Andy Müller hat es geschafft. Mit seinem auffälligen Faltrad fuhr er Paris-Brest-Paris, wie er in seinem letzten Interview mit Rennrad-News angekündigt hatte. 1.200 km mit 10 Stunden Schlaf liegen hinter ihm. Um ein Haar wäre er an dem Vorhaben gescheitert. Seinem eigenen Vorsatz, in 84 Stunden ins Ziel zu kommen, hetzte er die ganze Zeit hinterher. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie es lief.
RN: Andy, erst einmal herzlichen Glückwunsch zum PBP-Finish. Du hast gesagt, Du hast viel zu erzählen!
Andy: Wo soll ich anfangen, beim Start direkt? Ich hab erstmal meine Unterlagen geholt…
…muss man eigentlich eine ärztliche Bescheinigung über die Sportfähigkeit vorlegen?
Nein, die wollten nichts sehen. Ich hab’ dann mein Zimmer gebucht. Das ging über Couchsurfing und wurde direkt von der PBP-Organisation an deren Info vermittelt. Die Halle war voll. Also habe ich von Samstag auf Sonntag bei Privatleuten übernachtet. Die nächste Übernachtung von Sonntag auf Montag hatte ich in der Halle gebucht.
Und, gut geschlafen?
Nun, es ging dann auf die Feldbetten. Ich habe 10 Meter von der Tür entfernt geschlafen. Trotzdem hat es dort gezogen wie Hechtsuppe. Manche haben die Tür gar nicht zugemacht.
=> Hier findet ihr Andys Paris-Brest-Paris-Fahrt auf Strava
Hast du gar nicht geschlafen?
Doch, doch 3 Stunden habe ich schon gepennt. Ja, was willste machen, wenn dir kalt wird und immer einer rein und raus rennt! Um halb fünf bin ich aufgestanden, um halb sechs am Montagmorgen mussten wir am Start sein. Dann erstmal das Fahrrad aus dem Bikepark geholt, alles rangemacht da (Andy hatte eigentlich nicht viel mit, eine Trinkflasche am Rad, eine im Rucksack, Luftpumpe am Steuerrohr und Batterielicht sowie das Garmin Edge GPS-Gerät, das er für 40 € bei Decathlon im Sale gekauft hat, wie er vorher einmal erzählt hat). Im Starterfeld gab es drei Gruppen, ich war „Z“.
Also, die letzte Gruppe?
Ja, Vorteil war, dass wir nicht so lange warten mussten wie die Gruppen davor. Dann den ersten Stempel in das Heftchen da (das Kontrollheft der PBP-Organisation, Anm. d. Redaktion). Und dann standen wir da auch nur 1-2 Minuten da und auf einmal geht das los, ich hab sogar vergessen die Stoppuhr zu starten, und dann ging es los, nur am Rasen, am Rasen…
…wie schnell?
35 bis 40 km/h die ganze Zeit. Wir hatten noch einen Führungswagen. Die meisten hatten Rennräder, eigentlich hätte ich ja in der Spezialrad-Gruppe starten müssen, aber wenn man einmal „seine Nummer gezogen“ hat, dann ist man in der Gruppe drin.
Und dann ging es los, nur am Rasen, am Rasen…
Und dann sind wir die ganze Zeit geballert. Ich hatte gedacht, bei Kilometer 120 gäbe es die erste Kontrolle, aber da gab es nur was zu essen. Danach musste ich leider ein bisschen nachlassen, denn dann kamen die Berge: sechs- bis siebenprozentige, da konnte ich mit dem Kettenblatt nicht so schnell mitfahren. Danach bin ich dann erstmal alleine gefahren.
Wie war es in den Bergen, musstest du auch schieben?
Nee, schieben musste ich nicht. Die konnte ich fahren. Schieben musste ich nur einmal, das war auf der Rückfahrt, der Berg war 10 % locker. Ich habe vorher auch gedacht, die Berge schaffe ich nicht, aber es lief eigentlich ganz gut. Du hast ja immer dein Zeitlimit im Auge gehabt, hast ja immer Gas gegeben und musst sehen, dass du einen Kontrollpunkt weiter kommst.
Was war dein Zeitlimit?
84 Stunden.
Wo sind wir jetzt auf der Strecke?
Ja, bei Kilometer 200 oder 300 etwa. Da fing es dann an zu regnen, nachts. Regensachen rausgeholt, natürlich sind dann alle weggefahren, hält ja nicht jeder an. Ich hatte ja keine Schutzbleche dabei, die Straße war nass, die trocknet nachts auch nicht ab, also musste der Ganzkörper-Regenschutz her. Wenn du einmal alles nass hast, brauchst du nicht mehr fahren, dann hast du direkt verloren.
Wie schnell warst du dann noch unterwegs, erinnerst du dich noch?
Kann man schlecht sagen, wir hatten ja die ganze Zeit Gegenwind. Ich bin immer gefahren, gefahren, du willst ja immer weiter. Das war nach einer Kontrolle bei 306 zu einer Kontrolle bei 360, das war ja nicht so weit. Aber das ging immer rauf, runter, rauf, runter…
Waren Leute an der Strecke?
Ja, Leute waren immer an der Strecke, und die haben gejubelt!
Auch nachts?
Ja, auch nachts. Und dann haste da Tee und Kekse und Kaffee bekommen, alles mögliche. Du brauchtest nur anhalten, dann kriegst du einfach was.
Also, musstest du nichts aus deinem Rucksack nehmen zum Essen?
Ja, ich hatte ja nicht so viel in meinem Rucksack, immer gerade so viel, dass es bis zum nächsten Kontrollpunkt reicht. Der Rucksack war ja schon voll: Regensachen, Flickzeug, Ersatzmantel, 2 Schläuche, Werkzeug, 1 Trikot extra, eine Hose extra und Socken. Zu essen hatte ich von mir aus eigentlich nur 2-3 Riegel mit, aber die waren ja schnell verbraucht. Dann musste halt sehen, dass du an den Kontrollpunkten immer was dazu kaufst: Croissants, Getränke, musste halt gucken, dass du an den Kontrollstellen nicht zu lange Pause machst, sondern direkt weiter düst. Oder du kannst an den Kontrollstellen auch schlafen. Die haben da ihre Schlafsäle. Da zahlst du 5 Euro. Oder du pennst dann in der Kantine, da haben auch viele auf dem Boden oder auf dem Tisch gepennt, das war der reinste Schlafsaal.
Bist du dann eigentlich die meiste Zeit alleine gefahren?
Ja, wenn du an den Bergen nicht mitkommst, dann findest du vielleicht ab und zu mal einen, aber ich bin so 70 Prozent alleine gefahren. Das kostet richtig Kraft, dann hast du 3 Tage Gegenwind, das ist schon heftig.
Dann hast du 3 Tage Gegenwind, das ist schon heftig.
3 Tage? Gab es keinen Westwind?
Nein, das war ja der Hammer. Nach Brest (dem Wendepunkt, Anm. d. Redaktion) habe ich 50 km Rückenwind, ich freu mich schon, dann dreht der Wind wieder. Gegenwind!
Du hast im letzten Interview gesagt, du wolltest die ersten 600 km bis Brest ohne zu schlafen fahren. Hat das geklappt?
Ja, vorher hatte ich nur irgendwo mal 10 Minuten gepennt, eben mal die Augen zu gemacht. Weil, die Zeit mir ja immer weg lief. Du hast ja die Kontrollzeiten, zu denen du an einem bestimmten Kontrollpunkt sein musst. Ist die Zeit abgelaufen, macht der zu. Dann kannst du noch in einem Café oder Geschäft die Karte abstempeln lassen. In Brest musste ich bis 19:52 sein. 19:35 war ich da. Die Zeit lief mir immer schneller weg. Dann habe ich in Brest auch nicht geschlafen, sondern bin direkt weiter gedüst…
…was bedeutet dieser Stempel?
Da kommen immer so unangekündigte Kontrollen. Die überprüfen, ob man auch auf der richtigen Strecke fährt, nicht, dass man abkürzt…
…dann kommt die nächste Kontrolle bei Kilometer 693…
…bis dahin bin ich dann erstmal gefahren. Da bin ich da nachts irgendwann angekommen (der handschriftliche Eintrag liest sich wie „02:09 Uhr“, Anm. d. Redaktion). Bis dahin bin ich mit einem Kumpel gefahren, der sich dort hingelegt hat. Da habe ich mich dann auch hingelegt, also nicht hingelegt, ich bin auf so einem Tisch eingeschlafen, im Sitzen, und dann bin ich wieder wach geworden nach 2 bis 3 Stunden, ich konnte mich nicht mehr bewegen, die Knie komplett eingerostet. Ich konnte nicht mehr gehen. Ich werde nie mehr im Sitzen schlafen! Dann bin ich ohne den anderen weiter.
Wie lief es dann?
Ich war immer knapp am Zeitlimit, ich hätte es sogar fast geschafft, aber die letzten 120 km, da hätte ich es fast noch schaffen können, aber da waren die Schilder alle weg, haben sie alle abgenommen. Da musstest du suchen. Da habe ich auf der Suche noch einen Opa gefunden, der konnte auch nicht mehr; wir sind dann zusammen gefahren. Das Navi hat mich in die Irre geführt am Ende, der Hintern wollte schon seit Kilometer 800 nicht mehr…
…der Hintern – was war?
Da habe ich langsam wunde Stellen bekommen. Ich habe sie erstmal eingecremt, dachte es wirkt, aber dann habe ich gedacht, es bringt nichts und bin einfach mit Schmerzen weiter gefahren, bis zum bitteren Ende. Ab und zu wollte ich mal aufgeben, aber das bringt ja nichts, wenn du irgendwo aufgibst, du musst ja trotzdem nach hause, also kannst du auch weiterfahren.
Das bringt ja nichts, wenn du irgendwo aufgibst!
Dann mal ne Pause hier, ne Pause da. Bei 900 oder 1.000 km hatte ich wieder die ganzen 90er eingeholt (die Teilnehmer, die 90 Stunden als Zeitlimit hatten, die früher starten, Anm. d. Redaktion), weil ich immer gut durchgefahren bin. Und dann ging es wieder nur rauf, runter, rauf, runter, rauf, runter, die ganze Zeit, mitten in der Nacht. Das war in der dritten Nacht.
Bei 900 km hatte ich vor lauter Stress vergessen zu Essen und zu trinken, weil die Kontrollzeit abgelaufen war. Das war natürlich auch ein Fehler.
Hast Du nochmal geschlafen?
Ja, das war auch in der dritten Nacht, so zwischen 800 und 900 km, da habe ich mich einfach vom Rad fallen lassen. Erst habe ich überall die Leute gesehen, die liegen da, im Graben, in den Vorgärten, überall gelbe Westen, du denkst, „wieso sind die denn alle so schwach, kann doch gar nicht sein“. Und auf einmal denkst Du, „ich muss mich irgendwo hinlegen“. Und du denkst, „wo kommen denn überall die gelben Westen her, was machen die da“. Und du weißt nicht mehr, ob du in der Wirklichkeit oder im Traum bist: „Was ist hier los?“. Dann guckst du an dir runter und denkst: „Oh, ich habe auch eine gelbe Weste an, irgendwie ist das doch ein Traum, legste dich besser mal irgendwo hin, dann ist der Traum gleich vorbei“. Da war nur ein Wald, der war mir zu kalt. Auf der anderen Seite waren Häuser mit Gärten, da wollte ich mich hinlegen, aber da bellte ein Hund.
Ich habe insgesamt auf der Fahrt ungefähr 10 Stunden gepennt.
Ein paar Meter weiter gab es dann einen Kreisverkehr, da habe ich mich dann in der Mitte auf mein Fahrrad gelegt.
Auf das Fahrrad?
Damit es keiner klaut. Ja, und dann liegst du da planlos und alle paar Minuten kommt einer mit einer Weste vorbei: „Hallo, hallo, was ist denn los mit Dir?“.
Dann die letzten 200 km…
Ich war nur am Kämpfen, die ganze Zeit das Limit im Kopf, ich habe soviel Gas gegeben, wie ich konnte – und irgendwann waren die Schilder weg. Dann ging das Suchen los. Ich habe dann einfach auf dem Navi „Ramboulliet“ eingegeben, damit ich da wieder hinfinde. Aber ich hatte die falsche Einstellung, also MTB. Nur, das habe ich zuerst nicht gemerkt. Da haben wir uns erstmal im Wald verfahren. Der Opa, ein Franzose, war ja auch noch bei mir, der war bestimmt 60 oder 70, auf einem Retrorad. Wo wir waren, konnten wir nicht fahren, dann haben wir zuerst geschoben, sind dann aber wieder umgekehrt.
Später habe ich den Fehler dann gefunden und wir wurden über Straßen geleitet, aber dann hatte ich das Vertrauen des Opas verloren. Er wollte nicht mehr mit mir zusammen fahren. Aber er stand schlotternd in der Kälte, hatte nichts mehr zu essen, kein Navi, wir waren vorher 10 km durch einen Wald gefahren, der nahm gar kein Ende. Da war nichts weit und breit. Ich konnte ihn dann doch überzeugen mit zu kommen.
Wir haben schließlich 15.45 Stunden für die letzten 120 km gebraucht, das kann man ja an den Kontrollzeiten sehen. Die Odyssee hat mich mein Ergebnis gekostet, kann man sagen.
Wie war es, als du im Ziel in Rambouillet angekommen bist?
Leer. Da war ja alles abgebaut. Ich habe noch den Kumpel getroffen, der mit mir nach der Kontrolle in Brest unterwegs war. Er hat gesagt, dass noch zwei Leute von der Organisation da sind und mich dahin geschleift. Die packten gerade ein, aber eine Finisher-Medaille habe ich noch bekommen. Nur auf den Ergebnislisten erscheine ich nicht, weil ich nicht in meinem selbstgesetzten Zeitlimit angekommen bin. Man wird nur gewertet, wenn man die eigene Vorgabe schafft.
Aber, jeder, der ankommt, bekommt auch eine Medaille?
Solange man noch jemand vorfindet, der einem die Medaille geben kann.
Was hat dich am meisten fasziniert?
Natürlich das Gefühl, es geschafft zu haben und die Aussicht es schaffen zu können unterwegs.
Hattest Du eigentlich gar keine Defekte?
Nö, alles lief perfekt. Keine Platten, nichts, bis auf den Hintern war alles gut.
Was hast Du gelernt, doch besser ein kleines Kettenblatt?
Nein, ich nehme nächstes Mal doch die frühere Gruppe. Dann lieber in den Schlangen an den Kontrollen stehen, an der Toilette, beim Essen, überall, statt an den Kontrollen ankommen und nichts mehr vorfinden, weil gerade zugemacht wurde.
Oder ich nehme mal ein richtig schnelles Rennrad, wenn mir einer eins gibt, dann kann ich sicher auch vorne ankommen.
Danke für deine Zeit!
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