„Falsche Helden“ nannte die Bild-Zeitung die Gewinner der 12. Tour de France Etappe nach Alpes d’Huez. Daniel Lenz sieht das anders.

Die Tour de France-Etappe nach Alpe d’Huez hinterlässt gemischte Gefühle. Für viel Dramatik am legendären Berg war gesorgt, was für viel Begeisterung im Publikum sorgte. Ernüchternd jedoch sind Kommentare wie der der „Bild“-Zeitung.

Nach vielen dunklen Jahren, in denen der Radsport überschattet wurde von massenhaftem Doping-Betrug, gilt es seit Jahren, wieder Vertrauen aufzubauen, beim Publikum, bei Sponsoren, auch bei Medien. Der Radsport ist auf dem besten Weg dorthin. In Deutschland wächst das radsportinteressierte Publikum merklich – allein, wenn man sich die Begeisterung an den Strecken der Jedermannrennen anschaut. Deutsche Firmen wie die Dr. Wolff-Gruppe (Alpecin) investieren (wieder) viel Geld in den Radsport. Und die großen Sender übertragen wieder die Tour de France, auch bei der anstehenden Deutschland Tour im August ziehen große Medien wie Eurosport und die öffentlich-rechtlichen Sender mit.

„Das wieder erlangte Vertrauen ruht auf wackeligem Fundament“

Und doch ruht das wieder erlangte Vertrauen auf wackeligem Fundament, wie zuletzt am Beispiel der Doping-Diskussion rund um den vermeintlichen Salbutamol-Verstoß Chris Froomes zu sehen war – schnell sind wieder alte (Vor)Urteile parat, die vor einem Jahrzehnt sicher berechtigt waren, heute aber zumindest mit großer Vorsicht platziert werden sollten.

In dieser Situation wirkt ein Kommentar wie der des „Bild“-Kolumnisten Franz-Josef Wagner wie Gift. Mit Blick auf die Etappe nach Alpe d’Huez, bei der Sky-Fahrer Geraint Thomas seinen zweiten Tagessieg landete und andere Rivalen chancenlos wirken ließ, schreibt Wagner, dass er nicht mehr zuschaut: „Ich habe zu viele echte Gefühle für falsche Helden vergossen“, so Wagner, mit Verweis auf Armstrong, Ullrich und Pantani. So weit, so gut – geht vielen so, dass sie von Ullrich & Co. enttäuscht wurden.

Dann wird es aber unfair: „Gestern seid Ihr angeblichen Helden hochgefahren zum legendären Alpe d’Huez, da wo Helden sich von normalen Menschen trennen. Wie kann ein Mensch in 30 Minuten einen 1850 Meter hohen Berg hochfahren?“ Sein Fazit: „Ich gucke die Tour de France nicht mehr an, weil ich keine Übermenschen sehen will. Mit Chemie gestärkt. Ich will normale Menschen.“

Dass die Sportler mit „Chemie gestärkt“ sind, wird schlicht und einfach unterstellt.

Wagner sieht also wieder Doping im Spiel; dass die Sportler mit „Chemie gestärkt“ sind, wird schlicht und einfach unterstellt. Als Beleg verweist Wagner auf die Zeit, 30 Minuten rauf nach Alpe d’Huez.

Die Realität sah gestern ganz anders aus. Der Sieger Geraint Thomas hat elf Minuten länger als Wagner behauptet, nämlich 41:26, benötigt. In der Liste der besten Zeiten rauf nach Alpe d’Huez (hier geht es zu den Bestzeiten) liegt Thomas damit auf Platz 109, 4:16 hinter dem Besten, 1995 vermutlich gedopten Marco Pantani.

Thomas‘ Zeit sieht nicht übermenschlich aus, genauso wenig wie die zahlreichen Einbrüche und Aufgaben der Fahrer bei der diesjährigen Tour de France – von den Sprintern ist kaum noch jemand im Peloton unterwegs, und selbst ursprüngliche Favoriten wie Nairo Quintana zeigen deutliche Schwächephasen (gestern attackierte der Kolumbianer zunächst, anschließend brach er sang und klanglos ein).

Kommentare wie die von Wagner – zumal in einem auflagenstarken Medium veröffentlicht – sind gefährlich für den Radsport in dieser Phase des Wiederaufbaus. Sie sind unfair, da nur schlampig belegt. Es ist nur zu hoffen, dass sich Fans davon nicht – negativ – beeindrucken lassen und sich ihre eigene Meinung bilden.

Den Kommentar schrieb Daniel Lenz. Er ist Gründer der Redaktionsagentur www.ecolot.de. Hier geht es zu seinem Radsportblog:www.cyclin.blog

Noch mehr Artikel zur Tour de France auf Rennrad-News

  1. benutzerbild

    Phipu

    dabei seit 07/2017

    Es ist sicher nicht richtig den Siegern Doping vorzuwerfen. Ebenso der Journalismus der Bildzeitung mit der Effekthascherei.
    Trotz allem finde ich die Frage nach einem sauberen Radsport legitim.

    Ich hatte diese Frühjahr ein interessantes Gespräch mit einem Langlauftrainer von Olympiagewinnern.
    - Er sagt, dass ein Sportler ohne leistungssteigernde Massnahmen in einer Rennserie nicht bei jedem Rennen auf dem Podest stehen kann. Wenn man eine gute Saison hat mag man ggf. 1-3 mal erster werden und ansonsten ein paar gute Platzierungen haben, aber nicht dauerhaft.
    - Er sagte ebenso, dass diese Aussage für alle Arten von Ausdauersport wie Rennrad, Bike usw. gilt.
    - Er sagte ebenso, dass der Unterschied zwischen leistungssteigernden Massnahmen und Doping der Sachverhalt ist ob eine Substanz oder ein bestimmter Grenzwert auf der Doping-Liste steht oder nicht.

    Vor diesem Hintergrund ist mir klar, dass alle Spitzensportler leistungssteigernde Massnahmen / Mittel nutzen (müssen). Dopen tut in diesem Sinne nur der der "erwischt" wird.

    Traurig. Aber jeder wie er will. Ich kann die Jungs aber auch verstehen. Was für einen Sinn macht es den Sport professionell zu betreiben und nicht an der Spitze mitmischen zu können nur weil man entsprechend leistungssteigernde Substanzen / Praktiken nicht anwenden will.

  2. benutzerbild

    pjotr

    dabei seit 03/2004

    Glücklicherweise

    [Bild]


    Natürlich ist der Kommentar aus der Bild übelste Stimmungsmache unter Einsatz gezielter Fehlinformation. Da geht es nicht darum, eine fundierte Meinung zu sagen oder ein Problem zu analysieren, sondern Vorurteile zu bedienen. Die Auflagenentwicklung von Bild und Konsorten gibt dennoch leider zu Jubel keinen Anlass. Die Leute die den Scheißdreck von Bild konsumiert haben sind nicht etwa klüger geworden, sie haben sich nur andere Medien gesucht, um ihre Vorurteile zu befriedigen. Heute muss man dafür keinen Bild-Kommentator mehr haben, dafür gibt es jetzt eine breite Palette anderer Quellen, angefangen beim Fernsehen bis hin zu sogn. "sozialer Medien".
  3. benutzerbild

    Lempira

    dabei seit 06/2007

    Phipu,

    danke für den Einblick aus der Sicht eines Insiders. So sieht die traurige Wahrheit wohl aus.

  4. benutzerbild

    JNL

    dabei seit 09/2017

    Natürlich ist der Kommentar aus der Bild übelste Stimmungsmache unter Einsatz gezielter Fehlinformation. Da geht es nicht darum, eine fundierte Meinung zu sagen oder ein Problem zu analysieren, sondern Vorurteile zu bedienen. Die Auflagenentwicklung von Bild und Konsorten gibt dennoch leider zu Jubel keinen Anlass. Die Leute die den Scheißdreck von Bild konsumiert haben sind nicht etwa klüger geworden, sie haben sich nur andere Medien gesucht, um ihre Vorurteile zu befriedigen. Heute muss man dafür keinen Bild-Kommentator mehr haben, dafür gibt es jetzt eine breite Palette anderer Quellen, angefangen beim Fernsehen bis hin zu sogn. "sozialer Medien".

    Wahrscheinlich andere und die gleichen im Netz: Online ist BILD weit vorne: https://meedia.de/2018/01/09/ivw-ne...ern-wachsen-trotz-feiertagen-gegen-den-trend/
  5. benutzerbild

    Oseki

    dabei seit 02/2016

    Traurig. Aber jeder wie er will. Ich kann die Jungs aber auch verstehen. Was für einen Sinn macht es den Sport professionell zu betreiben und nicht an der Spitze mitmischen zu können nur weil man entsprechend leistungssteigernde Substanzen / Praktiken nicht anwenden will.

    Es geht ja nicht mal um "in der Spitze mitmischen", sondern überhaupt ein Rennen zu Ende zu fahren.

Was meinst du?

Wir laden dich ein, jeden Artikel bei uns im Forum zu kommentieren und diskutieren. Schau dir die bisherige Diskussion an oder kommentiere einfach im folgenden Formular:

Verpasse keine Neuheit – trag dich für den Rennrad-News-Newsletter ein!