Schlaflos auf einem sehr harten Bikepacking-Trip: Ulrich Rose alias Rosenkavalier ist immer noch unterwegs, der erste Checkpoint ist durch. Mittlerweile ist er in Luxemburg und wir spoilern nicht, wenn wir sagen: Einfacher wird es im zweiten Teil seines Berichts nicht. Ganz und gar nicht. Aber lest selbst!
Zum ersten Teil des Berichts geht es hier lang: Arden2Eifel Bike-Packing-Race – Teil 1: Mit 13.000 Höhenmetern durch die Eifel
LUX
Dieser Streckenabschnitt an der Grenze zwischen Luxemburg und Belgien ist noch viel zu einfach, denke ich so vor mich hin. Wann wird es mal wieder ungemütlich? Lange nichts. In Perlé, Luxemburg, betrete ich einen Laden, der allerhand Erfrischungen im Angebot hat. Diese Räumlichkeiten hinterlassen bei mir mehr den Eindruck eines Wohnzimmers als den eines Tante-Emma-Ladens. Was soll’s, vorm Laden warten ganz andere Probleme auf mich. Auffüllen, abfüllen, abbeißen, bringe ich im halb liegenden Zustand auf dem Gehweg hinter mich. Doch da macht mir die vordere Bremsanlage neue Sorgen. Vor weniger als 24 Stunden habe ich doch die Bremsbeläge ausgetauscht und jetzt fehlt der Stift, der die Beläge im Bremssattel halten soll. Scheiß-Mechaniker (ich!). Meine Bremsbeläge hängen zur Hälfte schon außerhalb vom Bremssattel. Bevor sie den kompletten Absprung schaffen, nehme ich einen neuen Stift aus meinem Ersatzteilbeutel.
Zurück im Wald warten zwei Anstiege, die ich ohne Weiteres in der Lage bin zu fahren. Am Lac de la Haute Sure darf ich endlich wieder schieben und tragen. Ein wunderschönes Fleckchen Erde, denke ich mir. Ganz ähnlich muss es auch den Vogelkundlern gehen, die ich mit meinem Freilauf beim Blick auf den See aus ihrer Ruhe reiße. Sobald die Steigung meine Reisegeschwindigkeit so sehr verringert, dass ich gehen kann, bin ich runter vom Rad. In der Abenddämmerung in Luxemburg passiert das ziemlich schnell und oft. Das Feld führe ich an, so melde ich auch gesperrte Wege an die Rennleitung, die dann nach Umleitungen suchen. In den Abendstunden gehe ich nicht von emsiger Betriebsamkeit der Waldarbeiter aus und stiefele einen der gesperrten Wege in der Spur vom Rücketraktor nach oben. Und was, wenn doch wer oder was kommt? Seit über 400 km bin ich unterwegs und ich bin ungewaschen, so ein Harvester soll ruhig kommen.
Bike-Eat-Repeat, and what about sleep?
Es wird immer dunkler in Luxemburg und in meinem Oberstübchen. In den Anstiegen, die ich schieben muss, hänge ich tief gebeugt mit einer Hand und einem Ellenbogen auf dem Lenker. Mit der zweiten Hand stopfe ich den nächsten Riegel in mich rein. Was ich schon beim 1000er begleitet hat, sind Halluzinationen. Ich erkenne Dinge und Menschen in der Natur, die es gar nicht gibt. Das Gefühl für Zeit kommt mir auch abhanden. Fahre ich im Kreis? Warum meine ich, dass Jefte vor mir fährt, um mir die Strecke zu erklären? Der Wind am Ohr klingt wie deutscher Schlager. Jetzt habe ich auch noch Roland Kaiser am Gepäckträger. Es ist nach Mitternacht, als ich den längsten Anstieg im zweiten Streckenabschnitt hinauf nach Hosingen erreiche. Wieder bin ich zu Fuß unterwegs.
Fahre ich im Kreis? Warum meine ich, dass Jefte vor mir fährt, um mir die Strecke zu erklären? Der Wind am Ohr klingt wie deutscher Schlager.
Auch wenn die Beine noch das tun, was sie sollen, schaltet der Kopf innerhalb weniger Minuten ab. Es lohnt nicht, nach einer Bank oder einer Hütte zu suchen. Von jetzt auf gleich lege ich das Rad auf dem Waldweg ab, setze mich auf meinen Ersatzreifen, der die ganze Zeit auf der Arschrakete seinen Platz fand. Von irgendwo her kommt Straßenlärm oder etwas Ähnliches, spielt keine Rolle. Den Timer am Handy stelle ich auf 15 Minuten. Nach 9 Minuten stelle ich fest, dass die kurze Zeit nicht reicht. Biwaksack und Schlafsack entferne ich ganz automatisch vom Lenker. Biwaksack ausgebreitet, Schlafsack obendrauf. Den Helm setze ich noch ab, kontrolliere, ob der Wahoo noch genügend Saft hat, dann liege ich. Ohne zu wissen, in welcher Umgebung ich mich befinde, dreckig und durchgeschwitzt verkrieche ich mich im Schlafsack. Müdigkeit ist stärker als Angst oder der Wunsch nach Komfort. Der Waldweg, auf dem ich liege, hat Gefälle, Steine drücken sich in meinem Rücken. In Embryonalhaltung schlafe ich umgehend ein.
Es vergehen zwei Stunden, dann zerrt mich die Kälte aus meiner Schlafphase. Von einem Schreck durchzogen, erwache ich. Frierend bin ich in einer komplett anderen Welt angekommen, in der mir für Minuten die Orientierung fehlt. Zeit, Ort und Umstände, alles ist unklar. Als sich das Bewusstsein auf Bikepacking einpendelt, übernehmen wieder Automatismen.
Notiz an mich selbst: Nicht jammern, ich mache das freiwillig!
Warme Sachen anziehen, Schlafsack wegpacken, essen und weiter. Notiz an mich selbst: Nicht jammern, ich mache das freiwillig! Der Berg, den ich vor der Schlafphase begonnen habe und den ich nun beende, führt mich nach Hosingen (LUX). Damit endet auch die zweite Teilstrecke. Da ist sie wieder, die Faust für die Selbstanfeuerung.
Drückerchen und Kussi an alle, die diesem Text bis hierher folgen konnten und wollten. Den Rest erleben wir auch noch gemeinsam.
So gegen vier Uhr hat mich die Bundesrepublik wieder. Mit gezücktem Personalausweis überquere ich die grüne Grenze – wie, gar keine Einreisekontrollen? Fahren, einfach nur fahren, zu sehen gibt es ohnehin nix. Gegen sechs Uhr spült mich der Track durch das Dreiländereck Belgien, Luxemburg und Deutschland, Ouren auf belgischer Seite heißt der Ort, um genau zu sein. Es sind um die 85 oder 90 km, die ich vor Frank rumfahre, oder anders formuliert: Ich habe ein Land Vorsprung, in dem Fall Luxemburg. Mein Ziel ist jetzt der nächste Supermarkt im 40 km entfernten Prüm.
Auf dem Weg dahin verpasse ich einen Abzweig am Berg und lande vor einem Stacheldrahtzaun. Kurzerhand wuchte ich mein Rad darüber und meinen zarten Körper gleich hinterher. Keine 100 m weiter wiederhole ich das Spiel.
Um ehrlich zu sein, akzeptiere ich meine Fehler einfach. Es lohnt sich für mich nicht, auch nur einen Funken Kraft in sinnlose Selbstgeißelung zu investieren, auch wenn sich mir reichlich Möglichkeiten bieten. Mal läuft es besser, dann mal wieder etwas zähflüssiger. Einen langen Anstieg kurz vorm Supermarkt-Eldorado muss ich laufen, denn die Kette braucht aus irgendeinem unerfindlichen Grund schon wieder Pflege, bevor sie mir komplett um die Ohren fliegt.
Halb neun in Prüm, vermutlich ist es Freitag, aber wer interessiert sich schon für Nebensächlichkeiten. Die letzten Pfirsichringe aus meinem Bauchladen mit Körperwärme landen in meinem Magen, ging doch recht zügig. Mein Rad habe ich bei den Einkaufswagen versteckt, den Wahoo habe ich am Mann. Ein Landstreicher in Radklamotten streunt nun durch den Hit-Markt. Nach mehr als 500 km durch ganz viel Landschaft scheitere ich am Konzept Einkaufsparadies. Manche Gänge begehe ich mehrfach, suche diverse Produkte, werde fündig, laufe hin, laufe her und am Ende checkt die Kassiererin mich noch ab, ob ich auch ja nichts geklaut habe. Danke dafür! Alle Speicher werden notdürftig gefüllt, jetzt geht es zu CP2 nach Neroth.
CP2 Neroth
Wenn diese Wand aus Prüm heraus sich mir nicht in den Weg stellen würde, es wäre so einfach gewesen, dieses Teilstück. Mit Sonnenschein in der Trikottasche genieße ich die Fahrt durch die Eifel. Es ist verblüffend, mit welcher Leichtfüßigkeit mir diese Kilometer unter den Reifen dahinrollen. In dieser Umgebung bin ich schon ein paar Mal gewesen, was mir ein gewisses Selbstvertrauen für die weiteren Stunden gibt. In Neroth erwarten mich Sep, der Sohn von Djoeke und Jefte, und Seps Opa (den Namen habe ich leider vergessen). Beide tragen sie auch die Rennkappen, wie wir Teilnehmer! Sep stempelt, sein Opa fotografiert fürs Marketing. CP2 geschafft, ich kann nicht lange bleiben, jetzt will ich heim!
Es sind nur noch etwas mehr als 100 km. Im normalen Training ein Klacks, im Hier und Heute wahrscheinlich 8 Stunden Bewegungszeit. In Daun Pützborn ist ein Supermarkt, den ich für eine letzte Kalorienoffensive nutze. Die anderen Teilnehmer hatten von Supermärkten und Schlafgelegenheiten einen umfangreicheren Plan als ich. Marius zum Beispiel hat eine Excel-Liste mit Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten, Unterkünften, etc. auf seinem Handy. Ich hatte einen Zettel mit Hochrechnungen für meine mögliche Ankunftszeit bei mir und sonst nur Vermutungen in Kombination mit viel Hoffnung.
Moralische Stützen
Am Dronketurm ist die Welt wieder in Ordnung, denn der letzte wirklich anspruchsvolle Abschnitt hat begonnen, ich darf wieder Fahrrad schieben! Und plötzlich steht da Jefte. Oben am Turm wartet auch Djoeke. Ich freue mich! Endlich wieder Menschen, mit denen ich mich austauschen kann. Meine Zeit ist mir für den Moment egal, kurz quatschen ist jetzt wichtiger. Beide berichten, dass sie mich nur um zehn Minuten an CP2 verpasst haben und das Feld sich weiter gelichtet hat. Laenens Wannes war knapp an Frank dran, musste aber nach einer verdorbenen Mahlzeit vorzeitig aussteigen. Wahrscheinlich werden nur 7 oder 8 Teilnehmer das Ziel in Trier erreichen. In diesen wenigen Minuten tanke ich noch einmal Kraft.
Eifel kann ich
Jetzt geht es dem Ziel entgegen, auf dem Rad und auch bei diesem Text. An den Maaren (mit Wasser gefüllte Vulkankegel) vorbei, über den Lieserpfad nach Manderscheid, mein Rad und ich wollen nur noch nach vorn. Kurz vor Manderscheid frage ich mich, warum mich der pinkfarbene Latexschlauch durch diesen Cut in meinem hinteren Reifen so frech anlächelt? Wird schon halten. Um die Burg wird es noch einmal technisch. An dieser Stelle werden Jef und Seppe, das Power-Couple im Feld, am Samstag noch eines ihrer Telefone verlieren, wie ich im weiteren Verlauf des Wochenendes erfahren werde. Dann sind es nur noch 80 km und genau diese Kilometer habe ich nur wenige Tage vorher besichtigt. Ich muss noch ein paarmal laufen, von der Altenberg-Hütte ist abseilen eine Option. Bis Kilometer 610 bleibt es dezent anspruchsvoll, dann kann ich voll drauftreten, die Strecke glänzt mit Rollerabschnitten.
Die Frage nach etwas Essbarem quittiert der Wirt in der Dorfkneipe erst mit Kopfschütteln. Dann verschwindet er kurz in einem Nebenzimmer und kommt zurück mit zwei Händen voll mit Beilagekeksen.
In Eisenschmitt gibt es noch zwei volle Flaschen Cola. Die Frage nach etwas Essbarem quittiert der Wirt in der Dorfkneipe erst mit Kopfschütteln. Dann verschwindet er kurz in einem Nebenzimmer und kommt zurück mit zwei Händen voll mit Beilagekeksen. Ein guter Typ! Mein Ziel zu erreichen in weniger als 60 Stunden, habe ich vor Augen und fahre so schnell wie möglich. Die Definition von schnell ist im Zusammenhang Bikepacking doch etwas speziell. Nach zwei Stunden Hetzjagd durch die Hecke gebe ich das 60-Stunden-Ziel auf. Bei mehr als noch dreißig zu fahrenden Kilometern ist es für mich nicht mehr realistisch, in zwei Stunden Trier zu erreichen. Jede Kontaktstelle meines Körpers mit dem Rad meldet Havarie. Sitzen, greifen, treten: in Kürze Game Over!
Zielgerade
Meine letzte Nacht bricht an und ich will heute noch in meinem eigenen Bett schlafen, das verspreche ich mir selbst. Kurz hinter Kordel wuchte ich das Rad zur Burg Ramstein empor. In der Kneipe an der Burg rufen mir noch zwei Gäste zu, dass zwei meiner Kollegen vom Eifelcross oder so ähnlich schon durch sind. Die beiden Herren meinen wohl andere Radfahrer. Meine Kollegen sind noch da draußen, meine Kollegen machen zwei Mittelgebirge, meine Kollegen werden auch diese Nacht wieder draußen verbringen.
Passend zur Nacht haben sich die Halluzinationen wieder bei mir eingenistet und die Schlagerparade ist auch mit von der Partie. Der Abstieg vom Eingang der Genovevahöhle ist die letzte Klippe auf der Strecke. Dauert auch nur 5 Minuten, um den Abstieg gesund zu meistern. Dann ist er da, der letzte Anstieg auf der Strecke, hinauf zur Autobahn. Ich starre auf meinen Tacho, wenn die Linkskurve da ist, bin ich oben. Jetzt wäre der ideale Moment, um emotional zu werden, aber das war ich in den letzten zweieinhalb Tagen mehr als einmal. Es hat auch keiner gesehen. Die Treppe runter in die Stadt fahre ich nicht, die wird standesgemäß getragen bei Arden2Eifel. Danke, Jefte!
Lichter erleuchten die Stadt, Nachtschwärmer ziehen durch die Straßen und ein Radfahrer erreicht die Porta Nigra am Freitag, zwanzig Minuten nach 22 Uhr. Angekommen! Tanja und Benni, Djoeke, Jefte und Jeftes Schwester, Dominic, ein Kumpel aus meiner Radsportnachbarschaft und zwei Frauen, die ich nicht ganz zuordnen kann, sind gekommen für den finalen Stempel. In diesen Minuten bin ich alles von emotional aufgekratzt bis hin zu einem körperlichen Wrack! Eine sehr große Zufriedenheit mit meiner eigenen Leistung macht sich in mir breit. Auch wenn die Nächte mich in jeder Hinsicht richtig aufgerieben haben, so habe ich doch über die komplette Distanz keine großen Fehler gemacht. Es war kein Rennen, aber dass ich trotzdem als Erster an der Porta war, ist ein kleiner Sieg für mich!
Kaputt
Irgendwann geht es dann nach Hause. Meine Arschrakete gebe ich meiner Frau, dann fahre ich mit Dominic noch ein Stück gemeinsam. Was mir auf den letzten 85 km mit einem Cut im Reifen nicht passiert ist, geschieht jetzt. Hinterradschaden. Die Luftpumpe hat Tanja im Auto, dann gehe ich wohl noch 3 km zu Fuß bis nach Hause. Es ist kurz nach Mitternacht, also Samstag, als ich nach drei Tagen draußen leben wieder in mein zivilisiertes Umfeld zurückkehre. Eine Matratze und Bettzeug sind pures Gold wert!
So, Jonas, ich hoffe, wir können damit ein weiteres Kapitel abschließen. Was braucht es noch für Erlebnisse im Buch?
Beste Grüße vom Rosenkavalier
PS: Jetzt durfte ich als Erster mit der Porta abklatschen, aber nicht als Einziger. Am Samstag erreicht Frank mit Startnummer 4 das altehrwürdige Stadttor, seine positive Ausstrahlung hat keine Sekunde gelitten. Marius mit der 5 folgt ca. 4-5 Stunden später mit Regen im Gepäck. Das Power-Couple bestehend aus Jef und Seppe, Startnummer 21, füttert unterwegs gern mal Ziegen und verliert ein Handy (wiedergefunden). Leider erreichen insgesamt nur sechs Athleten das Ziel in Trier. Der 6. mit Startnummer 6 ist Pavel aus der Slowakei. Er bringt eine der schönsten Geschichten mit.
Irgendwo in der Eifel hat er sich unter einen Carport gesetzt, um sich auszuruhen. Der Bewegungsmelder bemerkt ihn und schon ist diese Zuflucht hell erleuchtet. Die Anwohner kommen vor die Tür und erkundigen sich bei Pavel nach seinem Befinden. Er erzählt von dieser Herausforderung und seinen Erlebnissen. Am Ende lauschen Sie nicht nur seinen Worten, sie versorgen ihn auch mit Essen und Trinken. Er hatte es dringend nötig, denn an seiner Schaltung funktionierten die leichten Gänge schon lange nicht mehr.
Djoeke und Jefte: Danke für diese Erfahrung! Eigentlich habe ich gesagt, dass ich nicht noch einmal antreten will. Das waren meine Aussagen bei CP1 und an der Porta. Naja, war doch schon schön, vielleicht überlege ich es mir noch einmal …
… ok, ich komme im nächsten Jahr wieder! Ein Einheimischer sollte bei den wirklichen großen Sportevents die Region und Stadt repräsentieren.
Zur Tour auf Strava: https://www.strava.com/activities/12225422485
Mehr zum Rennen gibt es hier: https://arden2eifel-bikepacking.com
Wer traut sich auch eine Teilnahme zu?