Hätte ich mal diesen Absatz im Artikel vor einem Jahr nicht geschrieben. 300 Kilometer, unerreichbar, mach ich nie mehr. Aber dann ertappt man sich doch dabei, „zum Spaß“ auf Komoot einzugeben, wie lange es „theoretisch“ bis zu meinem MTB-News-Kollegen Marcus nahe Berlin wäre. 402 Kilometer, haha. Ha. Hm. Man würde so 16 Stunden … und wenn man nachts aufsteht, dann… ach, vergiss den Quatsch, das wird nix und ist eh viel zu krass, war doch nur so ein Satz im Artikel. Wer wäre so bescheuert und wollte wirklich 400 Kilometer Radfahren?
Sonntag, 11. August
Der Wecker klingelt um 1.00 Uhr. Ich habe fünf Stunden geschlafen und die vergangenen Tage damit verbracht, die Wetter- und Windvorhersagen von Lemgo, Hannover, Braunschweig, Magdeburg und Potsdam stündlich zu checken. Für diesen Sonntag wird es den ganzen Tag nordost- und ostwärts wehen. Es soll sonnig sein, keinen Regen geben und knackige 28 Grad warm werden. Bis auf die vielleicht minimal zu hohen Temperaturen praktisch perfekt.
Ich habe seit dem vergangenen Jahr viel dazugelernt. Statt Bauchtasche kommt endlich die Ortlieb-Satteltasche zum Einsatz, meine neue Powerbank bietet doppelt so viel Milliamperestunden (20.000) und neben drei Schläuchen habe ich sogar einen Ersatzreifen nebst jeder Menge Essen eingepackt. Könnte ein langer Tag werden. Das Bike steht schon im Hausflur, 7.5 Bar Druck, gepackte Satteltasche, aufgeladenes Licht, tiptop ordentlich. Es geht wirklich los.
2.00 Uhr | 1 km | Lemgo
Ich rolle durch die Stadt, es ist stockdunkel, nur die Lupine SL AF breitet einen hellen Lichtteppich vor mir aus. Ich verziehe keine Miene, als sich eine Gruppe höchst vollgetankter Jugendliche gut gelaunt daran ergötzt, wie ich in voller Sportmontur mitten in der Nacht an der roten Ampel stehe. Da stehe ich doch wohl drüber!
2:42 Uhr | 16 km | Humfeld
17 Grad, ich fühl mich gut. Anfängliche Zweifel, dass es zu frisch sein könnte, hatten sich schon nach dem ersten Schritt aus der Haustüre zerstreut, also hatte ich erst gar keine Jacke mitgenommen. Kurz/kurz muss reichen für die Tour! Das Rad rennt, das Licht lichtet. Ich dudel durch den Wald und nehme den ersten Hügel der insgesamt eher als flach zu bezeichnenden Etappe in Angriff, aus Humfeld geht es nach Alverdissen. Alles noch in Reichweite und mir gut bekannt. Im Ohr diskutieren Micky Beisenherz, Lukas Vogelsang und Maik Nöcker über nützliche und nicht nützliche Bayerntransfers im Fußball MML-Podcast.
3:06 Uhr | 29 km | Aerzen
Ich sehe tatsächlich eine Sternschnuppe direkt vor mir fliegen, wie schön! Und ich fliege durch Aerzen, denn es geht leicht abwärts. Gut gelaunt schieße ich durch den bürgersteighochgeklappten Ort, dessen Bewohner alle schlafen. Alle Bewohner? Nein! Ein Rudel unbeugsamer Jugendlicher mit deutlich hörbarer Bierfahne grölt und feuert mich an, als ich vorbeirolle. Mein Schnitt liegt aktuell deutlich über meinem angepeilten Gesamtschnitt von 25 km/h, aber das passt alles noch. Kurz nach Aerzen kläfft ein Hund hinter einem Zaun und macht sich an die Verfolgung. Ob der Zaun am Ende geschlossen ist? Ich lasse es nicht drauf ankommen und lege einen kurzen Sprint ein, bis ich den Hund nicht mehr höre. Nächtliche Highlights.
3:33 Uhr | 47 km | Kurz vor Lauenstein
11 % Steigung, 900 m lang? Hallo Komoot, seid ihr irre? Der zweite Anstieg ist kurz, aber äußerst knackig und verläuft in Serpentinen durch den stockdunklen Wald. Ich bin froh, dass die Lupine die Straße und die Kopfhörer meine Ohren fluten. Ich höre den Soundtrack von „Stranger Things 3“. Was könnte es Passenderes in der Nacht irgendwo im Wald nach oben geben? Aber wo es hochgeht, geht es auch wieder runter und ich passe auf, dass ich in den Abfahrten nicht zu schnell werde, denn ich sehe nicht allzuviel in den Kurven. Immer öfter werde ich auf die Berliner Straße geleitet, ich muss grinsen. Da muss ich ja hin! Die größeren Ortschaften verfügen wirklich fast alle über eine Straße Richtung Hauptstadt und ausnahmslos jede Variante befahre ich.
4:46 Uhr | 71 km | Elze
Meine Güte, waren das langweilige 30 Kilometer. Einfach nur Dunkelheit und langweilige Landstraßen. Autos sind bisher praktisch nicht vorbeigekommen, dafür liegen immer wieder Mäuse (tot) auf dem Fahrradweg oder flitzen ganz knapp vor meinem Vorderrad (lebendig) von der einen zur anderen Seite.
In Elze sitzt die bekannte Fahrradfirma Nicolai und ich überlege, ob ich kurz auf einen Kaffee vorbeischaue. Aber ich fürchte, um Viertel vor Fünf an einem Sonntag ist selbst bei den Schweißern noch nichts los. Also geht es weiter. Bislang kannte ich einen großen Teil der Strecke, ab jetzt ist für mich Fledermaus-, äh, Niemandsland per Fahrrad. War der zweite größere Uphill eigentlich schon? Achja, Lauenstein.
5:50 Uhr | 90 km | Hildesheim
Seit zwanzig Minuten, oder, wie ich neuerdings zähle, seit 18 herüberflitzenden Mäusen, dämmert es, was mich erfreut. Zwar war diese Nacht lange nicht so schlimm wie die letzten vier Stunden der letzten Tour, aber irgendwie macht es im Hellen doch mehr Spaß. Ein Schelm, wer dabei nicht ans Radfahren denkt.
In Hildesheim mache ich erstmals Pause, kurze Verpflegungs- und Ampelstopps nicht mitgerechnet. Ich hole mir an einer Tankstelle ein Salamibrötchen und eine Brezel, fülle meine Flaschen auf und gönne mir 15 sattellose Minuten. Wie schon auf dem 300er Gran Fondo realisiere ich jetzt erst, dass ich ja schon 3 Fahrstunden auf der Uhr habe und an der Dreistelligkeit kratze, dabei aber bisher noch nicht wirklich sehr kaputt bin. Besser ist das, ist ja nichtmal ein Viertel der geplanten Route geschafft! Weiter geht’s, dem Sonnenaufgang entgegen.
6:04 Uhr | 96 km | Bettmar
Auf Spotify läuft „Teardrops“ von Massive Attack und verstärkt mit der Stimmung des Liedes mein positives Grundgefühl. Denn kurz vor Bettmar lugt die Sonne frontal vor mir über den Horizont und gewinnt schnell an Höhe. Ich hingegen gewinne schnell an Kälte, denn die angenehmen 17 Grad Start-Temperatur um 2 Uhr sind — für mich – frösteligen 13 Grad gewichen. Ich wusste, dass die Temperatur noch runtergeht, aber dass sich 13 Grad nun doch so kalt anfühlen, hatte ich nicht im Sinn. Ich mache es einfach genau andersrum wie die Feldmaus Frederick im bekannten Kinderbuch von Leo Lionni und sammle gedanklich schonmal die Kälte für die heißen Stunden, die definitiv heute kommen werden.
7:07 Uhr | 123 km | Vechelde
Das Haar sitzt, die Frisur hält, nur die Brille macht mit den klaren Gläsern im Moment, so wie ich voll in die Sonne fahre, wirklich keinen Sinn mehr. Ich hab mir Brille Nummer 2 zuhause allerdings direkt mit in die Trikottasche gestopft (Mitgedacht!), die nun endlich zum Einsatz kommt. Ich höre Eva Schulz und Budi im Deutschland3000-Podcast zu (Tipp!). Nun sind es nur noch wenige Kilometer bis Braunschweig, das an diesem Sonntagmorgen um 7 Uhr quasi ausnahmslos schweigt und schläft. Ich könnte nebst einer kurzen Frischmachung auch einen Kaffee gebrauchen und stoppe am Edellokal „Zum Goldenen M“, das erst um 8 Uhr aufmacht und mich um 7:52 Uhr so acht goldene Sonnenminuten vor den Eingangstoren genießen lässt. Diese nutze ich, um mir Sonnencreme auf Arme und Beine und ins Gesicht zu schmieren (wieder mitgedacht!). Den Kaffee in die rechte Hand geklemmt, mache ich mich weiter durchs menschenleere Braunschweig und raus – natürlich gen Osten.
08:45 Uhr | 151 km | Cremlingen
Seit diversen Minuten dümpele ich 100 Meter hinter einem Rennradfahrer her, der genau mein Tempo fährt. Schneller will ich gar nicht, über 130er Puls schonmal gar nicht und irgendwie passt es halt gerade genau. Auf seinem Trikot steht „Sauhart, saugut, saustark, 254 km“. Pff, denke ich mir, das bin ich ja letztes Jahr auch gefahren. Bis er sich kurz aufrichtet und ich die „4000 Hm“ oberhalb des Schriftzuges sehe. Schlagartig ziehe ich sämtlichen internen Spott zurück und bleibe brav hinten. Leider stoppen wir jedes Mal an der gleichen Ampel, bis er irgendwann „Na komm, dann häng dich doch einfach dran!“ schmunzelt. Ich nehme gerne an, erkläre ihm, dass dies angesichts meiner noch zu absolvierenden Route mehr als nett ist, woraufhin er große Augen bekommt und bekräftigt, dass dies dann definitiv notwendig sei!
Was dann passiert, hätte besser nicht sein können. Wind von vorne zieht auf. Der einzige Gegenwind der bisherigen Tour. Unmöglich, dabei noch eine gute Pace zu fahren! Gottseidank drückt Herr Sauhart vor mir einen 35er bis 45er Stiefel in die Pedale und lässt mir den Windschatten, womit er mich die folgenden zehn Kilometer bis Königslutter dankenswerterweise mitzieht. Dort verabschieden uns, denn er muss rechts ab und ich geradeaus nach Helmstedt. An meinen Windschattengeber: Wenn du das hier liest, gib doch kurz eine Info und ich schicke dir ein Bier vorbei!
10:42 Uhr | 197 km | Altenhausen
Ich durchfahre Helmstedt, kurz darauf bin ich offiziell im Osten Deutschlands, denn in einem kleinen Dörfchen steht die ehemalige Grenze zur DDR. Gefühlt gibt es hier nun weniger Fahrradweg, viel mehr Feld und viel viel mehr lange Straßen. Und mir fällt auf, dass es langsam wärmer wird. In Altenhausen freue ich mich, dass endlich Halbzeit ist – für mich, je näher die Zahl 200 kommt, ein immer wichtiger gewordener psychologischer Faktor. Und ZACK, geschafft. Jetzt bin ich gefühlt auf dem Heimweg und wir haben nicht mal Mittag! In Hundisburg fällt mir ein Schild auf, über das ich lange nachdenke. Ein Ortsschild nach Haldensleben. Linksrum: 6 Kilometer, rechtsrum: 4 Kilometer. Wieviele Haldenslebener, die nach Hundisburg wollten, haben
sich wohl schonmal bewusst für die lange oder kurze Strecke entschieden?
11:30 Uhr | 214 km | Haldensleben
Ich fahre rechtsrum. Strikt logisch, dachte sich wohl auch Komoot. Ich kann das Zuckerzeug aus meinem Proviantbeutel nicht mehr sehen, google schnell die nächste große Tanke und versorge mich mit einem Bitburger 0.0, einem Eistee für später und zwei herzhaften Snacks. Die Tour läuft wie geplant gerade gut, aber die Temperatur, die mittlerweile rund 25° anzeigt, merke ich. Im Ohr läuft mittlerweile Jutta Allmendinger im Gespräch mit Christoph Amend und Jochen Wegner bei „Alles gesagt?“. Höchstspannende Frau!
13:00 Uhr | 242 km | Rogätz
Juhu, die erste Fähre! Und in Rogätz steppt der Bär. Pavillons, Biertische, Wurstgeruch und Helene Fischer, die mit Open Air-Volksfeststimmung direkt an der Fähre aus den Lautsprechern dudelt. Find ich gut, die Stimmung, hier gefällt es mir. Die Fähre braucht eh noch ein bisschen, ich trinke meinen immer noch nicht ganz warmen Eistee und freue mich, dass es „nur“ noch 160 Kilometer sind, wenn alles glattläuft. Auch mein Essens-Pensum funktioniert momentan noch gut, auch wenn ich zwischendurch ordentlich durchschnaufen muss.
13:10 Uhr | 242 km | Rogätz, 300 Meter Straße später
Ha, hätte ich mal nix gesagt. Der Elberadweg, den ich eigentlich die nächsten 15 Kilometer laut Plan fahren wollte, ist nicht vorhanden, da der Deich erneuert wird. Schöne Scheiße. Es bleibt nur ein Umweg: Über das Dörfchen Burg und drei weitere Dörfchen, bis ich in Elbe-Parey wieder auf meine ursprüngliche Route gelange. Mich empfängt strenger Gegenwind und aus dem kleinen Umweg über das Dörfchen Burg, das sich als 25.000-Einwohner-Kreisstadt entpuppt (das nächste Mal genauer reinzoomen!), werden lockere 20 Kilometer Bonus. Wie ich die aber wieder reinkriege, weiss ich schon, dazu später mehr.
Was mich aber etwas ratlos macht, ist meine Beinsituation. Seit Burg schmerzt mein rechtes Knie, was noch nie zuvor der Fall war. War der Cleat doch doof eingestellt? Das linke Knie ist grundsätzlich recht kaputt, aber rechts? Warum jetzt rechts? Ich spüre eine Überlastung und strammes Treten findet mein Gelenk nicht mehr so gut, auch Gehen gehört nicht zu den Aktionen, die ich gerade freiwillig gerne mache. Ich lege in Parey eine Pause ein, lege die Beine für 15 Minuten hoch, optimiere meine Cleat-Stellung rechts und gehe meine Optionen durch. Aufgeben? So „kurz“ vor dem Ziel für mich in diesem Fall eigentlich keine Option, denn so schnell möchte ich so ein Monster nicht nochmal fahren. Ich entscheide mich für die Mix-Option B: Weiterfahren und alle 10 km checken, ob es schlimmer wird oder nicht. Fotos gibt’s keine, Motivation nicht vorhanden.
15:07 Uhr | 284 km | Genthin
Der Schmerz ist nicht schlimmer geworden. Aufgabe ist für mich auch jetzt einfach gerade keine Option mehr. Ich möchte weiterfahren, lasse es aber nun sehr gemächlich angehen. Dank nun ordentlichem Rückenwind kann ich mit wenig Aufwand locker 27 km/h fahren und langsam wird meine Stimmung wieder etwas besser. In Bensdorf wollte ich eigentlich einen kleinen Schlenker fahren, um a) die 10 km lange (gerade!) Bundesstraße zu umgehen und b) die 400 voll zu kriegen, aber letzteres habe ich ja schon durch den Burg-Umweg geschafft. Also schnurgerades, lockeres Kurbeln mit wild sausenden Überholern. Gab schonmal spannendere Strecken.
16:29 Uhr | 309 km | Brandenburg Havel
309 heißt: Ich habe meinen bisherigen Streckenrekord gebrochen. Was nun kommt, kann ich nicht mehr abschätzen. Mittlerweile ist meine Motivation auch nicht mehr maximal da; ich weiß, dass ich jetzt noch irgendwie diese 90 Kilometer abreiten muss. Ich habe noch genug Akku und höre daher jede Menge Podcasts. In Neuschmerzke kann ich mir ein bitteres Grinsen nicht verkneifen, denn heute hatte ich wirklich so ein Neuschmerzke im Knie …
18:29 Uhr | 345 km | Werder
… aber dieser Schmerz wird gelindert mit dem flairtechnisch vermutlich schönsten Teil des gesamten Tages. Das lauschige Werder bei Kilometer 345 bietet unzählige Yachten, Cafés und die Kettenfähre Tussy II, mit der ich nun im Tausch gegen genau einen Euro geschätzte 30 Meter über die Caputher Gemünde übersetze. Laufen fällt eher schwer, in Anbetracht der tiefenentspannten Stadtbewohner hätte ich nichts dagegen, mich mit einem kalten Hopfenkaltgetränk dazuzusetzen. Im weiteren Verlauf der Fahrt durch die Stadt gibt es hier und da ein paar winzig kleine Stiche bergauf und in Anbetracht der mittlerweile 348 km langen Tour ist auch jeder Witz-Anstieg so anstrengend wie der Galibier, sodass ich jedes Mal aus dem Sattel gehen muss. Wobei – schlimmer ist eigentlich nur der Moment, in dem man sich wieder hinsetzt …
20:00 Uhr | 384 km | Dahlewitz
Meine Durchschnitts-Pace kann man mittlerweile nicht mehr so nennen. Die Motivation ist Gleichgültigkeit gewichen, und ich sage ehrlicherweise, dass ich langsam keine Lust mehr habe. Großbeeren, Blankenfelde, whatever. Die Orte sind mir mittlerweile egal und spannende Fotos gibt es leider auch nicht mehr – ich halte es gar für relevant zu fotografieren, dass ich nun wieder meine klare Brille aufsetze. Es geht nur noch ums Durchziehen. 30 Kilometer vor dem Ziel fängt es langsam an zu dämmern, ich mache eine letzte Pause, ziehe mir mein einziges Powerbar-Gel des Tages und fünf Powerbar-Gummibärchen rein und trete an zur letzten Stunde.
Und dann passiert doch noch was, kurz vor Dahlewitz: Mein Handy vibriert, Marcus textet mir seinen aktuellen Standort und möchte, dass ich es ihm gleich tue. So geschehen – und ich sehe, dass er mir, ganz Supporter, entgegenkommt! MIT EINER VOLLEN FLASCHE! Geil, die letzten 20 Kilometer mit Gesprächen, Waldmeister-Wasser und Windschatten! Strahlend sehe ich ihn anrollen und statt großer Begrüßungen düsen wir direkt weiter. Mit Pace geht es immer weiter Richtung Ziel, Bestensee. Mein Puls steigt trotzdem nicht mehr über 115, ich bin durch.
21:03 Uhr | 403 km | Bestensee
Der Grill ist schon an und Marcus dreht die Würstchen um. Ich sitze seit zehn Minuten regungslos einfach auf dem Boden und bewege mich nur zum Trinken meines kalten Chiemseer Hell, auf dass ich mich die letzten hundert Kilometer wirklich gefreut habe. Mein Knie freut die gestreckte Regungslosigkeit ebenso. Ich esse eine Wurst, trinke mein Bier aus und wanke in die Dusche. Ich rekapituliere meinen Tag und lege fest, dass meine Gran Fondo-Karriere ihr Fernziel erreicht hat. Dies war immer, eine Tour knapp unter 24 Stunden Gesamtzeit zu fahren, das ist hiermit geschehen. Ich mache diesmal final einen Haken dran und freue mich dennoch darüber, dass ich das tatsächlich – aus Angst vor zuviel Druck habe ich kaum jemandem vorher vom Projekt erzählt – durchgezogen habe. Ich lächle zufrieden und schlafe hundemüde ein.
10 Dinge, die ich auf dem 400-Kilometer-Gran Fondo gelernt habe
- Eine Kiste mit Rucksack und normalen Klamotten vorschicken ist klug. Dann normale Schuhe zu vergessen, ist es nicht.
- Regelmäßig trinken und essen lohnt sich. Diesmal gab es nicht den Hauch eines Hungerastes oder Krampfes.
- Nimm entweder eine photochromatische Brille oder eine dunkle und eine klare Brille mit, wenn du Nacht mit dabei hast.
- Hab keine Angst vor so einer hohen Zahl und gehe es entspannt an.
- Zwing dich zu einer Pace, die ein gutes Stück unter deiner normalen Touren-Geschwindigkeit liegt.
- Habe eine Motivation im Ziel. Meine war, mit Marcus eine leckere Bratwurst zu essen und ein kaltes Bier zu trinken.
- Apropos Bier: Alkoholfreies Bier ist eine Top-Idee, wenn es darum geht, zwischendurch diesen ekligen Süßgeschmack aus dem Mund zu bekommen.
- Knieschmerzen können durch kleinste Cleat-Verschiebungen aufkommen. Sind aber im besten Fall nach zwei Tagen wieder weg.
- Trage nach 100 Kilometern erneut Sitzcreme auf. Dein Hintern wird es dir danken und selbst nach 400 Kilometern noch fit sein.
- So eine Tour ist etwas, das du nie vergessen wirst. Tu es!
Ein Extra-Punkt zur Motivation: Ich habe den ganzen Tag über kleine Stories mit aktuellem Kilometerstand auf meinem Instagram-Account gepostet. Die Rückmeldungen waren zahlreich und haben den ganzen Tag über extrem motiviert – auch das ein Tipp! Wer die Stories nachlesen will, findet sie hier in meinem Instagram-Profil.
Die Daten der Tour
Für die Statistiker gibt’s hier alle Daten der Tour:
- Distanz 403,60 km
- Höhenmeter 2.236 hm
- Zeit in Bewegung 15:44:25 Stunden
- Geschwindigkeit Ø 25,6 km/h
- Herzfrequenz Ø 132 bpm
- Temperatur Ø 23°
- Rad Trek Emonda SL6 2017
- Strava https://www.strava.com/activities/2610889996
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