung geigen und schieben ihre Räder gebückt. Wenn ich so sagen will, meine „Gruppe“ erreicht das Ende des Sektors im
Sattel. Absurd von den Fans dort angefeuert wie wir uns mit vielleicht noch 7 km/h gegen den Wind aus dem Sektor über jene ebenso deplaziert wirkende Zeitnehmerleiste wuchten. Viele bleiben mehr oder weniger unmittelbar danach stehen, großes Palaver. Ich fahre zumeist gleich weiter, jedes Stückchen Asphalt ist eine Genugtuung und die Erholung artet in wohligen Luxus aus wenn es durch eine enge, windgeschützte Ortschaft geht. Leider ist das Stück Asphalt dieses Mal nur sehr kurz, und nach einem weiteren Stück aus der Hölle erkenne ich das Ende von Sektor 3 was soviel bedeutet, daß nur noch ein letzter Sektor kommt. Von dem hab ich gelesen es sei eigentlich gar kein richtiges Pavé. Derart erleichtert und aufsteigender Vorfreude vermag ich es alsbald zu bestätigen. Es ist kein Pavé von der bekannten Güte, es ist einfach schlicht ein nicht enden wollendes herumgekurvtes Stück Scheißstraße dessen völlig derangiertes Kopfsteinpflaster zum Rand hin mit verschiedenen Schichten, Flecken Asphalt in unterschiedlichsten Auflösungszuständen irgendwann mal veredelt wurde. Aber auch das hat irgendwann ein Ende.
Mein schmälerer Gatorskin hinten hat die fast 70 km bis hierher klaglos gemeistert. Ein guter Kerl. Opfern mußte ich irgendwann den Inhalt meiner Trinkflasche. Ich brauchte einen starken Wasserstrahl um meinem Vorderreifen, eingeklemmt von lehmiger Erde, wieder Platz zwischen Bremse und Gabel zu verschaffen. Mit den Fingern war da nicht mehr viel auszurichten.
Das letzte Pavé in der Mitte der Straße zum Velodrom bleibt den Profis vorbehalten, ist wohl auch der einzige Abschnitt den man in unserem gewohneten Sinne als Pflasterstraße verstehen könnte. Der Rest ist eigentlich um Bernard Hinault zu zitieren „P-R - c’est une connerie“, das ist eine Sauerei.
Für mich Hobbylusche glänzt die Abschlußallee bei steigendem Hormonspiegel durch einen gigantischen Verkehrstau in welchem sich alle Fahrer mehr oder weniger von roten Ampeln beleuchtet hindurchdrücken, sprinten von einer Lücke zur anderen, zwischen den Fußgängern auf dem Weg durch in Richtung auf den erlösenden Linksschwenk in die Zufahrt zum Stadion. Und schließlich nach rechts, hinein in das hell schimmernde Velodrom, wo ich beim Einbiegen auf die Piste für einen Moment das Gefühl habe alles sei eingefroren. Die Menschen stehen dicht, haben die Münder offen und es ist Stille. Einfach Stille.
Dann höre ich meine
Reifen auf dem unfaßbar gleidchmäßigen Belag, nehme Schwung daß ich mich etwas auf der Schräge halten kann. Die blaue Ziellinie, die Photografen, denke an Peter Winnen „Ich sollte jetzt ein Zeichen des Siegers geben. Ich hebe meine Hand vom Lenker“.
Ich bleibe stehen. Ein Mädchen hängt mir eine Medaille um den Hals, ein Junge schneidet meine Startnummer vom Rad. Nein, ich will die 5 Euro Pfand nicht, ich will auch kein T-Shirt, ich will nur diese Nummer behalten. Und ein Bier. Okay, und nen fettigen Hamburger.
Meine Teammates sind da und nehmen mich in den Arm, schauen mich mit großen Augen an. Geht’s Dir gut ? Willst Du dich setzen ? Laßt mich einfach stehen und gebt mir ein Bier.
So this is Paris – Roubaix ! First time ? Will you do it again ?
Ich weiß nicht und vielleicht ist es auch einfach noch viel zu früh um das einzusortieren.
Im ersten Pavé dachte ich: Nein, schön ist das nicht und es blieb so. Aber es gibt Dinge die muß man einfach tun ohne deren Sinngehalt zu hinterfragen.
Ich mußte das tun, es ist gut wie es ist.