Kribbelnde Finger oder Taubheitsgefühle am Rennradlenker sind bestenfalls nervig, schlimmstenfalls ein Problem, etwa beim Betätigen der Bremse. Was hilft gegen Handschmerzen am Rennrad-Lenker? Wir haben Ergonomie-Experten von Ergon gefragt, die seit 20 Jahren intensiv die Entstehung von Schmerzen studieren und mit passenden Produkten dagegen angehen. Tipps zur Lenkereinstellung und Abhilfe mit Zubehör gibts im Video und im Artikel.
Video: Tipps gegen Handschmerzen beim Rennrad-Fahren
Handschmerzen beim Rennradfahren – woher kommen sie?
Handschmerzen und Taubheitsgefühle in den Fingern sind auch unter Rennrad-Fahrerinnen und Rennrad-Fahrern weitverbreitet. Laut Dr. Kim Tofaute, Sportwissenschaftler und Ergonomie-Experte bei Ergon, ist etwa die Hälfte aller Radfahrer davon betroffen.
Das muss nicht sein. Denn eigentlich bietet gerade der Rennrad-Lenker mit seinen verschiedenen Griffpositionen ideale Voraussetzungen, um Schmerzen beim Radfahren in den Händen zu vermeiden, bevor sie entstehen. Einerseits.
Andererseits begünstigt gerade Rennradfahren die Entstehung von Handschmerzen schon aus einem einfachen Grund: Die Hände müssen mehr Gewicht tragen als bei anderen Fahrradtypen. Durch die meist stark nach vorn geneigte Sitzposition lastet mehr Druck auf den Handflächen. Selbst das komfortabelste Endurance-Rennrad oder Gravel Bike fordert eine sportlichere Sitzhaltung als die allermeisten Mountainbikes.
Kommt dann noch eine falsche Haltung hinzu, kann dies zu einer Kompression des Ulnarnervs führen. Dieser verläuft relativ oberflächlich und ist somit besonders anfällig für Druck. „Schon bei geringem Druck können taube Finger auftreten, besonders bei den kleinen Fingern und den Ringfingern“, erläutert Dr. Tofaute.
Ein weiterer Grund für Handschmerzen oder Taubheitsgefühle in den Händen beim Radfahren sind ungünstige Handhaltungen. Viele knicken ihre Handgelenke stark ab, wodurch der Medianusnerv im Karpaltunnel eingeklemmt wird. Kim Tofaute beschreibt es anschaulich: „Das kann man sich wie einen abgeknickten Wasserschlauch vorstellen. Bei einer MRT-Aufnahme sieht man deutlich, dass der Nerv richtig eingeklemmt wird.“
Handschmerzen vorbeugen!
Griffpositionen variieren
Maßnahme Nummer Eins, um Handschmerzen am Rennradlenker vorzubeugen: Die verschiedenen Griffpositionen am Rennradlenker nutzen, um das Gewicht gleichmäßig zu verteilen und Druckstellen zu vermeiden. „Der Rennradlenker bietet mindestens drei Positionen, die man regelmäßig wechseln sollte“, rät Kim Tofaute. Diese Variabilität hilft schon viel dabei, die Belastung auf die Hände zu minimieren.
Tipp der Redaktion: Wer mit Multisportuhren oder GPS-Gerät fährt, kann die Erinnerung ans Trinken oder Ernähren auch als Gedächtnisstütze zum Wechseln der Griffposition sehen. Generell ist natürlich auch aktives Fahren mit bewusstem Wechsel der Fahrweise und konzentriertem Einnehmen verschiedener Haltungen ein probates Anti-Schmerzmittel. Zum Beispiel: Wiegetritt an jeder Steigung, Unterlenker, Belgische Position oder entspannte Position an den Hoods auf den Geraden, Nutzen der verschiedenen Bereiche des Oberlenkers beim lockeren Rollen.
Druck verteilen und Dämpfung erhöhen
Ein weiteres Mittel zur Vorbeugung ist die Dämpfung. „Ein dickeres Lenkerband bietet nicht nur bessere Dämpfung, sondern auch eine bessere Druckverteilung“, so Kim Tofaute. Hier sind die Bedürfnisse schon aufgrund unterschiedlicher Handgrößen und Einsatzbereiche verschieden – man denke an grobe Gravel-Wege oder schlechte Landstraßen im Vergleich zu feinstem Asphalt.
Ergon hat dafür das ergonomische Lenkerband Ergon BT entwickelt (engl. „bar tape“, daher die Abkürzung BT im Produktnamen), speziell für die Bereiche Rennrad, Gravel und Allroad. Das „BT Road“ fällt mit 2 mm Stärke dünner aus als die Lenkerbänder für die Allroad- (2,5 mm) und Gravelräder (3,5 mm). Ein spezieller EVA-Schaum (AirCell) kann Vibrationen dämpfen und auf diese Weise Handbeschwerden verringern. Zudem kann das Band unterschiedlich gewickelt werden: mit 1⁄3 Überlappung für den Fokus auf Griffgefühl und mit 2/3 Überlappung für gesteigerten Komfort.
Den Druck besser zu verteilen, ist wie bei Griffen am geraden Lenker angeraten, um die Nerven in den Händen zu schonen. Mehr Fläche und Entlastung lautet hier die Devise. Gut gelingen kann das mit flächigeren Oberlenkerformen. Flexibler lassen sich spezielle Polster zur Druckminderung einsetzen, wie das Ortho-Cell-Pad von Ergon. Sie bieten zusätzlichen Komfort und reduzieren Druckstellen. Dr. Tofaute erläutert: „Das Ortho-Cell-Pad kann am Oberlenker oder Unterlenker genutzt werden und dämpft hervorragend ab, ohne schwammig zu wirken.“ Zum Einsatz kommt dazu ein orthopädischer Hochleistungsschaum. Das in Deutschland hergestellte OrthoCell-Material entlastet Hände und Handgelenke in jeder Greifposition.
Ortho-Cell Pads und Ergon BT Lenkerband im Test
Korrekte Einstellung des Rennrad-Lenkers
Eine korrekte Einstellung des Lenkers und der Bremsgriffe ist ebenfalls entscheidend. „Viele arbeiten einfach mit der Serieneinstellung, was nicht optimal ist“, betont Dr. Tofaute. Durch die Anpassung der Lenkerposition und die Neigung der Bremsgriffe kann die Belastung auf die Handgelenke deutlich reduziert werden. „Die Bremsgriffe sollten so eingestellt sein, dass sie leicht zu erreichen sind und das Handgelenk in einer natürlichen Position bleibt“, fügt er hinzu.
Praktische Tipps zur Einstellung des Lenkers
Um Handschmerzen zu vermeiden, sollte man den Lenker so einstellen, dass sowohl die obere als auch die untere Griffposition bequem ist. „Testen Sie verschiedene Einstellungen, bis Sie die für Sie optimale Position gefunden haben“, empfiehlt Dr. Tofaute. Dabei ist es wichtig, dass der Lenker nicht zu tief eingestellt ist, damit man auch die untere Griffposition bequem nutzen kann.
Die Bremsgriffe sollten so eingestellt sein, dass sie leicht zu erreichen sind und das Handgelenk in einer natürlichen Position bleibt. „Ein zu stark geknicktes Handgelenk kann den Medianusnerv reizen“, warnt Dr. Tofaute. Eine Anpassung der Bremsgriffhöhe und -neigung kann hier Abhilfe schaffen. „Viele Profis drehen die Bremshebel nach innen, was ergonomisch sinnvoll ist, da das Handgelenk dann gerader bleibt“, erklärt er.
Der Ergonomie-Experte rät zudem, regelmäßig die Griffposition zu wechseln und die richtige Gesamteinstellung des Rennrades oder Gravel Bike damit zu überprüfen. „Wenn man selten im Unterlenker fährt, kann das an einer falschen Radeinstellung liegen“, sagt er. In solchen Fällen sollte der Lenker höher eingestellt werden, um die Nutzung des Unterlenkers zu erleichtern.
Lässt sich das nicht umsetzen, sollte man über passende Vorbaulängen und Lenkerbreiten nachdenken. Hilfe bei der Ermittlung des passenden Abstandes von Sattel und Lenker leistet auch die Ergon Fitting Box. Es gibt sie sowohl in einer Version fürs Rennrad, als auch seit Neuem mit Empfehlungen für die Einstellung des Gravel Bikes.
Fazit
Handschmerzen beim Rennradfahren sind weit verbreitet, können aber durch die richtige Lenker- und Bremsgriff-Einstellung sowie durch die Nutzung von dämpfenden Materialien und verschiedenen Griffpositionen erheblich reduziert werden. „Nutzen Sie die Vielfalt an Möglichkeiten, die Ihnen der Rennradlenker bietet, und achten Sie auf eine ergonomische Handhaltung“, fasst Dr. Tofaute zusammen.
Habt ihr noch Tipps zur Vermeidung von Handschmerzen beim Rennradfahren??
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- Ergonomiespezial mit Ergon – Teil 3: Hilfe gegen Fußschmerzen auf dem Rennrad
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