Reisevorbereitung: kurz soll es sein
Wer kennt es nicht: Eigentlich sehnt man sich danach, mal wieder ein paar Tage radeln zu gehen und das am liebsten mit dem Kumpel, doch irgendwie passen die Terminkalender schlecht zusammen. Natürlich gibt’s Stress bei der Arbeit und das Wochenende drauf hat dann die Freundin Geburtstag. Dieses Jahr ergeht es uns genau so. Aufgrund zahlreicher Verpflichtungen dampfen wir unsere ursprünglich angedachte sechstägige Radreise sukzessive ein und damit natürlich auch die möglichen Destinationen, um die An- und Rückreise kurz zu halten.
So ziehen wir an einem Dienstag frühmorgens los und profitieren von drei Tagen Urlaub, die wir Mitte Woche freischaufeln konnten.
Von hier nehmen wir gemütlich den „Lötschberger“. Ein Regionalzug, der über die alte Lötschbergtunnel Strecke fährt.
Treffpunkt ist der Bahnhof in Bern, der Hauptstadt der Schweiz. Von hier nehmen wir gemütlich den „Lötschberger“. Ein Regionalzug, der über die alte Lötschbergtunnel Strecke direkt nach Domodossola fährt und in welchem man für den Radtransport keine Reservierung braucht. Die nördlichste Stadt des Piemont liegt unweit der Schweizer Grenze auf der Südseite vom Simplonpass.
1. Tag: Graveln ab Domodossola
In Domodossola angekommen, gönnen wir uns vor dem ersten Radkilometer noch einen Cappuccino und ein Croissant. Und wie könnte es anders sein, gerade als wir losfahren wollen, beginnt es zu regnen. Lukas und ich, wir ziehen den Regen bei unseren Reisen magisch an (hier findet ihr die verregnete Gravel Reise der Beiden durch Slowenien). Und dass es auf diesem Trip nicht trocken bleiben würde, war aufgrund der Prognose von Beginn weg klar. Im Gegenteil rechnen wir eher damit, jeden Tag mal nass zu werden. Doch mittlerweile sind wir abgehärtet und auch materialtechnisch etwas schlauer geworden: Die Überschuhe ziehe ich noch in Domodossala an, ich verabscheue nasse Füße!
Am Fluss Toce entlang gibt es zahlreiche Wege, die sich perfekt für den Graveler eignen.
Dem Fluss Toce entlang geht die Reise in Richtung Süden. Das Tal mit seinen steilen Felswänden kennt für das Rennrad wenig alternative Routen und recht viel Verkehr, doch am Fluss entlang gibt es zahlreiche Wege, die sich perfekt für den Graveler eignen. Rund 40 Kilometer folgen wir der Toce und legen in Omegna, am Nordufer des kleinen, aber hübschen Lago di Orta, einen Stopp für Focaccia und einen weiteren Koffein-Schub ein. Wir feiern die Feste, wie sie fallen, denken wir uns, und hier ist es gerade trocken und warm genug, um draußen zu sitzen.
Zudem verlassen wir hier die dichte Besiedelung und wagen uns in die Berge hinein. Zu oft wurden wir auf unseren explorativen Graveltrips schon von der Realität eingeholt, dass wild und einsam zwar unglaublich schön ist, aber dass man keine Bar auslassen sollte, die sich am Streckenrand anbietet, um nicht in die Hungerkrise zu rasseln.
Zunächst geht es auf einer rhythmischen, asphaltierten Straße über Quarna Sotto bis zur Alpe Camasca. Ein Gewitter entlädt sich direkt über uns, aber im langen Aufstieg können wir gut damit leben. Ab hier wartet der Gravelspaß und der Regen hört genauso schnell auf, wie er gekommen ist.
Zwischenzeitlich ist die Schüttelpartie so stark, dass wir kaum mehr sehen, wo wir lang fahren.
Auf einer Art Hochebene schlängelt sich der Weg in Richtung Alpe Ranghetto. Das Terrain ist ruppig und das wird auch auf der lang ersehnten Abfahrt kaum anders. Wir halten die Lenker so fest wir können, doch zwischenzeitlich ist die Schüttelpartie so stark, dass wir kaum mehr sehen, wo wir lang fahren.
In Camasco ist die Schüttelei zu Ende und wir sind froh, dass es mal wieder etwas hochgeht. Theoretisch könnten wir von Camasco aus auch das Tal hinausrollen bis nach Varallo, wo wir die Nacht verbringen möchten. Doch wir legen noch eine Detour über die Piana di Morondo ein und gelangen so auf die Straße vom Passo della Colma, der uns zum Schluss eine sehr schöne und lange Abfahrt beschert.
Varallo überrascht mit einer unerwartet schönen Altstadt und einigen Strahlen wärmendem Sonnenschein. Wir genehmigen uns auf der Piazza eine Pizza und ein Glas Wein als Apéro und verschieben die Hotelsuche noch einen Moment. Wir erkundigen uns in der Bar nach möglichen Unterkünften. Die Auswahl ist klein, aber fein und wir haben doppeltes Glück: Beim ersten, eigentlich voll belegten Hotel machen sie noch ein Zimmer für uns frei und da es kurz darauf wie aus Kübeln zu schiffen beginnt, gönnen wir uns sogar das super Abendmenu im Hotel. Bei Dauerregen verlassen wir die warme Stube nicht mehr freiwillig.
2. Tag Piemont Gravel Königsetappe
Der zweite Tag soll unsere Königsetappe werden. Der Auftakttag war gut, doch heute soll der Höhepunkt folgen, denn eine gute Reise hat, wie ein gutes Musikstück, eine Komposition. Varallo überrascht auch am Morgen wieder mit Sonne, der Wetterbericht hatte uns auf das Schlimmste vorbereitet. Wir nehmen jede Minute Sonne mit Handkuss.
Der zweite Tag soll unsere Königsetappe werden. Unser höchster Punkt liegt auf rund 1800 Meter.
Dem Fluss Sesia entlang geht’s gemächlich ins Tal hinein und in Piedimeggiana geht die schöne, aber endlose Steigung in Richtung Rifugio Meggiana los. Die asphaltierte Strasse überrascht mit epischen Kurven, und wir gelangen immer höher. Auf 450 m.ü.M. starteten wir in Varallo und unser höchster Punkt liegt auf rund 1800. Kurz vor dem Refugio wechselt der Untergrund auf Gravel und mit jedem zurück gelegten Meter werden die Steine größer, bis wir das Rad schließlich schieben müssen und nur noch sehr zäh vorankommen. Mittlerweile ist auch Nebel aufgekommen und vom ersehnten Panorama ist nichts mehr zu erkennen. Erst als wir nach einer Abfahrt auf der Alpe di Mera wieder auf Zivilisation treffen, lichtet sich der Nebel. Wir lassen uns die Chance nicht entgehen, einen Mittagsstopp einzulegen. In einem Skiort hat eine Bar geöffnet und die Panini, Dolce und Kaffee lassen keine Wünsche offen.
Gestärkt nehmen wir den zweiten Teil des Tages in Angriff und landen im Gravel-Himmel. Endlose Kiesstraßen, perfekter Untergrund, steile Rampen, lange Rollerpassagen. Wir kommen gut vorwärts und um genau 16 Uhr gelangen wir bei der Bielmonte-Strasse wieder auf Asphalt.
Das ein oder andere Mal haben wir bei der Planung bereits gesagt, dass es doch auch mal nett wäre, etwas früher beim Hotel zu sein. Aber eigentlich finden wir das den totalen Mist.
Wir füllen die Flaschen an einer Quelle und halten Kriegsrat. Ich bin dafür, dass wir den Tag wie geplant ausklingen lassen, immerhin haben wir schon 1900 Höhenmeter in den Beinen und die letzte Steigung zur Galleria Rosazza, wo wir die Nacht verbringen wollen, liegt noch vor uns. Lukas findet, dass es erst 16:00 Uhr sei. Das ein oder andere Mal haben wir bei der Planung bereits gesagt, dass es doch auch mal nett wäre, etwas früher beim Hotel zu sein. Aber eigentlich finden wir das den totalen Mist. Wir sind hier, um Rad zu fahren und aus unseren drei Tagen das Maximum an Rad auszuquetschen. Und so werden diese „etwas früher ankommen“ Etappen immer die längsten, weil wir noch irgendwelche Zusatzschleifen finden.
So ist es auch diesmal. Lukas kennt die Gegend von früher und meint, wir könnten gut noch eine Zusatzschlaufe einlegen und die Galleria Rosazza über Biella von der anderen Passseite ansteuern. Er hat diese Option rasch im Kopf überschlagen und zusätzliche 500 Höhenmeter budgetiert.
Ich bin labil und willige ein, notabene ohne genaueres Kartenstudium. 15 Kilometer später kommt mir die Sache spanisch vor, denn noch immer sind wir weit weg vom letzten Pass. Er liegt auf ca. 1.400 Metern und wir liegen bald bei knapp 300 Metern, da wir sämtlichen Höhengewinn in einer langen Abfahrt auf Asphalt verballert haben.
Nach einer kurzen Pause mit einem Schweppes Tonic und zwei kleinen Packungen Pommes Chips, bin auch ich wieder gut gelaunt. In der Steigung gönne ich mir zwar noch ein Twix, aber mehr, um durch den Zucker-Boost Lukas noch richtig zum Leiden zu bringen. Das Teufelchen in mir ist erwacht! So wird es spät, mit deutlich über 3’200 Höhenmetern körperlich zäh, aber landschaftlich wunderschön, bis wir durch den feuchten, unbeleuchteten Tunnel zur Locanda Galleria Rosazza rollen.
Locanda Galleria Rosazza: Die Dusche ist heiß und das Essen selbstgemacht. Gesprochen wird nur italienisch, doch die Verständigung mit Händen und Füssen funktioniert bestens.
Diese ist dann ein echtes Erlebnis, direkt an der Passhöhe und dem Tunneleingang gelegen. Die Straße runter nach Rosazza ist wegen Bauarbeiten aufgrund von Erdrutschen schon seit 2 Jahren gesperrt. Sie Locanda hat nur geöffnet, weil wir uns einige Tage vorher telefonisch angekündigt haben. Gutes Glück für einen kauzigen Radfahrer, der mit viel Gepäck und einem Mountain Bike auf einer Alpenüberquerung unterwegs ist und ziemlich entkräftet hier gelandet ist. Die Dusche ist heiß und das Essen selbst gemacht. Gesprochen wird nur italienisch, doch die Verständigung mit Händen und Füssen funktioniert bestens. Die Pasta mit Brennessel-Pesto schmeckt hervorragend und mit einem Liter Wein haben wir doch etwas optimistisch bestellt, da uns nach dem Dessert langsam aber sicher die Augen zufallen und wir uns, fernab von der Zivilisation, in Richtung unseres Schlafgemachs begeben.
3. Tag: Ausklingen mit 1.900 Höhenmetern
Der dritte Tag bedeutet in unserer Reisekomposition „ausklingen“. Der Blick aus unserem Zimmer beschert uns eine traumhafte Aussicht auf die umliegenden Berge und die unbefahrene Strasse erlaubt etwas Stretching, um die vom Vortag strapazierten Muskeln zu dehnen und kneten.
Von der Unterkunft wartet zuerst eine Abfahrt und dann noch 15 Kilometer mit Rückenwind das Tal hinausrollen. Nun sind die Beine wach und das mit dem Ausklingen wird wieder relativ. Zumindest Asphalt gönnen wir uns heute mehr als zuvor, zwischendurch ist es einfach schön, wenn es rollt! Von Andorna Mica geht’s über eine Panoramastrasse nach Coggiolo, wo wir uns in einer höchst kuriosen Bar noch einen kräftigen Espresso gönnen. Von hier nehmen wir die steile Alpe Noveis in Angriff. Da die Beine aber müde sind, nehmen wir die lohnende Gravel-Abkürzung und lassen den oberen Teil aus. Dank unserer Routenplanung vom Vorabend schaffen wir es, fast permanent auf Nebensträßchen unterwegs zu sein und die größeren Orta und stark befahrenen Straßen zu umfahren. Nur in Borgosesia kehren wir ein, denn wir sind hungrig und brauchen für das letzte Drittel nochmals Power! 1.900 Höhenmeter werden es heute, Ausrollen ist halt immer relativ.
Immerhin können wir die letzten Kilometer entlang des Lago d’Orta die Beine rollen lassen nochmals Bella Italia einatmen.
Immerhin können wir die letzten Kilometer entlang des Lago d’Orta die Beine rollen lassen nochmals Bella Italia einatmen. Den Zug nehmen wir in Orta Miasino. Zuerst geht’s mit dem Regionalzug nach Domodossola und von da wieder zurück nach Bern.
Die 3 Tage waren intensiv, die Beine sind müde und das Herz voller Erinnerungen. Trotz vollem Terminkalender und wenig Zeit waren wir gefühlsmäßig sehr, sehr weit weg. Eine vierstündige Zugreise von zu Hause entfernt, konnten wir in unbekanntes Terrain eintauchen.
Reise Infos Gravel Tour Piemont
Strecke und .gpx-Daten
Route Tag 1: Domodossola – Varallo | 80 km | 1.800 Hm | Route auf Komoot
Route Tag 2: Varallo – Rosazza | 101 km | 3.410 Hm | Route auf Komoot
Route Tag 3: Rosazza – Orta Miasino | 88 km | 1.800 Hm | Route auf Komoot
An- und Abreise
Mit der Schweizerischen Bundesbahn von Bern direkt nach Domodossola. Im Schnellzug müssen Personen und- Fahrradplätze reserviert werden (oder die Fährräder in geeigneten Taschen verpackt sein). Im Regionalzug reist es sich dagegen auch spontan gut.
Gepäck
Fürs Gepäck während der 1Reise empfehlen wir den Ortlieb Seatpack 11 L. Wichtig ist, dass die Satteltasche so fest wie möglich festgezurrt wird, sodass sie nicht wippt. Unserer Meinung nach reicht für einen Trip im Sommer-Halbjahr ohne Camping eine Satteltasche fürs Gepäck. Eine kleine Tasche am Lenker empfehlen wir aber für Handy, Sonnencreme und Brieftasche. Auch die Windjacke in der Lenkertasche hat sich als praktisch erwiesen.
Unterkünfte
Tag 1 Albergo Monte Rosa, Varallo: http://albergomonterosa.it/
Tag 2 Locanda Galleria Rosazza: https://galleriarosazza.com/locanda/
Beste Reisezeit
Ende Mai – Ende Oktober (je nach Schneelage!)
Ausrüstungs-Tipps
Beim Bikepacking gilt der Leitsatz „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“, denn jedes Gramm mehr muss man auch den Berg hinauf schleppen. Dicke Handschuhe, ein Stirnband und eine Regenjacke gehören zu jeder Jahreszeit ins Gepäck, wir packen mittlerweile auch immer Überschuhe. Ein Satz Radklamotten muss jedoch reichen. Fahrradkleider trocknen schnell und können am Abend im Hotel ausgewaschen werden. Ein Satz Freizeitkleider empfehlen wir auch, um trocken und gut riechend am Abend im Restaurant essen gehen zu können.
Welches Abenteuer liegt vor deiner Haustüre?
Über Nathalie Schneitter
Nathalie Schneitter startete ihre internationale Mountainbike-Karriere im Jahr 2004 mit dem Gewinn des Cross-Country-Weltmeistertitels bei den Juniorinnen. Seither ist sie Vollgas auf den Rennstrecken dieser Welt unterwegs. In Jahr 2008 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking und 2010 sicherte sie sich den Heimsieg beim Cross-Country-Weltcup in Champéry und 2019 wurde sie erste E-MTB Weltmeisterin der Geschichte. Vollgas gibt Nathalie auch neben der Rennstrecke: Sie lacht viel, ist bisschen verrückt und tanzt in jeder möglichen Situation. Auf Red Bull TV spricht sie den deutschen Co-Kommentar der MTB XC Weltcups und im Organisationsteam der Cycle Week in Zürich hat sie die Messeleitung.
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