Bikepacking in Tibet – Interview Jule Bötel „Am dritten Tag ohne Essen auf 5.050 m“

Eine Gravel-Tour in Tibet, in einer Höhe, wo andere Extrem-Bergsteigen betreiben – damit hat sich Juliane Bötel einen Traum erfüllt und traumhafte Bilder mitgebracht. Im Interview schildert sie, wie sie sich vorbereitet hat und auch was alles nicht nach Plan lief – jede Menge!
Titelbild

Ein Gewitter am Himmel und ähnliche Unruhe im Verdauungstrakt waren der Tiefpunkt von Juliane Bötels Bikepacking Tour – zumal sich das Ganze auf über 3.500 Metern Höhe abspielte. Jule hat sich mit einer Gravel Bike Reise durch das Tibetanische Hochplateau einen Lebenstraum erfüllt und dafür neben den unwägbaren Strapazen vor Ort auch eine harte Vorbereitung mit Höhentraining und viel Verzicht auf Freizeitfreuden in Kauf genommen. Über 650 km mit 10.500 Höhenmetern war sie permanent zwischen 3.500 Meter und 5.000 Meter über dem Meeresspiegel unterwegs und schildert im Interview, wie alles anfing und wie es dann vor Ort lief.

Jule Bötel reiste mit ihrem Gravel Bike durch das Tibetische Hochplateau, bis auf den den 5.050 m hohen Chola Shan.
# Jule Bötel reiste mit ihrem Gravel Bike durch das Tibetische Hochplateau, bis auf den den 5.050 m hohen Chola Shan.
Diashow: Bikepacking in Tibet – Interview Jule Bötel: „Am dritten Tag ohne Essen auf 5.050 m“
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Atemberaubende Weite auf 4.000 Metern.
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Aussicht von der White Pagoda in Ganzi, Sichuan, auf Mt. Kawalori (5.992m).
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Für die Erfahrung dieser Bergwelt…
# Für die Erfahrung dieser Bergwelt…
…brauchte sie eine disziplinierte, nicht immer sozial kompatible Vorbereitung.
# …brauchte sie eine disziplinierte, nicht immer sozial kompatible Vorbereitung.

Hallo Jule, für alle, die dich nicht kennen, was ist deine Fahrradgeschichte in aller Kürze?

Hi Jan! Schön, mit Dir zu sprechen :). Ich bin 2012 zum Radfahren gekommen. Ich habe damals in China/Peking gelebt und für VW Skoda in PR gearbeitet. Ich habe damals 3-4 Mal im Jahr Journalistenreisen ins Headquarter organisiert, um den chinesischen Medien die Marke näherzubringen und einmal – es sollte meine letzte Geschäftsreise für VW sein – ging es unter dem Motto Sportsponsoring zur Tour de France. Ich werde diesen Tag nie in meinem Leben vergessen. Denn ich habe zum allerersten Mal in meinem Leben auf einem richtigen Rennrad gesessen. Und das hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Es war wirklich ein “wow, wie geil ist das denn”-Gefühl. Ich wollte nichts anderes mehr machen, es sollte mein Leben werden. Zurück in Peking habe ich meinen Job gekündigt, hab mir ein Fixie gekauft und bin dann damit nach Berlin, um Fahrradkurierin zu werden und dann habe ich mir step by step ein Standbein in der Bike-Branche aufgebaut, seit zweieinhalb Jahren arbeite ich bei der Accell Group und verantworte dort den Kommunikationsbereich für die Sportsbrands, unter anderem auch für Ghost.

Eine der unzähligen Einladungen von Einheimischen…
# Eine der unzähligen Einladungen von Einheimischen…
…voller Gastfreunschaft und Wärme.
# …voller Gastfreunschaft und Wärme.

Und wie würdest du dein letztes Unternehmen in wenigen Sätzen beschreiben?
In einem Wort: Lebenstraum. In mehreren Sätzen: Wie schon angedeutet habe ich in meinen späten Zwanzigern von 2010 bis 2013 in Peking gelebt. Nachdem ich dort das Radfahren für mich entdeckt habe, entschied ich mich nach drei Jahren zurück nach Deutschland zu gehen. China aber, mit all seinen Widersprüchen und trotz der politischen Missstände, ließ mich nie wirklich los. Je mehr ich fuhr und vor allen auf Solo-Bikepacking-Touren ging, desto mehr entstand die Idee, auf dem Rad nach China zurückzukehren. Als ich dann 2018 nach Oberbayern zog, die Bergwelt mit all ihren Sportarten wie Klettern, Trailrunning und Bergsteigen für mich entdeckte und immer häufiger alpine Touren machte, wurde mir klar: Ich wollte auf das tibetische Hochplateau, das höchste Bergplateau der Welt. Mein Interesse für Tibet geht weit über den Buddhismus hinaus, der in dieser Region verwurzelt ist; ich wollte auch die Kultur und die politischen Herausforderungen des Landes besser verstehen. Da jedoch für alleinreisende Ausländer:innen ein strenges Einreiseverbot für Tibet besteht, habe ich mich entschieden, die in China angrenzenden tibetischen Regionen in den Provinzen Qinghai, Sichuan und Yunnan zu bereisen. Viele wissen nicht, dass diese Regionen ebenfalls zum tibetischen Hochland gehören und noch überwiegend von Tibeter:innen bewohnt werden. Hier konnte ich mich mit einem normalen chinesischen Touristenvisum relativ frei bewegen – allerdings nicht ganz ohne Hindernisse: In der Grenzregion gab es regelmäßige Polizeikontrollen und auch Durchfahrtsverbote.

Würdest du im Nachhinein sagen, es war eine gute Idee und wann bist du auf die Idee gekommen, das zu machen?

Ich habe etwa fünf Jahre von der Reise geträumt und es war eine der besten Sachen, die ich je gemacht habe.

Wie lange hast du dich vorbereitet?
Die Strecke hab ich bereits vor fünf Jahren grob geplant. Aber die intensive Vorbereitung startete etwa ein halbes Jahr vor Reiseantritt und die Höhenakklimatisierung vier Wochen vorher.

Der Generator brummt laut, der Schlauch, der direkt neben dem Kopf ins Zelt gelangt, röchelt wie Darth Vader.

Kannst du die Vorbereitung schildern? Wie hast du dich auf die Höhe vorbereitet?
Ich habe vier Wochen lang jede Nacht in einem Höhenzelt geschlafen. Das muss man sich so vorstellen: Im Wohnzimmer steht ein laut brummender Generator. In dem wird quasi der Luft der Sauerstoff entzogen. An den Generator ist ein Schlauch angesteckt, der die Luft mit der geringeren Sauerstoffsättigung in ein kleines Kuppelzelt pumpt, in dem man mit dem Oberkörper liegt. Der Generator brummt laut, der Schlauch, der direkt neben dem Kopf ins Zelt gelangt, röchelt wie Darth Vader und im Zelt wird es sehr warm und stickig, wenn draußen die Temperaturen über 15 Grad liegen. Lüften ist natürlich tabu. So wird Höhe simuliert. Und ich habe mich in der Zeit von 2.500 auf 4.000 „hochgeschlafen“.

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# tibetan plateau-30
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# tibetan plateau-18

Es ist weniger lustig, als es klingt. Der Hals ist trocken und Lippen platzen mit der Zeit auf, genau wie beim Bergsteigen. Was aber viel schlimmer war: In den ersten zwei Wochen – es ist normal – regeneriert der Körper sehr schlecht, weil er noch am Lernen ist, vermehrt rote Blutkörperchen zu produzieren, um so in der Lage zu sein trotz weniger Sauerstoff den Körper mit genug CO2 zu versorgen. Ich war extrem müde. Ich habe nebenbei voll gearbeitet und versucht weiterhin den Körper in Bewegung zu halten und auch Freunde und Beziehungen nicht zu vernachlässigen.

Ich feier bis heute, zu was unsere Körper in der Lage sind.

Es gab Tage, da habe ich vor Erschöpfung heulen müssen. Aber es wurde stetig besser. Ich habe täglich meine Sauerstoffsättigung im Blut, Ruhepuls, HRV getrackt und es war von Tag eins an, trotz der harten Belastung mental und körperlich, ein extrem spannendes Selbstexperiment. Täglich konnte ich beobachten, wie sich der Körper mehr und mehr anpasste und lernte, mit weinger Sauerstoff in der Luft umzugehen. Ich feiere bis heute, zu was unsere Körper in der Lage sind. Ist das nicht geil?

Tibetische Passstraßen…
# Tibetische Passstraßen…
… auf einer Höhe von 4.000 Metern.
# … auf einer Höhe von 4.000 Metern.

Mental war es allerdings sehr schwer. Ich war in den 12 Monaten zuvor sehr oft angeschlagen und krank, wie sich herausstellte, weil mein Immunsystem stark gelitten hat durch Stress. Meine größte Sorge war, dass ich durch die miese, teilweise nicht vorhandene Regeneration direkt wieder krank werde. Ich hatte wirklich Angst, dass es mich vor der Reise oder dann vor Ort direkt flach legt. Entsprechend habe ich versucht regelmäßig zu meditieren, habe mich sehr gesund ernährt und keinen Alkohol getrunken (was so oder so in der Höhe – egal ob simuliert oder real – keine gute Idee ist).

Abendliches Chillen am Zelt…
# Abendliches Chillen am Zelt…
…mit Kontrolle der Sauerstoffsättigung im Blut.
# …mit Kontrolle der Sauerstoffsättigung im Blut.

Meine sportlichen Routinen habe ich versucht beizubehalten, auch um meinen Körper im Fahrradmodus zu halten, habe dabei aber penibelst auf eine niedrige Herzfrequenz geachtet und nicht übertrieben. Eisbaden habe ich auch eingestellt für die Zeit. Es war außerdem sehr tough, weil man sozial nicht mehr kompatibel ist. Abends um acht war bei mir Sense und ich musste nach Hause und mich hinlegen, weil ich so k.o. war. Es ist eine große Belastungsprobe, auch für Beziehungen. Aber es hat sich gelohnt. Wenn ich mit etwas keine Problem auf der Reise hatte, dann mit der Höhe 😊.

Gab es Probleme bei der Vorbereitung?
Nein. Alles lief nach Plan, wenn auch die Akklimatisierung ein ziemlicher Pain war. Aber das war mit eingeplant 😉

Hattest du Hilfe?
Nein, nicht wirklich. Natürlich habe ich viele Gespräche geführt und mir Feedback von verschiedenen Personen eingeholt. Aber am Ende habe ich alle Entscheidungen selbst getroffen und alles alleine organisiert und geplant. In Sachen Material hatte ich allerdings tolle Partner und wurde nicht nur von meinem Arbeitgeber unterstützt, sondern auch von Pas Normal Studios, Garmin, Primus Equipment, Sram und Tailfin.

Wie war dein Gefühl am Tag der Abreise?
Also am Tag der Abreise selbst war ich sehr ruhig, voller Vorfreude, Neugier, Offenheit und Optimismus. Die Tage davor waren nervenaufreibender für mich.

Wir haben schon einmal deine Teilnahme beim Atlas Mountain Race verfolgt, das du wegen Übergriffen von abgebrochen hast. Hattest du ein gutes Gefühl bei Tibet?

Ja, die Erlebnisse in Marokko waren leider für mich eine sehr schlimme Erfahrung und ich hatte auch Angst, dass mich die Übergriffe, die ich dort erleben musste, evtl. für immer hemmen werden, alleine zu reisen. Ich habe das Trauma aber mit Therapie bearbeitet und habe ein halbes Jahr später wieder angefangen – erst in kleineren Dosen – wieder allein unterwegs zu sein, erstmal nur im Dunkeln und Step by Step dann auch mit Übernachtungen draußen und ich habe mich schnell und gut erholt und mein altes Grundvertrauen zurück erlangt. Dennoch ist es nicht komplett vergessen und gerade in der Vorbereitung auf Tibet habe ich wieder öfter dran denken müssen. Aber, ohne etwas verharmlosen zu wollen – es kann natürlich immer etwas passieren, kann man wohl sagen, dass buddhistisch geprägte Länder verhältnismäßig sicher zu bereisen sind.

Aufbereitung von Wasser.
# Aufbereitung von Wasser.
Zubereitung von Baozi, einem typisch chinesischem Frühstück.
# Zubereitung von Baozi, einem typisch chinesischem Frühstück.

Und um ehrlich zu sein, war ich es auch irgendwann etwas leid. Ich war so so oft mit Sätzen wie „Allein in China mit dem Rad, als Frau – ist das nicht zu gefährlich?“, „Bist du dir sicher, dass du dir das zutraust?“, „Was ist, wenn dir etwas passiert?“ Solche Fragen haben das positive Feedback meist übertönt.

Und es fehlte mir darin einfach das Vertrauen in meine Fähigkeiten und in die Menschheit. Ich habe viel Bikepacking-Erfahrung – nirgendwo fühl ich mich mehr zu hause.

Natürlich war der Trip nicht ohne, es kann immer etwas passieren, und es ist schön, dass sich nahestehende Menschen sorgen. Aber was ist schon ohne Risiko? Und es fehlte mir darin einfach das Vertrauen in meine Fähigkeiten und in die Menschheit. Ich habe viel Bikepacking-Erfahrung – nirgendwo fühl ich mich mehr zu hause, war mehrfach in den Westalpen zum Bergsteigen in höheren Lagen unterwegs, habe drei Jahre in China gelebt, spreche die Sprache etwas, habe die Reise akribisch vorbereitet und Buddhist:innen sind bekannt dafür, die friedliebendsten Menschen überhaupt zu sein. Warum also diese Skepsis und unterschwellige Angst?

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# tibetan plateau-3

Ich frage mich oft, wie oft ein Mann dieselben Fragen bekommen hätte. Hätte es nicht eher geheißen: „Wow, wie krass. Geiler Typ!“? Für mich fühlte sich diese Reise mit meiner Erfahrung gar nicht so extrem, sondern ja, wild und weit weg, aber machbar an. Abenteuer, wie ich es liebe. Ein realistischer Lebenstraum. Ich gehe kein unnötiges Risiko ein, aber soll ich mich verstecken, weil etwas passieren könnte?

Eine Region mit unzähligen Anstiegen.
# Eine Region mit unzähligen Anstiegen.

Natürlich hatte ich auch viele Bedenken und Momente des Zweifelns, ob die Reise zu viel für mich sein würde. Ob ich das überhaupt schaffen kann. Aber ich wollte es unbedingt und ich wollte es allein, und wir Frauen und Mädchen müssen aus einer Welt ausbrechen, die uns oft weniger zutraut wird und wir vor allem Angst haben sollen. Ich möchte Gefahren keineswegs verharmlosen. Aber ich möchte alle dazu ermutigen, auch Männer, ihre Träume lebendig werden zu lassen, wie extrem sie auch sein mögen.

Atemberaubende Weite auf 4.000 Metern.
# Atemberaubende Weite auf 4.000 Metern.

Jeder Mensch hat eine andere Komfortzone, die es zu verlassen gilt. Dann geht es darum, Erfahrung zu sammeln, Risiken richtig einzuschätzen, sich den Rahmenbedingungen bewusst zu sein und auf sich selbst und die eigene Intuition zu vertrauen. Es gibt nie eine 100-prozentige Sicherheit, aber Risiko lässt sich minimieren. Ich würde zum Beispiel nicht jedes Land allein bereisen. Aber nach China wollte ich ohne Vorurteile oder Angst, sondern mit Offenheit und Vertrauen. Und das hat sich ausgezahlt: Diese Offenheit habe ich dort auf allen Ebenen zurückbekommen, ich durfte eine Herzlichkeit und Wärme und Gastfreundschaft erfahren, die mir bis heute Gänsehaut bereitet. Und das in einer sehr armen Region, wo niemand Fahrrad fährt, ich in meinem Bike-Outfit und blondierten Haaren wahrscheinlich wahrgenommen wurde, wie eine Außerirdische. Ich habe mich auf der gesamten Reise mit all den Unwegsamkeit nicht einmal allein gefühlt, obwohl ich durch die Sprachbarriere – mein Chinesisch hat kaum geholfen, in der Region wird hauptsächlich nur Tibetisch gesprochen – drei Wochen lang kein tiefes Gespräch geführt habe. Ich habe nur eine Person getroffen in der ganzen Zeit, die Englisch geredet hat. Ein Radfahrer aus Shanghai, der mit einem Klapprad unterwegs war.

Ich hatte einen extrem holprigen schwierigen Start.

Wie lief es dann am ersten Tag?
Ich hatte einen extrem holprigen schwierigen Start. Als ich das Rad am Flughafen zusammengebaut habe, um zur 30km entfernten Unterkunft auf einer Höhe von 3.800mas zu fahren, habe ich sofort bemerkt, das mit dem Steuersatz etwas nicht stimmt. Ich habe die erste Nacht mit dem Versuch verbracht, den Steuersatz zu fixen. Leider war ein falsches Teil verbaut und ich konnte das Problem auf der gesamten Reise nicht lösen und bin mit einem vollgeladenen Bike 650 km und 11000 hm mit einem wackelnden Steuersatz gegravelt. Extrem ungünstig.

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# tibetan plateau-23

Gerade in den ersten Tagen war das mental sehr herausfordernd, weil ich permanent Angst hatte, der Rahmen könnte brechen. Dazu kam am ersten Fahrtag, dass ich, leider, nachdem ich die Passhöhe mit einigen Höhenmetern in den Beinen erreicht hatte und bereits in der Abfahrt steckte, umkehren musste. Mehrere Männer versuchten mich aufzuhalten und mir zu erklären, dass der Weg, den ich fahren wollte, nicht passierbar ist. Es hatte etwas gedauert, bis ich gecheckt habe, was sie wollen. Ich hatte in dem abgelegenen Tal keinen Empfang und meine Sprachskills waren dann doch zu begrenzt, als dass ich von Erdrutschen irgendwas verstehen würde. Man zeigte mir dann aber ein Foto und ich verstand, dass der Weg entlang eines Steilhanges, der im reißenden Jinsha River endete, über mehrere hundert Meter von einem Erdrutsch verschüttet war. Von dem Weg war wirklich nichts übrig, der halbe Berg schien weg.

Meine Sprachskills waren dann doch zu begrenzt, als dass ich von Erdrutschen irgendwas verstehen würde.

Und bei all meiner Bergerfahrung – der Versuch die Passage zu überwinden mit Rad und meinem ganze Gepäck, da wäre lebensmüde gewesen. Ich konnte nur umdrehen und die komplette Tagesetappe zurückfahren. Der Alternativweg im Süden wäre wegen Grenzübertritt nach Tibet und der Einreisebeschränkung für mich nicht fahrbar gewesen. Die Umrundung des Bergmassives in die andere Richtung wär verbunden gewesen mit 250 Extrakilometern und 4.000 Höhenmetern. Und die fährt man auf der Höhe mit 20 kg Gepäck am Rad nicht an 2 Tagen. Ich hätte 3-4 Tage gebraucht. Und es gab natürlich ein Zeitlimit. Ich hatte ja einen Rückflug. Ich entschied mich also, um nicht direkt am Anfang in die Bredouille zu kommen, mit dem Bus zu überbrücken.

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# tibetan plateau-31

Planen gibt mir irgendwie Sicherheit und ein gutes Gefühl. Und das wurde direkt am ersten Tag komplett gecrasht. Gefühlt lief nichts nach Plan. Und ich musste lernen loszulassen, die Reise so zu akzeptieren und geschehen zu lassen, wie sie kommt. Alle hinzunehmen, was im Vorfeld nicht planbar war. Das war zu Beginn für mich echt hart, aber ich habe schnell gelernt loszulassen, mich voll auf den Trip einzulassen und in den Flow reinzukommen. In China redet man da auch schnell vom Qi und dem Fluss des Lebens :-).

Wie erging es dir weiter?
Ich hatte dann drei wundervolle Fahrtage in der wirklich epischsten Landschaft, mit tollen herzerwärmenden Begegnungen. Ich legte dann einen Pausentag in einer sehr schönen traditionellen Unterkunft ein und ab da wartete der schwerste Teil der Reise auf mich, der gleichzeitig auch der schönste war. Der höchste Pass auf 5.050 m über Meeresspiegel, das eigentliche Highlight der Reise.

Ich habe aber ganz übel Magen Darm bekommen, konnte nicht wie geplant los und bin einen Tag länger in der Unterkunft geblieben, um mich auszuruhen, nachdem ich eine Nacht eng umschlungen mit der Toilette verbracht habe (zum Glück kein Squat-Klo).

Aufziehende Gewitterwolken am Campingplatz.
# Aufziehende Gewitterwolken am Campingplatz.
Tag drei ohne Essen…
# Tag drei ohne Essen…
… am Morgen nach dem schweren Gewitter auf einer Höhe von 4.300 Metern.
# … am Morgen nach dem schweren Gewitter auf einer Höhe von 4.300 Metern.

Mir ging es besser, aber ich konnte nicht wirklich etwas essen. Ich habe mich dann dennoch entschieden, meinen Weg Richtung Pass einzuschlagen. Die Etappe zum Fuße des Passes hat nur 30 km, allerdings mit 800 Höhenmetern. Das ist, mit einem komplett leeren Körper und einem 30-Kilo-Fahrrad, startend auf der Höhe von 3.500 m ein ziemlicher Akt. Gefühlt habe ich alle 20 Minuten anhalten müssen, weil ich keine Kraft hatte.

Beine wie Wackelpudding, es fiel mir sogar schwer, den Lenker zu halten.

Es war so schwer. Ich musste auch viel weinen, weil ich nur noch hinterfragte, wie ich das schaffen soll. Ich habe mich so miserabel gefühlt, elend durch und durch. Beine wie Wackelpudding, es fiel mir sogar schwer, den Lenker zu halten. Das war wirklich schlimm, man, wenn ich nur dran denke… Ich konnte zwei Kekse essen und habe etwas am trockenen Brot geknabbert, das mir die liebe Hauslady aus der Unterkunft gebacken hatte. Es wurde mental etwas leichter, als ich die ersten Gletscher sah und sich die wahnsinnige Serpentinenstraße vor meinen Augen öffnete und ich die ersehnte Bergkette mit dem noch ersehnteren Gravel-Pass vor meiner Nase hatte. Das Ziel so nah, schaffte ich es irgendwie, das schwer beladene Rad und mich Häufchen Elend zum Einstieg des Passes zu treten. Es war widerlich.

Ich hatte in der Akklimatisierungsphase Zuhause am Ende auf 4.000 m geschlafen, dann vor Ort max. auf 3.700 m. Es war also mit Abstand die höchste Nacht.

Dort angekommen stellte ich mit letzter Kraft das Zelt auf und pumpte mir Wasser aus dem nahegelegenen Flußlauf, lehnte mich an einen großen Stein und zwang mich, etwas zu essen. Die Hausdame hatte mir auf meinen Wunsch Tudousi (angebratene Kartoffelstreifen) zum Mitnehmen gekocht. Denn ich wusste, zum Selbstkochen habe ich keine Kraft, und wenn ich auf den Pass will, muss ich essen. Kartoffeln schienen mir da sinnig. So saß ich da, zwang mir ein paar Kartoffelstreifen rein – lecker waren sie, Appetit hatte ich weiterhin keinen – und beobachtete, wie der Himmel zuzog. Da kam sie, die dicke schwarze Gewitterwolke, die die ganze Nacht über mir im Hochgebirge auf 4.300 m wetterte, als gäbe es keinen Morgen. Ich verzog mich ins Zelt und habe mir vor Angst – Gewitter in den Bergen ist wirklich kein Witz und nicht ungefährlich, das war sehr heavy – ziemlich in die Hose gemacht. Im wahrsten Sinne quasi, denn die leckeren Kartoffelstreifen habe ich leider noch nicht vertragen. Ich musste ständig im Gewitter raus, weil ich wieder Durchfall bekommen habe. Es war elendig. Ein weiterer Punkt war die Höhe: Ich hatte in der Akklimatisierungsphase Zuhause am Ende auf 4.000 m geschlafen, dann vor Ort max. auf 3.700. Es war also mit Abstand die höchste Nacht. Ich bin stark davon ausgegangen, dass ich deshalb kaum regenerieren werde und eher schlecht schlafe. Nicht zuträglich, wenn man Magen Darm hat. Wenig geschlafen habe ich tatsächlich, aber nur, weil ich permanent das Zelt verlassen musste und zusätzlich über mir ein heftiges Gewitter tobte. Es wurde etwas ironisch haha, bei all der Angst, ob das in dieser Nacht bei dem Wetter alles gut gehen kann und der Sorge, wie ich in diesem körperlichen Zustand am nächsten Morgen auf 5.050 hochkommen soll, sagte ich mir, habe ich zumindest ein Problem weniger: Das Revier ist markiert, Bären kommen diese Nacht sicherlich nicht 😉.

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# tibetan plateau-21
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# tibetan plateau-24

Tja und dann kam der nächste Morgen, Gewitter überlebt… Ich wachte in einem komplett abgesoffenen Zelt auf, alles war nass. Aber es regnete nicht mehr. Der Schweizer Wetterbericht sagte einen sehr regnerischen Tag voraus, der chinesische versprach Regen ab dem Nachmittag. Mein Pulsoximeter hat bombastische Werte gemessen, eine Sauerstoffsättigung von 90% über die Nacht, was auf der Höhe außergewöhnlich ist. Ich glaube, das war der Moment als ich mich kurzweilig wie ein tibetischer Büffel oder so fühlte (komisch, dass mir das in den Sinn kommt, weil eigentlich war der Schneelepoard mein Spiritanimal), auch wenn ich immer noch keinen Appetit hatte. Ich knabberte mal wieder ein bisschen an dem Brot, dass nun noch trockener war als am Vortag und krabbelte aus dem Zelt.
Der erste Schnee des Winters war gefallen, die kargen Bergspitzen gehüllt in sanftes Weiß und weiche Wolken. Eine Ernsthaftigkeit lag in der Luft, aber sie fühlte sich gnädig an. Ich fühlte mich extrem schwach, ich hatte nun 2,5 Tage nichts gegessen. Aber es gab für mich nur eine Option an diesem Tag. Ich dachte nicht einmal daran umzudrehen oder den Tunnel zu nehmen. Es war einfach keine Option. Wegen dieser Berge, wegen dieser Passstraße, die mir so oft auf den paar wenigen Fotos, die ich in der Reisevorbereitung finden konnte, den Atem geraubt hat, war ich schließlich hier.

Es war das große Highlight und Ziel inmitten der Reise. Es gab nur eine Richtung, und die war vorwärts und dort hoch. Ich hatte in diesem Moment so einen starken Willen. Und es half mir, dass mein Sauerstoffgehalt im Blut so hoch war über Nacht, da es mir Selbstvertrauen gab, dass zumindest die Höhe nicht zu derbe wird und mein Körper noch zu funktionieren scheint. Ich fühlte mich nicht schlecht genug, um es nicht durchzuziehen. Ich wusste einfach, dass ich es schaffe. Und so machte ich mich auf den Weg. Ich habe mir selbst, meinem Körper versprochen, mir so viel Zeit zu lassen, wie ich brauche.

Ich brauchte viel Zeit, ca. fünf Stunden. Aber ich habe jede Sekunde genossen.

Ich brauchte viel Zeit, ca. fünf Stunden. Aber ich habe jede Sekunde genossen. Denn ich war endlich da, wo ich sein wollte. Auf dieser atemberaubenden Passstraße, die in Wirklichkeit noch viel beeindruckender, wahnsinniger und einfach unbeschreiblich ist. Es war wie Mediation. Ich habe sehr schnell trotz weicher Beine meinen Rhythmus gefunden. Habe nur Pausen eingelegt zum Fotografieren, und auch einmal zum Tanzen, vor Freude, weil ich mich so leicht fühlte – vielleicht auch weil ich drei Tage nichts essen konnte. Die Gravel-Straße schlängelt sich sanft am harten kantigen Fels entlang mit einer atemberaubenden Aussicht auf 6.000 m hohe Berge und das Tal, das weit unter mir lag und von dem ich gekommen war. Es war so entschleunigend. Ich war komplett im Moment. Und nach unendlich vielen Serpentinen auf meist feinstem Schotter konnte ich das Ziel sehen, mit dem Wissen, dass ich bei dem Tempo mindestens noch eine Stunde brauchen werde.

Ca. Null Grad…
# Ca. Null Grad…
… auf der Höhe des Cho La Shan Passes, dem Highlight der Reise, auf 5.050 m.
# … auf der Höhe des Cho La Shan Passes, dem Highlight der Reise, auf 5.050 m.

Ich hasse das normalerweise und werde extrem ungeduldig, wenn das Ziel so nah scheint, es aber noch ewig dauert. Nicht in dem Fall. Ich genoss weiterhin die Aussicht, meinen Rhythmus, die Langsamkeit gepaart mit einer leichten Melancholie: Ich werde wahrscheinlich nie wieder hierherkommen. Once in a Lifetime. Ich habe einfach jede weitere Sekunde genossen. Und hinter der letzten leichten Kurve eröffnete sich vor mir ein riesengroßes Tor aus Gebetsfahnen, das mich mit offenen Armen zu empfangen schien.

Ich hatte es geschafft. Ich hatte geschafft, was am Vortag bei all den Widrigkeiten noch unmöglich schien. Ich hatte geschafft, was seit Beginn des Traumes dieser Reise auch eine starke Unsicherheit und Selbstzweifel in mir hervorrief. Ich hatte es geschafft. Ich stand an meinem Sehnsuchtsort. Ich weinte und lachte gleichzeitig und so viele verschiedene Emotionen durchfuhren mich wie ein Blitz. Ich fuhr unter der ersten Reihe Gebetsfahnen hindurch und stand nun inmitten von unzählbar vielen wehenden bunten Fahnen und sank über meinem Lenker zusammen, so erleichtert, so stolz, so glücklich und auch so erschöpft. Es war ein unfassbarer Moment, den ich niemals vergessen werde. Es war kalt geworden um die 0 Grad, ich hatte es auf dem Weg nach oben gar nicht bemerkt. Aber ich musste mir alles anziehen, was ich dabei hatte, auch weil mein Körper keine Energie hatte, um aufzuwärmen.

Ich wollte viel länger bleiben. Der Ort war so magisch für mich und für die Tibeter heilig. Aber kein Ort auf 5.050 über Meereshöhe ist wirklich einladend und ein Platz, wo man sich länger aufhalten sollte.

Ich wollte viel länger bleiben. Der Ort war so magisch für mich und für die Tibeter heilig. Aber kein Ort auf 5.050 über Meereshöhe ist wirklich einladend und ein Platz, wo man sich länger aufhalten sollte. So nahm ich die Abfahrt, eine der schönsten die ich je gefahren bin, voller Leichtigkeit und Glück, empowered von dem perfekten Zusammenspiel von Geist und Körper, befreit von all meinen Selbstzweifeln, in mir ruhend. Es sollte der letzte Tag gewesen sein in diesem Jahr, dass der Pass befahrbar war. Der chinesische Wetterbericht sollte recht behalten und es begann ab Nachmittag heftig zu regnen und es hörte für fünf Tage nicht auf. Die Schneefallgrenze fiel auf 4.000m.

Cho La Shan Pass, China, Sichuan, 5.050 Meter über dem Meeresspiegel.
# Cho La Shan Pass, China, Sichuan, 5.050 Meter über dem Meeresspiegel.

Was war der höchste Punkt auf deiner Reise?
Das war er, der Chola Shan (oder auch Que’Er Shan) Pass auf 5.050 Meter über dem Meeresspiegel.

Wie bist du mit dem Material klargekommen?
War alles perfekt – ich habe mir aber auch monatelang den Kopf zerbrochen 😉 Die größten Fragen drehten sich um die Bikewahl – Gravel oder Hardtail? Zelt und Schlafsack? Das Ghost Asket CF LTD wurde am Ende meine Weapon of Choice. Ein leichtes Gravel-Bike, das auf langen und technischen Strecken perfekt funktioniert, bei dem ich allerdings die Übersetzung angepasst habe an Höhe, Höhenmeter und Gepäck, dank Sram war ich mit einer MTB-Übersetzung mit 30 vorne zu 52 hinten unterwegs. Mit 45 mm breiten Reifen war es für mich, die auf Renn- und Gravel-Bikes zuhause ist, das perfekte Setup für das extrem bergige Terrain, eine gute Mischung aus Gravel, Tarmac und nem kleinen Teil Trail und ausfahrbarem Gelände.

Ein typisches Kloster.
# Ein typisches Kloster.

Meine Idee zum Schlafsystem war die Kombi aus warmem Schlafsack und dafür einem Ultra-Light-Zelt. Ich habe aber eine Woche vor Reisebeginn hier nochmal umdisponiert: Ich hatte einen letzten Testrun am Kaunertaler Gletscher gemacht. Die Nacht war nicht kalt, aber extrem stürmisch. Das Zelt, mit Dreipunkt-Gestänge, ist mir permanent umgekippt. Deshalb hab ich kurzerhand das Zelt getauscht und war dann mit einem anderen Modell unterwegs, bei dem das Gestänge vier Punkte am Boden hat. Das war ein cleverer Move, da ich Nachts sehr oft mit starken Winden und auch heftigen Gewitter konfrontiert war. Das Zelt hielt stand und ich blieb bis auf einmal einigermassen Trocken. Der Daunenschlafsack von Mammut mit einer Komforttemperatur von -3 Grad Celsius war ebenso genau richtig, da es nachts an die Null Grad hatte, am Ende sogar weit darunter. Ich habe nie gefroren.
Auch das Kochequipment war so eine Sache: Gas ist natürlich immer das Go-To-Brennmitel. Aber ich habe bezweifelt, dass ich in dem kleinen Örtchen, in dem ich gestartet bin, eine entsprechende Gaskartusche finde. Und ich sollte recht behalten. Also entschied ich mich für einen Primus Benzinkocher, und Benzin gibt es an jeder Tankstelle zu kaufen.

Auch klamottentechnisch hatte ich alles dabei, was ich brauchte, und nicht ein Teil zu viel. Ich war gewappnet für kalte Temperaturen und auch Regen und es gab Tage, an denen ich alles tragen musste, was ich dabei hatte. Da kam auf jeden Fall einiges zusammen.

Aussicht von der White Pagoda in Ganzi, Sichuan, auf Mt. Kawalori (5.992m).
# Aussicht von der White Pagoda in Ganzi, Sichuan, auf Mt. Kawalori (5.992m).

Wie ist dein Körper klargekommen?
Grundsätzlich sehr gut, mal abgesehen von der Essensvergiftung. Durch die vierwöchige Akklimatisierung zu Hause war ich perfekt auf die Höhe vorbereitet. Das war ultra hart, aber es hat sich gelohnt. Die Höhe war irgendwie das einzige, was keine Probleme bereitet hat auf der Reise, haha. Man bewegt sich halt viel langsamer, was durch das ganze Gepäck natürlich noch verstärkt wird, das war gewöhnungsbedürftig. Dennoch ist es sehr zehrend, sich in solchen Höhen zu bewegen, und der Körper regeneriert nur sehr langsam und schlecht. Ggf. auch einer der Gründe, warum ich mir so eine Derbe Magen-Darm-Infektion eingefangen habe. Ich habe mir auch regelmäßig den Hintern wund gefahren, was mir bis dahin nie passiert ist, und der Heilungsprozess dauerte immer sehr lange. Auch das führe ich auf die Höhe zurück, der Körper ist einfach geschwächt.

Fahren die Leute vor Ort Rad als Transportmittel?
Nein. Ich habe in den drei Wochen einen Radfahrer aus Shanghai getroffen. Dort bewegt man sich hauptsächlich mit dem Moped und vor allem zu Fuß, oder eben im Auto.

Was hat dich an dir selbst überrascht?
Nachdem ich die Startschwierigkeiten überwunden habe, war ich irgendwie total im Moment, alles war im Flow. Selbst, als ich dann dennoch bei heftigstem Gewitter mit Durchfall auf 4.300 m lag und heftige Angst hatte, hatte ich dennoch so eine innere Ruhe in mir, die wohl getrieben war von einem extrem starken Willen und noch nie dagewesenem Selbstvertrauen, dass ich nur dachte: „Das Gewitter werd’ ich überleben, und dann schaff ich’s auch am dritten Tag ohne Essen auf 5.050 m.”

Mein Leben lang begleite ich mich als mein eigener Selbst-Sabboteur.

Mein Leben lang begleite ich mich als mein eigener Selbst-Sabboteur, ich stand mir oft selbst im Wege, weil ich mir weniger zutraue als ich eigentlich kann, weil ich oft klein mache und für nicht gut genug halte – was auch ein ziemlich doofer Teufelskreis sein kann, wenn man da einmal drin hängt. Ein Thema, an dem ich seit Jahren arbeite. In Tibet schien auf einmal alles ineinander zu greifen in diesem elendigen auch nicht ungefährlichen Moment. Ich hatte nie gedacht, dass ich unter diesen widrigen gesundheitlichen Umständen mit dem ganzen Gepäck bei dem Wetter jemals in der Lage gewesen wäre, den Anstieg zu bewältigen und mit dem Rad auf 5.050 Meter hochzufahren. Aber in dem Moment gab es keinen Zweifel. Mein Körper und Geist waren eine Einheit und es gab nur eine Richtung. Bergauf. Damit habe ich nie gerechnet und es war wohl der für mich der Moment meines Lebens, der mir am meisten am Selbstbewusstsein gegeben hat.

Ein Kloster bei Ganzi, Sichuan, mit Gangga Bergmassiv im Hintergrund.
# Ein Kloster bei Ganzi, Sichuan, mit Gangga Bergmassiv im Hintergrund.

Warst du auch mal enttäuscht von dir?
Natürlich war ich traurig, dass ich krank geworden bin. Auch darüber, dass es zuhause Probleme gab, die mich auf der Reise natürlich auch eingeholt haben und mir Kopfschmerzen bereitet haben (im wahrsten Sinne) – aber ich war deshalb nicht enttäuscht mit mir, warum auch? Es gibt Dinge, die man nicht steuern oder beeinflussen kann. Ich war sehr im Reinen mit mir und habe mein Bestes gegeben.

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# tibetan plateau-50
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# tibetan plateau-49

Wärst du gerne länger geblieben?
Total. Auf dem Weg zum Flughafen am Ende der Reise sind mir ein paar Tränen die Wangen runter gekullert, der Abschied ist mir extrem schwergefallen. Obwohl ich in den drei Wochen kein einziges tieferes Gespräch geführt habe, aufgrund der Sprachbarriere, fühlte es sich so an, als würde ich die Menschen, die ich kennenlernen durfte, vermissen. Gäbe es die Möglichkeit, jetzt sofort zurückzukehren und die Reise fortzuführen, ich würde keine Sekunde zögern.

Ich werde aktuell oft gefragt, ob ich mich jetzt leer fühle, nachdem die Reise nun vorbei ist.

Hast du schon was Neues vor?
Ich werde aktuell oft gefragt, ob ich mich jetzt leer fühle, nachdem die Reise nun vorbei ist, und was als nächstes kommt. Natürlich habe ich viele Ideen: Vielleicht wird es ein neues Lebensprojekt zu versuchen, alle 4.000er der Alpen zu besteigen, zehn von 82 hab ich schon. Und ich würde gern irgendwann auf eine richtige Expedition gehen und einen der unzähligen unbestiegenen 6.000er erklimmen, die ich auf der Reise sehen durfte. Nächstes Jahr eventuell ein Bikepacking-Trip nach Georgien durch den Kaukasus, das mich als nächsten Urlaub reizt. Mal ein Overnighter hier, ein Gipfel da. Mehr Klettern und Bergsteigen auf jeden Fall. Doch ich spüre aktuell, seit der Reise, keinen Druck und keine Rastlosigkeit mehr, bin irgendwie total gesettlet. Gerade genieße ich es, zuhause in Garmisch den Winter zu erleben, an meinen Skifahrskills zu arbeiten und mit Chainreaction Bike Convoy for Ukraine Spendengelder zu Sammeln, um humanitäre Hilfe in der Ukraine zu leisten, indem dringend benötigte Rettungswagen beschafft werden können.

Fünf Jahre lang habe ich von diesem Trip nach Tibet geträumt, und ich zehre noch immer von den Erlebnissen, verarbeite sie Stück für Stück. Ich ruhe in mir wie nie zuvor. Aufregende Ideen gibt es viele – es gibt so viel zu entdecken und zu tun – aber sie haben nicht die gleiche Bedeutung. Tibet war nicht einfach eine Reise oder irgendein Projekt. Es war ein Lebenstraum. Und sowas hat man und erfüllt man sich, glaube ich, vor allem gar nicht so oft. Ich bin einfach nur glücklich und dankbar, dass ich mir einmal im Leben diesen einen, riesengroßen wahren Traum erfüllen durfte und die Reise, die nie als spirituelle Reise gedacht war, so passiert ist, wie sie passiert ist und vielleicht ein bisschen eine Reise zu mir selbst wurde.

tibetan plateau-60
# tibetan plateau-60

Strecke auf Komoot

Hier findet ihr die Strecke, die Jule bei ihrer Bikepacking Tour in Tibet gefahren ist auf Komoot: Bikepacking Tibet Strecke.

Packliste

Bike & Ausrüstung

  • Bike: Ghost Asket CF Ltd
  • Besondere Ausstattung: Kombination aus Sram Force AXS mit 30er Kettenblatt und XO Eagle Transmittion Kassette (10-52)
  • Navigation: Gamin Edge 540 Solar
  • Herzfrequenz, Sauerstoffgehalt, Höhe: Garmin Enduro 3
  • Kocher: Primus Multi Fuel
  • Bekleidung: Pas Normal Studios
  • Taschen: Tailfin
  • Zelt: MSR Hubba NX 1 Person
  • Schlafsack: Mammut Women’s Perform Down Bag (Komfort-Temparatur -3 Grad)
  • Isomatte: Thermarest Neoair Xtherm (R-Wert 7.30)
Das Ghost Asket CF Ltd mit komplettem Setup.
# Das Ghost Asket CF Ltd mit komplettem Setup.

Welche Fragen habt ihr vielleicht noch an Jule?

Gespräch: Jan Gathmann / Fotos: Jule Bötel

25 Kommentare

» Alle Kommentare im Forum
  1. Die Reise führte lediglich in das geografische Tibet. In die Verwaltungseinheit Tibet erhalten Ausländer nur schwer eine Genehmigung. Nach dieser Argumentation wäre man auch in Yunnan, Indien oder Nepal bereits in Tibet.
    Lediglich? Genauso ist es doch im Text formuliert.
    Warum wertest Du es ab? In welche entlegene Region muss die Solo-Reise denn gehen damit sie deine Zustimmung findet?
  2. Ich frage mich manchmal warum Leute in diesem Forum überhaupt etwas schreiben - so viel negative Stimmungsmache abseits des Themas.
    Viele sind hauptsächlich zum meckern angemeldet 😅
    Die Reise führte lediglich in das geografische Tibet. In die Verwaltungseinheit Tibet erhalten Ausländer nur schwer eine Genehmigung. Nach dieser Argumentation wäre man auch in Yunnan, Indien oder Nepal bereits in Tibet.
    Bitte erläutern.
    Steht doch alles im Text.
  3. Ich hab mit Jule fürs erste Atlas Mountain Race im Karwendel trainiert. Sie ist tough as nails.
    ^jost von den BASICs

  4. Bitte erläutern.

    Teile von Arunachal Pradesh und Ladakh sowie die nordliche Grenzregion Nepals gehören auch zum tibetischen Hochland. Ebenso der Nordwesten Yunnans und der südliche Teil von Gansu. Der Titel "Bikepacking in Tibet" verspricht viel, liefert aber wenig. Die TAR ist heutzutage das Synonym für Tibet.
  5. so viel negative Stimmungsmache abseits des Themas.
    Darf man schlechte redaktionelle Arbeit, die auch auf die Wertschätzung des Inhalts abfärbt, nicht mehr als Solche würdigen?

    Und dann noch sowas:
    Teil1.PNG

    Teil2.PNG

    Ja was denn nun? Ein bereits zu Beginn defekter Steuersatz ist alles andere als perfekt. 🤔
Was meinst du?

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