no*dice
shit sucks!
Die Epodemie
Wer gegen Doping kämpft, braucht ständig Dopingskandale, sonst fehlt ihm die Legitimation für sein Treiben.
Von Martin Krauß Juli 2007 Konkret
Schon kleine Gesten können auf Liebesentzug hindeuten. Zum Beispiel, wenn der Held früherer Tage nicht mehr freundlich mit dem Vornamen gerufen wird. „Auch du, Zabel!“ titelte die „Bildzeitung“ am Tag, nachdem sie schockiert zur Kenntnis nehmen mußte, das Radsport von A – Z, von Aldag bis Zabel, gedopt wird. Die früheren Profis des Teams Telekom, Erik Zabel und Rolf Aldag, hatten nämlich zugegeben, in den neunziger Jahren Erythropoetin, kurz Epo genannt, eingenommen zu haben. Aldag nahm es ab 1995. 2002 wurde es ihm zu gefährlih, weshalb er aufhörte. Zabel teilt mit, 1996 eine Woche lang Epo genommen zu haben. Da habe er bemerkt, daß, wenner eine große Sportliche Leistung vollbringen wolle, er mit Körper und Geist im reinen sein müsse, aber als er Epo nahm, „kam ich mit den Nebenwirkungen nicht klar“ . Eine erhöhte Körpertemperatur, und ein deutlich niedriger Ruhepuls seien seine Warnsignale gewesen – daher habe er das Doping für immer abgesetzt.
„Auch du, Zabel!“ also. Hätte Bild sich ans historische Original gehalten, an die letzten Worte, die der niedergestochene Cäsar vor seinem Tod gesagt haben soll, hätte es nicht nur „Auch du, mein Sohn Zabel“ heißen müssen, sondern es hätte auch ungläubigen Fragezeichens bedurft. Aber für Zweifel beim Thema Doping sind ja andere zuständig, weniger „Bild“.
Daß im Sport im allgemeinen und im Radsport im besonderen gedopt wird, weiß doch jedes Kind. Schon 1886, als es den Begriff Doping noch nicht in der Sportsprache gab, sank Tom Linton, kurz nachdem er das über 600 Kilometer führende Radrennen Bourdeaux-Paris gewonnnen hatte, tot zu Boden. Er soll, vermutet man, von seinem Manager eine Überdosis Koffein verabreicht bekommen haben. Was der tragische Tom Linton beziehungsweise sein Betreuer tat, ist an sich nichts Neues: durch die Einnahme von besonderen Wirkstoffen seine Leistungsfähigkeit verbessern. Der amerikanische Sportsoziologe John Hoberman hat gezeigt, daß der Pharmakonsum „für die menschliche Art fast genauso “natürlich“ ist wie die Nahrungssuche oder die Suche nach Obdach“. Für längeres Leben, besseren Sex, weniger Schmerzen und für mehr Leistung. Das ist älter als der Kapitalismus, aber in der bürgerlichen Gesellschaft wurde dieses Phänomen radikalisiert.
Das Primat der Leistungssteigerung ließ auch den Sport entshtehen, der sich von Spielen und Wettkämpfen früherer Gesellschaftsfromationen darin unterscheidet, daß ihm das Rekordsystem innewohnt: höher-schneller-weiter, wie das lateinische Motto der Olympischen Spiele der Neuzeit, citius-altius-fortius, in Deutschland meist übersetzt wird (korrekt müsste es höher-schneller-stärker heißen). Sport drängt auf vergleichbarkeit in Metern, Kilogramm, und Sekunden und darauf, die einzelne Leistung auf dem Weltmarkt vergleichbar zu machen und im Weltrekord auszudrücken. Sport führt also die Menschen in Grenzbereiche ihrer Leistungsfähigkeit. „Selbstverständlich ist Sport, nämlich wirklicher passionierter Sport, riskanter Sport, nicht gesund“, schreibt Berthold Brecht. „ Da, wo er wirlkich etwas mit Kampf, Rekord und Risiko zu tun hat, bedarf er sogar ausserordentlicher Anstrengungen das ihn Ausübenden, seine Gesundheit einigermaßen auf der Höhe zu halten.“
Die Leistung des Tom Linton, auf einem Fahrrad ohen Gangschaltung am Stück in etwa 26 Stunden und mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 21 Stundenkilometern von Bourdeaux nach Paris zu fahren, war gewiß, um im Antidopingjargon zu sprechen, „keine natürliche Leistung“, keine, bei der man nicht „nachgeholfen“ hätte. Aber das Publikum erwartet das. Der Sport ist die „einzige Lebensform, von der angenommen wird, daß sie durch pharmakologische Intervention verdorben wird“, schreibt Hoberman. Daß Rockmusik etwa schlecht und nicht anzuerkennen sei, weil ihre Urheber Drogen genommen hätten, hat noch nie jemand behauptet.
Was Doping ist, was man unter nichterlaubter und was unter erlaubter Unterstützung der körperlichen Leistungensfähigkeit verstehen darf, ist umstritten. Der Tod Tom Lintons wurde nicht zum Anlaß genommen, über Doping nachzudenken. Erst in den zwanziger Jahren des Vergangenen Jahrhundets kamen erste Verbotsvorderungen auf: Im Wettkampf genommene Aufputschmittel sollten verboten werden. Auch, ob nicht etwa UV-Licht als Doping unter Strafe zu stellen wäre, wurde diskutiert, denn dann würden ja die Muskeln nicht nur von der natürlichen Lichtquelle, der Sonne, sondern auch von einer künstlichen bestrahlt. Es stand sogar zur Debatte, ob das Anfeuern von Sportlern nicht eine unerlaubte, weil unnatürliche psychologische Unterstützung darstellte, wurde diskutiert.
Zum Verbot kam es erst in den fünfziger Jahren, und seither wächst die Liste der verbotenen Substanzen und Methoden ständig: Von einfachen Aufputschmitteln über anabole Steroide zum Muskelaufbau und sogenanntes Blutdoping bis zu Epo reichen die Verbote. Wird einem Sportler die Einahme eines nicht verbotenen Mittels nachgewiesen, dauert es in der regel nicht lange, und es steht ebenfalls auf der Liste. Allein im Profiradsport wurden seit dem Jahr 2000 über 250 Fahrer des Dopings überführt und bestraft.
Es wird also etwas nachgewiesen, was beinah alle machen und von dem beinah alle wissen, daß es beinah alle machen. Georg Paul Hefty aus der Politik-, nicht aus der Sportredaktion der „Frankfurter Allgemeinen“ formulierte es in einem Leitartikel so: „Wer Aldag, Böltz, Dietz oder Zabel vorwirft, gelogen und betrogen zu haben, lügt sich in die eingene Tasche, betrügt sich selbst: Doping ist in der Leistungsgesellschaft immer wieder und überall, nur heißt es nicht überall und immer so.“ Doping sei wie Korruption und Bestechung. „Das Geschehen ist stets das gleiche: Jemand verschafft sich mit eigentlich unerlaubten Mitteln eine Kraft – auch Wettbewerbsvorteil genannt -, die er eigentlich nicht hat.“ Hefty erkennt auch, das „die Regelwiedrigkeit zu einer Regelmäßigkeit der übertriebenen, überhitzten, unnachsichtigen Leistungsgesellschaft“ wird.
Woran sich nur die Frage anschließt ob man sich, wenn man macht, was alle machen, noch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann. Der Profiradsport funktioniert halt etwa so wie die Gesellschaft, die ihn hervorgebracht hat. Das kann man beklagen, aber schon dir tour de France selbst und die Idee, eine solche Tour zu organisieren, sind ja Produkte der Gesellschaftlichen Entwicklung.
Wer gegen Doping kämpft, braucht ständig Dopingskandale, sonst fehlt ihm die Legitimation für sein Treiben. Und er muß ständig behaupten, daß die Leistungsteigerung durch das, was er bekämpft, immens ist, so daß es tatsächlich stets die besten Sportler sind, die in Dopingverdacht geraten.
Schon im letzten Jahr wurden kurz vor der Tour de France die besten Allrounder vom Wettkampf ausgeschlossen. Und prompt gerietder neue Tour-Sieger Floyd Landis in Verdacht, auch wenn ihm bislang genausowenig nachgwiesen werden konnte wie Jan Ullrich oder Lance Armstrong. Vom Tour-Sieger 2007 weiß man zwar erst Ende Juli den Namen, aber daß er gedopt haben wird, weiß man jetzt schon. Auch du, Radprofi.
Martin Kraus ist freier Sprotjournalist und Autor des Buches Doping (Rotbuch, Hamburg 2000). 2008 erscheint zum Thema ein von ihm herausgegebener Sammelband (Verbrecher Verlag)
Wer gegen Doping kämpft, braucht ständig Dopingskandale, sonst fehlt ihm die Legitimation für sein Treiben.
Von Martin Krauß Juli 2007 Konkret
Schon kleine Gesten können auf Liebesentzug hindeuten. Zum Beispiel, wenn der Held früherer Tage nicht mehr freundlich mit dem Vornamen gerufen wird. „Auch du, Zabel!“ titelte die „Bildzeitung“ am Tag, nachdem sie schockiert zur Kenntnis nehmen mußte, das Radsport von A – Z, von Aldag bis Zabel, gedopt wird. Die früheren Profis des Teams Telekom, Erik Zabel und Rolf Aldag, hatten nämlich zugegeben, in den neunziger Jahren Erythropoetin, kurz Epo genannt, eingenommen zu haben. Aldag nahm es ab 1995. 2002 wurde es ihm zu gefährlih, weshalb er aufhörte. Zabel teilt mit, 1996 eine Woche lang Epo genommen zu haben. Da habe er bemerkt, daß, wenner eine große Sportliche Leistung vollbringen wolle, er mit Körper und Geist im reinen sein müsse, aber als er Epo nahm, „kam ich mit den Nebenwirkungen nicht klar“ . Eine erhöhte Körpertemperatur, und ein deutlich niedriger Ruhepuls seien seine Warnsignale gewesen – daher habe er das Doping für immer abgesetzt.
„Auch du, Zabel!“ also. Hätte Bild sich ans historische Original gehalten, an die letzten Worte, die der niedergestochene Cäsar vor seinem Tod gesagt haben soll, hätte es nicht nur „Auch du, mein Sohn Zabel“ heißen müssen, sondern es hätte auch ungläubigen Fragezeichens bedurft. Aber für Zweifel beim Thema Doping sind ja andere zuständig, weniger „Bild“.
Daß im Sport im allgemeinen und im Radsport im besonderen gedopt wird, weiß doch jedes Kind. Schon 1886, als es den Begriff Doping noch nicht in der Sportsprache gab, sank Tom Linton, kurz nachdem er das über 600 Kilometer führende Radrennen Bourdeaux-Paris gewonnnen hatte, tot zu Boden. Er soll, vermutet man, von seinem Manager eine Überdosis Koffein verabreicht bekommen haben. Was der tragische Tom Linton beziehungsweise sein Betreuer tat, ist an sich nichts Neues: durch die Einnahme von besonderen Wirkstoffen seine Leistungsfähigkeit verbessern. Der amerikanische Sportsoziologe John Hoberman hat gezeigt, daß der Pharmakonsum „für die menschliche Art fast genauso “natürlich“ ist wie die Nahrungssuche oder die Suche nach Obdach“. Für längeres Leben, besseren Sex, weniger Schmerzen und für mehr Leistung. Das ist älter als der Kapitalismus, aber in der bürgerlichen Gesellschaft wurde dieses Phänomen radikalisiert.
Das Primat der Leistungssteigerung ließ auch den Sport entshtehen, der sich von Spielen und Wettkämpfen früherer Gesellschaftsfromationen darin unterscheidet, daß ihm das Rekordsystem innewohnt: höher-schneller-weiter, wie das lateinische Motto der Olympischen Spiele der Neuzeit, citius-altius-fortius, in Deutschland meist übersetzt wird (korrekt müsste es höher-schneller-stärker heißen). Sport drängt auf vergleichbarkeit in Metern, Kilogramm, und Sekunden und darauf, die einzelne Leistung auf dem Weltmarkt vergleichbar zu machen und im Weltrekord auszudrücken. Sport führt also die Menschen in Grenzbereiche ihrer Leistungsfähigkeit. „Selbstverständlich ist Sport, nämlich wirklicher passionierter Sport, riskanter Sport, nicht gesund“, schreibt Berthold Brecht. „ Da, wo er wirlkich etwas mit Kampf, Rekord und Risiko zu tun hat, bedarf er sogar ausserordentlicher Anstrengungen das ihn Ausübenden, seine Gesundheit einigermaßen auf der Höhe zu halten.“
Die Leistung des Tom Linton, auf einem Fahrrad ohen Gangschaltung am Stück in etwa 26 Stunden und mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 21 Stundenkilometern von Bourdeaux nach Paris zu fahren, war gewiß, um im Antidopingjargon zu sprechen, „keine natürliche Leistung“, keine, bei der man nicht „nachgeholfen“ hätte. Aber das Publikum erwartet das. Der Sport ist die „einzige Lebensform, von der angenommen wird, daß sie durch pharmakologische Intervention verdorben wird“, schreibt Hoberman. Daß Rockmusik etwa schlecht und nicht anzuerkennen sei, weil ihre Urheber Drogen genommen hätten, hat noch nie jemand behauptet.
Was Doping ist, was man unter nichterlaubter und was unter erlaubter Unterstützung der körperlichen Leistungensfähigkeit verstehen darf, ist umstritten. Der Tod Tom Lintons wurde nicht zum Anlaß genommen, über Doping nachzudenken. Erst in den zwanziger Jahren des Vergangenen Jahrhundets kamen erste Verbotsvorderungen auf: Im Wettkampf genommene Aufputschmittel sollten verboten werden. Auch, ob nicht etwa UV-Licht als Doping unter Strafe zu stellen wäre, wurde diskutiert, denn dann würden ja die Muskeln nicht nur von der natürlichen Lichtquelle, der Sonne, sondern auch von einer künstlichen bestrahlt. Es stand sogar zur Debatte, ob das Anfeuern von Sportlern nicht eine unerlaubte, weil unnatürliche psychologische Unterstützung darstellte, wurde diskutiert.
Zum Verbot kam es erst in den fünfziger Jahren, und seither wächst die Liste der verbotenen Substanzen und Methoden ständig: Von einfachen Aufputschmitteln über anabole Steroide zum Muskelaufbau und sogenanntes Blutdoping bis zu Epo reichen die Verbote. Wird einem Sportler die Einahme eines nicht verbotenen Mittels nachgewiesen, dauert es in der regel nicht lange, und es steht ebenfalls auf der Liste. Allein im Profiradsport wurden seit dem Jahr 2000 über 250 Fahrer des Dopings überführt und bestraft.
Es wird also etwas nachgewiesen, was beinah alle machen und von dem beinah alle wissen, daß es beinah alle machen. Georg Paul Hefty aus der Politik-, nicht aus der Sportredaktion der „Frankfurter Allgemeinen“ formulierte es in einem Leitartikel so: „Wer Aldag, Böltz, Dietz oder Zabel vorwirft, gelogen und betrogen zu haben, lügt sich in die eingene Tasche, betrügt sich selbst: Doping ist in der Leistungsgesellschaft immer wieder und überall, nur heißt es nicht überall und immer so.“ Doping sei wie Korruption und Bestechung. „Das Geschehen ist stets das gleiche: Jemand verschafft sich mit eigentlich unerlaubten Mitteln eine Kraft – auch Wettbewerbsvorteil genannt -, die er eigentlich nicht hat.“ Hefty erkennt auch, das „die Regelwiedrigkeit zu einer Regelmäßigkeit der übertriebenen, überhitzten, unnachsichtigen Leistungsgesellschaft“ wird.
Woran sich nur die Frage anschließt ob man sich, wenn man macht, was alle machen, noch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann. Der Profiradsport funktioniert halt etwa so wie die Gesellschaft, die ihn hervorgebracht hat. Das kann man beklagen, aber schon dir tour de France selbst und die Idee, eine solche Tour zu organisieren, sind ja Produkte der Gesellschaftlichen Entwicklung.
Wer gegen Doping kämpft, braucht ständig Dopingskandale, sonst fehlt ihm die Legitimation für sein Treiben. Und er muß ständig behaupten, daß die Leistungsteigerung durch das, was er bekämpft, immens ist, so daß es tatsächlich stets die besten Sportler sind, die in Dopingverdacht geraten.
Schon im letzten Jahr wurden kurz vor der Tour de France die besten Allrounder vom Wettkampf ausgeschlossen. Und prompt gerietder neue Tour-Sieger Floyd Landis in Verdacht, auch wenn ihm bislang genausowenig nachgwiesen werden konnte wie Jan Ullrich oder Lance Armstrong. Vom Tour-Sieger 2007 weiß man zwar erst Ende Juli den Namen, aber daß er gedopt haben wird, weiß man jetzt schon. Auch du, Radprofi.
Martin Kraus ist freier Sprotjournalist und Autor des Buches Doping (Rotbuch, Hamburg 2000). 2008 erscheint zum Thema ein von ihm herausgegebener Sammelband (Verbrecher Verlag)