Von Turin nach Nizza über die Seealpen, immer im Gebirge, auf alten Militärschotterpisten und berühmten Handelsrouten – das ist die Torino Nice Rallye. Wer sie fahren will, muss sich auf 700 km mit 17.000 Hm einstellen. Für Robert Krügel war all das ein wahr gewordener Traum, von dem er hier mit traumhaften Fotos berichtet.
Ich wusste, ich würde wiederkommen zur Torino-Nice-Rallye. Die 700 km und 17.000 hm über Schotterpisten von Torino nach Nizza hatten sich 2017 so nachhaltig in meiner Gedankenwelt eingenistet, dass es eigentlich schon nach der Ankunft in Nizza klar war. Letztes Jahr nahm ich die Strecke auf meinem 29″ Rigid MTB mit 3-Zoll-Reifen in Angriff. Für 2018 entschloss ich mich für das andere Extrem im Spektrum der Möglichkeiten: Ein Gravelbike. Das Mason Bokeh mit 650B Panaracer Reifen in 50 mm. Das stellte sich im Endeffekt als ziemlich perfekte Wahl heraus. Einzig der leicht ausgesetzte Drop Bar limitiert in wirklich ruppigen Bergabpassagen die Kontrolle und Geschwindigkeit. Aber das ist im Nachhinein zu vernachlässigen. Schwerer wiegen die Vorteile: das agile Handling und die verschiedenen Griff- und Sitzpositionen auf dem Gravelbike.
Es ging also zum zweiten Mal von Turin nach Nizza über die Seealpen – immer im Gebirge, auf alten Militärschotterpisten und berühmten Handelsrouten, immer entlang der italienisch-französischen Grenze. Lange Tage im Sattel, ein stetiges Auf und Ab sowie auch mal stundenlange Tragepassagen in den „Rough Stuff“-Sektoren lagen vor mir. Was für ein herrlicher Spaß! Und was für eine atemberaubende Strecke! An dieser Stelle ein ganz großes Lob an James Olsen, den Organisator der Ausfahrt, ausgesprochen, dafür, dass er eine perfekte Streckenwahl über die Jahre erschaffen hat – wie erklärt er im Interview auf evanoui.cc.
So, und nun Stück für Stück mein kleiner Bericht:
Tag 1: Finestre zum Abschluss
Am Vorabend des Starts zur Torino-Nice Rallye 2018 trafen sich die meisten Fahrer zum Dinner auf einem kleinen Marktplatz mitten im Zentrum von Turin. Mit herrlichen italienische Gaumenfreuden, im wilden Mix der internationalen Fahrersprachen machte sich schnell dieses wohlige Gefühl einer kleinen und liebevollen Bikepacker-Radfamilie breit.
Der Morgen danach begann entspannt, und nachdem das Gruppenfoto im Kasten war, ging es im geschlossenen Peloton raus aus der Stadt und rein in die ersten kleinen Waldstücke. Die große Gruppe zog sich auseinander, man erklomm auf Asphalt ein Hochtal und durchfuhr die letzten schmucken Dörfer mit Einkaufsmöglichkeiten. Immer wieder sah man einzelne Fahrer am Straßenrand sitzen mit dem zweiten Frühstück in der Hand. Die ersten kleinen Grüppchen bildeten sich, einige Fahrer schossen voraus, andere genehmigten sich erst einmal ein „Gelato“ in der Sonne.
Schnell lag die Gruppe mit den deutschen Fahrern hinter mir, und ich fuhr ziemlich allein dem ersten „Angstgegner“, dem Colle del Colombardo zu. Mein Vorteil war die Kenntnis der Strecke und ihrer Wasserstellen im Anstieg, so dass ich nicht stoppen musste, um in den Dörfern etwas zu kaufen.
Ein verrückter Franzose mit Gepäckträger überholte mich und quasselte ganz aufgeregt und freudig dabei, eine Wonne, ihn traf ich noch öfters die nächsten Tage. Ab der Mitte ist der Weg zum Colombardo dann grob geschottert. Der Schweiß schoss mir ins Gesicht. Ich wusste, dass dieser Berg ein zähes Stück Arbeit ist, kein ewiger Anstieg, dafür aber gespickt mit vielen kräftezehrenden losen, grobschottrigen Steilstücken.
34 Zähne vorne zu 42 Zähnen hinten war mein kleinster Gang. Mit Gepäck am Rad war das schon hart am Limit, eigentlich wäre ein 32er Blatt für die ganze Rallye besser gewesen (bei Reifengöße 650B in 2.0-Zoll). Auf der Passhöhe empfingen mich Nebel und frischer Wind, also leider keine Aussicht. Während ich weiter auf selber Höhe rollte (1.889 m), stieß ich auf die ersten Fahrer mit platten Reifen. Ich dagegen hatte Glück und freute mich wie ein Kleinkind auf die kommende Abfahrt im Gelände.
Der Downhill ist großartig. Ich zog mir die warme Kleidung über und schmiss mich bergab, auf einmal kam James Olsen (Rad-Designer bei Pinnacle, die Redaktion) an mir vorbei gerauscht. Das war genau auf einem Streckenabaschnitt, auf dem es schön rumpelig wurde, was mich animierte, und die folgenden Geländekilometer bis zum Asphaltteil haben wir uns im John Tomac Dropbar Style die Schotterkurven hinab gescheucht – das eine oder andere freudige Jauchzen war laut zu hören.
Im nächsten Tal dann alle Klamotten wieder aus, weil es ja 12 Grad wärmer war, und ab ging es im schnellen Ritt nach Bussoleno und Susa, wo auch schon eine kleine Gruppe schottischer und englischer Fahrer vorm Supermarkt lungerte.
Im Tal beschlossen viele, am Campingplatz den restlichen Tag ausklingen zu lassen. Ich wollte aber unbedingt den Sonnenaufgang auf der Strada dell’Assietta erleben. Deshalb musste ich noch auf den Colle delle Finestre hoch – was dann noch zu knapp 3.800 Hm am ersten Tag führte.
Schwupps, befindet man sich auf dem klassischen Giro d‘ Italia Schotterstück.
Der Finestre Anstieg ist ein Traum von einem Berganstieg, viele Switchbackkurven im Wald, dann auf einmal viel freie Sicht und Stein, und, schwupps, befindet man sich auf dem klassischen Giro d‘ Italia Schotterstück. Ein Wahnsinnsberg, man fliegt förmlich den Wolken entgegen und jubelt innerlich , obwohl es sehr hart ist und viel Kraft kostet.
Als ich auf das Schotterstück abbog, ging so langsam die Sonne unter und eine kühle Ruhe legte sich über den Berg. Ich vernahm im gleichmäßigen Tempo meine Atmung und das vertraute Abrollgeräusch der Reifen im Gelände. Die Bilder der alten Radhelden vom Giro d’Italia tauchten vor meinem inneren Auge auf, und wie in Trance zog ich die Kurven bergan. Pünktlich 20:30 Uhr war ich am Sattelpunkt, die Sonne war fort, es wurde kalt und dunkel, ich fror, schnell alles angezogen was da war und die Kopflampe aufgesetzt.
In meiner Erinnerung kam nach 5 km Abfahrt ein Refugio, welches von 2 netten Damen geführt wurde, und wo es richtig gutes Abendessen gab. Meine Erinnerung stimmte. Und zu meinem Glück waren auch James und 3 weitere Fahrer schon dort. Die italienische Gastfreundschaft wärmte mich wieder auf und ließ mich zufrieden einschlafen. Die Nacht verlief kurz und frisch, da James und ich beschlossen, vor dem Sonnenaufgang los zu radeln, um auf der Assietta dann das Farbenspiel des neuen Tages zu beobachten.
Tag 2: an die Grenze Italien-Frankreich
Der Morgen auf der Berghütte: kühl, aber angenehm. Die Hüttenwirtin hatte uns extra Frühstücksbeutel gepackt, da sie zu unserer Startzeit selber noch schlafen würde. Eine tolle Frau, und ihr Bohnensalat: der Knaller! James und ich zogen alsbald vor Sonnenaufgang los, um die strada dell’Assietta zu befahren, es ging immer weiter hinauf, schöne, lang geschwungene Schotterkehren, wieder eine Traumstraße, es wurde warm unter dem Trikot, es wurde hell und rosa am Himmel.
Wir sprachen wir nicht viel, sondern ließen Alles auf uns wirken. Ein ganz simpler Moment voller Schönheit – genau das ist für mich die Klarheit, die mir das Radfahren gibt. Die Schotterstraße windet sich unermüdlich nach oben, und das Fahren ist mitunter echt anstrengend, aber am Pass zu stehen, während die ersten Sonnenstrahlen über die Gipfel kommen, das ist jede Mühe wert.
Schnelle Schotterabfahrt Richtung Sestriere
Ein paar Kilometer weiter, trafen wir dann auf Biff aus U.K.. James redete noch eine Weile mit ihm, und ich verabschiedete mich von Beiden nach dem Morgenbier (sic!, Anm. der Redaktion) am Refugio. Von nun an ging es auf einer schnellen Schotterabfahrt Richtung Sestriere und dann in den Wald nach Torinese. Die Abfahrten: alle grandios, 30 Minuten abwärts mit Verbindungen, der absolute Hammer! Staub und Steine zischen nur so unter dem Hinterrad hervor, hier und da eine schnelle Driftbremsung, den Dropbar quergestellt, das Heck bricht aus, ich fühle mich wieder in meine Jugendjahre zurück versetzt. Hirn aus, Beine an und Schuss!
Staub und Steine zischen nur so unter dem Hinterrad hervor.
Mittlerweile war es mittag, ich fuhr den Asphaltanstieg zum Montgenèvre Pass herauf. Auf der anderen Seite vom Tunnel kam die französische Grenze immer näher. Dort wollte ich in Briancon ein Internetcafe finden, da ich mein Handy gesperrt hatte. Briancon war mir dann aber zu laut, und somit bin ich 2 Tage ohne funktionierendes Handy herum geeiert. Das war auch vollkommen o.k.
Montgenèvre Pass
Der Montgenèvre Pass oben empfing mich mit einem beeindruckenden alten Passtunnel, für Autos gesperrt, eine Galerie unzähliger, in den Stein gehauener Fenster führen zu einem faszinierenden Licht- und Schattenspiel. Für mich als Hobbyfotograf ein Muss-Stopp! Nach dem Grenzübertritt ging es direkt in den Anstieg zum Col d’Izoard gleich um die Ecke, der Klassiker, von vorne gefahren. Die Rückseite des Izoard habe ich mir geschenkt. Dort sind ca. 2 h „hike ’n bike“ im Gelände gefordert. Und ich wollte ja noch zum Col d’Agnel, hatte also Zeitnot.
Der Izoard ist laaaang, aber flach, und voller deutscher PS-Raser, ein unangenehmes Stück dort hoch, oben aber sehr „schick“, man wähnt sich wie auf dem Mond, schön kahl. Ich musste mich da eher raufquälen. Oben kaufte ich einen Schokoriegel, und ab ging es wieder in die schnelle Abfahrt.
Vom Izoard direkt in den Col d‘ Agnel
Vom Ausgang des Izoards kann man quasi direkt im vollen Wiegetritt in den Col d’Agnel reinballern. Es war spät am Nachmittag, und ich legte nochmal einen Gang zu, da ich wusste, dass man 2-2,5h locker benötige bis zum Sattel des Passes. 17:30 Uhr startete ich unten, 20:05 Uhr stand ich oben, pünktlich, als die Sonne unterging. Der Col d’Agnel ist einer meiner Lieblingsberge dort. Zwei kleine urige Dörfer auf dem Weg sowie ausreichend Wasserquellen, absolute Ruhe ab der Hälfte, ein wunderschöner Bergsattel. Rechts vom Scheitelpunkt steht ein Stein in der Mitte, dies ist das „Agnel“, das „Lämmchen“ wie die Menschen dort sagen.
Gefrorene Kopfhörer in Sampeyre
Ich stand nun also direkt auf der Grenze zwischen Italien und Frankreich. Der Himmel färbte sich erneut in fantastischen rot-orangen und violetten Tönen, es war kalt, und außer mir waren nur ein paar herrenlose schwarze Pferde in der Abfahrt zugegen. 2.744 m Höhe – ich habe mir alles angezogen, was ich noch dabei hatte und begab mich in eine 45minütige Abfahrt nach Sampyere, im Dunkel, mit Kopflampe und ohne Menschen auf der Straße. Der Wind rüttelte an mir, und ich genoß den Rausch der Geschwindigkeit. In Sampyere angekommen war mein Körper jedoch glasiert mit Eis. Im Ort habe ich meinen italienischen Freund Davide und seine Eltern getroffen, welche mich wieder einmal zum Essen einluden – selbstgemachte Gemüsesuppe, Salami, Gebäck und eine heiße Dusche, besser konnte dieser Tag nicht enden. Grazie mille italia!
Tag 3: Strada Canoni und Little Peru
Die Nacht war wieder einmal sehr kurz, Davide wollte unbedingt den Sonnenaufgang auf dem Colle di Sampeyre sehen. 04:00 Uhr Aufstehen, 04:50 Uhr saßen wir auf den Rädern, für mich als bekennenden Langschläfer war das Aufstehen vor der Sonne jedes Mal die größte Herausforderung auf dieser Tour. Das Dorf schlief noch, als wir im Dunkeln in den Berg fuhren und die ersten Serpentinen unsere müden Körper erwärmten. Im unteren Teil kommt man an verlassenen Steinberghäusern vorbei, ich glaubte die Geschichte an diesem Ort fömlich zu spüren, ein toller Moment. Pünktlich nach 2 Stunden und 15 Minuten erreichten wir den Sattelpunkt – und Davide bekam tatsächlich den ersehnten Sonnenaufgang.
Wir entschieden uns gegen die Abfahrt auf der „Death Road“, nahmen indes die Auffahrt zur Strada Canoni in Angriff. Eine grobe Schotterstraße entlang eines Bergrückens, mit toller Aussicht, und einer anspruchsvollen technischen, steinigen und wieder – laaangen -Abfahrt. Der Hammer! Mich hat es auf dem Gravelrad durchgeschüttelt wie nie, das Liniensuchen, ein Rausch. In einer engen Kurve haben wir zwei weitere Rallyefahrer getroffen, die dort oben geschlafen haben und gerade damit beschäftigt waren, ihre Sachen zu packen.
Nach einer Weile kommt man dann wieder an den Ausgang der „Death Road“. Auf uns wartet ab dem Punkt ein langer und steiler Aufstieg und zugleich ein Höhepunkt der Tour: „Little Peru“.
Rough-Stuff am Col de Preit
Wir entschieden uns ein weiteres Mal für die längere Routenoption und dieses Mal für die Rough-Stuff-Strecke. So erklommen wir den Col de Preit und das Hochtal von hinten über einen sehr, sehr steilen und langen Waldanstieg, welcher am Ende in eine 2-stündige Hike’n Bike Tragenummer mündete. Die Sonne brannte wie in der Wüste auf uns herab, die Trikots waren durchnässt von unserem Schweiß, auf meiner Radmütze zeichnete sich das gesamte Höhenprofil der Rallye als Salzkruste ab.
Durch das atemberaubende Rocca la Meja
Wir zogen und drückten die Bikes auf steilen Wanderwegen bergauf unter den alten bedrohlichen Bunkeranlagen der Grenzverteidigung. Mehr als Einmal sahen wir uns verschwitzt in die Augen und waren uns einig, „nie wieder“. Es war zwar wunderschön, aber auch ziemlich hart.
Zum Glück wartete auf der anderen Passebene das schöne Rifugio Gardetta. Ein kaltes Bier, selbstgemachte Bergbutter und Polenta, sowie eine äußerst nette Hüttenwirtin ließen unsere Kräfte wieder steigen. Weit herum um die Hütte, hatte man einen atemberaubenden Blick auf die Bergkette des „Little Peru“. Innerlich beschloss ich, noch einmal an diesen Ort zurück zu kommen, um dort zu übernachten. Der Rest des Bergweges dort oben, war pures Genusscrossen: eine perfekte Doubletrack Militärstraße durch das atemberaubende rocca la Meja – unschlagbar!
Uns umgaben von allen Seiten Berge, an denen man sich nicht sattsehen konnte. Noch einmal ging es kurz hinauf, vorbei an einer alten Hüttenruine und schon waren wir in voller Abfahrt auf dem Weg nach Demonte. 40 Minuten Serpentinen und feinste Schussstücke ließen die Gravelreifen nur so fliegen und surren.
Demonte versorgte mit uns mit Allen Dingen für die flache und schnelle Drücketappe nach Limone Piemonte. Ich kannte den Streckenabschnitt noch von letzten Jahr, da bin ich diesen im Starkregen mit Knieschmerzen gefahren. Zum Glück war nun alles 180° umgekehrt und wir sausten im „Bückelenker“ leicht wellig durch die Berge. Oh Gott, wie ich das doch liebe.
In Limone ließen wir es gut sein für diesen Tag – und schlurften schnurstracks zu dem kleinen versteckten italienischen Feinschmeckerrestaurant, welches uns letztes Jahr schon mit einem vier Gänge Menü begeistert hatte. Der Wirt erkannte uns sogar noch, und schon stand einem langen Genussabend nichts mehr im Weg. Ich bin satt bis zur Pfefferminzblättchen-Grenze und total aufgedreht vom Tag irgendwann eingeschlafen.
Tag 4 und 5: Finale nach Nizza
Davide und ich befanden uns also in Limone Piemonte – zu dieser Jahreszeit ist der Ort eigentlich ausgestorben. Da wir sehr früh wieder los rollten, packte unser Wirt uns extra noch Frühstücksbeutel mit vielen kleinen Dingen, wie frischen Datteln und Saft. Einmal mehr war ich begeistert von der italienischen Freundlichkeit. Also fuhren wir im morgendlichen Dunkel, um 5 Uhr, auf der alten Passstraße hinauf zum Colle di Tenda / Tende.
Zum Colle di Tenda
Ein angenehmer Aufstieg, nicht steil, kurz nach Sonnenaufgang waren wir oben. Es war frisch, mit viel Nebel und klar schmeckender Luft. Auf der Passhöhe entscheidet sich nun, ob man lieber die tausend Serpentinen des Tende herabsaust und die Strecke verkürzt, oder ob man die 40 km lange, grobschottrige Via del Sale um das Gebirge herum fährt, mit einer ziemlich rumpeligen MTB-Abfahrt am Ende. Für uns war die Entscheidung klar: Gravel & Gelände.
Der Höhepunkt der Tour: Via del Sale
Die ersten 15 km der Via del Sale haben es in sich, steil herauf, kurz bergab, loser grober Schotter, Nebel, enge Wege und tiefer Abgrund. Es zieht sich, der Weg verlangt meine ganze Aufmerksamkeit und Energie. Gleichzeitig aber, fährt man auf einer der atemberaubendsten alten Handelsstraßen, die es dort gibt. Ich kann es nicht in Worte fassen, die Berge dort sind so eng, so enorm grün und groß, so wahnsinnig schön, einfach unglaublich – für mich war diese „Straße“ der Höhepunkt der ganzen Rallye. Sprachlosigkeit und Demut vor dieser genialen Kraft der Natur. Wir Menschen sind so klein und verletzlich, und wir sollten alles daran setzten, der Natur, welche uns schützt und versorgt, mit Respekt zu begegnen.
Nach guten 2 h erreichten wir den Mittelpunkt des Abschnittes, das alte Rifugio Don Barbera auf 2.080 m Höhe. Ein sehr schönes, altes Steinhaus, mit sehr netten Leuten, bekömmlichem Bier und Sandwiches, ich war sehr traurig, als wir wieder losfuhren. Noch ein Ort, an den ich zurück kommen werde, versprochen.
Den weiteren Wegverlauf schüttelte es uns noch ordentlich „die Buntstifte im Ranzen“ durcheinander, bis wir in ein Waldstück kamen, da so aussah, als ob man in den Vogesen unterwegs wäre, faszinierende schnelle Landschaftswechsel. Hier mussten wir eine Weile warten, da uns eine große Schaf- und Ziegenherde in der Abfahrt entgegenkam. Zu meinem Erstaunen ganz ohne Schäfer. Nur 4 Hütehunde hielten die große Herde in Schach. Alles funktionierte ganz reibungslos und wie von selbst. Für mich als Stadtkind war das ein bewegender Moment. Da ging mir so richtig das Herz auf, und ich musste laut Lachen, die Natur und die Tiere regeln alles alleine, ohne dass ein Mensch dabei ist. Das Leben ist schön!
Monstergravel nach Monesi
Das nun folgende steile Schlussstück in Monesi war dann der technische Höhepunkt. Da das Monesi-Dorf durch eine Lawine abgeschnitten war, führte uns die Strecke über den Berg herum, die Abfahrt bestand aus „Monstergravel“ und wäre auf einem MTB Fully weitaus angenehmer zu bewältigen gewesen. Wie ein wilder Stier schüttelte die Abfahrt uns durcheinander, krampfende Hände, große Felsstufen, off-camper
„Wie ein wilder Stier schüttelte die Abfahrt uns durcheinander.“
Rutschpartien, entgegenkommenden Motorrad-Enduristen, und vieles mehr. Unten angekommen, war ich „knülle“, das Gravelrad hatte mich über mein Limit gebracht. An dieser Stelle verabschiedete ich mich von Davide, da dieser links nach San Remo weiter fuhr und ich rechts nach Frankreich bergab bügelte. Mein ganzes Rad und mein Körper bedeckte weißer Staub, als ich in La Brigue eintraf. Ein sehr schönes kleines Bergdorf.
Von da an ging es bergab, und wieder gleich bergauf. Der Anstieg zum Col de Turini lauerte auf mich, und leider lauerten auch große dunkle Regenwolken am Himmel. Dort traf ich auf eine Gruppe Schweizer Mopedfahrer und schraubte mich immer weiter die Serpentinen bergan.
Es fing an zu regnen, erst leicht, dann ziemlich stark. Meine Regenkleidung war schon gut durchnässt. Ich entschied mich, den Anstieg abzublasen, da es hier nicht viele gute Biwakmöglichkeiten gab und fuhr den Berg wieder herunter. Im nächsten Ort suchte ich eine kleine Unterkunft, trocknete meine Kleidung und machte mal „Urlaub“ indem ich früh den Tag, mit einem großen Steak, ausklingen ließ.
Col de Brouis und Col de Braus
Am nächsten Morgen fuhr ich früh über den Col de Brouis und erlebte noch einmal herrliche Abfahrtsserpentinen in der Morgensonne. In Sospel gab es Frühstück und endlich wieder das Kurzamtrikot. Schon ging es ab auf den Col de Saint-Jean & Col de Braus. Von nun an, reines Genussfahren, wunderschöne Berge, lange Abfahrten und tolle Aussichten. Die Sonne schien und das Meer glitzerte am Horizont. In Peille genehmigte ich mir einen Abstecher in das kleine Bergdorf, und die Altstadt überraschte mit zahllosen kleinen versteckten Gassen – das ist für mich Italien, solche Kleinode mitten versteckt auf alten Bergstraßen. Bis Nizza ging es nun schnurstracks bergab. Kleinster Gang und Schuss. Ziemlich schnell sauste ich auf der oberen Küstenstraße, mit dem Blick auf das Meer linkerhand, Richtung Küste.
Nizza, Café du Cyclist
Und da, ehe ich es realisierte, befand ich mich im Ziel- Nizza – Café du Cyclist am Hafen. Der kleine, schicke Radladen füllte sich nach und nach mit den verdreckten und glücklichen Rallyefahrern, und ein Jeder war sichtlich stolz auf das Geleistete und neue Freundschaften wurden bei einem kalten Getränk gefeiert. Nizza an sich empfand ich persönlich nicht als angenehm, mit all seinen schicken und reichen Menschen, Lautstärke und Verkehr. Nach 5 Tagen in den ruhigen Bergen, hat mich die bunte Stadt schnell genervt. Also ab nach Ventimiglia und mit dem Zug durch die Berge zurück nach Turin. Dort angekommen genoss ich die Stadt bei Nacht und feierte meine ganz eigene kleine Party. Italia, Ti amo!
Mehr Infos zur Torino Nice Rally vom Veranstalter
Meine Ausrüstung
Das Fahrrad
Mason Bokeh mit Sram Force 1×11 Gruppe
Kettenblatt Absolute Black oval (34 Zähne), speziell für diese Tour, sonst sind es 38 Zähne im Gelände
Laufräder Hunt 650B AdventureSport Laufradsatz
Reifen 650B x 50mm Panaracer Comet Hardpack Reifen tubeless, 2 Ersatzschläuche dabei, keinen benötigt
Lenker Salsa Cowbell MD2 Lenker mit 12° flare
Die Taschen
Fronttasche Ortlieb Handlebar Pack M
Oberrohr 2x Revelate Designs (1x GasTank, 1x Jerry Can)
Rahmentasche custom made lokal
Arschrakete Revelate Designs Viscacha
Hüfttasche aus dem Hikingbereich mit einer kleinen Trinkblase innen, Rücken: Kamera
Packtipps
In der Lenkertasche befindet sich das Schlafzimmer, sprich Therm-a-Rest Neo Air X-Lite Matratze, Cumulus LiteLine 300 Daunenschlafsack, eine kleine Unterlegplane und 2 Power Riegel, auf den Oberrohrtaschen befindet sich die Elektronik wie Handyakku, PowerBank, USB-Kabel, Kopflampe, Sonnenbrille, Titanbesteck, PowerGel, Mini-Tool, Feuerzeug, Koffein Tabletten, Taschenmesser und Magnesium. In der Rahmentasche liegt der meiste Teil des Essens, plus Ersatzteile wie Bremsbeläge, Schaltzug, Patches, Kettenschloss etc.pp, noch mehr Power Riegel und mein Badezimmer mit Zahnbürste, Feuchttüchern, Klopapier, Schmerztabletten, Sitzcreme usw.. In der Sattelstasche ist dann die Kleidung: Regenhose- und Jacke, leichte Daunenjacke für die Pausen und Abends, Windweste, dicke Socken, warme Langfingerhandschuhe, Überschuhe, und Baselayer aus Merino für die Nacht. Am Körper trage ich Bib-Short, Kurzamtrikot, Merinofunktionshemd, eine kurze Hose über die Bib-Short, Halstuch, Radmütze usw.. Mehr ist eigentlich nie dabei. Luxusgüter sind meine Kamera und eine frische Boxershort :-).
Essentials
Gelernt habe ich mit wenigen Dingen auch für mehrere Tage draußen unterwegs auszukommen. Wenn man den ganzen Tag auf dem Rad sitzt, benötigt man nicht viel. Ganz wichtig ist aber eine gute und wetterabhängige Kleidung. Auf Bergpässen von 2.700 m ist es selbst im Sommer noch sehr kalt, dann zieht man alles an, was man dabei hat und freut sich über warme Handschuhe. Nachts trockene Wechselkleidung dabei zu haben, für einen entspannten Schlaf, ist auch sehr wichtig. Eine zweite Bib-Short habe ich fast nie dabei, ich habe gelernt, wie man mit einer Radhose auch 4 Tage lang durchfahren kann und mehr. Ganz wichtig ist dabei, dass man die passende Sitzcreme für tagsüber und nachts findet. Mehrmals am Tag „Nachschmieren“ ist auch immer eine gute Idee. Insidertipp: „Sudocrem“ (aus dem Babypflegebereich) für Nachts auftragen, regeneriert die beanspruchte Sitzhaut enorm.
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