Rennrad-News

Carbon-Cockpits im Test-Duell
Enve SES AR vs. Newmen Advanced 318 SL

Im Test auf Straße und Gravel vergleichen wir Enve SES AR und Newmen Advanced 318 SL. Was können die Lenker-Vorbau-Kombinationen? Modern, breit und aus Carbon sind beide, doch ansonsten unterscheiden sich die Angebote aus den USA und dem Allgäu ziemlich deutlich.

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Carbon-Cockpits – Kurz und knapp

Lenker und Vorbau beeinflussen die Sitzposition maßgeblich – die vielen verschiedenen Maße hatten hier einmal anschaulich beschrieben (zum Vergleich Rennrad-Lenker vs. Gravel Bike-Lenker). In unserem heutigen Fahreindruck sind beide Lenker eher breit, zumindest wenn man es mit klassischen Rennrad-Maßen vergleicht: 420 mm im Oberlenker sind für einen durchschnittlich gewachsenen Rennradfahrer schon gar nicht so wenig. Bei den Vorbauten haben wir uns für 100 mm Länge entschieden, was ein ziemlich normales Maß ist; auch wenn Vorbauten früher häufig noch länger waren.

# Beide Cockpits wurden im Allroad- und Graveleinsatz mit dem Votec VRC getestet.

Was erwarten wir von Lenker und Vorbau? Nun, neben einer – nein eigentlich mehreren – angenehmen Griffpositionen wollen wir die richtige Steifigkeit. Ich sage bewusst nicht eine „hohe“ Steifigkeit, sondern die „richtige“ Steifigkeit: Denn je nach Belastungsrichtung dürfen Lenker und Vorbau gern etwas nachgeben, um Komfort zu erzeugen. Mit gutem Grund gibt es ja sogar speziell federnde und dämpfende Vorbauten und Lenker, von denen wir schon einige ausprobiert haben.

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# Der Newmen Vorbau ist aus Aluminium geschmiedet - insgesamt ist er etwas voluminöser als das Enve-Pendant.
# Rennrad-Lenker krümmen sich frei im Raum - so können sich auch auf dem Papier ähnliche Lenker unterschiedlich anfühlen.

In der Hand

Die Vorbauten könnten unterschiedlicher nicht sein – bis auf die Maße werden nämlich ziemlich andere Ansätze verfolgt. Während Enve versucht, durch den Einsatz von Kohlenstofffasern das beste Gewichts- und Steifigkeitsverhältnis zu erreichen, wird bei Newmen 3D-geschmiedet. Der Carbon-Vorbau ist maximal abgerundet, der Advanced SL etwas kantiger, nutzt eine viereckige Box um Steifigkeit zu erzeugen.

Spannend ist: Der Alu-Vorbau ist leichter als der Carbon-Vorbau. Woran liegt’s? Nun, zum einen erreicht geschmiedetes Aluminium ziemlich gute Festigkeitswerte, andererseits muss Carbon im Vorbau in verschiedensten Richtungen verlegt werden, um von Wiegetritt bis Bunny-Hop, in verschiedenen Griffpositionen und für verschiedenste Fahrer die Lasten aufnehmen zu können. In solchen Anwendungen kann der Faserwerkstoff seine Vorzüge nicht ausspielen.

HerstellerENVENewmen
ModellRoad CarbonEvolution SL 318.4
MaterialCarbon, Aluminium, TitanAluminium, Titan
Gewicht118 g (100 mm)114 g (100 mm)
Preis265 €89 €
Länge80 - 140 mm (Test: 100 mm)30 - 120 mm (Test: 100 mm)
Lenkerdurchmesser31,8 mm31,8 mm
Winkel+/- 6°+/- 6°
# Vier Schrauben zur Klemmung des Lenkers sind Standard - die beiden einzelnen Alu-Schellen von Newmen sind leichter als die einteilige Alu-Platte von Enve.
# Der Lenker ist nur im Bereich der Klemmung kreisförmig - daneben wechselt er direkt auf ein "Flügelprofil".
# Durch eine kleine Stufe im Lenker endet das Griffband bündig - darauf verzichtet Newmen - technisch eine nachvollziehbare Entscheidung, denn dann müssen die Carbonfasern nicht um die Kurve gelegt werden.

Auch die Lenker sind sich hinsichtlich ihrer Maße sehr ähnlich. Eigentlich unterscheidet sich nur der Drop-Flare, und damit die Breite des Unterlenkers deutlich. Aus Carbon sind ebenfalls beide Lenker. Unterschiede gibt es aber im Detail dennoch zu Genüge: So finden sich im Enve Lenker nicht nur die Kabelschächte, sondern zusätzlich insgesamt fünf Öffnungen, durch die man Kabel verlegen kann. Außerdem ist der Oberlenker bei Enve extrem abgeflacht, er sieht tatsächlich etwas aus wie eine Tragfläche.

# Beide Carbon-Lenker sind lackiert - Beide Hersteller verwenden unterschiedliche Lacke für die Klemmbereiche und die restlichen Oberflächen, was Verdrehsicherheit bei geringem Drehmoment gewährleisten soll.
# Je flacher der Lenker, desto weicher in Hochrichtung - nebenbei wird die Sache aerodynamischer, was sich aber nicht direkt erfahren lässt.
# Der Newmen Advanced ist wesentlich höher bis zum Rand - zusätzlich verfügt er über einen ganz leichten Rise.

Enve spendiert integrierte Lenkerendstopfen. Diese Gummitüllen sind in die konischen Lenkerenden gesteckt und lassen sich für die Montage des Lenkerbandes umstülpen. Danach fixieren sie das Lenkerband sicher und elegant; eine sehr schöne Lösung. Der Fairness halber sollte man noch ein paar Gramm für Lenkerendstopfen auf das Gewicht des Newmen Lenkers packen, denn bei Enve sind sie schließlich auch dabei. Doch auch damit bleibt der Newmen der leichtere Lenker, bemerkenswert, zumal er ohne Beschränkung hinsichtlich Fahrer- oder Systemgewicht freigegeben ist. Enve äußert sich hierzu nicht.

# Tiefe Schächte und Kabel-Öffnung - hier im Bereich der Schalt-Bremsgriffe...
# ... und konsequent fortgesetzt zum Vorbau - so kann (je nach Rahmen und Vorbau) eine perfekt aufgeräumte Optik erzeugt werden.
HerstellerENVENewmen
ModellSES AR CarbonAdvanced 318 Wing Bar
MaterialCarbonCarbon
Gewicht261 g (420 mm)240 g (440 mm)
Preis400 €159 €
Breite (Oberlenker)38, 40, 42, 44, 46 cm38, 40, 42, 44 cm
Breite (Unterlenker)43, 45, 47, 49, 51 cm40, 42, 44, 46 cm
Reach76 mm80 mm
Flarek. A.
Drop127 mm125 mm
Lenkerdurchmesser31,8 mm31,8 mm
BesonderheitenIntegrierte Endstopfen, Grip-Lack in MontagebereichenKeine Gewichtsbeschränkung, Grip-Lack in Montagebereichen
KabelführungSchacht für Leitungen, Öffnungen außen, innen, mitteSchacht für Leitungen

Auf dem Kurs

Wir haben die Cockpits auf unser Votec VRC gepackt und sind viel gefahren: Straße, schlechte Straße, feinen Schotter,… ihr wisst schon, sozusagen 50 Shades of Gravel. Nein, nicht alle 50 Shades, alles wirklich grobe Zeug haben wir uns gespart.

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Die Montage verlief in beiden Fällen problemlos, die Verarbeitung liegt ebenfalls auf einem sehr hohen Niveau. Auch die griffigeren Lacke in den Klemmbereichen verrichten ihren Job gut, sodass man mit geringem Drehmoment einen sicheren Sitz erreichen kann.

# Der Vorbau wird im Wiegetritt verdreht, bei Schlägen vertikal belastet - in aller Regel sind Vorbauten aber ohnehin sehr steif ausgelegt.

Schnell fällt auf, dass Newmen hier das steifere Cockpit geliefert hat. Sowohl der Vorbau als auch der Lenker verwinden sich beim motivierten Antritt deutlich weniger. Ist der Lenker dadurch unbequem? Nein, er bietet dennoch ein gewisses Maß an Komfort. Sein nur leicht abgeflachter Oberlenker greift sich gut, und ein hier montiertes Handy lässt sich noch leicht drehen. Der Unterlenker könnte noch etwas mehr Flare haben, um trotz großer Lenkerbreite eine Kollision von Oberlenker und Unterarm zu vermeiden. Der Vorbau trägt offenbar einen guten Teil zur Steifigkeit bei, beim Quercheck erwies er sich als steifer als der Enve Carbon Stem.

# Im Wiegetritt fühlt sich das steife Newmen-Cockpit super an.
# Wird es ruppiger, übergibt der Advanced SL die Schläge ziemlich direkt - hier wird nicht viel nachgegeben.

Der SES AR dagegen ist tatsächlich weich, zumindest in Hochrichtung. Dadurch verwindet er sich mehr, federt aber auch Schläge deutlich ab. Wer so etwas noch nie gefahren ist, wird es als ungewöhnlich erleben – aber man gewöhnt sich sehr schnell daran. Es ist schwierig, in Zahlen auszudrücken, wie weit sich die Lenkerenden absenken, wenn man beispielsweise eine Bordsteinkante runterfährt – es ist aber sehr deutlich spürbar und erwies sich als äußerst angenehm. Die Komfortsteigerung war, gerade auf schlechten Straßen und feinerem Schotter, sehr willkommen.

Stört der Flex andererseits im Wiegetritt? Mich persönlich nicht. Wäre es dennoch wünschenswert weniger Verdrehung bei gleichem Vertikalflex zu erhalten? Wahrscheinlich schon. Dafür braucht es aber dann einen steiferen Vorbau (zum Beispiel den Newmen) oder gar ein „aktives“ System wie beispielsweise von Redshift.

# Sowohl im Wiegetritt als auch bei Schlägen wird der Lenker in Hochrichtung belastet - hier wird man also immer einen Kompromiss bezüglich der Steifigkeit erleben.
# Es ist anzumerken, dass ein Carbonlenker nicht dämpft - vielmehr kann er wie eine Blattfeder ordentlich federn.

In diesem Duell muss auch auf die Produktionsorte und Verkaufspreise eingegangen werden. Bei ähnlichen Maßen, Gewichten, Fahrleistungen und Verarbeitungsqualitäten fallen die grob auseinander divergierenden Preise auf. Enve verlangt mehr als das doppelte für sowohl den Lenker als auch den Vorbau. Ein naheliegender Grund ist der Herstellungsort: Enve produziert in den USA, Newmen in Taiwan.

Zu guter Letzt würde ich einen Blick auf die Materialfrage werfen: Beim Vorbau auf Carbon zu setzen, ergibt keinen Sinn: Das Material bietet zumindest in diesem Vergleich keinen Mehrwert und ist am Ende des Tages Sondermüll. Der Aluminiumvorbau ist steifer, leichter und kann recycelt werden. Beim Lenker bietet Carbon mehr Argumente und Freiheiten, die zum Beispiel die schöne Integration der Leitungen erlaubt. Und: Ein derart leichter und dabei so weich federnder Lenker wie der SES AR wäre aus Aluminium nicht möglich.

# Je holpriger es wird, desto stärker macht sich der weiche Lenker bemerkbar - Enve hat ihn als „Allroad“-Modell für den „modernen Rennradfahrer“ konzipiert.

Fazit – Enve & Newmen Cockpits

Kommt das bessere Cockpit aus den USA oder aus Deutschland? Ganz klar: Die Kombination macht's. Beim Vorbau gibt es kein Argument (außer vielleicht der Optik) für den Carbon-Vorbau von Enve, zu gut ist der Newmen aus Aluminium. Beim Lenker überzeugt der Enve SES AR mit seinem Komfort und hervorragenden Möglichkeiten der internen Kabel- und Leitungsverlegung. Sein Preis ist heftig, aber dafür kommt er auch aus den USA. Wer es straffer, leichter und günstiger will, sollte sich das Modell aus dem Allgäu anschauen.


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