Eine viertägige Gravel Tour durch Slowenien ersetzt den Traum von einer Turin-Mittelmeer-Tour. Dabei entpuppt sich das bergige Land als echtes Gravel Dorado, das so manche Überraschung für Nathalie Schneitter und Lukas Kamber bereithält. Erschöpft, aber glücklich steigen sie am Ende einen Tag zu früh in den Zug. Hier lest ihr den Reisebericht und findet die Daten der Gravel Reise durch Slowenien.
Mit dem Wort Abenteuer verbindet man meistens große Expeditionen oder Unternehmungen, die für uns Normalos kaum je erlebbar sind. Der Definition nach bedeutet Abenteuer jedoch ein außergewöhnliches, erregendes Erlebnis, welches einen aus dem Alltagsbereich herausholt. Abenteurer*innen sind demnach nicht Menschen, die den Nervenkitzel oder die Gefahr suchen, sondern solche, die auch in schwierigen Lagen etwas Positives zu erkennen vermögen und in den Situationen Chancen und Gelegenheiten ergreifen. Dabei hilft Neugierde und Zuversicht und wenn möglich auch ein wenig Humor.
Prolog: Tausche Turin gegen Leibnitz
Genau für diese Art von Abenteuer können sich mein Kumpel Lukas und ich begeistern: Aus der Türe raus, losradeln, neue Orte entdecken und dabei immer mal wieder mit Situationen konfrontiert werden, die uns an unsere Grenzen und aus der Komfortzone herausbringen. Ein bisschen Planung darf dabei sein, Raum zur Improvisation aber auch.
Eigentlich wollten wir mit dem Gravel Bike von Turin ans Mittelmeer fahren, die Route ist durchgeplant und die Vorfreude groß.
Eigentlich wollten wir mit dem Gravel Bike von Turin ans Mittelmeer fahren, die Route ist durchgeplant und die Vorfreude groß. Doch der harte Winter macht uns einen Strich durch die Rechnung, es liegt noch zu viel Schnee in den Alpen. Daher entscheiden wir uns, quer durch Slowenien zu fahren und dabei ein für uns unbekanntes Gebiet zu entdecken.
So kommt es, dass wir an einem Frühlingswochenende in Feldkirch in den Nachtzug nach Graz steigen. Unsere Räder so verpackt, dass sie als Gepäckstück durchgehen, denn Fahrräder sind in diesem Nachtzug eigentlich verboten. Unsere kreative Verpackung wird aber gutgeheißen und der Fahrkarten Kontrolleur hilft uns sogar beim Tragen. Man merkt dem Zugspersonal an, dass sie sich nach der langen COVID-Durststrecke freuen, wenn wieder ein bisschen Schwung in die Bude kommt. Um die Räder zu verpacken haben wir gebrauchte Luftpolsterfolie im Bike Shop geholt, wir können sie also ohne allzu schlechtes Gewissen nach Ankunft am Bahnhof in einen passenden Plastikcontainer entsorgen.
Dank dem Ruckeln des Zuges schlafen wir in unserer Zweierkabine sofort ein und erwachen erst wieder, als wir um 7 Uhr in der Früh in Graz ankommen. Hier wechseln wir das Gleis und steigen gegenüber gleich wieder in den Zug nach Leibnitz. Leibnitz ist unsere Zug-Enddestination, ab hier lautet das Motto «Pedalieren».
Etappe 1: mit 2 km/h an der Grenze
Doch zuerst gönnen wir uns in einer Bäckerei noch ein Frühstück! Gestärkt radeln wir los und nach nur einigen Kilometern kommen wir ins Schwitzen, die Sonne lacht uns ins Gesicht. Doch bald schon Schwitzen wir, weil wir mitten im Wald stehen und kein Weg weit und breit in Sicht ist. Es stellt sich heraus, dass der Strich auf der Karte, dem wir folgen, kein Wanderweg, sondern die Landesgrenze darstellt. Wir schieben unsere Räder durch die Büsche und kniehohen Brennesseln, holen uns in einer Pfütze nasse Füße und kommen kaum vom Fleck. Ich rechne: Wie lange werden wir heute unterwegs sein, wenn wir uns weiterhin mit 2 km/h fortbewegen?
Wie lange werden wir heute unterwegs sein, wenn wir uns weiterhin mit 2 km/h fortbewegen?
Bevor ich den Gedanken zu Ende bringen kann, finden wir eine Straße, improvisieren mit der Karte auf dem Navi und gelangen irgendwann und irgendwo auf unsere Route zurück. Asphalt, Kies und einige Trailpassagen wechseln sich ab. Kaum je begegnen uns Autos oder Menschen. Bereits am ersten Tag müssen wir aber feststellen, dass unsere Routenplanung weit mehr Offroad-Abschnitte beinhaltet als geplant und Hauptstraßen in Slowenien ganz gerne mal nicht asphaltiert sind.
Gestärkt durch ein unglaublich fettiges Stück Pizza in einem unglaublich unansehnlichen Ort im Drautal verlassen wir die Zivilisation so rasch wie möglich wieder und nehmen den letzten, langen Anstieg des Tages unter die Räder. Kaum aus dem Tal wechselt der Belag von Asphalt auf Gravel praktisch bis zum Zielort Slovenj Gradec im Mislinjatal.
Etappe 2: Asphalt – a.k.a. Gravel
Für den zweiten Tag haben wir von Slovenj Gradec nach Kranj eine reine Asphalt-Etappe geplant – so denken wir zumindest. Doch schon nach wenigen Kilometern ist der Asphalt plötzlich zu Ende. Wir lachen und sind froh mit dem Gravel Bike hier zu sein. Die Kiesstraßen, welche die slowenischen Dörfer verbinden, sind seidenfein und wir kommen schnell vorwärts. Spätestens als wir unsere Räder eine steile Trailpassage hochschieben und uns über eine anspruchsvolle Wurzelpassage balancieren, wird das «reine Asphalt-Etappe» zum Running Gag. Um die Wasservorräte aufzufüllen, gibt es unterwegs genügend Brunnen, doch etwas zu Essen finden wir heute erst nach 100 Kilometern.
Die Route bringt uns zurück nach Österreich und kurz danach wieder nach Slowenien. Ein oder zwei Raststätten sind wir auf dem bisherigen Streckenverlauf begegnet. Alles geschlossen. Ob es an Corona oder der Nebensaison liegt, ist uns grad einerlei, der Magen hat schon am Paulitschsattel an der Grenze zu Österreich geknurrt, jetzt, im Anstieg zum Seeberg Sattel ist uns eher schon schwindelig. Die 300 letzten Höhenmeter zur Passhöhe schleichen wir in Slow-Motion hoch, aber oben wissen wir um eine Pass Gastronomie. Als uns die Wirtin Würste bringt, anstatt dem bestellten und laut Wirtin dank Peperoni legendär feuchten Käsetoast, hauen wir halt diese rein. Und das heißt was, denn Lukas ist Vegetarier. Und ein feuchter Käsetoast hätte uns schon interessiert, aber wählerisch sind wir in diesem Zustand nicht mehr und die Kalorienzufuhr bringt uns wieder in fahrbaren Zustand.
40 Kilometer liegen noch vor uns bis Kranj, das meiste glücklicherweise abwärts, denn so richtig „angriffig“ fühlen sich die Beine nicht mehr an. Wir genießen die Abendsonne und sind sogar früh genug dran, um in der Altstadt ein würziges Bier zu trinken. Wir bleiben sitzen bis zum letzten Sonnenstrahl, denn der Wetterbericht für die nächsten Tage verspricht nichts Gutes!
Etappe 3: Hungrig schieben im Regen
Wir starten früh, um trocken so weit wie möglich zu kommen. In Bled gönnen wir uns sogar noch einen Stopp zu Kaffee und Kuchen. Von hier aus haben wir uns eine knackige Route vorgenommen, die uns bis auf 1500 Meter Höhe bringt. Doch schon kurz nach Bled beginnt es zu regnen. Im leichten Schnürlregen klettern wir auf einer steilen Kies-Straße immer höher. Bald schon sind wir den Schneefeldern nicht mehr allzu fern und unsere Hände und Füße sind schon jetzt klamm vor Kälte. Wir halten stur an der geplanten Route fest, zu steil und lang war der Aufstieg, als dass die Vernunft obsiegen könnte. Als wir das erste Schneefeld passieren, sind wir noch guten Mutes und ziehen die wasserfesten Socken und die dicken Handschuhe an.
Die Kälte zehrt aber an unseren Batterien und so teilen wir uns ein Snickers. Mehr Essen haben wir auch gar nicht dabei
Die Kälte zehrt aber an unseren Batterien und so teilen wir uns ein Snickers. Mehr Essen haben wir auch gar nicht dabei, alle Riegel haben wir schon am Vortag bei der Seeberg-Krise vertilgt und natürlich nicht an einen Refill gedacht. Wir marschieren weiter, das Rad schiebend. Der Schnee ist einfach zu tief und weich, um ihn aufwärts fahrend zu bezwingen.
Da wir zwei andere Spuren von Mountainbikes sehen, sagen wir uns, dass es bald besser werden muss. Nach 90 Minuten sagen wir uns das noch immer, doch ist uns mittlerweile auch bewusst, dass wir den Punkt, wo sich umkehren noch lohnt, schon längst überschritten haben. Wir haben uns in eine ziemlich unbequeme Lage gebracht. Es regnet, wir schieben unsere Räder seit 5 Kilometern durch den Schnee, wir sind durch und durch nass und unsere Füße sind so kalt, dass wir sie kaum noch spüren. Unser Minimalgepäck gibt keine weiteren Bekleidungsoptionen mehr her und wir befinden uns irgendwo im slowenischen Middle of Nowhere, in einem endlos scheinenden Wald ohne Orientierungsmöglichkeiten und hinten wie vorne ist kein fahrbarer Straßenabschnitt erkennbar.
30 Kilometer vor uns und die Füße sind so kalt, dass wir die richtige Position zum Einklicken nicht mehr finden
Nach 3 Stunden und 10 Kilometer Hike-a-Bike kommen wir endlich zu einer Hütte, wo eine Gruppe Jungs wohl Junggesellenabschied feiert und gröhlend im Wald steht. Schnee hat es zwar noch immer auf der Straße, doch die Spuren der Pick-ups macht das Ganze fahrbar. Nichts wie weg, denken wir uns. Noch immer haben wir 30 Kilometer vor uns und die Füße sind so kalt, dass wir die richtige Position zum Einklicken nicht mehr finden. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kommen wir in unserem Hotel in Bohinjska Bistrica an. Eine schicke Bude haben wir gebucht und als allererstes wird uns ein Handtuch in die Hand gedrückt. Müde, aber erleichtert, dass nochmals alles glimpflich ausgegangen ist, bleiben wir heute etwas länger als gewöhnlich unter der heißen Dusche stehen.
Etappe 4: nach 2 Minuten durchnässt
Als wir am nächsten Tag aufstehen, schifft es noch immer aus Kübeln und der Wetterbericht verspricht keine Besserung. Fünf Tage soll dieser Trip eigentlich dauern, aber nachdem wir schon einen halben Tag im Dauerregen in der Kälte verbracht haben, ist die Aussicht auf zwei weitere nasskalte Tage und eine Passfahrt über den Vršič wenig erheiternd. Deshalb entscheiden wir uns schweren Herzens, den Trip um einen Tag zu kürzen.
Die Aussicht, uns heute noch durch den Regen nach Villach zu kämpfen und am Abend den Zug nach Hause zu nehmen, motiviert. Es schüttet auf uns herunter, nach zwei Minuten sind wir durch und durch nass und Blitz und Donner begleiten uns beängstigend nahe. Wir schauen uns an und müssen lachen. Wir treten in die Pedale, so fest es geht, doch Windschatten fahren ist für einmal keine Option, denn von Lukas Hinterrad spritzt es mir schonungslos ins Gesicht.
Kurz lacht uns dann sogar etwas Sonne entgegen und in Krasnjska Gora gönnen wir uns einen Kaffee. Auf der Abfahrt vom Wurzenpass schifft es dann wieder wie aus Kübeln. Doch zum Glück ist es bis Villach nicht mehr weit. Hier reicht die Zeit grad noch, Pizza und Bier für die Zugfahrt zu besorgen und die Restaurant-Toilette zum Umziehen zu nutzen.
Lessons Learned
Auf der Zugfahrt nach Hause sind wir uns einig: Wir kommen wieder, die Rechnung ist noch offen! Einigkeit herrscht auch, dass das Gravelbike das perfekte Fortbewegungsmittel war. Wir wurden dauernd mit Gravel überrascht, wo wir Asphalt erwartet hatten. Kiespisten, die sich mit dem Graveler perfekt fahren ließen, uns aber mit dem Rennrad zum Umdrehen gezwungen hätten. So konnten wir bei der Planung aus dem Vollen schöpfen.
Unsere Gravelreise nach Slowenien hat uns weit aus der Komfortzone geholt und ein Abenteuer beschert, ohne dass wir uns dazu in allzu große Gefahr gebracht haben oder bis ans Ende der Welt reisen mussten. Dass wir uns erlaubt haben, den Trip um einen Tag zu verkürzen, war für uns ein Eingeständnis der eigenen Grenzen und eine wichtige Erkenntnis aus diesem Abenteuer. Lesson learned.
Infos Graveln in Slowenien
Strecke und GPS-Daten
1.Tag Leibnitz – Sovenj Gradec 119 km mit 2.740 Hm
2. Tag Sovenj Gradec – Kranj 115 km mit 2.670 Hm
3. Tag Kranj – Bohinj 91,5 km mit 1.970 Hm
4. Tag Bohinj – Villach 88 km mit 1.190 Hm
Hier findet ihr alle Etappen der Gravel Tour durch Slowenien auf Komoot.
Etappen und Wegpunkte
Unterkünfte
Hotel Vila Pohorje, Slovenj Gradec
Hotel Creina, Kranj
Hotel Majerca, Bohinj
Anreise, Abreise und Logistik
Hin ÖBB Nachtzug Feldkirch – Granz, ÖBB Graz – Leibnitz
Rück ÖBB Villach – Salzbug – Feldkirch
Tipp zu Zugreisen in Österreich Mit der ÖBB-App lassen sich Zuverbindungen schnell uns Unkompliziert heraussuchen. Die ÖBB Vorteilscard 66 hat sich zudem für die Reise für uns gelohnt.
Logistik Fahrräder sind in den meisten Nachtzügen verboten, verpackt gelten sie jedoch als Gepäckstück und können kostenfrei mitgenommen werden. Mit zwei Fahrrädern im Zweibett-Zugabteil wird es jedoch schon etwas eng. Fürs Gepäck während der Reise empfehlen wir den Ortlieb Seatpack 11L. Wichtig ist, dass die Satteltasche so fest wie möglich festgezerrt wird, sodass sie nicht wippt. Unserer Meinung nach reicht für einen Trip im Sommer-Halbjahr ohne Camping eine Satteltasche fürs Gepäck. Eine kleine Tasche am Lenker empfehlen wir aber trotzdem für Handy, Sonnencreme und Brieftasche. Auch die Windjacke in der Lenkertasche hat sich als praktisch erwiesen.
Beste Reisezeit
Mitte Mai – Ende Oktober (nach einem harten Winter, kann jedoch auch Mitte Mai noch Schnee liegen).
Ausrüstungs-Tipps
Beim Bikepacking gilt der Leitsatz „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“, denn jedes Gramm mehr muss man auch den Berg hinauf schleppen. Dicke Handschuhe, ein Stirnband und eine Regenjacke gehören zu jeder Jahreszeit ins Gepäck, ein Satz Radklamotten muss jedoch reichen. Rennrad-Bekleidung trocknet schnell und können am Abend im Hotel ausgewaschen werden. Ein Satz Freizeitkleider empfehlen wir auch, um trocken und gut riechend am Abend im Restaurant essen gehen zu können. Auf dieser Reise wären wir über Regenhosen froh gewesen, werden sie aus Platzgründen aber auch in Zukunft zu Hause lassen.
Was sagt ihr zur Gravel Radreise von Nathalie und Lukas?
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