Der belgische Frühjahrsklassiker Gent-Wevelgem trägt den Beinamen „In flanders fields“ zum Gedenken an den 1. Weltkrieg. In 2020 berührt die Strecke des WorldTour-Rennens „aus aktuellem Anlass“ auch Erinnerungsstätten der Migration fort aus Europa.
„In Flanders fields the poppies blow“, beginnt ein berühmtes Gedicht von John McCrae, das an die 2. Flandernschlacht erinnert. Sie gilt als die Schlacht, in der Deutschland den Gaskrieg eröffnet hat. 2020 wird es 105 Jahre her sein, dass der Kanadier das Gedicht in Flandern, genauer bei Ypres, geschrieben hat.
Die Rennorganisation des belgischen Klassikers Gent-Wevelgem hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit jeder Rennausgabe eine Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg zu erzählen. Das Rennen führt durch die Gegend der großen Kriegsschauplätze und trägt deshalb offiziell den Beinamen „In flanders fields“. In 2020 will die Organisation zusammen mit der Gemeinde Wevelgem ein Denkmal für die Verbundenheit mit Kanada einweihen. So seien 620.000 mutige Kanadier nach Europa gekommen, wo 65.000 Menschen ihr Leben verloren.
Das Denkmal sei aber vor allem auch „ein Denkmal über die Geschichte der Migration“, teilt die Gent-Wevelgem Organisation mit. Man wolle jedes Jahr eine Geschichte erzählen, die an den Krieg erinnert, diesmal sei es diese, die wir hier übersetzt wiedergeben:
„Emigranten waren Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach einer besseren Zukunft. 52 Millionen Europäer verließen ihren Kontinent, 200.000 Flamen gingen nach Nordamerika. 11.000 von ihnen landeten zwischen 1901 und 1914 in Kanada. Rekrutierer sprachen über das gelobte Land, den zukünftigen Einwanderern wurden Wohlstand, Reichtum und ein besseres Leben versprochen. Wochenlange Reisen, oft unter schlechten Bedingungen, zusammengepackt in einem Zug, auf einem Boot…Die Männer gingen als Erste, mit der Absicht, dass die Freundin oder Frau und Kinder so schnell wie möglich folgen konnten. Eine 100 Jahre alte Geschichte, und doch so aktuell.
Und dann brach der Krieg in Europa aus. Eine Auswanderung nach Kanada war nicht mehr möglich. Auch die Kommunikation endete, die Heimatfront war nun besetzt, Familien waren jahrelang getrennt, oft ohne Nachrichten. Die Männer in Kanada konnten nur hoffen und beten, dass Familie, Frau und Kinder den Krieg überstehen würden. Viele emigrierte Flamen beschlossen, sich als Freiwillige zu melden, um zurückzukehren und ihre Familien von der Besatzung zu befreien […].
Einer dieser tapferen Männer war Firmin Delplancke, geboren in Gullegem (Wevelgem), er ging einige Monate vor Kriegsausbruch 1914 nach Kanada. Sehr bald war die Kommunikation mit seinen Eltern, Brüdern und Schwestern nicht mehr möglich. Gullegem war ein besetztes Gebiet. Im Dezember 1915 kehrte er als Freiwilliger der kanadischen Armee zurück; zunächst nach England, wo er monatelang eine umfangreiche Ausbildung absolvierte. Inzwischen dauerte der Krieg anderthalb Jahre; Firmin hatte von seiner Familie in Gullegem noch keine Nachricht erhalten.
Da er im Trainingslager von einem Pferd überrannt wurde, wurde er mit einem gebrochenen Fuß ins Krankenhaus eingeliefert. Maud Rose Taylor, eine Krankenschwester, eroberte dort sein Herz; die Liebe war gegenseitig. Sie heirateten am 20. Oktober 1916, aber ihr Zusammensein war von kurzer Dauer. Sechs Monate später musste Firmin an die Front gehen. Firmin wurde am 11. November 1917 während der Schlacht bei Passchendaele von einer deutschen Granate getroffen. Er starb an Ort und Stelle, 15 Kilometer von seinem Geburtsort und seinen Eltern entfernt, wo er sich drei Jahre zuvor verabschiedet hatte. Er hatte nie die Gelegenheit, sie wiederzusehen. Er wurde auf dem Soldatenfriedhof in der Nähe des Gefängnisses von Ypres begraben.“
Bei Gent-Wevelgem 2020 wird die kanadische Nationalmannschaft der U23 das Rennen „Gent-Wevelgem Kattekoers Ieper“ bestreiten. Der offizielle Start von Gent-Wevelgem erfolgt auf der Höhe des Denkmals „Brooding Soldier“ in Sint Juliaan (Langemark-Poelkappelle). Es erinnert an die mehr als 2.000 kanadischen Soldaten, die bei dem ersten Gasangriff im 1. Weltkrieg ums Leben kamen. Auch die Strecke von Gent-Wevelgem wurde leicht geändert.
Meinung @Rennrad-News
Wir haben die ausführliche Geschichte der Pressemitteilung hier wiedergegeben, weil sie uns berührt hat. Es erfordert Mut, ein (letztlich kommerzielles) Rennen an politische und geschichtliche Ereignisse zu binden, die heute wieder kontrovers sind – zumal in Flandern, wo der Radsport auch von der nationalistischen und separatistischen Strömungen innerhalb Belgiens als Aushängeschild missbraucht wird. Aber gerade der Radrennsport stiftet (auch historisch) Verbindung. Aus der Straßenrandperspektive kommt ein Peloton genauso wie ein einzelner Radfahrer von irgendwoher und fährt irgendwohin. Rennradfahren überwindet Distanzen. Es ist gut, wenn sich Veranstalter das auch offiziell auf die Fahnen schreiben. Was meint ihr?
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