Auf ein Wort mit Kocmo
Eine persönliche Anekdote vorab über Kocmo: Als ich vor deutlich mehr als einem Jahrzehnt nach einem gebrauchten Cyclocross-Rahmen suchte, war das Angebot in Deutschland, sagen wir: übersichtlich. Gravelbikes? Wabernd im Kosmos der Möglichkeiten. Vielleicht von Tomac als MTB mit Rennlenker vorgedacht, aber als schnelle Maschine für den Cyclocross- und Kuriereinsatz? Noch eine Randerscheinung. Echte, leichte Rennräder mit mehr Reifenfreiheit waren für kleines Geld mit runden Rohren, vernünftig gebraucht nur schwer zu bekommen. Die Wege führten dann in die Niederlande, wo immer mal wieder Stahlrahmen mit Cross-Geo und Cantilever-Bremse zu finden waren (remember Empella?). Aber mein Traum zu der Zeit war ein Kocmo-Cyclocross-Rad. Titan schien mir sowohl für das Kurierfahren mit dem Streusalz im Winter, dem ständigen Schlosskontakt am Rahmen, dem Anlehnen an Wände als auch für die typischen Cyclocross-Bedingungen die robusteste und leichteste Lösung. Und Kocmo war einer der wenigen Hersteller, der bekannt dafür war, so etwas zu bauen und dabei halbwegs bezahlbar zu sein (wenn auch nicht für mich, und gebraucht war nichts zu finden). Mein Interesse erwachte erneut, als, ebenfalls ziemlich vor der Zeit, ein Titan-Cyclocrosser von Kocmo mit Disc-Bremse in einem Magazin-Test auftauchte.
Die Geschichte sagt etwas über mich, etwas über die Vorteile von Titan und etwas mehr über Kocmo aus. Kocmo baut nur Titan-Räder. Und: „Es gibt manches, was als Trend neu erscheint, bei dem wir rückblickend erkennen können, ‚Mensch, das haben wir ja schon gemacht'“, sagt André Pfeil ganz ohne geschwollene Brust, mehr so, als blicke er darauf selbst immer noch mit etwas Erstaunen. Denn der Grund für die Trendweisheit liegt nicht nur bei Kocmo, sondern auch und vor allem bei den Kunden. Sie denken sich ihre Traum-Fahrräder aus. Kocmo baut sie gemeinsam mit den Kunden. Man lehnt auch mal Unmögliches und Unvorteilhaftes ab, aber im Kern bleibt man Maßrahmenbauer, Wunsch-Erfüller. Das vielbeschworene Schwarmwissen schlägt sich dann in einem größeren Spektrum von Fahrrädern nieder.
Insbesondere Rennräder, vom Zeitfahrrad bis zum Randonneur mit Pinion-Rahmengetriebe, aber auch Mountainbikes und Trekkingräder bevölkern den Kocmo Custom-Channel, der die Möglichkeiten exemplarisch festhält. Das firmeneigene Archiv gibt noch weit mehr her, beteuert André Pfeil.
Wir reden in der Regel mit den Leuten
Große Teile des Modellspektrums entfallen auf Rennräder, wobei besonders die vielseitigen Varianten stark vetreten sind: All-Road-Bikes mit Disc, Randonneure mit einer Unzahl an Befestigungsösen, Cyclocrosser mit Wettkampfgenen und dennoch mit Ösen für den Alltag, aber auch das klassische Rennrad mit Schaftvorbau und Felgenbremse sind zu finden. „Wir wollen den Kunden die Möglichkeit geben, sich auszutoben“, sagt Pfeil. Auch Räder von der Stange gibt es bei Kocmo. Aber der Schritt zur Custom-Variante ist so klein, dass die meisten ihn machen. „Wir nehmen 300 Euro pauschal, das ist das, wo die Leute sagen: ‚cool'“, erklärt Pfeil. Vor der Bestellung steht sowieso die Beratung. Pfeil: „Wir reden in der Regel mit den Leuten. Die Kunden bestellen am Ende ein Rad, das 4.000 Euro bis 12.000 Euro kostet, da will man sicher sein, dass alles passt.“
Damit es körperlich passt, setzt Kocmo auf die Zusammenarbeit mit Bikefittern. Pfeil: „Wir vertrauen beim Bikefitting auf Kollegen, die Spezialisten in dem Bereich sind und Profisportler sowie auch ambitionierte Freizeitfahrer betreuen. Es ist besser für den Kunden, wenn jemand ganz viele verschiedene Sportler vermisst, der Erfahrungsschatz mit verschiedenen Proportionen und Sitzhaltungen ist einfach viel größer. Fast jeder sagt hinterher, dass es eine gute Investition war. Wir können uns zu 98 % sicher sein, dass es passt.“
Möglich macht die Individualität bei der Rahmengestaltung auch eine über Jahrzehnte gewachsene Verbindung zu Russland als Produktionsstandort. Dort, genauer gesagt in Novgorod, fand Kocmo bei der Firmengründung 1994 das nötige Know-how in der Titanverarbeitung und die Ressourcen vor. Der Besitzer der heutigen Rahmenfertigung ist ein ehemaliger U-Boot-Ingenieur und selbst Rennradfahrer. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die ersten Colnago Bi-Titanio-Rahmen aus der Kocmo-Produktion stammten.
Der direkte Draht zum Titanfertigungsspezialisten in Novgorod spielt eine große Rolle. „Es gibt nicht viele Titanrohr-Produzenten, der Lieferant für Kocmo ist der gleiche wie für Boeing, genommen werden auch Spezialrohre, da kostet das Kilo 500 Dollar“, gibt André Pfeil einen Einblick. Kocmo nutzt die Fertigungskenntnisse nicht nur für Rahmen und Gabeln. Auch Vorbauten, Lenker, Sattelstützen, Sattelklemmen oder sogar ein Pumpenhalter aus dem schwierig zu verarbeitenden Material können an die eigenen Räder gebaut werden – und natürlich das Steuerrohremblem aus Titan. In Sachen Verarbeitung ist ebenfalls vieles möglich: Das Spektrum reicht von polierten Emblemen und Schriftzügen bis hin zu farbigen Titaneloxierungen. Und „das nächste Projekt, ein H-Bar-Lenker fürs Bikepacking, ist schon in der Pipeline“, so Pfeil.
Noch eine Spezialität: Reparaturen von Titanrahmen. Viele wüssten nicht, wie gut sich Titan auch nachträglich noch bearbeiten lässt, meint André Pfeil. Sogar Beulen im Rohr ließen sich noch rausziehen. Apropos Reparaturen: Kocmo gewährt 10 Jahre Garantie auf die Rahmen, die übrigens am Firmensitz in Stahnsdorf bei Berlin zu den individuellen Rädern montiert werden.
Kocmo Daytona-X im Portrait
Kocmo besitzt viel Erfahrung mit geländegängigen Rennrädern. Trotzdem ließen sich die Berliner für ihr erstes dezidiertes Gravelbike etwas mehr Zeit – wohl weil Disc-Rennräder mit erhöhter Reifenfreiheit und Ösen nach Wunsch eben schon länger im Programm waren. Am Daytona-X Titan-Gravelbike erreicht die Vielseitigkeit bei der Reifen- und Antriebswahl eine neue Größenordnung. Jede Menge Ösen sind selbstverständlich, am Unterrohr sind 3 Ösenpaare montiert. Die Kocmo-Carbon-Gabel gibt es auf Wunsch im Konfigurator ohne Aufpreis mit innenliegener Führung für das Lichtkabel und Anything-Cage-Ösen. Ösen für Gepäckträger und Schutzbleche sind ebenfalls vorhanden.
Das Daytona-X ist das, was anderswo gerne Adventure-Gravelbike getauft wird. So laufen in dem Titanrahmen Reifen bis 47 mm Breite in 700c mit genügend Freiheit – für den Einsatz auf matschigen Wegen empfiehlt Kocmo aber die Größe 42-622. Wer überwiegend lange Fahrten über unbefestigte Strecken im Visier hat, wird mit 650b-Laufrädern liebäugeln. In dieser Größe können Reifen bis 54 mm oder 2,1 Zoll gefahren werden. Trotz großer Reifenfreiheit erlaubt das Kocmo Daytona-X dabei die Montage einer 2-fach-Kettenrad-Garnitur, auch eine Road-Kompaktkurbel passt. So kann Kocmo Wahlfreiheit bei den Schalt- und Antriebsgruppen lassen. Ab Werk gibt es alle drei großen Schaltungs-Hersteller in Basiskonfigurationen.
Ausstattung
- Shimano GRX 600 1×11 mit Fulcrum Racing 7 Disc-Laufrädern: 4.040 €
- SRAM Rival 1×11 mit Fulcrum Racing 7 Disc-Laufrädern: 4.230 €
- Campagnolo Chorus 2×12 mit Fulcrum Racing 7 Disc-Laufrädern: 4.870 €
- Mehr Infos www.kocmo.de
Dazu können die Kunden dann je nach eigenen Einsatzschwerpunkten wählen. Unter Langlebigkeits-Aspekten – auch optisch – erscheint etwa das Titan-Paket mit Sattelstütze und Vorbau aus Titan sowie Ritchey WCS-Lenker für 450 Euro als eine interessante Option. Sie war am ausgestellten Daytona-X auf den Craft Bikes Days 2019 auch „gezogen“. Ein Vorteil in Sachen Wartungsarmut dürfte auch der T47-Tretlagerstandard sein, den Kocmo an dem Gravelbike in der laufenden Produktion einführen will – der gezeigte Rahmen hat PF-30-Standard.
Bei der Oberflächenbehandlung des korrosionsbeständigen Rahmens haben die Kunden ebenfalls die Wahl. Das Show-Bike kam in der Variante Honey-Comb/GBB (Glas-Ball-Burnished – zu deutsch: glasperlengestrahlt) mit Wabenmuster sowie orangefarbener Folierung und passenden Komponenten. Wer es lieber puristisch mag, kann den Rahmen auch nur mit dem Headbadge aus Titan bekommen. Die leichten und teuren DT Swiss ERC 1.100-Laufräder am Show-Bike sind noch nicht im Konfigurator aufgeführt, sind aber laut André Pfeil zu haben. Sie passen mit ihrer mittleren Maulweite von 19 mm eher zu einem sportlicheren Set-up des Daytona-X, das den Spielraum bei der Reifenbreite nicht ganz ausschöpft – etwa mit den WTB Riddler-Reifen in 700x37c, die bereits in der Basiskonfiguration dabei sind.
Geometrie Kocmo Daytona-X
Rahmengröße | XS | S | M | M/L | L |
---|---|---|---|---|---|
Sitzrohrlänge mm | 480 | 510 | 540 | 570 | 600 |
Oberrohrlänge mm | 509 | 519 | 539 | 551 | 575 |
Steuerrohr mm | 110 | 110 | 133 | 167 | 200 |
Sitzwinkel Grad | 75 | 75 | 74 | 73.5 | 73.5 |
Lenkwinkel Grad | 70.8 | 71.5 | 72 | 72 | 72.3 |
Kettenstrebe mm | 435 | 435 | 435 | 435 | 435 |
Tretlager-Absenkung | 70 | 70 | 70 | 68 | 65 |
Gabelvorbiegung mm | 50 | 50 | 50 | 50 | 50 |
Radstand mm | 1008 | 1012 | 1018 | 1025 | 1050 |
Stack mm | 535 | 538 | 562 | 590 | 621 |
Reach mm | 363 | 374 | 377 | 376 | 390 |
Stack to Reach | 1,48 | 1,44 | 1,49 | 1,56 | 1,59 |
Kocmo kann es sich leisten, dem Gravelbike Daytona-X eine vergleichsweise beruhigte Geometrie mit auf den Weg ins Gelände zu geben – für kurvenhungrige Geländefahrer hat man andere Rahmenbasen im Programm. So kommt das Daytona-X mit einem flachen Lenkwinkel und einer Gabel mit recht viel Vorbiegung für ruhiges Fahrverhalten auf Abfahrten. Auch die Kettenstreben fallen lang aus (435 mm in allen Rahmengrößen), was beim Klettern auf losem Untergrund helfen dürfte und ebenfalls das Fahrverhalten Richtung Geradeauslauf optimiert. Mit 5 Größen ist man nicht besonders breit aufgestellt, vor allem für ganz große Fahrer fehlt ein passender Werksrahmen, aber es gibt ja die Maßanfertigungspauschale. Die Sitzposition fällt nicht extrem Endurance-road-mäßig aus, zumindest in den kleinen Rahmenhöhen bis M legen die STR-Werte noch eine gemäßigt sportliche Positionierung nahe.
Über die Craft Bike Days
Die MTB-News Craft Bike Days powered by DT Swiss feierten in diesem Jahr im nordrhein-westfälischen Münsterland Premiere. Ziel ist es, kleinen Herstellern ein Forum zu bieten, die dank ihrer Innovationskraft trotz geringer Größe immer wieder auf sich aufmerksam machen und dafür ein hohes Ansehen in der Fahrradbranche genießen. Diskussionen und Workshops zu Themen wie Werkstoffwahl, Vertriebsansätze kleinerer Marken oder Laufradbau stehen während der zweitägigen Veranstaltung im Fokus – und natürlich Bikes, Bikes Bikes! Hier erfahrt ihr mehr über die Craft Bike Days.
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Noch mehr Berichte von den Craft Bike Days 2019 findet ihr auf Rennrad-News hier:
- Craft Bike Days: Kocmo Daytona-X Titan Gravelbike
- Craft Bike Days 2019: „Es ist Fashion!” – Alutech-Chef Jürgen Schlender im Interview
- Craft Bike Days 2019: Veloheld IconX und Icon Disc – Wahl in Stahl
- Craft Bike Days 2019: Falkenjagd Aristos RS Disc Titan-Allroader
- Craft Bike Days 2019: Standert mit Pfadfinder und Triebwerk
- Craft Bike Days 2019: Premiere der Plattform für kleine und feine Bikeschmieden
7 Kommentare
» Alle Kommentare im Forum10 Jahre Garantie
Das muss die vielbesungene ewige Haltbarkeit sein
Wow, sehr schöne Räder. Schlichtes und zeitloses Design.
Wo kommen die Rahmen eigentlich jetzt her, bzw. die Rohre. Glaube Russland ist wohl nicht mehr so einfach
Das wäre natürlich ein toller Plan die Sanktionen gegen Russland zu umgehen. Die wirtschaftlichen Folgen für das betreffende Unternehmen wären desaströs. Und selbst bei hoher krimineller Energie ist es nicht so leicht sanktionierte Waren einzuführen.
Ich gehe mal davon aus, dass die Titanrohre sanktioniert sind. Von daher macht es viel mehr Sinn die Rohrsätze aus anderen Ländern zu beziehen. Zumal "Made in Russia" wohl nur noch bei einer Minderheit in Ostdeutschland zieht. Und wenn ich mir diese Demos ansehe, sieht das jetzt nicht nach einer geeigneten Zielgruppe aus.
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