Gravelrides kann man in Deutschland inzwischen fast an jedem Wochenende fahren. Aber Gravelraces? Da muss man schon länger warten – oder weiter reisen. Zum Beispiel in die Schweiz, wo in Bern parallel zum Cyclocross-Weltcup ein Gravelrennen Premiere feiert und gleich 230 Racer anzog. Unter ihnen auch Nathalie Schneitter, die für uns berichtet.
Wenn im Oktober die Bäume ihre Blätter verlieren, dann startet klassischerweise die Cross-Saison. In der Schweiz hat die Disziplin Radquer, wie der Sport in der Schweiz heißt, in den letzten Jahren ein unverdientes Mauerblümchen-Dasein gefristet. Während alle anderen Fahrradsparten Jahr für Jahr mehr Menschen begeisterten, gerieten die mit Stollen bereiften, Rennrad-ähnlichen Stahlrösser in Vergessenheit. Damit ist nun aber Schluss! Mit der EKZ Cross Tour besitzt die Schweiz schon seit einiger Zeit wieder eine starke Cyclocross-Rennserie und Ende Oktober kehrte der Telenet UCI Radquer-Weltcup nach acht Jahren erstmals wieder in die Schweiz zurück.
Das Berner Freibad Weyermannshaus wurde Schauplatz eines Radsportfestes für Groß und Klein, bei dem es viel mehr zu erleben gab als Radquer-Rennen. Während die meisten Spitzensportveranstaltungen reine Publikumsevents sind, ging der Berner Radquer-Weltcup konzeptionell ganz andere Wege und bot allen die Möglichkeit nicht nur dabei zu sein, sondern mit zu machen. So standen neben den sonntäglichen Weltcuprennen mit internationalen Spitzenathleten am Samstag Sideevents für Breitensportler, Nachwuchs und Kinder auf dem Programm.
Und während die Weltcup Rennen fest in den Händen der Belgier und Holländer waren, kämpften beim Gravel Race, dem Breitensportevent am Samstag, vor allem heimische Amateurfahrer um Ruhm und Ehre. Über 230 Teilnehmer/innen standen am Samstagmittag am Start des Gravel Race und des Gravel Ride. Während das Gravel Race über 50 Kilometer ging und mit Zeitmessung absolviert wurde, ging es beim Gravel Ride über 20 Kilometer und ohne Zeitmessung etwas gemütlicher zu.
Begeistern konnten beide Gravel-Formate. Gefahren wurde aber nicht nur, wie der Name schon sagt, auf Kiesstraßen, sondern auch auf flowigen Singletrails, Wald- und Wiesenwegen. Der Asphaltanteil wurde gekonnt tiefgehalten und dem Streckenchef gebührt ein großes Lob. Der trockene Sommer und Herbst taten natürlich das ihrige, dass das Rennen sehr schnell wurde. Die Strecke war jedoch so gebaut, dass zwar grössere Gruppen entstehen konnten, aber immer wieder schwierige Passagen frischen Wind in die Gruppen brachten.
Wir Mädels starteten mit den Männern zusammen und so ging es zunächst darum, eine passende Gruppe zu finden. Die Top 3-Frauen Kathrin Stirnemann, Viviane Spielmann und ich selber fanden Unterschlupf in einer 8er-Gruppe und beteiligten uns natürlich auch, wenn es darum ging, im Wind zu fahren.
In unserer Gruppe war auch ein Mountainbike dabei, was mich zunächst etwas überraschte. Im Ziel erklärte mir jedoch der OK-Präsident Christian Rocha, dass das Gravel Race vor allem dazu dienen soll, mehr Menschen für den Radsport allgemein und auch für Cyclocross und Gravel zu begeistern. In seiner Rennserie EKZ Cross Tour dürften bei den Jedermann Rennen immer auch Mountainbikes mitfahren und schon mancher Fahrer fand über diesen Weg den Zugang zum Radquer-Sport. Die Erklärung leuchtete mir ein, und ich freute mich darüber Teil davon zu sein. Das Gravel Race war für Veranstalter wie auch Teilnehmer ein voller Erfolg mit einem großartigen Starterfeld, perfekten Wetterbedingungen und eindrücklichen Bildern.
Bei den Jungs gewann das Gravel Race der ehemalige MTB-Weltmeister Christoph Sauser und bei den Mädels die amtierende MTB Eliminator-Weltmeisterin Kathrin Stirnemann. Ich wurde Zweite und ein bisschen Stolz war ich schon, dass meine pensionierten Rennfahrerbeine noch immer ganz anständig in die Pedale treten können.
Nach dem Rennen ging es dann direkt ins Bier im kleinen Streetfoodfestival, das zum Rennen gehörte. Schließlich fuhren wir ja nicht am Sonntag beim Weltcup, sondern beim Gravel Race mit, da gehört das für mich einfach dazu!
Marianne Vos, die am Sonntag das Weltcuprennen für sich entscheiden konnte, meinte: „Ich weiss, dass die Schweiz auf eine lange Tradition im Radquer zurück blickt, aber auch, dass sie in den letzten Jahren nicht mehr zu den dominierenden Nationen gehörte. Umso überraschter war ich, wie gut die Stimmung an der Strecke war. Es beeindruckte mich, wie begeistert das Publikum war!”
Das zweitägige Konzept ging auf. Die Verknüpfung von Breitensport und Spitzensport hat sich gelohnt. Das bewiesen die 300 Teilnehmer am Samstag und die rund fünftausend Zuschauer am Sonntag!
Infos zum Cyclocross Weltcup in Bern, dem Gravel Race und der EKZ Cross Tour gibt es hier: https://ekz-crosstour.ch
Über die Autorin Nathalie Schneitter:
Nathalie Schneitter startete ihre internationale Mountainbike-Karriere im Jahr 2004 mit dem Gewinn des Cross-Country-Weltmeistertitels bei den Juniorinnen. Seither ist sie Vollgas auf den Rennstrecken dieser Welt unterwegs. In Jahr 2008 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking und 2010 sicherte sie sich den Heimsieg beim Cross-Country-Weltcup in Champéry. Vollgas gibt Nathalie auch neben der Rennstrecke: Sie lacht viel, ist bisschen verrückt und tanzt in jeder möglichen Situation. Sie ist Messeverantwortliche im Organisationsteam der Bike Days in Solothurn und des Urban Bike Festival in Zürich und seit dieser Saison spricht sie auf Red Bull TV auch den Deutschen Co-Kommentar des Cross Country Weltcups.
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