Ausgeschlafen und mit Kaffee im Blut an der Startlinie zu stehen, ist wahrlich nicht zu unterschätzen.
Frische Beine kann aber auch guter Kaffee nicht herzaubern. Bereits von der Startlinie weg wird ein hohes Tempo gefahren. Natürlich vor allem von all denen, die in der Gesamtwertung noch einen Podiumsplatz ergattern möchten. Meine Beine sind aber schwer und freuen sich überhaupt nicht über die morgendliche Hetzerei.
So muss ich mein Grüppchen des Vortages ziehen lassen und breche zeitweilen ein wenig in Panik aus. Ich bin alleine auf weiter Flur. Dann kommen aber nochmals zwei Tempobolzer von hinten angerauscht und führen mich im Windschatten wieder an eine grössere Gruppe heran. Diese harmoniert aber leider nicht so gut wie die am Tag zuvor. Einerseits gibt es einen Mitstreiter, der extrem viel Unruhe in die Gruppe bringt durch seine unrhythmische Fahrweise, andererseits gleicht das Streckenprofil heute einem Haifischgebiss. Das heisst konkret: tausend kleine, steile Steigungen, die man hinauf sprinten kann und bei denen man grosse Gänge würgen können muss. Beides kommt mir ganz und gar nicht entgegen.
Ich leide und kämpfe und beisse auf die Zähne. Nach 25 Kilometern werde ich dann trotzdem in einem extrem steilen Aufstieg aus der Gruppe herauskatapultiert. Ich ärgere mich, und die Moral ist im Keller. Vor allem auch, weil ich just in dem Moment die Zweitplatzierte Yvonne Waltert vor uns sehe.
Es dauert einige Kilometer, bis ich zurück in meinen Flow finde und wieder Druck auf die Pedale bringe. Für einige Kilometer finde ich dann auch noch einen Leidensgenossen und wir teilen uns die Führungsarbeit. Die Feedzone bei Kilometer 35 erreichen wir noch zusammen, aber bald darauf erwischt ihn ein platter Vorderreifen, und ich bin wieder auf mich alleine gestellt.
Bis ins Ziel nach 70 Kilometern treffe ich keinen anderen Fahrer mehr an. Ich versuche also meine Kräfte gut einzuteilen und auch die schöne Aussicht etwas zu geniessen. Am liebsten sind mir schmale Waldstrassen, oder gar Singletrails. Da ist nämlich mein Kopf so sehr mit Lenken beschäftigt, dass er die müden Beine vergisst.
Ich erreiche das Ziel nach total 70 Kilometer – davon 35 Kilometer Soloritt – als Drittplatzierte Frau. Nicht einmal eine Minute hinter mir erreicht die viertplatzierte Eva Hürlimann das Ziel. Sie hat ihre Hausaufgaben heute besser gemacht als ich und kommt in einer kleinen, aber feinen Gruppe ins Ziel. Unterhaltung hätte ich in dieser Gruppe sicher bessere gehabt, aber dass ich nicht gegen Eva ins Ziel sprinten musste, war mir dann doch auch ganz recht!
Das Panorama auf der Etappe heute war Wahnsinn! Zum Glück hatte ich auch etwas Zeit links und rechts zu schauen. Wenn man sich nicht auf ein Hinterrad in der Gruppe konzentrieren muss, bleibt echt mehr Zeit auch mal die Landschaft zu geniessen.
Im Ziel stecken wir Mädels dann nochmals die Köpfe zusammen und tauschen Geschichten aus. Renata Bucher hat das Rennen überlegen gewonnen. Yvonne Waltert wird zweite. Eva Hürlimann und ich liefern uns einen tollen und fairen Kampf um den letzten Podiumsplatz, den ich für mich entscheiden kann. Yeah, hat gut getan mal wieder so richtig in die Pedale zu treten!
Bis demnächst mit meinem Fazit zur Tortour, Nathalie.
Zu den Resultaten geht es hier:
Ergebnisse Nathalies Tortour CX
Über Nathalie Schneitter
Nathalie Schneitter startete ihre internationale Mountainbike-Karriere im Jahr 2004 mit dem Gewinn des Cross-Country-Weltmeistertitels bei den Juniorinnen. Seither ist sie Vollgas auf den Rennstrecken dieser Welt unterwegs. In Jahr 2008 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking und 2010 sicherte sie sich den Heimsieg beim Cross-Country-Weltcup in Champéry. Vollgas gibt Nathalie auch neben der Rennstrecke: Sie lacht viel, ist bisschen verrückt und tanzt in jeder möglichen Situation. Seit Herbst 2016 ist sie Messeverantwortliche im Organisationsteam der Bike Days in Solothurn und des Urban Bike Festival in Zürich. Seit dieser Saison spricht sie auf Red Bull TV auch den Deutschen Co-Kommentar des Cross Country Weltcup (4 von 7 Rennen).
Andere Stationen auf der Tortour CX von Nathalie
- Nathalies Tortour CX – 4. Teil: Frische Beine sollen her
- Nathalies Tortour CX – 2. Teil: Prolog mit Platten
- Nathalies Tortour Cyclocross – Teil 1: Graveln mit Jolanda Neff
2 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumMit schweren Beinen geht Nathalie Schneitter an den Start der 2. Etappe der Tortour CX Summer Edition 2018. Es gilt einen Podiumsplatz in der Gesamtwertung zu verteidigen. Doch dafür ist diesmal ein langes Solo gefragt.
→ Den vollständigen Artikel „Nathalies Tortour CX – 4. Teil: Frische Beine sollen her“ im Newsbereich lesen
Danke für Natalies Berichte!
Schönes Format .... und Schweiz ist ja auch immer ganz nett ...
Toller Bericht, vielen Dank für's Mitnehmen .
Hoffentlich bald wieder.
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