Eine Zufallsentdeckung beim Googeln und schon sitzt Nathalie Schneitter im Zug nach Süditalien mit den Gravel Bikes im Gepäck. Ziel: die Via Silente im «Cilento e Vallo di Diano» Nationalpark. Unverhofft traf sie dort – neben der namensgebenden Ruhe – auch auf die Vorzüge der italienischen Küche und eine Landschaft zum Verlieben.
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Radfahren gehört zu Italien wie Pizza und Rotwein. Gewöhnlich spricht man jedoch hauptsächlich von den Alpenpässen im Sommer, oder allenfalls der Toskana, die sich perfekt für ein Trainingslager im Frühjahr eignet. Von den Nationalparks im Süden Italiens hatte ich bis anhin noch nie etwas gehört und dies, notabene, obwohl sie die größten des Landes sind. Den zweitgrößten Nationalpark Italiens mit dem vielversprechenden Namen «Parco Nazionale del Cilento e Vallo di Diano» wollen wir uns unter die Räder nehmen. Der Park wurde 1998 zum UNESCO-Welterbe erklärt und liegt in der Region Kampanien in der Provinz Salerno.
Radurlaub im Oktober in Italien, das hatten wir uns fest vorgenommen, mit dem Zug zu reisen ebenfalls. Per Zufall sind wir dann bei einer Internet-Recherche auf die «Via Silente» im Cilento Nationalpark gestoßen, eine ausgeschilderte Cicloturismo Route über 600 Kilometer und 12’000 Höhenmeter. Innerhalb weniger Minuten haben wir den Zug von Zürich nach Mailand und den Nachtzug von Mailand nach Salerno herausgesucht. Am nächsten Tag stehe ich am Bahnhofschalter und habe die Reise gebucht. 7 Tage haben wir vor Ort Zeit, das sollte reichen für die ganze Runde, so hoffen wir jedenfalls!
Die Reise ist lang, doch in unserem Zweierabteil schläft es sich super.
Anfang Oktober sitzen wir nun in Mailand, die Räder in Taschen verpackt, um sie im Zug mitnehmen zu können, und genießen ein erstes italienisches Abendessen, bevor wir in den Nachtzug steigen. Die Reise ist lang, doch in unserem Zweierabteil schläft es sich super und es wäre nicht Italien, wenn es zum Frühstück nicht sogar im Zug feinsten Kaffee aus einer Siebträgermaschine geben würde.
In Salerno gönnen wir uns dann noch einen zweiten Kaffee, bevor wir mit dem Regionalzug noch ein Stück weiterfahren. In Vallo steigen wir aus und fahren ein paar wenige Kilometer bis Castelnuovo Cilento, wo im Büro der Via Silente Simona Ridolfi, die Initiatorin der Route, auf uns wartet. Meine Italienischkenntnisse sind bescheiden, doch zum Glück spricht meine Freundin Stefanie gut, und wenn gegenseitig nur noch die Fragezeichen blinken, dann hilft das Übersetzungsprogramm. Im Cilento sind mehrsprachige Menschen spärlich gesät. Simona gibt uns Tipps, wie wir die Etappen aufteilen könnten, natürlich auch gekoppelt mit den verschiedenen Unterkunftsmöglichkeiten. Unsere Fahrradtaschen sowie alles, was wir nicht brauchen, lassen wir bei ihr. Es gilt: Jedes Gramm Gepäck, das wir nicht am Berg mitschleppen müssen, macht die Reise etwas einfacher.
Für den Ankunftstag haben wir nichts Großes vor, doch ein kleines Einfahren bis ans Meer, das muss für uns Landratten schon sein. Die erste Nacht verbringen wir in Castelnuovo im B&B und Restaurant «Anna dei Sapori». Bei Anna fühlen wir uns sofort herzlich willkommen und erfahren ein erstes Mal am eigenen Leibe, wofür der Cilento besonders bekannt ist: wahnsinnig gutes Essen. Wir tauchen in einen Geschmackshimmel ein und füllen unsere Kohlenhydratspeicher bis zum Äußersten.
Die Via Silente (übersetzt bedeutet dies so viel wie Straße der Stille) besteht aus 15 Etappen, die wir in 7 Tagen zu bewältigen gedenken. Sie führt hauptsächlich über asphaltierte Nebenstraßen und hat sich zum Ziel gesetzt, die Vielfalt und Schönheit des Nationalparks ins Zentrum zu rücken. Bereits am ersten Tag kommen wir in den vollen Genuss davon. 600 Höhenmeter bewältigen wir gleich zu Beginn, nur um dann mit herrlicher Meersicht diese über zahllose Haarnadelkurven wieder zu vernichten und am Meer entlang zu cruisen.
Das Motto unserer Reise steht fest: Wir radeln, um zu essen!
Wir gönnen uns im Palazzo Gentilcore in Castellabate einen reichhaltigen Mittagsstop, können uns dann aber mit vollen Bäuchen zunächst nur schwer weiterbewegen. Es dauert bis ins schönste Abendlicht, bis wir Trentinara erreichen, wo wir uns zum Abendessen einen halben Meter Pizza gönnen. Das Motto unserer Reise steht fest: Wir radeln, um zu essen! Und wir genießen es in vollen Zügen!
Am zweiten Tag entfernen wir uns immer mehr vom Meer und die Landschaft wird rauer. Wir sind begeistert von den endlosen Kastanienwäldern und durchqueren immer wieder Dörfer, doch die meisten sind ziemlich ausgestorben. Höchstens ein paar ältere Herren sitzen am Dorfplatz und rauchen. Der dritte Tag wird dann noch rauer. Als wir beim Frühstück sitzen, beginnt es wie aus Kübeln zu regnen und unsere Motivation sinkt in den Keller. Wir überlegen uns Alternativen, studieren Karten, checken Züge und Busse. Doch genauso wie der Regen gekommen ist, verschwindet er auch wieder und wir machen uns auf den Weg quer durch die Alburni, eine Bergkette ganz am Rande des Nationalparks. Leider habe ich in der neblig-kalten Abfahrt noch einen platten Reifen. Wie es Murphys Law will, haben wir den einzigen Defekt der Reise am Tag mit dem schlechtesten Wetter.
Autos sehen wir heute mal wieder praktisch keine.
Autos sehen wir heute mal wieder praktisch keine, ein Restaurant für einen Mittagsstop aber auch nicht, zumindest keines, das im Oktober noch geöffnet hätte. So gönnen wir uns in einer etwas morbiden Bar je zwei Tees, einen Kaffee, eine Packung Chips und etliche andere zweifelhafte Snacks. Da wir aufgrund des Regens erst kurz vor Mittag losgefahren sind, schaffen wir es erst direkt zum Abendessen nach Teggiano ins Hotel. Dafür werden wir hier umso herzlicher Willkommen geheißen.
In Sassano kommen wir bei einem Bikeshop vorbei, dem einzigen, den wir an der Via Silente sehen. Die Jungs bei «Konos Cycling» helfen uns beherzt, Touristen auf Fahrrädern kommen hier nicht so oft vorbei. Wir nutzen die große Standpumpe und kaufen einen neuen Schlauch. Nach 50 Kilometer flach entscheiden wir uns, den Aufstieg auf den Monte Cervati auszulassen, den höchsten Gipfel des Cilento auf 1800 m (eine Sackgasse auf Kies) und dafür eine lange Mittagsrast einzulegen. Das Mittagessen katapultiert uns ins Foodkoma und wir sind froh, dass die restlichen Steigungen des Tages sehr sanft sind.
Die Tage auf der Via Silente vergehen wie im Flug. Kulinarische Gaumenfreuden und epische Panoramen wechseln sich ab. Der fünfte Tag bringt uns zurück ans Meer, die Beine sind langsam etwas müde und wir lassen es gemütlich angehen. Zum Glück gibt es in Meeresnähe wieder in jedem Dorf eine Bar, in der man Kaffee trinken kann. Unsere Beine drehen geschmeidiger mit genügend Koffein in den Blutbahnen.
Pyjama Hosen unter den Helm für warme Ohren und Socken an die Hände. Not macht erfinderisch.
Am sechsten und vorletzten Tag nehmen wir uns den Monte Gelbison vor, wo jedes Jahr Tausende Gläubige das Heiligtum der Madonna di Novi Velia besuchen. Wir starten in Pisciotta am Meer bei strahlendem Sonnenschein und die Route steigt stetig. Die einzige Abfahrt lässt uns zwar etwas durchatmen, doch wir wissen, dass wir jeden Höhenmeter, den wir vernichten, danach wieder erkämpfen müssen – der Monte Gelbison liegt auf 1700 Metern. Die Steigung hat ein paar fiese, steile Rampen und während wir uns hinauf kämpfen, fängt es leicht zu regnen an. Wir freuen uns als wir es nach oben zur imposanten Kirche schaffen, auch wenn die Aussicht gleich null ist im Nebel. Da wir etwas minimalistisch ausgestattet sind, müssen wir dann für die Abfahrt improvisieren. Pyjama Hosen unter den Helm für warme Ohren und Socken an die Hände. Not macht erfinderisch.
Unser letzter Tag auf der Via Silente ist dann nochmals einer zum Genießen. Einsame Bergsträßchen und ein Panorama, das bis ans Meer reicht. Kleine Bars mit klasse Espresso und in Piano Vetrale wunderbare Wandmalereien, die das ganze Dorf schmücken. Und dann lassen wir die Via Silente genau da ausklingen, wo wir sie begonnen haben, nämlich bei Anna dei Sapori mit einem himmlischen Abendessen und einem Glas Rotwein. Die Via Silente ist nicht nur eine Route der Stille, sondern die Route des Genusses.
Infos Via Silente Gravel Reise< /h2>
Die Via Silente ist ein knapp sechshundert Kilometer langer Rundweg, der die Küste und die Berge eines der größten Nationalparks Italiens umfasst: des Parco Nazionale del Cilento. Da es sich um eine touristische Radroute handelt, ist die Strecke in 15, eher kurze Etappen unterteilt. Wie unsere Autorin, können Ambitionierte die Etappen aber auch zusammenlegen. Insgesamt rund 600 km misst die Strecke. Offizielle Infos: https://www.laviasilente.it/
Strecke und GPS-Daten
Man kann sich die Strecken frei einteilen, auf Komoot findet ihr einen Vorschlag. Hier noch die von Nathalie und Stefanie gewählten Etappen:
Tag 1: Castelnuovo Cilento – Trentinara
Tag 2: Trentinara – Zuppino (kurze Detour vor Petina)
Tag 3: Zuppino – Teggiano
Tag 4: Teggiano – Tortorella
Tag 5: Tortorella – Marina di Camerota
Tag 6: Marina di Camerota – Novi Velia
Tag 7: Novi Velia – Castelnuovo Cilento
Unterkünfte
Die Via Silente stellt auf ihrer Website unter «Strutture» eine Liste zur Verfügung mit empfehlenswerten Unterkünften entlang der Route.
Anreise, Abreise und Logistik
Ab Mailand: Schnellzug oder Nachtzug nach Salerno. Von Salerno: Regionalzug nach Vallo della Lucania-Castelnuovo
Beste Reisezeit
Frühling und Herbst. Die Sommer sind in Süditalien zu heiß zum Radfahren!
Ausrüstung
Die Gegend und die Routenführung stellen keine besonderen Ansprüche: Bargeld, Appetit, Ersatzteile fürs Fahrrad und die Lust, Neues zu entdecken gehören ins Gepäck. Mit den üblichen Gravel Bike-Übersetzungen kommt man auch in den Bergen gut zurecht.
Über Nathalie Schneitter
Nathalie Schneitter startete ihre internationale Mountainbike-Karriere im Jahr 2004 mit dem Gewinn des Cross-Country-Weltmeistertitels bei den Juniorinnen. Seither ist sie Vollgas auf den Rennstrecken dieser Welt unterwegs. In Jahr 2008 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking und 2010 sicherte sie sich den Heimsieg beim Cross-Country-Weltcup in Champéry und 2019 wurde sie erste E-MTB Weltmeisterin der Geschichte. Vollgas gibt Nathalie auch neben der Rennstrecke: Sie lacht viel, ist bisschen verrückt und tanzt in jeder möglichen Situation. Auf Red Bull TV spricht sie den deutschen Co-Kommentar der MTB XC Weltcups und im Organisationsteam der Cycle Week in Zürich hat sie die Messeleitung.
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