Wie wird das Fahrrad-Jahr 2021? Was für Trends erwarten uns, was wird anders als bislang und welche Innovationen erwarten uns? Wir haben einen Blick in unsere virtuelle Kristallkugel riskiert und 13 Thesen zu 2021 aufgestellt!
Prognosen über das kommende Jahr abzugeben ist immer eine komplizierte Angelegenheit. Für 2021 gilt das ganz besonders, denn, wie wir alle wissen, war 2020 alles, außer gewöhnlich. Vor dem Hintergrund der noch immer anhaltenden Corona-Pandemie, die sich auf vielfältige Art und Weise auch auf die Fahrrad-Industrie auswirkt, steht uns ein spannendes Jahr 2021 bevor. Doch wie genau werden die kommenden 12 Fahrrad-Monate aussehen? Das Team von MTB-News.de, eMTB-News.de und Rennrad-News.de hat hierzu ein paar Thesen aufgestellt …
2021: Ein gutes Geschäftsjahr?
Nachdem 2020 voller Überraschungen steckte und die Bike-Branche mehrheitlich ein vermutlich sehr gutes Geschäftsjahr verzeichnen konnte, werden sich die Hersteller und Händler für das kommende Jahr um so mehr wappnen. Durch den nahezu leergekauften Markt dürften Kapazitäten noch weiter hochgefahren werden, Händler ihre Lager- und Verkäufsräume vergrößern – so schon in meinem Wohnort geschehen, wo ein mittelgroßer Bikehändler in diesem Jahr ein riesiges neues Gebäude auf der grünen Wiese errichtet hat. Die großen Hersteller dürften versuchen, sich möglichst viele Komponenten zu sichern – denn während die Rahmenherstellung in Eigenplanung erledigt werden kann, sind die Komplettbikes der Big Player davon abhängig, was von Shimano, RockShox, Fox, SRAM, DT-Swiss und Co. an Komponenten geliefert werden kann. Daher ist auch zu befürchten, dass kleinere Hersteller leer ausgehen oder zumindest nicht die Stückzahlen erhalten werden, die geplant sind – Lieferverzögerungen werden uns daher auch im kommenden Jahr erhalten bleiben. Was es nicht gibt, gibt es halt einfach nicht!
Johannes Herden, Chefredakteur MTB-News.de
Wir haben kürzlich bereits zahlreiche Firmen aus der Branche gefragt, wie das Jahr 2020 gelaufen ist. Insgesamt ist die Fahrrad-Industrie bislang überwiegend gut bis sehr gut durch die Krise gekommen. Doch der Boom bringt auch einige Gefahren mit sich. Für 2021 muss man mit teils absurd langen Lieferzeiten rechnen, weil jeder Hersteller natürlich am liebsten so viele Bikes wie möglich verkaufen will und dafür auch so viele Komponenten wie möglich benötigt. Auch hier wird die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigen. Für die großen Hersteller dürfte das weniger problematisch sein, denn im Zweifelsfall schauen eher die kleinen Firmen in die Röhre. Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht ganz unkompliziert ist.
Moritz Zimmermann, Testkoordinator MTB-News.de
Zu Hause ist’s doch auch ziemlich schön!
Klar: Nach Island oder La Palma kann man auch im neuen Jahr eventuell nicht, aber vor der eigenen Haustür gibt es ja auch fantastische Trails. Ich persönlich habe in der vergangenen Saison, in diesem verrückten Corona-Jahr, beispielsweise das Fichtelgebirge und Frankenjura wiederentdeckt. Nach einigen Besuchen dort habe ich die Trails und die ganz eigene Charakteristik zu lieben gelernt. Immer, wenn ich dort auf dem E-Bike unterwegs war, ploppte in mir die Frage auf: Warum zum Geier bin ich zum Biken in den letzten Jahren immer so weit weg gefahren!?
Rico Haase, Chefredakteur eMTB-News.de
Gravel ≠ Trekkingbike
Wenn sich 2020 ein Trend im Rennrad-Bereich manifestiert hat, dann dieser: Gravel ist gekommen um zu bleiben! Beziehungsweise: Gravel ist gekommen, um die Welt vor der eigenen Haustür mit neuen Augen zu sehen. Böse Zungen behaupten schon, das Gravelbike sei das Trekkingbike der 2020er. Der wahre Kern daran: Viele, die sonst wenig mit dem Rennradfahren im Allgemeinen und seinem kompetitiven Grundgeist im Speziellen am Helm haben, setzen sich auf das Gravelbike. Sie tun es vor allem, um damit Touren zu fahren. Touren abseits der Straße, aber bitte keine Trails, und keine Rennen. Ausflüge in neue Gebiete, ja, aber bitte nicht so betulich wie mit dem Trekkingbike. Womit das geklärt wäre.
Und was hat das mit 2021 zu tun? Eine Menge, denn viele Trends und Produkte für 2021 werden sich um das Gravelbike drehen oder sich daran orientieren. Das Endurance Roadbike zum Beispiel. Es bekommt immer breitere Reifen, 35 wird das alte 28. Deswegen noch eine andere Prognose: Wir werden den einen oder anderen neuen Hochleistungs-Reifen sehen, der genau für diese neuen Allroad Bikes gemacht ist. Das Allroad Bike wird das, was das Cyclocross Bike für Eingeweihte einmal war: ein schnelles Rad für Straße und leichtes Gelände – nur eben noch besser ans Fahren von langen Strecken angepasst.
Und das Gravelbike? 2021 wird das Jahr, in dem das Gravelbike sich endgültig eigene Nischen bildet. Wie beim Rennrad wird die kompetitive Sparte mehr Zuwachs bekommen – nennen wir es „Gravel Race“ – getrimmt, auf Aerodynamik, geringes Gewicht und schnelles Fahren in sportlicher Sitzposition. Bedeutet: mehr Integration, immer breitere Hochprofil-Laufräder und Aero-Cockpits fürs Gelände.
Jan Gathmann, Chefredakteur Rennrad-News.de
Ist das noch Road oder schon MTB?
Das Gravel Bike. Kaum ein Wort wurde 2020 häufiger verwendet, kaum ein Trend wurde so kontrovers diskutiert. Wobei: Welcher Trend in der Fahrrad-Branche wird eigentlich nicht kontrovers diskutiert? Gravel Bikes haben sich im vergangenen Jahr definitiv etabliert und sind nicht nur im Rennrad-, sondern auch im Mountainbike-Bereich sehr relevant. Im Kern sind Gravel Bikes Rennräder mit mehr Komfort und grobstolligen Reifen, aber man könnte sogar behaupten, dass Gravel Bikes auch starre Cross Country-Hardtails mit Drop Bar sind. Egal wie man es dreht und wendet: Auch im Mountainbike-Bereich werden Gravel Bikes 2021 ein fester Bestandteil sein und der Markt wird einige interessante Neuerungen mit sich bringen. Und spätestens, wenn immer mehr (voll)gefederte Gravel Bikes auf den Markt kommen, wird die Abgrenzung zwischen Road und Mountainbike noch schwieriger.
Moritz Zimmermann, Testkoordinator MTB-News.de
Events werden digital(er)
Und wo fahren wir (Renn)Rad? Wird es wieder große Events geben? Die Vorstellung hat jetzt noch etwas Traumhaftes. Die Jedermann Serie German Cycling Cup ist optimistisch und hat die gesamte Serie mit 10 Rennen ab dem 25. April bereits durchgeplant. Andererseits: Im Rennradland Belgien soll bei den Klassikern der WorldTour Anfang April noch das Publikum ausgesperrt bleiben. Schwer vorstellbar, dass dann Jedermann-Rennen mit Zehntausenden sicher über die „Kasseien“ rollen dürfen. Und so erscheint vor allem eins ganz sicher: Virtuelle Events, bei denen man alleine oder in Mini-Gruppen fährt, und später seine Erlebnisse auf Social Media oder auch hier im Forum teilt, werden 2021 noch eine größere Rolle spielen.
Jan Gathmann, Chefredakteur Rennrad-News.de
2021 nach Italien? Hoffentlich!
Okay, der Eventbranche geht es nicht gut und möglicherweise wird es 2021 wenige bis gar keine Events geben. Aber ich möchte hier nicht den Teufel an die Wand malen und spekuliere einfach mal, dass zwei meiner Lieblingsevents stattfinden werden: Das Bike Festival am Gardasee und das Testival in Brixen. Zu gern würde ich Freunde und Bekannte aus der Branche treffen und einfach fachsimpeln oder dumm daherquatschen. Drücken wir einfach die Daumen, dass es 2021 wieder Events geben wird!
Rico Haase, Chefredakteur eMTB-News.de
Wie geht es mit Rennen weiter?
Auch ich würde 2021 liebend gerne mal wieder nach Italien fahren, aber Prognosen über das Reisen abzugeben ist derzeit extrem schwierig. Ich frage mich, wie Rennen im kommenden Jahr aussehen werden. Die gab es auch dieses Jahr, aber komplett ohne Zuschauer und auch mit teils sehr strikten Auflagen. Das mag im Rennrad-Bereich, wo die großen Rennen im TV übertragen werden, funktionieren, aber im MTB-Bereich war es dann wohl doch eher eine Notlösung. Das wirkt sich natürlich auch auf die Fahrerinnen und Fahrer aus. Es ist denkbar, dass diverse Sponsoren aussteigen und auch die Fahrrad-Firmen ihre Sponsoring-Budgets teils deutlich reduzieren. Wer einen laufenden Vertrag hat, kann sich glücklich schätzen. Wer jedoch derzeit auf der Suche ist, der wird es womöglich deutlich schwerer als sonst haben.
Moritz Zimmermann, Testkoordinator MTB-News.de
Einfach mal hochschalten
Bleibt der Blick auf die Komponenten. Campagnolo hat gerade die 13-fach Gravel-Gruppe namens Ekar aus der Taufe gehoben. Schwer zu sagen, an wie vielen Bikes sie zu sehen sein wird – ich wünsche mir viele. Shimano hat mit seinen GRX-Gravelgruppen inzwischen in jedem Preisbereich ein passendes Angebot und großen Erfolg bei der Erstausrüstung – kein Grund da was zu ändern. SRAM feierte Erfolge mit der Force eTap AXS im Mullet Built und ist mit der Apex 1×11 im Einstiegssegment häufig anzutreffen, kann aber in der Mittelklasse bei den Herstellern nicht mehr so punkten wie einst. Wenn sie klug sind, lassen die Amerikaner 2021 nicht verstreichen, ohne hier nachzulegen. Feiert endlich die günstige Funkschaltung Premiere? Der Gravelbike-Bereich wäre der passende Ort, aber vielleicht ist es dazu noch zu früh. Apropos Funk: Gerüchte über eine neue Dura Ace Di2-Funkschaltung gab es ja auch schon …
Jan Gathmann, Chefredakteur Rennrad-News.de
Über Kategorien, Definitionen, Äpfel und Birnen
Stärker in den Fokus rücken dürfte die recht neue Down Country-Kategorie: Wenig Federweg, potente Anbauteile für viel Spaß bei geringerem Radgewicht, ohne den schnellen XC-Charakter zu verderben. Dass diese Bikes richtig viel Spaß machen, haben wir schon im Vergleichstest erfahren. Seitens der neu in diesem Jahr auf den Markt gekommenenen Freeride-Gabeln könnte es gut sein, dass es im kommenden Jahr noch mehr langhubige 29″-Enduros geben wird und diese, bei gleichzeitig akzeptablem Touren-Verhalten, mittelfristig auch den klassischen Bikepark-Downhiller verdrängen werden.
Johannes Herden, Chefredakteur MTB-News.de
Jaja, die lieben Kategorien. Sie geben uns Halt und Ordnung, aber ist das jetzt noch Trail oder schon All Mountain? Wird ein Enduro zu einem Freerider, wenn ich eine Federgabel mit 170 mm einbaue? Schwierig. Jedenfalls stimme ich meinem Kollegen Hannes zu: Die Down Country-Kategorie wird stärker in den Fokus rücken und hat sich mittlerweile eigentlich schon ganz ordentlich etabliert. Das liegt aber auch daran, dass der Trend insgesamt zu mehr Federweg geht: Wenn Trailbikes neuerdings schon 150 mm Federweg haben, dann gibt es einfach eine ziemliche Lücke zwischen diesen und dem XC-Fully mit 100 mm.
Vielleicht würden einige Mountainbike-Hersteller besser damit fahren, die neuen Modelle nicht so stark über den Federweg zu definieren. Yeti hat’s beispielsweise vorgemacht: Die Amerikaner teilen ihre Bikes grundsätzlich in die Kategorien Rip (mit Fokus auf den Fahrspaß) und Race (mit Fokus auf hohe Geschwindigkeiten), und erst dann hängen sie sich an leicht kommunizier- und kategorisierbaren Faktoren wie der Laufradgröße und dem Federweg auf. Klar ist aber auch, dass solch ein Ansatz bei einigen Kunden eher für Verwirrung sorgt.
Moritz Zimmermann, Testkoordinator MTB-News.de
Light ist die neue Reichweite
Nachdem in den letzten Jahren die Reichweitenangst grasiert hat, besinnt sich die Branche und geht weg von abartig großen Akkus und schwergewichtigen Kapazitäts-Monstern – hin zu agileren Light-E-MTBs. Ich gehe davon aus, dass 2021 Jahr jeder namhafte Hersteller ein solches E-Bike im Portfolio haben wird und alle, die keins haben, werden tunlichst daran arbeiten, eines zu bringen.
Rico Haase, Chefredakteur eMTB-News.de
Der Fahrrad-Boom führt zu Konflikten auf dem Trail …
…, ist aber insgesamt eine sehr positive Sache. Die Wälder waren 2020 so voll wie nie zuvor, was in einigen Gegenden Deutschlands zu diversen Konflikten und Diskussionen über die Nutzung von Trails geführt hat. Damit werden wir auch zukünftig konfrontiert sein – eine simple Lösung gibt es hier wohl nicht. Der Fahrrad-Boom führt aber auch dazu, dass sich unsere Sportart immer stärker etabliert und nicht mehr nur als absolute Nische einiger Freaks angesehen wird. Diese Chance muss genutzt werden, indem mehr (legale) Möglichkeiten für Mountainbiker im Wald geschaffen werden.
Moritz Zimmermann, Testkoordinator MTB-News.de
Stauraum und Komfort für alle!
Nicht nur der Gravel Race-Bereich wird relevant. Auch die andere Richtung ist bereits eingeschlagen: Das Explorer-Gravel Bike. Ich rechne mit interessanten Lösungen, um mehr Stauraum praktisch ans Rad zu bringen, mehr Lademöglichkeiten für Smartphone und Co. ab Werk und mehr Reifenfreiheit quer über das Angebot. Und natürlich: mehr Komfort durch Federung. Hier wird sich gewiss noch das eine oder andere neue Hinterbau-System zeigen. Und bei den Federgabeln ist die Entwicklung auch noch nicht ausgereizt. Wer mit einem technischen Explorer-Gravel Bike liebäugelt, könnte gut beraten sein, noch das neue Modelljahr abzuwarten.
Jan Gathmann, Chefredakteur Rennrad-News.de
Tschüss 26″, es war schön mit dir.
Was dem Umwerfer passierte, wird vermutlich auch 26″ erleben: Die kleine Laufradgröße außerhalb des Dirtbike-Bereichs wird, wie schon in diesem Jahr, auch 2021 nur noch wenig Verwendung im High-End-Bereich finden – die Komponentenhersteller werden die Produktion von Reifen und Laufrädern in 26″ noch weiter schrumpfen lassen.
Johannes Herden, Chefredakteur MTB-News.de
… und ich sage: Totgesagte leben länger! Weltweit spielt 26“ sowieso immer noch eine riesige Rolle, wenn auch nicht im High-End-Bereich. Und wenn ich mir so anschaue, wie sich die Leute 80er Jahre-MTBs wieder fit machen, ob als Gravel Bike oder Urban MTB, wage ich die Prognose, dass 26″ nochmal kommt. Vielleicht erst einmal als Fixie der MTB-Welt sozusagen … abwarten!
Jan Gathmann, Chefredakteur Rennrad-News.de
Nun wollen wir von euch wissen: Was sind eure Prognosen fürs kommende Jahr?