Interview Regisseurin Sarah Mendez über ihren Dokumentarfilm Afghan Cycles

Die typische afghanische Frau ist nicht auf dem Rad unterwegs. Tut sie es doch, droht eine Haftstrafe. Nein, das ist kein Witz! Ja, in einem Land, das unter anderem Deutschland in vielen Belangen unterstützt und berät.
Titelbild

Wieder einmal steht das von Kriegen zerfressene Land in den Schlagzeilen: Kundus fällt.  Doch es gibt auch hoffnungsvolle, fröhliche Nachrichten: Immer mehr junge Frauen trotzen den versteinerten Moralvorstellungen, indem sie in die Pedale treten. Und dabei riskieren diese Heldinnen eine Menge. Für Frauen wird die Ausübung unseres geliebten Sports als Sittenverbrechen eingestuft. Fast so schlimm, wie einer arrangierten Ehe zu entfliehen.

Sarah Mendez bei Dreharbeiten im Trainingscamp des National Cycling Teams.
# Sarah Mendez bei Dreharbeiten im Trainingscamp des National Cycling Teams. - Sarah Mendez/Afghan Cycles

Mit ihrem Projekt Afghan Cycles gibt die Regisseurin Sarah Mendez diesen Vorreiterinnen ein Gesicht und eine Leinwand. Wir konnten mit Sarah über ihren Film, die Hürden der Finanzierung über Kickstarter und viele bewegende Momente in Afghanistan sprechen:

Sarah, wie hat das Projekt für dich begonnen?

Angefangen hat alles in Breckenridge, Colorado vor rund drei Jahren: Eigentlich war ich nur einen Kaffee trinken mit meiner Freundin und Kollegin Shannon Galpin. Sie erzählte mir euphorisch von einer Gruppe afghanischer Frauen auf Rädern, die sie auf ihrer letzten Reise getroffen hatte.

Shannon ist fast immer auf dem Rad unterwegs, auch in Afghanistan, wo sie beruflich viel Zeit verbracht hat. Doch eine andere Frau auf einem Rad hatte sie dort noch nie gesehen. Schnell war uns klar, dass es sich hier um eine außergewöhnliche Geschichte handeln musste. So schmiedeten wir den Plan, im darauffolgenden Frühjahr einen Kurzfilm über das National Cycling Team zu drehen.

Doch es kam anders?

Absolut. Im Laufe der Dreharbeiten haben wir immer mehr Frauen getroffen und von kleinen Clubs und Trainingsgruppen, die sich gerade bilden, erfahren. Irgendwann war uns klar: Ein Kurzfilm reicht uns nicht mehr. Vor allem, weil die Motive der Sportlerinnen so verschieden sind. Einige wollen professionelle Radsportlerinnen werden. Viele wollen einfach nur den Flow erleben und einige wollen einen kulturellen Umbruch initieren.
Deshalb konzentrieren wir uns nun auf drei verschiedene Teams: das National Cycling Team, ein Club-Team aus Bamiyan und eine Trainingsgruppe aus Kabul.

Verbirgt sich unter diesem Schleier die nächste Giro-Gewinnerin?
# Verbirgt sich unter diesem Schleier die nächste Giro-Gewinnerin? - Sarah Mendez/Afghan Cycles

Wie oft bist du nach Afghanistan gereist?

Bisher war ich zweimal vor Ort und wurde so herzlich empfangen, wie kaum irgendwo auf der Welt. Ich plane gerade den dritten Trip, um die letzten Aufnahmen zu drehen. Damit das klappt, muss unsere Kickstarter-Kampagne jedoch erfolgreich enden.
Was waren die größten Herausforderungen, die sich dir gestellt haben?

Die größte Hürde ist der Sicherheitsaspekt vor Ort. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie viele Produktionstermine ich während der letzten zwei Jahre absagen musste – einfach weil es die politische Instabilität und die damit einhergehende Gewalt nicht zugelassen hat. Schlimm und zugleich faszinierend ist die Tatsache, dass sich die Mädels in diesem Pulverfass dennoch auf den Sattel schwingen, einfach weil es sie erfüllt.

Einen Sattel zwischen den Beinen - ein Tabu für Frauen in Afghanistan.
# Einen Sattel zwischen den Beinen - ein Tabu für Frauen in Afghanistan. - Sarah Mendez/Afghan Cycles

Hat sich ein bestimmtes Ereignis oder eine Situation besonders in dein Gedächtnis eingebrannt?

Während unserer ersten Produktionsphase haben wir das National Team zu einem Training begleitet. Wir saßen alle zusammen in einem Bus und die Mädels hatten die Musik voll aufgedreht und haben mitgesungen und getanzt. Es war genau so wie meine Fahrten zu Fußball- und Leichtathletiktunieren in der Highschool, als ich so alt war wie sie. Ich hatte den Eindruck, dass wir uns so sehr ähneln. Das tun wir auch, aber diese jungen Frauen müssen einfach so vielem mehr gewachsen sein, als ich es war, oder heute sein muss. Es ist für mich einfach nicht vorstellbar, wie man so banale Dinge wie Radfahren heimlich und im Verborgenen tun muss. Dazu kommt natürlich die permanente Existenzbedrohung: Während einer anderen Produktionsphase hat der Taliban offiziell die Kampfsaison eröffnet – der Beginn eines sehr blutigen Sommers. Die Film-Crew war sehr verunsichert und wir haben die Dreharbeiten unterbrochen. Doch in Afghanistan sind solche Ansagen business as usual. Keiner war beeindruckt. Trotzdem müssen die jungen Frauen diesem Druck stand halten. Das musste ich damals als Soccer-Girl zum Glück nicht.

Was hat dich am meisten beeindruckt?
Es klingt kitschig, aber das Beeindruckenste ist, dass die Mädels so “normal” sind. Genau wie ich und du – “the girl next door”. Ich dachte anfangs, dass ich es mit den “freedom fighters” zu tun haben werde, die provokant politisch-kulturelle Grenzen ausloten. Ganz im Gegenteil: In ihren Augen spiegelt sich eine leise, faszinierende Unschuld. Sie wollen einfach nur ihrer Leidenschaft, dem Fahrradfahren nachgehen. Das ist sehr beeindruckend!

Stylecheck auf dem Bazar.
# Stylecheck auf dem Bazar. - Sarah Mendez/Afghan Cycles

Hat sich dadurch deine Einstellung zur Flüchtingswelle gewandelt?

Absolut! Jeder, der Afghanistan verlässt, hat sehr triftige Gründe. Diese Menschen nehmen Risiken auf sich, die nicht einmal in unseren schlimmsten Albträumen auftauchen. Deshalb sollten wir sie herzlich und mit offenen Armen empfangen. Schließlich ist das Leid vor Ort, teils auch von uns und unseren Regierungen verschuldet.

Abgesehen vom Radfahren, was hat dir geholfen die kulturellen Unterschiede zu überbrücken?

Freundschaft, die durch simple Offenheit und Unvoreingenommenheit gewachsen ist. Ich schätze mich sehr glücklich, diese tollen Frauen getroffen zu haben. Wir werden auf jeden Fall in Kontakt bleiben, ganz gleich, ob die Kickstarter-Kampane erfolgreich endet und wir das Projekt abschließen können.

Auf Fahrrad zu mehr Freiheit und Unabhängigkeit.
# Auf Fahrrad zu mehr Freiheit und Unabhängigkeit. - Sarah Mendez/Afghan Cycles

Welche Message transportiert dein Film?

Der Film ist in Afghanistan gedreht, doch die Botschaft ist universal. Das Fahrrad ist ein Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit. Wir hoffen, dass die Geschichte dieser afghanischen Frauen, Männer und Frauen auf der ganzen Welt anregen und Mut machen wird.

 


Damit der Dokumentarfilm in den Kasten kommt, muss das Team noch ein letztes Mal vor Ort drehen. Im Anschluss daran folgt die Postproduktion.

 

https://vimeo.com/140148174

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