Über Jahre überstieg die Nachfrage das Angebot – jetzt beginnt es zu kippen in der Radindustrie. Was, wenn die Lager voll, aber die Taschen leer sind? Kommt es zu einer Trendumkehr in Zeiten von Inflation und Rezessionsangst? Wir haben uns auf der Eurobike bei den Marken umgehört – zwischen „einem mit Ware überschwemmten Markt“ und geplanten 200.000 Räder aus der Londoner Eigenproduktion bei Brompton.
Christoph Bösl, Sales & Marketing Manager SR Suntour
„Die andauernden Krisen zeigen uns, dass alles, was man nicht selbst und rechtzeitig anpackt, einem irgendwann auf die Füße fällt. Es wird Zeit, dass wir unser Handeln wieder mehr einbetten in das, was uns umgibt und Lebensgrundlage ist. Es ist klar, dass wir unsichere Zeiten haben. Und Unsicherheit führt meist zu Zurückhaltung. Ich gehe davon aus, dass wir uns erst einmal auf einem hohen Niveau einpendeln, mal sehen, was dann ab 2024 passieren wird und wie die Reise weitergeht. Das Rad hat aber nach wie vor beste Voraussetzungen – als effizientestes Fortbewegungsmittel und Sportgerät. Mittel- bis langfristig dürfte der Radmarkt weiter wachsen und darauf bereiten wir uns vor.
Ganz persönlich bin ich der Meinung, dass wir eine Umkehr brauchen. Weg vom Konsum, zurück zur Qualität. Sowohl in Sachen Nutzung unserer Zeit als auch bei der Auswahl unserer Produkte. Das Rad passt in diesen ‚Mix‘ sehr gut rein.“
Anatol Sostmann, Director Product & Brand, Rose Bikes
„Ich denke, eines können wir sicher sagen: Fahrräder sind weiterhin die Fahrzeuge der Zukunft. Wir verzeichnen noch immer ein starkes Wachstum, vor allem bei Bikes. Allerdings fällt es etwas schwächer aus als geplant. Was einerseits angebotsseitig mit nicht vollständiger Verfügbarkeit aufgrund unterbrochener Lieferketten, als auch nachfrageseitig mit der zunehmenden Kaufzurückhaltung der Menschen zusammenhängt.
Letztes Jahr hätten alle Marktteilnehmer in allen Warengruppen mehr verkaufen können, wäre der Bestand da gewesen. Daraus resultierten enorme Zuwächse bei den Beschaffungsmengen. Aktuell sieht man eine recht rasante Umkehr von einer Übernachfrage zu einem Überangebot. Für den Kunden muss das nicht schlecht sein. Die Bedürfnisse der Menschen nach Wettkampf, Abenteuer, Adrenalin und nachhaltiger sowie gesunder Mobilität sind nach wie vor wachsend, werden jedoch im Augenblick durch prägnante externe politische und wirtschaftliche Bewegungen überlagert. Das ist nicht nur schade, sondern ein wahnsinnig starkes Zeichen für die zerstörerischen Effekte von Krieg und der negativen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern.“
Jan Brinkmann, Senior Marketing Executive DACH Brompton
„Die Kategorie Faltrad und unser Produkt hat für uns noch ein riesiges Wachstumspotenzial in den nächsten Jahren. In Europa und Nordamerika wachsen wir gerade erst aus der Nische heraus und Märkte in z.B. Asien haben durch ihre hohe Urbanität ideale Bedingungen für Falträder. Wir planen in den nächsten Jahren den Bau eines neuen Headquarters südlich von London – eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Produktionsstätte, in der 1.500 Mitarbeiter jährlich 200.000 Fahrräder produzieren werden. Aktuell liegen wir noch bei knapp über 100.000. Ich denke, das zeigt sehr gut, wohin die Reise bei uns gehen soll. Eine vorausblickende Rohmaterialplanung und Flexibilität bei den Komponenten, wie z.B. Sättel, sind bei uns bereits jetzt Alltag. Wir sind froh, vieles inhouse herstellen zu können. Daher sehen wir uns aktuell und auch für die Zukunft gut aufgestellt.“
Jens Lange, Knolly Bikes
Wir erwarten auf jeden Fall eine Rezession in Nordamerika und Europa. Und wir passen unsere Produktion entsprechend an und planen nicht mit zu viel Wachstum. Aktuell hingegen könnten wir auf jeden Fall mehr Räder verkaufen, aber vor allem die Liefersituation der Komponenten bereitet uns noch Sorgen.
Ich denke, wir sehen schon einen Trend, dass Verkaufszahlen des Vorjahres nicht erreicht werden. Uns als kleine Firma mit wenig Overhead-Kosten beeinträchtigt die Situation weniger. Wachstumsraten und die damit einhergehenden Mengen sind konservativer geplant als bei den Großen.
Wer bereits vor der Pandemie fahrradaffin war, wird auch weiter Geld fürs Hobby ausgeben. Es bleibt abzuwarten, ob der Anstieg der Neu-Fahrradfahrer weiterhin anhält. In Sachen Produktion schauen wir uns schon um nach Alternativen, die näher an den jeweiligen Märkten liegen. Allerdings sind wir natürlich bei den Komponenten weiterhin auf Drittanbieter angewiesen und haben damit die Lieferproblematik nicht selbst in der Hand.
Richy Thomas, Territory Manager Endura
Das Fahrrad ist weiterhin absolut im Trend. Was wir jetzt gerade erleben, ist eine Kombination aus hausgemachten Problemen und externen Entwicklungen. Späte Lieferungen, die Energiekrise und auch das schlechte Wetter dieses Frühjahr betreffen uns alle. Aus meiner Sicht bricht die Nachfrage rund ums Rad nicht ein, sondern ist jetzt wieder auf einem guten, positiven Niveau, wenn man die Entwicklung über die letzten 4-5 Jahre betrachtet. Der massive „Corona-Boom“ bei der Anschaffung von neuen Bikes und Zubehör schwächt sich sicher ab. Aber im Vergleich zu 2019 oder 2020 sind deutlich mehr Menschen auf dem Rad unterwegs und investieren auch mehr Geld und Zeit in unseren Sport. Wir merken das bei Endura vor allem auch, wenn es in den Herbst und Winter geht. Biker sind länger und öfter im Jahr unterwegs, verlängern die Saison oder pedalieren sogar alle 12 Monate durch.
Basti Tegtmeier, Director of Customer Experience bike-components
„Ich sehe uns für die Zukunft sehr gut aufgestellt, weil wir unser Serviceversprechen aufrechterhalten. Und das ist unser wichtigstes Pfund. Natürlich betrachten auch wir die aktuellen Entwicklungen auf der Welt mit Sorge, aber bezogen auf unsere Branche fühlen wir uns den Herausforderungen gewachsen.
Da die Ausrichtung von bike-components sich im Wesentlichen auf die sportlichen Segmente fokussiert und wir dort mit viel Expertise und Erfahrung agieren, bewegen wir uns, bezogen auf den Umsatz, auf Vorjahresniveau. Wir haben mit bc remote auch ein weiteres Standbein geschaffen, das sowohl dem stationären Fachhandel als auch jedem Kunden die komplette Bandbreite unseres Sortiments zugänglich macht. Aber: Tankrabatt, 9-Euro-Ticket – ich finde es durchaus bemerkenswert, dass in dieser gesellschaftlichen Debatte das Fahrrad als Fortbewegungsmittel etwas hinten runterfällt. Besonders, weil es moralische und praktische Antworten auf Fragen in dieser Debatte liefert. Die Begehrlichkeit des Fahrrads ist also nicht das Thema.“
Was sagt ihr zu den Stimmen auf der Eurobike? Habt ihr eine eigene Meinung, wie sich die Zukunft der Bike-Branche entwickeln wird?
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