540 km: Per Velo von der Schweiz nach Florenz
„Ihr plant ein Abenteuer? Da möchte ich mitkommen!“ meint unser 66-jähriger Papi Karl. Verdutzt tauschen Caro und ich einen Blick aus. Die Bedingungen für unseren Gravel-Trip vom Ofenpass nach Florenz sind schon vorausbestimmt: Es wird draußen im Nirgendwo campiert, das Equipment ist minimal und leichtgewichtig, pro Tag werden bis zu 200 Kilometer zurückgelegt. Von ihm, der seit mindestens 25 Jahren nicht mehr draußen übernachtet hat und der für uns nicht der Inbegriff eines Abenteurers ist, hätten wir diese Worte nicht erwartet. Wir sind uns aber sofort einig – Papi soll uns unbedingt begleiten! Immerhin um seine Ausdauer müssen wir uns nicht sorgen, er ist fit wie ein Turnschuh! Alles, was er organisieren soll, ist ein geeignetes Bike, um den ganzen Rest kümmern wir uns.
Schon einige Tage später geht es los, den ersten Teil unserer Reise treten wir mit dem Zug und Postauto an. Wir schauen wie Eskimos aus – bevor es losgeht, hüllen wir uns in alle Kleider, die wir dabei haben. Bei unserem Start auf dem 2149 Meter hohen Ofenpass herrschen beste Skitouren-Bedingungen, doch in der Ferne schaut es schon nach Frühling aus. Wir sind gespannt, was uns die nächsten Tage bringen werden und machen uns auf in unser Familien-Abenteuer. Rasant geht es in Richtung Südtirol, die Apfelblüte hat gerade ihren Höhenpunkt erreicht und der Radweg schlängelt sich kilometerlang durch die Plantagen.
Ein hohes Tempo müssen wir den Rest vom Tag halten, damit wir die vorgesehenen 200 Kilometer zurücklegen können. Soweit sind wir noch nie am Stück gefahren, doch die Route geht vorwiegend leicht bergab und sollte demnach gut machbar sein – denke ich mir in der Planung. Den fiesen Gegenwind, der uns entgegenbläst, hat niemand von uns mit eingerechnet. Mit Spitzenwechsel alle 10 Kilometer – alias belgischem Kreisel – arbeiten wir uns vor und erreichen erschöpft unser Ziel bei Rovereto. Nach Schweiß stinkend und etwas gerädert hocken wir einsam in einem kleinen Dorf am Brunnen, einen Lacher wir können uns nicht verkneifen. „Papi du Legende, wie die Vagabunden hocken wir mit unserer Take Away-Pizza und Bier hier und du machst den ganzen Quatsch mit!“
Wir richten unser Biwak-Nachtlager an der Etsch direkt am Radweg ein, geduldig zeigen wir unserem Vater wie der Hase läuft – er weiß nicht, wie er sein Equipment handhaben soll. Zu den Klängen der Natur und in der Ferne brummenden Autobahn schlafen wir bald ein.
Schon früh werden wir von den surrenden Naben einiger eifrigen Radfahrer geweckt, einen verdutzen Blick zu unserem Nachtlager und sie fahren lachend weiter. Ich erwarte so was wie „Alles tut mir weh“ von unserem Vater, doch er ist bester Laune, voller Elan und Tatendrang! Ein kleines Frühstück mit Haferbrei und Kaffee und wir sind parat für eine weitere Tagesetappe. Schon fast verzweifelt versucht unser Vater seine Siebensachen in die Taschen zu verpacken, und scheitert. „Ach Papi, lass liegen, wir machen das für dich!“
Unser heutiges Ziel ist es, von Rovereto ins 150 Kilometer entfernte Santa Caterina zu fahren. Über lange Strecken fahren wir auf dem Radweg, welcher uns weg vom Verkehr schnell vorwärtsbringt. Immer wieder hat es Restaurants mit gut ausgerüsteten Werkstätten am Weg, wo sich zahlreiche Radfahrer auf den Terrassen tummeln. So ein Cappuccino-Stopp tut doch immer gut! Langsam öffnet sich die Landschaft und wir kommen immer mehr weg von den Bergen des Südtirols in Richtung Po-Ebene und entlang des Gardasees. Bei strahlendem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen kommen wir mit zügiger Reisegeschwindigkeit gut voran. In der malerischen Hafenstadt Peschiera del Garda legen wir einen Mittagshalt ein und gönnen uns ganz in Corona-Fashion einen Take Away-Burger an der Sonne direkt am See.
Tag eins hat unsere Beine schon etwas ermüdet und die letzten 50 Kilometer nach Santa Caterina ziehen sich auf der holprigen Trasse des Fahrradwegs hin. Im kleinen Ort angekommen sehnen wir uns nach einer Abkühlung, welche wir am Dorfbrunnen finden! Vor den erstaunten Anwohnern gönnen wir uns eine wohltuende Dusche. Unser Nachtlager finden wir unweit davon am Waldrand, wo wir komplett ungestört campieren.
Morgen früh müssen wir schneller in die Gänge kommen, beschließen Caro und ich nach einem kurzen Blick auf die Wetter-App. Gut möglich, dass wir vor dem ankommenden Regen fliehen müssen! Und so sprudelt am nächsten Morgen, kaum aus dem Schlafsack geschält, schon der Kaffee aus der Bialetti. Bis wir aber wieder auf dem Rad hocken, vergeht einiges an Zeit. Lustig wie wir feststellen, wie sich die Rollenverteilungen geändert hat: So sorgte Papi für uns das halbe Leben und nun sind wir es, die ihm das Sorglos-Abenteuerpaket bereitstellen. Route, Essen, Material aufstellen, einpacken und Papi ist als unser Passagier dabei.
Am Vormittag erreichen wir die Stadt Modena, in der wir uns erst mal einen Cappuccino und ein leckeres zweites Frühstück gönnen. Das Wetter hat uns eingeholt, es weht eine kühle Brise und die ersten Regentropfen sind schon gefallen, gerade richtig, um einen kulinarischen Halt einzulegen. „Einmal alles, bitte!“ unsere Körper sind im Dauerhungrig-Modus angekommen, der Tisch wird üppig gefüllt mit allem, was eine italienische Bar so hergibt.
Trotz gut gefüllten Speicher brauchen wir eine Weile, bis wir wieder aus dem Großstadtdschungel herausfinden. Endlich aus der Stadt heraus, nehmen wir die ersten Hügel des Apennin am Horizont wahr – es geht in großen Schritten in Richtung Toskana. Unser Tagesziel müssen wir uns erst noch erkämpfen, die steilen Anstiege mit müden Beinen schenken ganz schön ein. Wir sind uns einig „Mit soviel Gepäck am Rad sollte man die Höhenmeter mindestens mal 1.5 rechne, demnach machen wir heute weit über 2000 Höhenmeter!“
Je näher wir aber zum Lago di Suviana kommen, desto eher können wir uns wieder motivieren, denn uns erwartet ein erfrischender Sprung in den glasklaren Stausee. Schlotternd, aber zufrieden, sitzen wir alsbald am See und sind froh um alle warmen Kleider, die wir dabei haben, die Temperaturen sind unter zehn Grad gefallen. Der für die Nacht angesagte Regen macht vor allem unseren Papa etwas unruhig, leider sind Ende April noch alle Campingplätze geschlossen. Von der Idee, die letzte Nacht am See zu verbringen müssen wir uns verabschieden, wenn wir nicht komplett nass werden wollen. Bei einem leer stehenden Haus mit einer leicht überdachten Terrasse finden wir zumindest etwas Unterschlupf. Doch der in der Nacht immer stärker werdende Regen bringt uns nicht mehr aus der Ruhe, schließlich ist unser Endziel Florenz nur noch eine halbe Tagesetappe entfernt.
Noch mit Regenschauer frühstücken wir auf der von uns besetzen Terrasse, zum Glück ist in der Nacht niemand gekommen und hat uns verjagt. Dass wir nun alles nass in unsere Taschen stopfen müssen, kümmert uns nicht mehr, heute Abend schlafen wir wieder in einem richtigen Bett! Es trennen uns nur noch 65 Kilometer und knapp 1000 Höhenmeter vom Ende unseres Graveltrips, mit dem feuchtkalten Wetter wird es allerdings zu keinem Kinderspiel. Die erste Hälfte unserer Tour führt uns über ruhige Straße inmitten der Wälder und Hügeln oberhalb von Prato. Von dort an wird es städtischer und der Verkehr nimmt zu, doch auf den letzten Kilometer nach Montorsoli werden wir nochmals von einer malerischen toskanischen Kulisse verwöhnt.
Unser Ziel, das imposante Gebäude der Accademia del Caffè Espresso (Museum und Kompetenzzentrum für Kaffee), können wir schon von Weitem ausmachen. Unsere Einfahrt wird schon erwartet, die Mitarbeiter unseres Kaffeemaschinen-Sponsors La Marzocco stehen Spalier und bescheren uns eine schöne Überraschung. Die Italiener sind ganz schon angetan von den Strapazen, die unserer Papi mit uns durchgestanden hat. Er als Silberfuchs verdient auch den meisten Respekt, denn er hat sich weit aus seinem Komfortbereich heraus bewegt. Stolz lassen wir uns feiern, Abenteuer hat kein Alter, man muss sich nur darauf einlassen können.
Welches Abenteuer habt ihr zuletzt mit dem Bike gemacht?
Video: Gehrig Twins Family Gravel Adventure
Die Tour auf Komoot
Die Route des Gravel-Abenteuers ist hier zu finden: www.komoot.de
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