„Viel mehr Qual und totalen Fokus“ als sie erwartet hätten, fanden die Autoren des Buches „Flamme Rouge“ vor. Sie interviewten Radprofis zu ihren Gedanken bei oder nach berühmten Zielsprints. Wir haben mit Daniel Lenz und Florian Summerer über die Recherche gesprochen – außerdem gibt es hier 3 Exemplare des Buches zu gewinnen.
Was fasziniert euch an der „Flamme Rouge“?
Florian: Auf den letzten 1.000 Metern entscheidet sich nicht nur das Rennen, nein, dieser Kilometer kann auch bildhaft für die gesamte Karriere eines Sportlers stehen. Das ist Drama pur, komprimiert auf wenige Minuten. Ein Ausreißer wird nur wenige Zentimeter vor der Ziellinie vom heran jagenden Feld gestellt – und verpasst womöglich die größte Chance seines Lebens. Oder: Die voll unter Adrenalin stehenden Fahrer stürzen, müssen deshalb womöglich eine Rundfahrt beenden, weil sie alles auf eine Karte setzten.
Daniel: Wir haben uns gefragt, was in den Köpfen der Fahrer vor sich geht. Das erfährt man eben nicht, wenn man ein Rennen am Fernseher sieht. Darüber sprechen manche Radprofis auch nicht gerne, weil es sie tief im Innersten berührt. Und das war die Grundidee des Buchs: Interessante, dramatische, skurrile Geschichten suchen und mit Profis und Ex-Profis im Gespräch rekapitulieren.
Unzählige Stunden bei Youtube, in der Hoffnung auf spannende, herausragende Finals.
Florian Summerer
Wie habt Ihr die Geschichten vorrecherchiert?
Florian: Das war eigentlich das Schwierigste. Die Geschichten, die wir suchten, kann man nicht googeln. Letztlich lasen wir sehr viele Radsportbücher aus diversen Jahrzehnten in der Hoffnung, da etwas zu finden. Aber da kommen natürlich häufig nur Storys zur Sprache, die viele Leser womöglich schon kennen. Deshalb verbrachten wir unzählige Stunden bei Youtube, in der Hoffnung auf spannende, herausragende Finals. Eine ebenfalls gute Quelle waren Gespräche mit anderen Journalisten-Kollegen, die sich an besondere Rennen erinnerten. Oder eben unser Nachmittag in der Küche von Artur Tabat, dem ewigen Veranstalter von „Rund um Köln“. Der kennt im Radsport so ziemlich jeden und so einige Geschichten!
Daniel: Uns war bei der Auswahl der Gesprächspartner wichtig, das Spektrum möglichst breit aufzufächern. Deshalb sprachen wir nicht nur mit den Weltmeistern Fabian Cancellara aus der Schweiz und Freddy Maertens, der in den 70ern eine schillernde Figur war. Auf der anderen Seite erzählte uns der Amateurfahrer Hermann Jungbluth, wie er bei „Rund um Köln“ auf umstrittene Weise von Didi Thurau auf den letzten Metern überrumpelt wurde – eine Geschichte, die kaum einer bislang kannte. Natürlich schilderte Didi Thurau uns das Rennen ganz anders…
Thurau gilt als schwieriger Gesprächspartner.
Florian: Besonders, wenn es um heikle Themen gilt! Wir trafen ihn ganz mondän im Steigenberger Inselhotel am Bodenseeufer in Konstanz, den Ort hatte Thurau vorgeschlagen. Daniel sorgte sich: „Hoffentlich bestellt der nichts zu Essen!“ Aber wir hatten Glück: Didi Thurau trank eine Johannisbeerschorle – wie immer, so erzählte uns der Kellner nach dem Interview. Ein alter Sportredakteur, der in den 70er und 80er Jahren den Radsport begleitet hat, insbesondere die belgischen Klassiker, hatte mir vor dem Interview von der angeblich verkauften Weltmeisterschaft in Venezuela erzählt. Und tatsächlich: Wenn man die Videos von damals betrachtet, sieht es tatsächlich kurz so aus, als würde Thurau im Zielsprint einen Tritt auslassen und den Sieg herschenken. Natürlich mussten wir ihn mit den Vorwürfen konfrontieren. Er schilderte uns dann frank und frei seine Sicht der Dinge. Überhaupt nahm er kein Blatt vor den Mund und legte eine gewisse Rauflust an den Tag, die man als Rennfahrer womöglich zueigen haben muss. Dennoch merkte man ihm immer noch den Stolz auf seine Erfolge und die Liebe zum Radfahren an.
Welche Gesprächspartner haben euch besonders fasziniert?
Daniel: Mir ist das Gespräch mit Philippa York besonders in Erinnerung geblieben, aus mehreren Gründen. Vor ihrer Geschlechtsumwandlung hieß sie Robert Millar, und der war bis zu den Erfolgen von Bradley Wiggins, Chris Froome und Geraint Thomas der erfolgreichste britische Radfahrer. Mit ihr sprachen wir über die Geschlechtsumwandlung, über einen legendären Berg, der ihr in den 1980ern einen riesengroßen Triumph und eine bittere Niederlage bescherte – und über ihren legendären Streit mit dem „Patron“ Bernard Hinault. Der junge Millar attackierte den Franzosen in einem Rennen, nachdem dieser dem Peloton befohlen hatte, langsam zu fahren. Hinault fuhr zu Millar auf und beschimpfte ihn als „little shit“ – worauf der Schotte erneut attackierte – was für ein Selbstbewusstsein!
Wie sich ein Sprint verändert hat, seit Fahrer wie Mario Cipollini nicht mehr dabei sind.
Florian: Ich erinnere mich gerne an unser Gespräch mit dem einstigen Sprinter Robert Förster, der wie ein Wasserfall redete. Er erzählte uns, worauf es bei Reifen ankommt, wie man einen Sprint gewinnt und wie sich dieser in den letzten Jahren verändert hat, seit Fahrer wie Mario Cipollini nicht mehr dabei sind. Spannend fand ich aber auch, wie es damals in den Bergen im Grupetto ablief. Förster wusste da viel zu berichten.
Gab es auch Absagen?
Daniel: Einige. Einer der bekanntesten Radprofis aller Zeiten verlangte viel Geld für ein Interview, was wir nicht zahlen konnten. Ein früherer Weltmeister hielt auch die Hand auf, das Geld haben wir gerne gezahlt, weil er nach seinem Karrierehöhepunkt zwischenzeitlich sein gesamtes Vermögen verloren hatte.
Florian: Wir haben auch Jan Ullrich angefragt. Wir wollten mit ihm über 2001 reden, als er nach einem brutalen Duell auf der Fahrt nach Luz Ardiden kurz vor der Ziellinie Lance Armstrong seine Hand reichte und so seine Niederlage eingestand. Sein PR-Berater sagte uns erst zu, doch dann schrieb er uns, dass ein Interview „aus gesundheitlichen Gründen“ nicht möglich sei. Als wenige Tage danach die große „Ulle-Bombe“ platzte und seine Drogensucht bekannt wurde, wussten wir, was er gemeint hatte.
Erik Zabel schrieb uns, dass er sich mittlerweile weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen habe und sich damit sehr wohl fühle. Das mussten wir natürlich akzeptieren. Dennoch gab er uns wertvolle Tipps, wen wir an seiner Stelle ansprechen könnten.
Konntet Ihr denn überraschende Erkenntnisse gewinnen?
Florian: Natürlich! Ich hatte mir aus meiner eigenen Leidenschaft für das Radfahren gedacht, dass Leistungssportler diese womöglich sogar noch viel mehr verspüren. Doch mussten wir feststellen, dass dies häufig gar nicht so ist. Da ist viel mehr Qual und totaler Fokus im Spiel als ich das erwartet hatte. Die Sportler empfanden es als Vorteil, dass sie beim Radfahren überall trainieren können und nicht immer ins Hallenbad müssen wie die Schwimmer. Aber es steht eben eher die Leistung, das Training im Vordergrund, nicht die Freude am Radfahren, wie sie Hobbyfahrer wie wir empfinden können oder dürfen. Wobei dann ältere Fahrer wie Didi Thurau oder Freddy Maertens das vielleicht noch etwas spielerischer betrachten konnten. Denn sie konnten sich trotz immensem Trainingsaufwand offenbar eher auf ihr Talent verlassen als ihre Kollegen heute …
Hier könnt Ihr reinlesen:
https://www.book2look.com/book/fhETNBTCE6
Und hier könnt ihr gewinnen:
Was war eure Lieblings-Zielankunft – auch persönliche Erlebnisse zählen. Schreibt es uns in die Kommentare unter allen, die kommentieren verlosen wir 3 Exemplare des Buches „Flamme Rouge“, die der Covadonga Verlag dafür zur Verfügung stellt*. Viel Glück!
*Die Regeln: Unter allen Teilnehmern, die sich an der Wahl beteiligen, verlosen wir 3 Bücher „Flamme Rouge“. Maximal ein Exemplar pro Teilnehmer, eine Antwort pro Teilnehmer zählt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen; Bekanntgabe der Gewinner und alle Angaben ohne Gewähr. Ausschluss der Teilnahme von Zweit- oder Fakeaccounts sowie Angestellten der Gewinnspiel-Auslober und deren Angehörigen vorbehalten. Durch die Teilnahme am Gewinnspiel entstehen den Teilnehmern keine weiteren Kosten. Das Gewinnspiel endet am kommenden Sonntag, den 22. Dezember 2019 um 24:00 Uhr. Der Gewinn wird durch den Covadonga Verlag zur Verfügung gestellt.
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