Bigmouth Mike – die Kolumne Zwift? Zusammen fährt man immer noch draußen!

Am Samstag um 10:30 Uhr laufen landauf, landab die Rollentrainer heiß. Dann starten auf der virtuellen Rennplattform Zwift die Nationalen Meisterschaften für Deutschland. Für Rennrad-Orks auf ihren Höllenmaschinen, findet unser Kolumnist Großmaul Mike.
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Auf ein Wort, ihr Sattelpupser,

Sarumans Horden aus digitalen Rennradorks werden im Frühjahr in Scharen auf der Straße über uns herfallen und uns Staub fressen lassen

die Lage ist ernst! Jahrzehntelang konnten selbst existenzielle Fragen wie “Shimano oder Campagnolo” die Radsportwelt nicht entzweien. Wir haben übereinander gelästert und leidenschaftlich gestritten, aber am Wochenende zählten die Beine und man fuhr zusammen – egal ob mit italienischer Schaltwerkskunst oder japanischer OEM-Ware (sorry, musste kurz mal Öl nachgießen). Auch Themen wie mechanische versus elektronische Schaltung und Diskussionen über Felgen- oder Scheibenbremsen konnten uns Rennradfahrer bislang nicht nachhaltig auseinanderdividieren.

Aber jetzt droht ernsthaft Gefahr! Indoor versus Outdoor, respektive Insider versus Outsider ist der neue Konflikt, der seinen Ursprung in den Zwift Pixelrennen in Watopia, Richmond oder London findet und mit der guten alten Rolle nichts mehr zu tun hat. Da sitzen Leute Rennrad fahrend auf der Rolle in ihrer warmen Bude, lassen sich erst bei Temperaturen von über 15°, ach was sag ich 20°C und Regenwahrscheinlichkeiten unter 2,5% das erste Mal wieder draußen blicken und sind dann unverschämterweise noch topfit, weil sie ja so effektiv trainiert haben.

Sarumans Horden aus digitalen Rennrad-Orks werden im Frühjahr in Scharen auf der Straße über uns herfallen und uns Staub fressen lassen. Der Untergang der Radsportwelt steht unmittelbar bevor!

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Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, können Partnerunternehmen Zwift-Kilometer ab sofort in Strava-Challenges mitzählen lassen. Die Gleichstellung von Rollen- und Straßenkilometern kommt einem Dammbruch gleich. Selbst wenn wir nach dem ersten Schock kurz durchatmen, ist es unterm Strich so: Diese Sesselfurzer des Radsports erhalten zukünftig auch noch Belohnungen in Form kleiner bunter Bildchen in ihren Strava-Palmares! Äußert man als Outsider leise berechtigte Kritik daran, muss man sich in Facebook-Kommentaren als Dinosaurier des Radsports beleidigen lassen. Ok, solche Beißreflexe zeugen jetzt eher von Minderwertigkeitskomplexen, Überhitzung oder wahlweise Sauerstoffmangel von Menschen, die zuviel auf der Rolle abgehangen haben, aber trotzdem geht das entschieden zu weit!

Ich warne Euch: Wehret den Anfängen! Sie fahren nämlich schon organisierte Rennen. Dazu passt, dass die (womöglich irgendwann mal) neue Bundesregierung zwar den Radverkehr mit keiner Silbe erwähnt, aber die Förderung des E-Sports in den Koalitionsvertrag schreibt. Da muss man kein Verschwörungstheoretiker sein, um das Ziel hinter den dunklen Machenschaften zu erkennen: Zwift wird olympische Disziplin und die lästigen Rennradfahrer sind endlich runter von der Straße! Zwei Fliegen mit einer Klappe.

Ich sprüh das mal stellvertretend auf die Straße: Das kratzt an unserer Sportlerehre! Ist doch so, liebe Draußenfahrerfreunde oder etwa nicht? Neulich erwischte ich mich bei dem sehnlichen Wunsch, dass Lance Armstrong sich nicht diese klitzekleinen Doping-Fauxpas erlaubt hätte. Dann wären seine markigen Sprüche von harter Abend an Weihnachten und Neujahr wenigstens noch zitierfähig. Aber nicht mal das kann man den Dauerdrinnenfahrern mehr entgegenschleudern.

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Was können wir tun? Was bleibt uns also noch? Die Regeln, ok die Regeln natürlich, allen voran rule #9. Wir sind nämlich sowas von BADASS, weil wir selbst bei schlechtem Wetter draußen fahren. Wir sind die Härtesten unter den ganz Harten. Aber sowas von. Hell Yeah!

Aber jetzt kommt natürlich einer dieser ganz Toleranten um die Ecke, der cool bleibt und sagt: Soll doch jeder fahren oder trainieren, wie er will und Spaß dabei haben. Ja ja klar, Freundchen, doch dieser Konflikt ist komplett anders als die klassischen Materialclashs der Vergangenheit. Er digitalisiert quasi Teile unserer Trainingsgruppen und zieht uns die Leute von der Straße. Wir treffen uns nicht mehr so zahlreich und regelmäßig unter der Woche oder am Wochenende, um zu merken, dass wir uns ja doch irgendwie alle lieb zu haben – zumindest nicht, wenn das Wetter schlecht ist. Dann sticheln wir uns allenfalls in Strava-Kommentaren an und reden mit den verbliebenen anderen Outsidern darüber, welchen guten alten Trainingspartner wir jetzt wieder an die dunkle Seite der Rolle verloren haben. Im “No Zwift Club” bei Strava munkelt man, die lassen sich zum Teil nie wieder auf der Straße blicken und man hört auch nichts mehr von denen – außer vielleicht in einer gepflegten Forumsdiskussion über Schutzbleche am Rennrad.

Dann reden wir mit den verbliebenen anderen Outsidern darüber, welchen guten alten Trainingspartner wir jetzt wieder an die dunkle Seite der Rolle verloren haben.

Und wenn ich ehrlich bin, ist das in der ganzen Sache eigentlich das Einzige, was mich wirklich aufseufzen lässt. Wenn da bei einer Zwift-Aktivität steht, dass Peter mit Uschi und Fritz zusammen Rad gefahren ist. Klingt gut, stimmt aber in meiner Welt einfach nicht. Zusammen fährt man immer noch draußen. Da kann man dummes Zeug reden, sinnlose Attacken fahren, gemeinsam lachen und leiden. Und genau deshalb würde ich einige schon gerne mal wieder in Fleisch und Blut neben mir auf dem Rad sehen – natürlich nur um Euch herzlich damit aufzuziehen, dass ihr ja nur noch virtuell unterwegs seid. Hach, Ihr seid zwar Insider, aber ich vermisse Euren Windschatten trotzdem.

Harden the fuck up!

Artikelbild: Zwift/Gathmann

6 Kommentare

» Alle Kommentare im Forum
  1. Soll doch jeder fahren oder trainieren, wie er will und Spaß dabei haben.

  2. Sehr gute geschrieben Hoki!
    Du sprichst mir aus tiefster Seele!

  3. Micha, ich hab mir mal ne Rolle zum Warmfahren fürs Zeitfahren in St.Johann geliehen, Selten so was langweiliges gemacht. Das Rad ist da um von A nach B zu kommen. Fertig.

  4. ...ich frage mich in dem Zusammenhang, ob auch schon welche ihr E-"Rennrad" in die Smartrolle gespannt haben...bestimmt, oder?!

  5. Von allen Seiten droht Ungemach, erst die eBikes und jetzt auch noch digitale Rennradorks. Und was machen die Ewiggestrigen? Klar, jammern das früher alles besser war. Mimimi...
    ES war früher alles besser...wie kann man das anzweifeln!!?
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