Sam Bennett hat die letzte Etappe des Giro d’Italia gewonnen. Chris Froome kann nach der Jubeletappe durch Rom noch ein Rosa Trikot zu seinem Gelben und Roten von Tour und Vuelta hängen. Aber in Deutschland kommt keine Jubelstimmung über den dritten Grand Tour Sieg des Briten in Folge auf. Und das liegt nicht nur daran, dass Froome kein Deutscher ist. Ein ganz persönliches Stimmungsbild zum Giro 2018.
Ich mag Rosa. Als Akzent an meinen Fahrrädern, auch an Radsportkleidung, wenn ich sie bezahlen kann. Aber ich habe mich noch nie krankschreiben lassen, um eine Etappe des Giro d’Italia live im Fernsehen zu verfolgen. Wohl wissend, dass Rosa überhaupt nur wegen des Giro d’Italia eine Berechtigung als Farbe im Radsport hat – und Krankschreibenlassen auch mit therapeutischer Ausnahmegenehmigung nicht okay ist. Dagegen: Während der Tour de France stand ich schonmal gaaanz kurz davor, eine Erkrankung vorzutäuschen. Um die Königsetappe live zu sehen. Und die Klassiker finden glücklicherweise am Wochenende statt. Sonst müsste ich mir Urlaub nehmen.
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Kurz, der Giro war nie ein Muss. Über die Tour kann man mit jedem reden, über den Giro nur bei einer RTF. Und jetzt auch noch Froome mit Team Sky, das Bayern München und Real Madrid des Radsports in Personalunion. Ständige Gewinner sind ohnehin entweder unsympathisch oder man himmelt sie an. Ich neige zu Letzterem (bin aber trotzdem ein Sagan-Opfer). Hinzu kam bei Froome, der Salbutamol-Fall. Der lässt seine Siege in einem anderen Licht erscheinen, auch wenn bis jetzt gar nichts geklärt ist. Wie zu erwarten, überschlugen sich die lustigen und gar nicht lustigen Kommentare immer, wenn wir einen Etappensieg von Froome vermeldet haben. Und ganz besonders, als Froome auf der Königsetappe mit einem Husarenritt ins Rosa Trikot fuhr. Auch wenn der geständige Ex-Doper Thomas Dekker Froomes Leistung nachvollziehbar gegenüber Radsport-News als gar nicht so ungewöhnlich einstufte – ein Geschmäckle blieb für viele. Froome selbst hat gegenüber dem Sender BBC jetzt gesagt, dass am Bestand seines Sieges keine Zweifel bestünden.
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Der Froome-Start: Pech für den Giro. Zumindest für Deutschland, wo mit Dopingverdächtigen öffentlich besonders hart ins Gericht gegangen wird (obwohl die Strafgesetze anderen Ländern wie Frankreich eigentlich hinterherhinken). Pech, weil der Giro sportlich und dramaturgisch viel mehr Beachtung verdient hätte, wie ich als relativer Giro-Novize jetzt sagen kann.
Das begann schon mit dem Zeitfahren in Israel, das gerade so anspruchsvoll profiliert und mit Kurven gespickt war, dass auch die nicht 100% spezialisierten Tempobolzer eine Chance hatten. Und Fernseh-Deutschland hätte sich über das Weiße Trikot für Maximilian Schachmann freuen können, wenn es hingeschaut hätte wie bei der Tour.
Dann die erste Bergetappe in Italien auf den Ätna. Kein langweiliges Vorgeplänkel an Hügeln in der ersten Woche, sondern direkter Schlagabtausch zwischen den Favoriten. Es gab etwas zu verlieren, und das hat man gesehen. Hat Froome nur so getan, als ob er nicht mehr kann? Ich glaube nicht, im Nachhinein hat er alles richtig gemacht.
Kein Fahrer, der während des Giros nicht gesagt hätte, dass diese Rundfahrt besonders hart sei.
Kein Fahrer, der während des Giros nicht gesagt hätte, dass diese Rundfahrt besonders hart sei (außer Maximilan Schachmann in diesem Video). Gut möglich, dass die Leistung von Team Sky auch darin bestand, die bevorstehenden Strapazen genauer zu kalkulieren, die Belastung so zu dosieren, dass am Ende der Parforceritt auf den Colle delle Finestre einfach dabei herauskam. Wie bei der viel verschrienen Wattzählerei an den Tour-Pässen. Wie die Summe einer Gleichung. Ein besonders gutes Simulationsprogramm. Wer weiß?
Auf dem Bildschirm sah es spektakulär aus, wie Froome den Anstieg auf der Stradebianche zum Gipfel hinauf stürmte und anschließend auf dem schmalen Asphaltband der Abfahrt noch einmal Zeit herausholte. Salbutamol hilft auf Abfahrten nicht – man kann auch im modernen Radsport Fehler wie vor hundert Jahren machen. Wie Tom Dumoulin, der später einräumte, man wäre besser nicht Sébastien Reichenbach von FDJ hinterher gefahren, der fahre ab „wie seine Oma“. Und dann war es auf der letzten Bergetappe wieder der Bayern München-Bonus von Sky, mit Wout Poels einen dermaßen starken Fahrer zu haben, während die anderen alleine da standen.
Es waren auch die besonderen Nickligkeiten oder Attraktionen wie die Auffahrt zum Colle delle Finestre, die den Giro 2018 interessant zum Zuschauen machten. Der unerbittliche Aufstieg auf den Zoncolan steht für diesen neuen Giro (man dachte, ok, Froome will wenigstens noch einen Etappensieg trotz Formkrise). Aber auch Etappenfinale, in denen kleine Berge sich als unerwartet schwer entpuppen oder der Rundkurs auf der Rennstrecke in Imola sorgten sportlich und optisch für spannende Bilder. Da reihte sich die letzte Etappe auf den Straßen Roms mit einem hohen Kopfsteinpflaster-Anteil nahtlos ein.
Warum wir jetzt noch dieses Video verlinken? Weil das Herz doch für den Zweiten schlägt, nicht für den Dominator. Und abgesehen davon, dass es Werbung für das Sunweb-Team macht, beinhaltet es doch zwei wirklich rührende Momente. Den einen, wo Dumoulin auf der Massageliege dem Zweckoptimismus seines Coaches mit nüchternen Radsport-Sprech gerade biegt. Und den anderen, wo das Team nach einer Watt-Vorgabe des Kapitäns erst schweigt, bis einer lacht. Radprofis sind eben auch Menschen.
Und der Giro selbst bleibt mir auch als ein sehr sympathischer Zweiter in Erinnerung. Und euch?
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