Anka
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...und keine Ausnahme.
Habe dazu gerade einen Artikel gefunden, den ich Euch nicht vorenthalten möchte. Vorwiegend gedacht für alle, die noch von einem sauberen Leistungssport träumen.
Der Link:
http://www.thema-doping.de/content/presse/psychologie_heute.htm
Der Text:
In: "Psychologie Heute"
"Doping ist menschenschädigend und systematischer Rechtsbruch"
Die Dopingexperten Andreas Singler und Gerhard Treutlein dokumentieren 40 Jahre Doping im Spitzensport
Anabolika-Doping im Sport ist seit den 60er Jahren zur - auch kriminellen - Regel geworden - und alles andere als ein Kavaliersdelikt: "Doping ist sport- und menschenschädigendes Verhalten". So die Bilanz der Dopingforscher Andreas Singler und Gerhard Treutlein, die im ersten (Doping im Spitzensport. Sportwissenschaftliche Analysen zur nationalen und internationalen Leistungsentwicklung) ihrer Bücher zum Dopingthema eine der umfassendsten wissenschaftlichen Dokumentationen zum Thema vorgelegt haben (Meyer + Meyer-Verlag, Aachen 2000, Preis 29.80 DM).
Angesichts der Flut eindeutiger Fakten, Analysen und "Insider-Geständnissen" ist das Urteil trotz relativ wenig nachgewiesener Dopingfälle - von den Winterspielen 1968 bis zur letzten Olympiade in Atlanta wurden nur 52 Athleten überführt - zwingend: Doping im Leistungssport ist seit Jahrzehnten weit verbreiteter, als viele TV-Sportkonsumenten noch immer glauben und Sportfunktionäre öffentlich zugeben. "Doping als Ausnahme verkaufen zu wollen", so Singler und Treutlein, "ist verlogen; die Etikettierung von Doping als individuelle Devianz und die damit verbundene Personalisierung und Bagatellisierung sind als ursächlich für einen Teil der Entwicklung der Dopingproblematik anzusehen".
Dies gilt für den Spitzensport der olympischen und nichtolympischen Schwer- und Leichtathletik ebenso wie für den Amateursport - ob Männer oder Frauen, ob Bodybuilder, Boxer oder Profikicker, ob Sprinter, Schwimmer, Kugelstoßer oder Tennisspieler. Für den Amateurbereich signalisieren internationale Studien, daß sich im Westen bis zu 15 Prozent der Erwachsenen und 3 bis 5 Prozent der Jugendlichen dopen.
Historisch unterscheiden die beiden Dopingforscher im wesentlichen drei Phasen: Bis 1959 die "präanabole Epoche" der aufputschenden Amphetamine, die anschließende "anabole Blütezeit" der Muskelpillen bis 1990 und das seitherige "postanabole Zeitalter", in dem verschiedene Methoden des Blutdopings mit dem noch nicht direkt nachweisbaren EPO (Erythropoietin) und anderen Peptidhormonen im Vordergrund stehen. "Auf Amphetamin folgte Cortison", bestätigte Eddy Merckx als ehemals weltbester Radprofi die Entwicklung seines Sports, "dann Anabolika, dann die Verschleierungspräparate. Die Laboratorien sind dem Reglement immer ein Produkt voraus".
Singler und Treutlein heben keine moralischen Zeigefinger, aber im Gegensatz zur jahrzehntelangen Praxis des Verharmlosens und Vertuschens wird der ganze Drogensumpf des Weltsports deutlich: Doping ist - wie auch Bette und Schimank (1995) feststellen - ein strukturelles, in der Erfolgslogik des Spitzensports verankertes Problem und alle bekannt gewordenen Einzelfälle sind nur die kleine Spitze eines großen Eisberges. So vermutete beispielsweise schon Ende der 80er Jahre Edwin Moses als ehemaliger Olympiasieger und Weltmeister im 400m-Hürdenlauf, daß mindestens die "Hälfte aller amerikanischen Leichtathleten Anabolika" nehme, und Zehnkampf-Olympiasieger Daley Thompson erklärte, "daß das Problem sehr viel ernster" sei, als viele meinen, weil ein Drittel der "Topstars" zu Drogen griffen.
Objektiv zeigen Singler und Treutlein in detaillierten Analysen jeweiliger Disziplinen, daß die internationale Leistungsentwicklung in direkter Abhängigkeit zu den einschlägigen Mitteln steht, die in den Labors entwickelt werden: Ob Gewichtheber unfaßbare Weltrekordserien stemmten, Radprofis bei der Tour de France massenhaft Geschwindigkeitsrekorde brachen oder die DDR-Olympiamannschaft in Melbourne 1976 eine unglaubliche "Medaillenflut" erkämpfte - oder ob Frauen "mit den tiefen Stimmen" im Schwimmen, Sprint, Kugelstoßen und Speerwurf für historische Leistungsexplosionen sorgten.
Gleichzeitig kommt es zu ebenso deutlichen Leistungseinbußen, sobald wirksame Kontrollen ein- und durchgeführt werden - oder anderen Auffälligkeiten wie der "Reisewut deutscher Athleten nach 90/91", als der Deutsche Leichathletikverband mit unangekündigten Trainingskontrollen begann.
Auch wenn das staatlich organisierte Zwangsdoping in der DDR - heutige Bilanz: über 1000 Trainer, Ärzte, Wissenschafter und Funktionäre dopten insgesamt rund 10 000 Männer, Frauen und Kinder - ein absoluter Tiefpunkt der internationalen Dopinggeschichte bleibt, haben sich im deutschen Sport nicht nur die exzessiv dopenden "Kinderschänder" im Osten die Hände schmutzig gemacht: Singler und Treutlein belegen vielmehr nachdrücklich, daß auch in der BRD "alle ŽEthik-ErklärungenŽ zum Spitzensport wenig Effekt hatten". Im Klartext: Doping war in der Bundesrepublik zwar nicht staatlich verordnet, wer aber nicht dopen wollte, hatte es im westdeutschen Spitzensport häufig schwerer als manipulationsbereite Athleten, Trainer und Ärzte.
So urteilte schon 1991 die so genannte Reiterkommission, daß im Westen spätestens seit 1976 "flächendeckend" mit Anabolika gedopt wurde - öffentlich aber damals wie heute so getan wird, als sei der westdeutsche Sport bis auf vereinzelte schwarze Schafe im Großen und Ganzen clean.
Ein Verhalten zwischen �unorganisierter Verantwortungszuschreibung� und "organisierter Verantwortungslosigkeit" bescheinigen Singler und Treutlein neben vielen Funktionären und Trainern vor allem auch Sportmedizinern, die wie Joseph Keul als langjähriger leitender Mediziner der deutschen Olympiamannschaften Doping verharmlosten. Daß etwa Anabolikaeinnahme in sogenannten therapeutischen Dosen und unter ärztlicher Kontrolle unbedenklich und daher statthaft sei, wie Sportmediziner lange Zeit behaupten, ist rein rechtlich unhaltbar: Doping als medizinische "Medikation ohne Indikation" ist gesetzlich in den meisten Ländern absolut verboten - in jeder Form, da es keine "ungefährliche Schwellendosen" gibt. In anderen Worten: Doping ist krimineller Drogenmißbrauch, der neben psychischen Störungen unter anderem auch zu abnormem Organwachstum, Herzstörungen, Allergien, Herzstörungen, Diabetes oder Fehlgeburten führen kann - im Falle des DDR-Dopings rechnen Experten als Spätfolgen mit mindestens 500 Krebs- und Todesopfern.
Trotz formell strengerer Kontrollen und verbesserten Nachweismethoden betonen Treutlein und Singer, daß es wegen eines bisher "in vielen internationalen Sportverbänden und Ländern nicht ausreichend entwickelten und umgesetzten sportpolitischen Willens zu Dopingbekämpfung" illusorisch wäre, alleine auf die Selbstheilungskräfte des Sports zu vertrauen. Der internationale Sport demonstrierte bisher nur, dass er "seine Systemlogik akzeptiert": Erfolg und Leistungssteigerungen um jeden Preis - ohne Doping ist das aber unrealistisch. So sind Kontrollen erfahrungsgemäß nur wirksam, wenn sie unabhängig von Sportorganisationen durchgeführt werden - folgerichtig enthüllten den bisher größten Dopingskandal der Sportgeschichte während der Tour de France 98 auch keine Verbandskontrolleure oder Sportfunktionäre, sondern Polizei und Staatsanwaltschaft.
Einig ist man sich auch, daß Wettkampfkontrollen zum Dopingnachweis alleine nicht ausreichen, da sie unterlaufen werden können und zu einem gesundheitlich hochriskanten "Überbrückungsdoping" führen - sie müssen allgemein durch unangekündigte Trainingskontrollen ergänzt werden, die in mehreren Sportarten seit einiger Zeit zu signifikanten Erfolgen (Leistungsrückgänge) führten: "Die Sprache des Dopings ist international", deshalb fordern die beiden Dopingforscher, "Aktionen auf internationaler Ebene zum Informationsaustausch zwischen den Dopinggegnern im Wissenschaftsbereich (vor allem unter den Sozialwissenschaftlern), damit auch die Dopingbekämpfung durch Netzwerkbildung internationalisiert wird."
Bis zum dopingfreien, "sauberen Sport" ist es jedenfalls noch ein weiter Weg, auf dem sich "eine rundum befriedigende Lösung" noch nicht abzeichne. Wie wenig Ehrlichkeit und Fairness zählte, verdeutlicht für Singler und Treutlein etwa die Tatsache, daß nach der Vereinigung aus dem personellen Nachlaß des DDR-Sports auch in der Bundesrepublik die bekannten "Doper-Trainer" übernommen wurden - während "die mit Rückgrat", die sich dem Dopingzwang verweigert hatten, beschäftigungslos blieben.
Nach dem so genannten "Vier-Phasen-Modell des Dopings" (Bette und Schimank 1995) befindet sich der Spitzensport zur Zeit im Übergang von der Phase drei Desillusionierung, in der weiter heftig gedopt wird, die naive Öffentlichkeit aber wegen der vielen Dopingfälle immer prominenterer Doping-Sünder Publikum davon aus, daß im Spitzensport massiv gedopt wird� zur Phase vier des nachhängenden Mißtrauens, in der es zwar eine vielfältige Dopingbekämpfung gibt, die Öffentlichkeit aber desillusioniert bleibt.
In Phase eins der heilen Sportwelt war Doping die Ausnahme, die zweite Phase der heimlichen Gegenwelt dagegen wurde von massivem Doping geprägt, ohne daß es die Öffentlichkeit mitbekam. Die Phase zwei dauerte trotz Ereignissen wie dem Tod der Radsportler Jensen (1960) und Simpson (1967) bis weit in die siebziger Jahre hinein.
Tatsächlich scheint in der Öffentlichkeit seit einiger Zeit ein Umdenken stattzufinden: Nachdem es lange als ein individuelles Problem mißverstanden und bagatellisiert wurde, beurteilte Ende 1998 nach dem Tour de France-Skandal erstmals die Mehrheit der europäischen Bürger Doping als "ernsthaftes Problem". Gleichzeitig scheinen die Hoffnungen auf eine konsequente staatliche Anti-Drogenpolitik gerechtfertigt: So beschloß die EU im Frühjahr, den Kampf gegen Doping im Profi- und Amateursport zu intensivieren.
Neben drei Millionen DM Soforthilfe für die Welt-Antidoping-Agentur (Wada), verabschiedeten die europäischen Innenminister ein umfangreiches Antidoping-Präventionsprogramm für Vereine und Verbände, Schulen und Universitäten, Gemeinden und Gesundheitszentren. Dabei sollen auch Trainer für das Doping-Problem sensibilisiert, Ärzte oder Physiotherapeuten kontinuierlich weitergebildet und besonders geschulte Amateursportler als "Peer-Educators" vor Ort über die Gefahren von Doping aufklären.
Für eine sinnvolle Doping-Prävention fordert ihr Kollege Giselher Spitzer (Universität Potsdam), der sich durch die Aufarbeitung des DDR-Dopings außerordentlich verdient gemacht hat (Spitzer 1998) auch neue, "dopingbereinigte Rekordlisten", damit die Athleten wieder sauber kämpfen können und eine "Doping-Positivliste": Würden ausschliesslich zugelassene Präparate und Methoden definiert, wäre damit überall und jederzeit Rechtssicherheit gewährleistet und der Teufelskreis des bisherigen Ersatzdopings mit seiner Suche nach noch nicht verbotenen Mitteln durchbrochen. Zudem müssten "nationale Clearing-Stellen" geschaffen werden, um den Dopingopfern psychologisch, medizinisch und juristisch helfen zu können - wobei die anonym behandelten Daten über tatsächliche Nebenwirkungen von Dopingmitteln auch gegen Verharmlosung helfen und abschrecken.
Neben den formellen Strukturen muß sich aber auch das direkte Sportlerumfeld ändern. Präventiv plädieren die Sportpädagogen Singler und Treutlein für eine bisher kaum entwickelte Positivpädagogik, die sich mit Problemen wie Führungsverhalten, ethischen Dimensionen, Drogenmißbrauch, Betrug und Fairneß im Sport beschäftigt. Gegen die besonders dopingförderliche Mentalität des Erfolges-um-jeden-Preis fordern Singler und Treutlein vor allem "sozialkompetentere Trainer", die neben dem Leistungsgedanken die Persönlichkeitsentwickung der Athleten fördern. Gleichzeitig müsse eine "Perspektivenerweiterung auch der leistungssportlich engagierten Schüler" auf dem Stundenplan stehen: Jugendliche sollten auch im Sport lernen, Entscheidungen zu reflektieren und für ihr HandelnVerantwortung zu übernehmen.
Wie die vielen dokumentierten Modelle und Materialien Singlers und Treutleins zeigen, ist das sportpädagogische Fundament einer "geistigen Schulung" des Sports jedenfalls bereitet. Voll des Lobes ist Treutlein über die konsequente französische Anti-Dopingpolitik und das sportpädagogische Anti-Dopingkonzept. Vorbildlich erscheint die eingeführte Meldepflicht von rechtsbrechenden Ärzten oder Apothekern ebenso wie das sogenannte "grüne Telefon", bei dem neun Experten anonym und kostenlos zehn Stunden täglich Fragen zur Dopingproblematik beantworten. Die Nachfrage ist mit etwa 100 Anrufen täglich enorm.
Wie sehr Prävention not tut, und wie groß Gefahren und Spätfolgen des Dopings im übrigen sein könnten, signalisiert eine neue französische Untersuchung: Demnach hat etwa jeder dritte Psychiatriepatient eine Vergangenheit als Leistungssportler.
Habe dazu gerade einen Artikel gefunden, den ich Euch nicht vorenthalten möchte. Vorwiegend gedacht für alle, die noch von einem sauberen Leistungssport träumen.
Der Link:
http://www.thema-doping.de/content/presse/psychologie_heute.htm
Der Text:
In: "Psychologie Heute"
"Doping ist menschenschädigend und systematischer Rechtsbruch"
Die Dopingexperten Andreas Singler und Gerhard Treutlein dokumentieren 40 Jahre Doping im Spitzensport
Anabolika-Doping im Sport ist seit den 60er Jahren zur - auch kriminellen - Regel geworden - und alles andere als ein Kavaliersdelikt: "Doping ist sport- und menschenschädigendes Verhalten". So die Bilanz der Dopingforscher Andreas Singler und Gerhard Treutlein, die im ersten (Doping im Spitzensport. Sportwissenschaftliche Analysen zur nationalen und internationalen Leistungsentwicklung) ihrer Bücher zum Dopingthema eine der umfassendsten wissenschaftlichen Dokumentationen zum Thema vorgelegt haben (Meyer + Meyer-Verlag, Aachen 2000, Preis 29.80 DM).
Angesichts der Flut eindeutiger Fakten, Analysen und "Insider-Geständnissen" ist das Urteil trotz relativ wenig nachgewiesener Dopingfälle - von den Winterspielen 1968 bis zur letzten Olympiade in Atlanta wurden nur 52 Athleten überführt - zwingend: Doping im Leistungssport ist seit Jahrzehnten weit verbreiteter, als viele TV-Sportkonsumenten noch immer glauben und Sportfunktionäre öffentlich zugeben. "Doping als Ausnahme verkaufen zu wollen", so Singler und Treutlein, "ist verlogen; die Etikettierung von Doping als individuelle Devianz und die damit verbundene Personalisierung und Bagatellisierung sind als ursächlich für einen Teil der Entwicklung der Dopingproblematik anzusehen".
Dies gilt für den Spitzensport der olympischen und nichtolympischen Schwer- und Leichtathletik ebenso wie für den Amateursport - ob Männer oder Frauen, ob Bodybuilder, Boxer oder Profikicker, ob Sprinter, Schwimmer, Kugelstoßer oder Tennisspieler. Für den Amateurbereich signalisieren internationale Studien, daß sich im Westen bis zu 15 Prozent der Erwachsenen und 3 bis 5 Prozent der Jugendlichen dopen.
Historisch unterscheiden die beiden Dopingforscher im wesentlichen drei Phasen: Bis 1959 die "präanabole Epoche" der aufputschenden Amphetamine, die anschließende "anabole Blütezeit" der Muskelpillen bis 1990 und das seitherige "postanabole Zeitalter", in dem verschiedene Methoden des Blutdopings mit dem noch nicht direkt nachweisbaren EPO (Erythropoietin) und anderen Peptidhormonen im Vordergrund stehen. "Auf Amphetamin folgte Cortison", bestätigte Eddy Merckx als ehemals weltbester Radprofi die Entwicklung seines Sports, "dann Anabolika, dann die Verschleierungspräparate. Die Laboratorien sind dem Reglement immer ein Produkt voraus".
Singler und Treutlein heben keine moralischen Zeigefinger, aber im Gegensatz zur jahrzehntelangen Praxis des Verharmlosens und Vertuschens wird der ganze Drogensumpf des Weltsports deutlich: Doping ist - wie auch Bette und Schimank (1995) feststellen - ein strukturelles, in der Erfolgslogik des Spitzensports verankertes Problem und alle bekannt gewordenen Einzelfälle sind nur die kleine Spitze eines großen Eisberges. So vermutete beispielsweise schon Ende der 80er Jahre Edwin Moses als ehemaliger Olympiasieger und Weltmeister im 400m-Hürdenlauf, daß mindestens die "Hälfte aller amerikanischen Leichtathleten Anabolika" nehme, und Zehnkampf-Olympiasieger Daley Thompson erklärte, "daß das Problem sehr viel ernster" sei, als viele meinen, weil ein Drittel der "Topstars" zu Drogen griffen.
Objektiv zeigen Singler und Treutlein in detaillierten Analysen jeweiliger Disziplinen, daß die internationale Leistungsentwicklung in direkter Abhängigkeit zu den einschlägigen Mitteln steht, die in den Labors entwickelt werden: Ob Gewichtheber unfaßbare Weltrekordserien stemmten, Radprofis bei der Tour de France massenhaft Geschwindigkeitsrekorde brachen oder die DDR-Olympiamannschaft in Melbourne 1976 eine unglaubliche "Medaillenflut" erkämpfte - oder ob Frauen "mit den tiefen Stimmen" im Schwimmen, Sprint, Kugelstoßen und Speerwurf für historische Leistungsexplosionen sorgten.
Gleichzeitig kommt es zu ebenso deutlichen Leistungseinbußen, sobald wirksame Kontrollen ein- und durchgeführt werden - oder anderen Auffälligkeiten wie der "Reisewut deutscher Athleten nach 90/91", als der Deutsche Leichathletikverband mit unangekündigten Trainingskontrollen begann.
Auch wenn das staatlich organisierte Zwangsdoping in der DDR - heutige Bilanz: über 1000 Trainer, Ärzte, Wissenschafter und Funktionäre dopten insgesamt rund 10 000 Männer, Frauen und Kinder - ein absoluter Tiefpunkt der internationalen Dopinggeschichte bleibt, haben sich im deutschen Sport nicht nur die exzessiv dopenden "Kinderschänder" im Osten die Hände schmutzig gemacht: Singler und Treutlein belegen vielmehr nachdrücklich, daß auch in der BRD "alle ŽEthik-ErklärungenŽ zum Spitzensport wenig Effekt hatten". Im Klartext: Doping war in der Bundesrepublik zwar nicht staatlich verordnet, wer aber nicht dopen wollte, hatte es im westdeutschen Spitzensport häufig schwerer als manipulationsbereite Athleten, Trainer und Ärzte.
So urteilte schon 1991 die so genannte Reiterkommission, daß im Westen spätestens seit 1976 "flächendeckend" mit Anabolika gedopt wurde - öffentlich aber damals wie heute so getan wird, als sei der westdeutsche Sport bis auf vereinzelte schwarze Schafe im Großen und Ganzen clean.
Ein Verhalten zwischen �unorganisierter Verantwortungszuschreibung� und "organisierter Verantwortungslosigkeit" bescheinigen Singler und Treutlein neben vielen Funktionären und Trainern vor allem auch Sportmedizinern, die wie Joseph Keul als langjähriger leitender Mediziner der deutschen Olympiamannschaften Doping verharmlosten. Daß etwa Anabolikaeinnahme in sogenannten therapeutischen Dosen und unter ärztlicher Kontrolle unbedenklich und daher statthaft sei, wie Sportmediziner lange Zeit behaupten, ist rein rechtlich unhaltbar: Doping als medizinische "Medikation ohne Indikation" ist gesetzlich in den meisten Ländern absolut verboten - in jeder Form, da es keine "ungefährliche Schwellendosen" gibt. In anderen Worten: Doping ist krimineller Drogenmißbrauch, der neben psychischen Störungen unter anderem auch zu abnormem Organwachstum, Herzstörungen, Allergien, Herzstörungen, Diabetes oder Fehlgeburten führen kann - im Falle des DDR-Dopings rechnen Experten als Spätfolgen mit mindestens 500 Krebs- und Todesopfern.
Trotz formell strengerer Kontrollen und verbesserten Nachweismethoden betonen Treutlein und Singer, daß es wegen eines bisher "in vielen internationalen Sportverbänden und Ländern nicht ausreichend entwickelten und umgesetzten sportpolitischen Willens zu Dopingbekämpfung" illusorisch wäre, alleine auf die Selbstheilungskräfte des Sports zu vertrauen. Der internationale Sport demonstrierte bisher nur, dass er "seine Systemlogik akzeptiert": Erfolg und Leistungssteigerungen um jeden Preis - ohne Doping ist das aber unrealistisch. So sind Kontrollen erfahrungsgemäß nur wirksam, wenn sie unabhängig von Sportorganisationen durchgeführt werden - folgerichtig enthüllten den bisher größten Dopingskandal der Sportgeschichte während der Tour de France 98 auch keine Verbandskontrolleure oder Sportfunktionäre, sondern Polizei und Staatsanwaltschaft.
Einig ist man sich auch, daß Wettkampfkontrollen zum Dopingnachweis alleine nicht ausreichen, da sie unterlaufen werden können und zu einem gesundheitlich hochriskanten "Überbrückungsdoping" führen - sie müssen allgemein durch unangekündigte Trainingskontrollen ergänzt werden, die in mehreren Sportarten seit einiger Zeit zu signifikanten Erfolgen (Leistungsrückgänge) führten: "Die Sprache des Dopings ist international", deshalb fordern die beiden Dopingforscher, "Aktionen auf internationaler Ebene zum Informationsaustausch zwischen den Dopinggegnern im Wissenschaftsbereich (vor allem unter den Sozialwissenschaftlern), damit auch die Dopingbekämpfung durch Netzwerkbildung internationalisiert wird."
Bis zum dopingfreien, "sauberen Sport" ist es jedenfalls noch ein weiter Weg, auf dem sich "eine rundum befriedigende Lösung" noch nicht abzeichne. Wie wenig Ehrlichkeit und Fairness zählte, verdeutlicht für Singler und Treutlein etwa die Tatsache, daß nach der Vereinigung aus dem personellen Nachlaß des DDR-Sports auch in der Bundesrepublik die bekannten "Doper-Trainer" übernommen wurden - während "die mit Rückgrat", die sich dem Dopingzwang verweigert hatten, beschäftigungslos blieben.
Nach dem so genannten "Vier-Phasen-Modell des Dopings" (Bette und Schimank 1995) befindet sich der Spitzensport zur Zeit im Übergang von der Phase drei Desillusionierung, in der weiter heftig gedopt wird, die naive Öffentlichkeit aber wegen der vielen Dopingfälle immer prominenterer Doping-Sünder Publikum davon aus, daß im Spitzensport massiv gedopt wird� zur Phase vier des nachhängenden Mißtrauens, in der es zwar eine vielfältige Dopingbekämpfung gibt, die Öffentlichkeit aber desillusioniert bleibt.
In Phase eins der heilen Sportwelt war Doping die Ausnahme, die zweite Phase der heimlichen Gegenwelt dagegen wurde von massivem Doping geprägt, ohne daß es die Öffentlichkeit mitbekam. Die Phase zwei dauerte trotz Ereignissen wie dem Tod der Radsportler Jensen (1960) und Simpson (1967) bis weit in die siebziger Jahre hinein.
Tatsächlich scheint in der Öffentlichkeit seit einiger Zeit ein Umdenken stattzufinden: Nachdem es lange als ein individuelles Problem mißverstanden und bagatellisiert wurde, beurteilte Ende 1998 nach dem Tour de France-Skandal erstmals die Mehrheit der europäischen Bürger Doping als "ernsthaftes Problem". Gleichzeitig scheinen die Hoffnungen auf eine konsequente staatliche Anti-Drogenpolitik gerechtfertigt: So beschloß die EU im Frühjahr, den Kampf gegen Doping im Profi- und Amateursport zu intensivieren.
Neben drei Millionen DM Soforthilfe für die Welt-Antidoping-Agentur (Wada), verabschiedeten die europäischen Innenminister ein umfangreiches Antidoping-Präventionsprogramm für Vereine und Verbände, Schulen und Universitäten, Gemeinden und Gesundheitszentren. Dabei sollen auch Trainer für das Doping-Problem sensibilisiert, Ärzte oder Physiotherapeuten kontinuierlich weitergebildet und besonders geschulte Amateursportler als "Peer-Educators" vor Ort über die Gefahren von Doping aufklären.
Für eine sinnvolle Doping-Prävention fordert ihr Kollege Giselher Spitzer (Universität Potsdam), der sich durch die Aufarbeitung des DDR-Dopings außerordentlich verdient gemacht hat (Spitzer 1998) auch neue, "dopingbereinigte Rekordlisten", damit die Athleten wieder sauber kämpfen können und eine "Doping-Positivliste": Würden ausschliesslich zugelassene Präparate und Methoden definiert, wäre damit überall und jederzeit Rechtssicherheit gewährleistet und der Teufelskreis des bisherigen Ersatzdopings mit seiner Suche nach noch nicht verbotenen Mitteln durchbrochen. Zudem müssten "nationale Clearing-Stellen" geschaffen werden, um den Dopingopfern psychologisch, medizinisch und juristisch helfen zu können - wobei die anonym behandelten Daten über tatsächliche Nebenwirkungen von Dopingmitteln auch gegen Verharmlosung helfen und abschrecken.
Neben den formellen Strukturen muß sich aber auch das direkte Sportlerumfeld ändern. Präventiv plädieren die Sportpädagogen Singler und Treutlein für eine bisher kaum entwickelte Positivpädagogik, die sich mit Problemen wie Führungsverhalten, ethischen Dimensionen, Drogenmißbrauch, Betrug und Fairneß im Sport beschäftigt. Gegen die besonders dopingförderliche Mentalität des Erfolges-um-jeden-Preis fordern Singler und Treutlein vor allem "sozialkompetentere Trainer", die neben dem Leistungsgedanken die Persönlichkeitsentwickung der Athleten fördern. Gleichzeitig müsse eine "Perspektivenerweiterung auch der leistungssportlich engagierten Schüler" auf dem Stundenplan stehen: Jugendliche sollten auch im Sport lernen, Entscheidungen zu reflektieren und für ihr HandelnVerantwortung zu übernehmen.
Wie die vielen dokumentierten Modelle und Materialien Singlers und Treutleins zeigen, ist das sportpädagogische Fundament einer "geistigen Schulung" des Sports jedenfalls bereitet. Voll des Lobes ist Treutlein über die konsequente französische Anti-Dopingpolitik und das sportpädagogische Anti-Dopingkonzept. Vorbildlich erscheint die eingeführte Meldepflicht von rechtsbrechenden Ärzten oder Apothekern ebenso wie das sogenannte "grüne Telefon", bei dem neun Experten anonym und kostenlos zehn Stunden täglich Fragen zur Dopingproblematik beantworten. Die Nachfrage ist mit etwa 100 Anrufen täglich enorm.
Wie sehr Prävention not tut, und wie groß Gefahren und Spätfolgen des Dopings im übrigen sein könnten, signalisiert eine neue französische Untersuchung: Demnach hat etwa jeder dritte Psychiatriepatient eine Vergangenheit als Leistungssportler.