Rennrad-News

Die E-Bikes der IAA Mobility 2023
Mit Auspuff oder ohne Kette?

In München ist die IAA Mobility zu Ende gegangen – die „größte Mobilitätsmesse der Welt“. Beim Münchner IAA-Auftakt vor zwei Jahren haben tatsächlich auch einige Fahrradhersteller den Weg aufs Messgelände gefunden, zusätzlich zu den Testmöglichkeiten auf den „Open Spaces“ in der Innenstadt. Und beim zweiten Besuch, 2023?
Stefanus Bosch, MTB-News-Redakteur und Ingenieur bei der BMW Group im Bereich Additive Manufacturing war vor Ort und berichtet hier unterhaltsam und mit einer ordentlichen Prise Meinung gewürzt über die Bike-High- und Lowlights seines Besuchs.

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Streifzug über die IAA Mobility 2023

Schon in der U-Bahn auf dem Weg in Richtung Messestadt fällt auf: Sie ist – für Messebetrieb – ungewöhnlich leer. Beim Aussteigen bestätigt sich das Bild: Bei bestem Wetter laufen hier fast mehr Polizisten als Mobilitäts-Interessierte durch den September. Auch das auffällige Polizeiaufgebot hatte Protestaktionen nicht vermeiden können; den Vorwurf, zu viel Auto und zu wenig Mobilität eine Bühne zu bieten, musste sich die IAA Mobility auch 2023 viel anhören; trotz Vorträgen zur Stadt der Zukunft und Mobilitäts-Alternativen und eines Konzepts, das vorsah, die Micromobilität unter die Autos mischen und ihr eine ebenbürtige Bühne bieten zu wollen. Nachzhören im Podcast mit Stefan Fischer, Key Account Manager Cycling & Micromobility bei der IAA. (Anm. d. Red.)

Nach dem Passieren der Drehkreuze fällt das erste Ausstellungsobjekt ins Auge: Ein Supersportwagen, Maßstab 1:2, hergestellt aus und ausgestellt von LEGO, die Dänen präsentierten ihre Mobilitäts-Spielsachen im Foyer. In den Hallen selbst: Viel Platz, wenige Aussteller; auch aus der Automobilindustrie. Und Fahrräder? Fand sich vor zwei Jahren noch eine ganze Halle für elektrifizierte und Muskelkraft-betriebene Zweiräder jeden Einsatzzwecks, war das Zweiradaufgebot dieses Jahr verteilt, auf alle Hallen und den Hofgarten vorzufinden. Etwas in die Ecke verbannt wirkten die vertretenen Radhersteller in Halle 3. Die letzte von nur sechs verwendeten Hallen. Dazu muss aber auch gesagt werden: Das Messegelände soll sich dieses Jahr an ein B2B-Publikum richten, entsprechend abweisend wirken die dreistelligen Preise für ein Messeticket. In der Innenstadt dagegen gab es gratis Stände, die sich größerer Beliebtheit erfreuten.

Aber zurück in die Münchner Messestadt: Auch auf wenig Platz können sich interessante Räder finden. Offen gesagt lag der Fokus eher am oberen Ende des 2- oder gar 3-Rad-Spektrums, E-Bikes gab es, Lastenräder und andere Auto-Alternativen noch dazu; sportliche Fahrräder dagegen waren quasi nicht vorzufinden. Besonders ins Auge gestochen sind mir darunter die folgenden Bikes:

Mocci – Kettenlos in die Zukunft

Ein absoluter „Top-Innovator“ will Mocci sein, man bezeichnet sich sogar als das „erste smarte Lasten-Pedelec der Welt“. Nachhaltig soll es auch noch sein. Konkret umgesetzt wir das so: Alles, was nur irgendwie geht, wird durch Spritzguss hergestellt und ist deshalb notwendigerweise aus Kunststoff; glasfaserverstärkt. So soll das Rad am Ende seines Lebens einfach geshreddert und recycelt werden können. Räder, Rahmen, Sattelstütze, Ständer, Gepäckträger: Alles Plastik. Das dürfte primär bei großen Stückzahlen gut für den Preis sein, zahlt aber laut Hersteller auf einen geringen CO2-Abdruck und eine lokale Produktion ein. Langlebigkeit, Steifigkeit und Gewicht wage ich jetzt einfach mal anzuzweifeln (das Gewicht von 35 kg gibt mir hier zudem ein handfestes Argument).

# Optisch und faktisch ist das Mocci E-Bike ein ganz schöner Brummer
Diashow: Die E-Bikes der IAA Mobility 2023: Von innovativ bis völlig abgefahren
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# Im fetten Steuerrohr findet sich der wechselbare Akku
# Recyclingfähigkeit und Vernetzung sollen für das Bike sprechen. - Ich sehe es offen gesagt nicht.

Alles, was insbesondere im Gewerbebetrieb kaputtgeht, soll am Mocci ersetzt worden sein: Die Speichen (naja, so viele Probleme machen die an Leihrädern ehrlicherweise nicht), und insbesondere der Antriebsstrang (der schon eher!). An seiner statt treten wir auf dem Mocci einfach in einen Generator, erzeugen damit ein wenig Strom, und kombiniert mit dem Akku geht die Fahrt los. Die Software soll eine Art Automatik-Gangschaltung imitieren. Bei der Probefahrt erwies sich der von Schaeffler mit-entwickelte Antrieb als das un-intuitivste und seltsamste, was ich je durch Pedale bewegt habe. Die „digitale Kette“, wie Mocci seinen Antrieb nennt, mag funktionieren – Freude am Treten macht sie nicht; selbst ein Ergometer tritt sich authentischer. Für mehr Stauraum bietet Mocci übrigens noch einen Anhänger an, was insbesondere Lieferdienste ansprechen dürfte. Allen anderen, die das Rad auch aus Fahrfreude bewegen, wird das Mocci kaum gefallen.

# Riesige Spritzgussteile werden miteinander verschraubt, Metall und Gummi nur sparsam eingesetzt
# Selbst die Sattelstütze ist Kunststoff-Spritzguss

Avnson – Das Falt-Lastenrad

Der Hersteller mit dem unaussprechlichen Namen zeigte sein faltbares Lastenrad, das Urbanox. Die Größe von „Long Johns“ ist zugegebenermaßen je nach Lebenssituation ein Problem. Ist Klappen die Lösung dafür? Offen gesagt bezweifle ich das, denn das Falten ist zu zeitaufwendig und nicht mit einem normalen Klapprad vergleichbar; man wird das Teil also nicht klappen, um es in den kleinen Flur zu schieben oder dergleichen. Lenker drehen, Sattel versenken, Pedale klappen, Rahmen falten; streng genommen sind das die gleichen Schritte wie an jedem Faltrad. Durch die Dimensionen werden das aber dennoch nur kräftige Menschen tun, und auch nur dann, wenn nötig. Die vom Hersteller versprochenen 30 Sekunden für den Faltvorgang dürften in der Praxis so wenig zu erreichen sein wie der Weltrekord von 4 Sekunden, um ein Bropmton zu falten…

# Ein ganz normales Lastenrad mit kompakten Rädern und großer Ladefläche
# Shimano Steps Motor und Riemenantrieb, dazu eine Nabenschaltung - macht alles nicht ganz leicht
# Die Plattform kann relativ schnell breit ausgeklappt werden

Immerhin kann das Rad anschließend sowohl auf den zwei Transportrollen als auch auf den Kopf gestellt auf seinen Rädern geschoben werden. Tatsächlich passt das Rad dann in den Zug oder auf den Fahrradträger; und vielleicht ist ja genau das die Zielgruppe: Alle, die ein Lastenrad auch mit an andere Orte transportieren wollen; sei es in Urlaub oder zu den Großeltern…

# Mit einigen Handgriffen halbiert sich die Länge des Bikes und es rollt auf den Hilfsrädern
# Der Faltmechanismus im Detail

 

Wie fährt das Avnson Urbanox? Ziemlich wacklig, was an der fehlenden Übersetzung der Seilzuglenkung liegt. Hier arbeitet der Hersteller aber noch an einer Lösung, damit die benötigten Lenkeinschläge kleiner werden. Immerhin ist der maximale Lenkeinschlag großzügig und auch die Transportplattform relativ schnell zu falten, wodurch es durchaus seine Nischen finden wird. Das Urbanox Elektrik mit Shimano Antrieb und Riemen wird ab 5.999 € angeboten. Ich persönlich würde mir, bei begrenztem Platz, aber wohl doch eher ein Kompakt-Lastenrad kaufen; hätte dann aber natürlich weniger Laderaum zur Verfügung…

# Mit einiger Kraft lässt sich das Lastenrad so im Auto oder Zug transportieren
# An der Seilzuglenkung wir noch gearbeitet, bisher fährt sie sich sehr nervös

Black Iron Horse – Traditionshersteller fährt neue (gerade) Wege

Nein, die skandinavische Marke hat nichts mit Ironhorse Bikes zu tun, auf denen Sam Hill im Weltcup unterwegs war. Die Dänen boten in München sein neues Modell Ibex zur Probefahrt an. Es ist ein Dreirad mit kompakten Abmessungen und E-Antrieb. Die geräumige Transportwanne ist schön stabil, alles dezent schwarz lackiert, und auch das Gewicht ging gefühlt in Ordnung. Einziger Haken: Der Wendekreis ist unterirdisch, denn die beiden Vorderräder können neben der Wanne kaum einschlagen. Das Problem kennen die bisherigen Modelle der Dänen nicht; denn sie hatten einfach eine Hinterradlenkung. Rangieren, aber auch enge Abzweigungen werden mit dem Ibex also zur Geduldprobe. Gut möglich, dass die Radwege Kopenhagens hier viel verzeihen; für mich persönlich wäre der mangelnde Lenkeinschlag ein Ausschlusskriterium.

# Kompaktes, schwarzes Lastenrad gesucht?
# Die Kunststoffwanne ist sehr solide und trägt stolz das Firmenlogo
# Bisher setzte der Hersteller auf Hinterradlenkungen, was sicher zu einem besseren Wendekreis führt

Desiknio – Das Desikn-E-Bike

„Premium lightweight electric bikes“ verspricht der spanische Hersteller – am Stand gibt es dann tatsächlich sehr dezente E-Bikes, die ihre Unterstützung bestmöglich verstecken. Gut gefallen hat mir das X20 Pinion, das durchaus an den maximal reduzierten Charme manches nicht-elektrifizierten Stadtrads heranreicht: Im Hinterrad surrt der Mahle Motor, im Tretlager wechselt ein Pinion Getriebe zwischen 9 Gängen; dazwischen der Gates Zahnriemen. Erhältlich ist das Bike mit Flatbar, mit und ohne Schutzbleche, sowie als Gravelversion mit Dropbar. Das Gewicht startet bei 13,5 kg und die Preise bei knapp unter 6.000 € – eine Region in der ein Akku durchaus größer als 250 Wh sein dürfte; auch wenn er mit optionalem, externem Zusatzakku auf 500 Wh erweitert werden kann.

# Stilsicher kommt dieser Spanier daher
# Die Bikes waren alle so schlank, dass man schon mal den Überblick verlieren kann, wer hier elektrifiziert ist

Stromer – S-Pedelecs für Speed-Freaks

Bei Stromer gibt es bekanntermaßen schon länger S-Pedelecs, die den Weg zur Arbeit beschleunigen sollen. Die Bikes machen grundsätzlich einen sehr sinnigen Eindruck: Mit Pinion Getriebe, soliden Reifen, sehr soliden Schutzblechen und bis zu 940 Wh Batterien kann man sich die Sache mit der Langstrecken-Pendelei gut vorstellen. Konsequent setzt man auf den Antrieb schonenden Radnabenantrieb und sehr organische Formen. Für mich persönlich aber wenig sexy: Das Bike in Kollaboration mit Red Bull Allinghi, bei dem optisch einiges nicht passt – und der Preis von 13.995 € staunend zurücklässt. Ohne hier die Autohersteller zu sehr zu loben: Für weniger Geld gibt es zwei Hallen weiter, bei Opel gleich zwei Rocks E! Wem das nichts sagt: Ein 2,41 m kleines Fahrzeug, das zwar auch nur 45 km/h fährt, dafür aber eine Karosserie und 5,5 kWh Batterie mitbringt. Die zwei Fahrzeugkonzepte sind grundsätzlich verschieden, aber in Sachen Preis wirft das Stromer dann doch mehr Fragen auf.

# Wuchtig, aber schlüssig steht das Stromer da
# Ja, hier stecken Carbon und ABS drin - die Preise sind dennoch abgehoben
# Echtmetall-Schutzbleche und fette Pirelli für Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten
# Diese Kollaboration mit Red Bull Allinghi sagt wohl etwas über den Durchschnittskunden

Kuriositäten-Galerie IAA Mobility 2023

Zwischen den erwähnten Rädern fanden sich auch diverse Kuriositäten, die wir euch nicht vorenthalten möchten … viel Spaß!

# Bei der Bundeswehr Universität München stand dieser Jet für die Straße
# Beim Blick ins Cockpit wird klar, dass hier Mobilität keine Rolle spielt
# Das Fahrrad ist zu leise für die IAA - also muss eine Auspuffbox dran
# Da fragt man sich gleich mehrmals - und findet keine Antwort
# Black Tea Motorbikes aus München kombiniert Cafe Racer mit E-Antrieb
# Mit einer so schmalen Ladefläche hätte man ein Rad sparen können
# Ducati gehört zu VW, VW geht auf die IAA - so landeten diese Bikes auf der Messe
# Transportiert wurden die Ducati E-Bikes von diesem ID Buzz mit Campingmodul im Heck
# Produktionskapazitäten für Carbon aus Portugal nutzen diverse Hersteller - dieses Bike zeigt es
# Stilride hatte diesen durchaus stilsicheren E-Roller dabei
# Testfahrt eines dreisitzigen Taxiersatz mit Tretkurbel für den Fahrer

Was war dein Highlight der IAA Mobility 2023?

IAA Mobility 2023 – Mein Fazit

Die IAA 2023 in München war gemäß Veranstaltern mit über 500.000 Besucherinnen ein Erfolg. Nach meinem Besuch auf dem Messegelände und den zahlreichen Protesten frage ich mich dennoch, ob sie in dieser Form wiederkommt oder sich noch weiter wandeln muss, um als „Mobilitätsmesse“ dauerhaft zu bestehen. Das liegt auch an den in der Innenstadt nur sehr lokal und schwer auffindbar vertretenen Fahrradherstellern und den weiten Wegen zwischen Stadt und Messe sowie zwischen den einzelnen Ständen in der Innenstadt. Hier wäre mehr Übersicht wünschenswert, denn auch mit installierter IAA App fiel es nicht leicht, einen bestimmten Stand zu finden…

Text & Bilder: Stefanus Stahl
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