Mit dem Punk Gravelbike aus Carbon traf Alutech auf den Craft Bike Days einen Nerv. „Punk“ heißt das Rad auch deshalb, weil die Firma sich getreu dem Namen eigentlich ausschließlich mit Mountainbikes aus Aluminium beschäftigt. Damit prägt man erfolgreich die deutsche MTB-Landschaft. Im Interview erzählt Inhaber und Gründer Jürgen Schlender über die Genese der Firma aus dem Rennradfahren, die Gemeinsamkeiten von Fashion und Bike-Welt und natürlich über das neue Gravelbike. Hier findet ihr vor allem die Rennbügel relevanten Passagen, das ganze Interview lest ihr auf MTB-News!
MTB-News.de: Hey Jürgen! Für diejenigen unter unseren Lesern, die dich (noch) nicht kennen: Erzähl uns doch bitte kurz was zu dir und deinem Werdegang!
Jürgen Schlender: Wie viel Zeit haben wir!? (lacht) Mein Name ist Jürgen Schlender und ich bin der Chef von Alutech Cycles. Die Marke gibt’s seit über 28 Jahren, vor 18 Jahren habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht. Ich bin so eine Berliner Pflanze. Dort bin ich mit Rennrädern groß geworden – mein Vater hat mich am Wochenende gerne mit in den Grunewald geschleppt. Tiefer Boden, Rennrad … ich hab’s gehasst! Ich hätte niemals gedacht, dass Fahrrad fahren mal meine Leidenschaft und mein Lebensinhalt wird.
Wie bist du von Rennrädern zu Mountainbikes gekommen?
Wir sind irgendwann aus Berlin weggezogen, mein Fahrrad wurde geklaut und das Hollandrad von meiner Mutter war irgendwie uncool. All meine Freunde haben sich dann Mofas gekauft. Das fand ich aber auch irgendwie uncool. Stattdessen hab ich mir erst ein Mokick gekauft, dann ein Motorrad – und immer gebastelt! Ich war schon immer so’n Bastelkönig. Mit 12 oder 13 hab ich mit meinem Papa ein Go-Kart gebaut – Viertakter-Motor hinten drauf und damit über die Felder gedonnert, aufm Bauernhof gewohnt, Trekker gefahren, rumgebastelt …
Irgendwann kam dann ein Freund an, der aus Amerika ein Mountainbike mitgebracht hat. Er meinte, das sei der letzte Shit, das heiße Ding. Das musst du haben! Und ich so: Blödsinn! Ein Bergfahrrad!? Als alter Rennrad-Fahrer kannst du dir doch nicht ein Bergfahrrad kaufen, wir wohnen ja nun auch in Schleswig-Holstein! Ich bin dann aber tatsächlich nach Kiel gefahren, hab’s mir angeschaut – und dachte mir so: Nee! Zweirad-affin war ich, aber so ein Mountainbike …
Nicht allzu lang danach kam mein Neffe aus Berlin zu Besuch und der hatte auch ein Mountainbike. Ich bin damit gefahren – eine Woche später hatte ich ein eigenes. Ich habe mich bei allen Radläden in Schleswig-Holstein schlau gemacht. Bei dem mit der besten Beratung habe ich ein Hardtail gekauft. Irgendwann kamen dann Federgabeln und man hat sich entwickelt, musste sich aber auch alles selber beibringen. Es gab damals kein Online, kaum Magazine – bis man überhaupt erst einen Bunny Hop hinbekommen hat … Wir sind dann immer zum Bahnhof gefahren, um uns die amerikanischen Magazine zu kaufen. Es war damals eine ganz andere Basis, eine ganz andere Szene als die, die wir heute haben. Vor allem: Wo bekommst du die Informationen her?
Durch die amerikanischen Magazine inspiriert war es dann irgendwann so, dass ich ein Fully haben wollte. Aber alles, was es am Markt gab, gefiel mir nicht. Und es war auch schweineteuer! Ich dachte, dass ich das besser kann. Als Bastler und Macher habe ich einfach angefahren, ein Aluminium-Fully zu bauen. Damit bin ich zum ersten Bike-Festival an den Gardasee gefahren. Ich musste Interviews geben, Schulterklopfen aus der Industrie, die Leute wollten es kaufen!
Irgendwann kam dann ein Freund an, der aus Amerika ein Mountainbike mitgebracht hat. Er meinte, das sei der letzte Shit, das heiße Ding. Das musst du haben! Und ich so: Blödsinn! Ein Bergfahrrad!?
Wie hast du darauf reagiert?
„Nee, hau ab! Ich hab das Ding nicht kalkuliert, ich will damit kein Geschäft aufbauen.” Ich hab für das Fully vier Wochen gebraucht und wollte kein Geld damit verdienen. Zu der Zeit ungefähr ist Alutech gegründet worden …
… allerdings nicht von dir?
Richtig, Alutech wurde von einem Bielefelder gegründet, als CNC-Zulieferer für die Industrie. Ich habe später die Markenrechte gekauft – 10 Jahre, nachdem ich mein erstes Rad gebaut hatte.
Was ist in diesen 10 Jahren passiert?
Mein selbstgebautes Fahrrad ist irgendwann natürlich kaputt gegangen. Es folgte ein Votec-Hardtail mit ganz viel Federweg vorne, danach bin ich ein Intense-Fanboy geworden. Viele Jahre lang bin ich ein Intense M1 gefahren und hobbymäßig bei Downhill-Rennen an den Start gegangen. Neben meinem Beruf wollte ich gerne mit Fahrradteilen handeln und so kam in meinem Freundeskreis jemand auf mich zu: „Du willst doch gerne was mit Fahrrädern machen – Alutech wird verkauft!” Und ich so: „Ich kauf doch keine ganze Marke!?” Ein halbes Jahr später war ich der neue Besitzer von Alutech.
Hier bei den Craft Bike Days geht es recht stark um das Thema Werkstoffe. Man könnte meinen, dass Alutech nur Produkte aus Aluminium fertigt – inzwischen gibt es aber auch Produkte aus Carbon bei euch. Was hat dich zu dieser Entscheidung bewegt?
Wir heißen Alutech, wir tragen den Werkstoff im Namen – aber das machen wir halt auch gerne. Wir haben schon immer gerne mit Aluminium gebaut. Es ist für uns ein sehr guter Werkstoff, den wir gut umsetzen können, den wir gut beherrschen. Aber irgendwann haben wir bei der Fanes auch einfach gemerkt: Wenn wir den Rahmen stabil hinbekommen und die von uns gewünschte Performance bieten wollen, haben wir ein gewisses Übergewicht. An dem Punkt haben wir entschieden, dass es absolut Sinn macht, am Hinterbau Carbon zu verwenden.
Schauen wir in die Zukunft: Eines deiner Fahrräder, die hier bei den Craft Bike Days für viel Furore sorgt, ist dein Gravelbike, das auf den Namen Alutech Punk hört. Viele Leute sagen Gravelbikes eine rosige Zukunft voraus, andere bezeichnen es als Hype. Was hat dich dazu bewegt, ein ungefedertes Rad fürs schnelle Vorankommen auf der Straße zu machen, das dazu auch noch aus Carbon ist?
Dazu gibt’s eine lustige Vorgeschichte! Sebastian Tegtmeier, der erste Alutech-Teamfahrer und ein Freund von mir, seit ein paar Jahren erfolgreich bei Santa Cruz unterwegs, war für Alutech über viele Jahre der Produkt-Manager. Basti und ich hatten damals die Kinderrad-Marke Supurb gegründet. Als er damals zu mir kam, hat er gesagt „Wir machen nie Rennräder!”. „Ja, nee, machen wir nicht, okay” hab ich gesagt – aber man soll nie nie sagen. Kaum war er weg, hab ich ein Gravelbike gemacht! Das ist jetzt die Kurzform, die so auch nicht stimmt. Aber so ähnlich! (lacht)
Ich hatte ein uraltes Cannondale-Rennrad und bin damit früher auch schon Gravel gefahren …
… bevor es den Begriff überhaupt gab …
… und war mit Full Face-Helm und Panzer am Gardasee unterwegs. Die Leute haben mich für verrückt erklärt! Das war manchmal so meine Challenge. Ich hatte einfach Bock drauf. Ich bin früher auch unheimlich viel gejoggt, unter anderem in den Bergen, berghoch und vollgas bergab – bevor die Leute überhaupt auf die Berge gelaufen sind. Ich weiß nicht, warum mich manchmal sowas juckt und „Jahrzehnte” später ist es dann auf einmal ein Volkssport.
Gut, zurück zum Gravelbike. Ja, wir sind Alutech. Und ja, wir haben sogar überlegt, ob wir unter Alutech ein Custom-Gravelbike anbieten – aber das hätte die ganze Firmengröße gesprengt und wäre viel zu beratungsintensiv gewesen. Wir haben mit Carbon aber über viele Jahre Erfahrungen gesammelt. Man kann die Firma freundlicherweise auch nennen: THM-Carbones von Thomas Mertin, die kommen auch bei uns aus dem Norden aus unmittelbarer Nachbarschaft. Die Clavicula-Kurbel ist ein Begriff in der Szene, THM hat die leichtesten Rennrad-Gabeln gebaut, die sind immer wahnsinnig innovativ gewesen – die haben uns geholfen in der Entwicklung. Wir haben nicht gedacht „Wir können Aluminium, wir sind die Geilsten, wir können jetzt Carbon!” – bei mir war es immer so, dass ich mir die Fachleute geholt habe, wenn es der Geldbeutel zugelassen hat. Ich kann nicht nicht von heute auf morgen sagen, dass ich eine Rakete baue und damit zum Mond fliege. Die würde wahrscheinlich nicht mal starten – und wenn sie doch startet, dann explodiert sie direkt.
Also: Kann ich nicht bauen – also holt man sich die Leute. THM-Carbones ist eine mega Referenz und sie haben super geholfen. Beim Gravelbike war für uns einfach ganz schnell klar: Wenn wir so ein Ding machen, dann muss es Carbon werden.
Welche Gründe haben dafür gesprochen, das Gravelbike aus dem Werkstoff Carbon zu machen?
Drei Gründe: Formsprache, Gewicht und Preislevel. Bei der Fanes (dem Fully der Marke, Anmerkung der Redaktion) hatten wir beispielsweise ziemlich hohe Entwicklungskosten. Die genaue Zahl brauchst du jetzt nicht schreiben … aber wir sind Alutech. Specialized würde über sowas lachen. Bei denen durfte ich vor einigen Jahren mal in die Testkammer – da hingen 20, ach was, 50 kaputte Demo-Rahmen, die sie gefoltert hatten. „Uff, so viele Downhill-Rahmen würde ich gerne in einem Jahr verkaufen, wie ihr gerade kaputt gemacht habt!” dachte ich mir damals. Das ist natürlich eine andere Dimension. Da stecken sechsstellige Beträge allein in den Schmiedeteilen. Da komme ich ja nie in meinem Leben mit Alutech hin … wobei: ansatzweise doch. Aber eben in einer anderen Dimension. Wenn ich den Punk-Rahmen aus Aluminium gemacht hätte, dann hätte ich das investierte Geld niemals zurückbekommen.
Hier kommen wir wieder zu der bereits erwähnten und möglicherweise überholten Annahme, dass die Fertigung von Carbonrahmen per se teurer ist als die von Aluminium …
Es ist so: Wenn man einen klassischen Rahmen nimmt mit geraden, konifizierten Rundrohren: Die kriegst du relativ günstig gekauft. Diesen Rahmen kannst du auch leicht, stabil und zu vernünftigen Einkaufspreisen herstellen lassen. Es liegt dann an der Marke, wie teuer sie es verkauft – da gibt’s einige, die ein sehr gutes und leichtes Produkt haben.
Das Gleiche jetzt aber mit einem Design zu versehen, wo beispielsweise Hydroforming reinkommt … du brauchst es ja eigentlich nicht. Du brauchst die Fanes nicht so, wie sie in der aktuellen Generation gebaut ist – auch das Urmodell mit geraden Rohren hat funktioniert. Wenn wir das auf den Stand von heute setzen, würde es wohl genauso funktionieren, wäre womöglich sogar noch etwas leichter und deutlich, deutlich günstiger in der ganzen Entwicklung gewesen. Aber: Es ist Fashion!
Hydroforming bedeutet nicht, dass man ein Rohr in eine Maschine steckt, auf einen Knopf drückt, Öl reingepumpt wird und es dann in Form gepresst wird. Für diesen Umformungsprozess benötigt es zwischen fünf und manchmal 15 verschiedenen Werkzeugen, bis das Rohr die endgültige Form hat. So ein Werkzeug kostet ein Schweinegeld – und ein Rahmen hat ein Steuerrohr, ein Oberrohr, ein Sitzrohr, blablabla … Du hast du ganz schnell Werkzeugkosten im sehr hohen fünfstelligen Bereich. Dafür kannst du dir heutzutage schon eine Carbon-Form bauen lassen für zwei oder drei Modelle. Beim Carbon brauchst du ein Werkzeug, wo die ganzen Layer reingelegt werden. Würdest du für Carbon auch fünf oder zehn Werkzeuge brauchen, dann hättest du hier natürlich auch ganz andere Kosten.
Mit dem Gravelbike begibst du dich mit deiner Firma auf neue Pfade. Wo geht die aktuelle Entwicklung in der Mountainbike-Branche aus deiner Sicht insgesamt hin?
Es wäre natürlich cool, wenn du oder ich in die Kristallkugel gucken könnten! Wo die Reise hingeht, ist immer schwierig zu sagen. Aber egal, wo du hinschaust: Alle reden von E-Mobilität, E-Mountainbikes, E-Enduro.
Für mich ist ganz klar: Gerade wir als kleiner Nischenhersteller werden weiterhin Mountainbikes bauen und verkaufen. Es wird nicht alles nur auf E-Bike springen. Mir macht beides megaviel Spaß, gerade in Kombination – das ist so für mich die Zukunft.
In der Industrie fängt es gerade ein bisschen an, dass dieser Performance-Gedanke auch im E-Bereich Fuß fasst. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir das von den Komponenten-Herstellern – auf die ich ja keinen Einfluss habe, weil ich ein kleiner Hersteller bin – gerne wünschen. Ich möchte Performance-mäßig unterwegs sein. Und ich glaube, dass auch ein Großteil meiner Kunden das gerne möchte.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Die MTB-News Craft Bike Days powered by DT Swiss feierten in diesem Jahr im nordrhein-westfälischen Münsterland Premiere. Ziel ist es, kleinen Herstellern ein Forum zu bieten, die dank ihrer Innovationskraft trotz geringer Größe immer wieder auf sich aufmerksam machen und dafür ein hohes Ansehen in der Fahrradbranche genießen. Diskussionen und Workshops zu Themen wie Werkstoffwahl, Vertriebsansätze kleinerer Marken oder Laufradbau stehen während der zweitägigen Veranstaltung im Fokus – und natürlich Bikes, Bikes Bikes! Hier erfahrt ihr mehr über die Craft Bike Days.
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