RN: Hallo Rob, Specialized sponsert zwei WorldTour-Teams. Naheliegende Frage: War der Exos ein Wunsch der Profis?
Rob: Wir haben über die Jahre viel engen Kontakt mit den WorldTour-Fahrern. Eine Sache, die wir sicher wissen, ist, dass jeder Fahrer andere Ansprüche an die Passform und die Eigenschaften seines Schuhs stellt. Ich erinnere mich zum Beispiel an die Gespräche mit Fabio Aru. Er wollte eine besonders weiche Ferse, fast ohne Kontakt zum Fersenknochen. Dagegen wollte Alberto Contador einen extrem festen Fersenhalt, fast so, als wäre ein Metallteil oberhalb des Knochens eingelassen. Es kommt auf den Fahrstil an: Contador ist ein Fahrer, der besonders viel Winkelveränderung im Tretzyklus hat, stark mit der Ferse nach oben zieht in der Aufwärtsbewegung. Aber ich erinnere mich auch an Tom Boonen, der einfach fast 90-Grad nach unten trat, wie ein Kolben im Zylinder. Solche Fahrertypen haben wieder andere Anforderungen. All diesen Ansprüchen lässt sich nicht mit einem einzigen Schuh genügen.
-> Hier findet ihr alle Infos und den ersten Fahreindruck des S-Works Exos
Wie spiegelt sich das im Schuh-Design?
Nehmen wir zum Beispiel den aktuellen Specialized S-Works 7 Schuh. Das ist ein ganz anderer Schuh als der neue S-Works Exos. Im direkten Vergleich umschließt der S-Works 7 den Fuß mehr wie ein Container, eine feste Struktur. Das entspricht dem, was viele Fahrer aus Gewohnheit suchen: einen festen Halt, eine starke Struktur. Dagegen wollten wir für den S-Works Exos ein fast sockenartiges Gefühl erreichen.
Wie geht das?
Nehmen wir die Ferse: Wo andere Schuhe dort traditionell eine feste Kappe haben, ist der Exos dort flexibel (drückt die Fersenkappe nach unten, bis fast auf die Innensohle). Auch im Vorderfußbereich haben die meisten Schuhe eine „Zehenbox“, eine feste Struktur, umgeben von Synthetikleder. Und zwar aus einem bestimmten Grund: Um das unflexible Material von den Zehen fernzuhalten, um Druckschmerz zu vermeiden. Dagegen hat der Exos im Vorfußbereich ein flexibles, definiert dehnbares Material. Für jemand, der traditionelle Rennradschuhe gefahren ist, fühlt sich das im ersten Moment ungewohnt an.
Wie war die Reaktion der Profis?
Die Anpassungsfähigkeit des Exos ist etwas, das dem widerspricht, was Profis von einem Rennradschuh erwarten. Wir hätten für sie keinen solchen Schuh wie den Exos entwickeln müssen, Profis sind leidensfähig. Es interessiert sie weniger, wie bequem ein Schuh ist, sondern nur, wie gut er die Kraft überträgt. Wir haben also gedacht, sie könnten etwas schockiert sein, wenn sie den Schuh zum ersten Mal anziehen, weil das Tragegefühl so anders ist. Wir haben gesagt, sie sollen ihn zweimal fahren, um ein Gefühl dafür zu bekommen.
Wir haben gesagt, sie sollen ihn zweimal fahren, um ein Gefühl dafür zu bekommen.
Es war auch für uns spannend, wie der radikal andere Ansatz aufgenommen wird. Unsere Erwartung war, dass die Profis das Gefühl haben, sie würden sich im Schuh hin- und her bewegen. Wir geben den Exos in kleinen Dosen ins Peloton. Die Quick-Step Fahrer Remco Evenepoel (belgische Rundfahrthoffnung und bester Jungprofi bei der Vuelta a San Juan, Anm. Der Redaktion) und Iljo Keisse und Gregor Mühlberger von Bora-Hansgrohe fahren ihn und sind angetan. Keisse fuhr ihn erst auf der Bahn und entschied sich dann, den Exos auch auf der Straße zu fahren.
Fahren die Pro-Tester den Exos oder Exos99?
Sie fahren den Exos.
Das Material des Schuhs ist geradezu hauchdünn, ist es ein reiner Sommerschuh?
Nicht unbedingt. Einer der Fahrer, die den Schuh einsetzen, ist, wie gesagt, der Österreicher Gregor Mühlberger. Er sagte, dass er es sich im Schuh sogar besser gewärmt fühlte, weil er die Zehen frei bewegen konnte.
Welche Nachteile hat es, das Material so stark zu reduzieren?
Ich würde nicht von einer Reduktion sprechen. Ziel war ja nicht nur Leichtbau, sondern auch ein anderer Schuh mit einem neuen Tragegefühl. Der Nachteil ist, dass das Gefühl zunächst dem bisher Gewohnten widerspricht. Aber die geringere Stärke hat viele Vorteile. Ein weniger anpassungsfähiges Material muss immer mit einer gewissen Kraft vorgeformt werden, wenn der Schuh geschlossen wird. Diese Kraft wirkt dann aber der Kontur des Fußes entgegen, speziell an knöchernen Strukturen wird das spürbar. Dagegen legt sich das flexiblere Material auch an feinere Formen an.
Das in den Exos Schuhen verwendete Dyneema Material hat eine höhere Zugfestigkeit als Stahl, es wird aber wie ein Garn verarbeitet. Es passt lässt sich durch die Belegung wie unidirektionale Carbonfasern in eine bestimmte Richtung dehnbarer und in die andere nicht dehnbar gestalten. Gleichzeitig ist es hoch abriebfest und UV-beständig. Es ist ein kein preiswertes Material und wir haben die Auslegung für die Exos Schuhe zusammen mit dem Hersteller entwickelt – das wirkt sich auf den Preis aus, der andere Nachteil, wenn man so will.
Wurden auch andere Materialien erprobt?
Oh ja, ich habe eine ganze Kiste voller Prototypen in allen Farben. Es gab Ansätze mit Strick-Gewebe und verbundenem Dyneema für die Kraftübertragung. Aber: Immer wenn man etwas schichtet und verbindet, addiert das Material, Klebstoffe, die möglichen Fehlerquellen steigen, aber auch die Fehlertoleranzen, man kann Fertigungsmängel kaschieren. Insofern ist der minimalistische Ansatz zwar gewichtsmäßig der leichtere, in der Produktion aber der schwerere.
Noch einmal zum Strick: Das Gewebe speichert tendenziell Feuchtigkeit, ein nasser Strickschuh ist viel schwerer als ein trockener, das wollten wir vermeiden. Auch bekommt man bei Regen schlicht schneller nasse Füße.
Der Oberschuh rund um die Zehen gibt dagegen deutlich sichtbar nach – ist das Material genauso haltbar?
Es ist sehr strapazierfähig. Wir haben bereits in den S-Works Sub-Schuhen Erfahrung damit gesammelt, wo es um den Spann zum Einsatz kam. Im Peloton-Alltag gab es keine Probleme. Die Schuhe sind dort seit 4 Monaten in Gebrauch, wir haben Zehntausende Teststunden, Prototypen wurden über ein Jahr getestet. Die Schuhe sind so haltbar wie die aktuellen S-Works 7. Eine Einschränkung gibt es: Kommt es zu längerem Kontakt mit einem drehenden Vorderrad, etwa vor einem Sturz, reibt sich das Material – auch wegen der entstehenden Hitze – schnell auf.
Warum keine Schnürsenkel, wären die nicht noch leichter?
Das Boa System war ein ausdrücklicher Wunsch der Pros. Für Radprofis ist es wichtig, den Schuh während der Fahrt schnell anpassen zu können: etwas lockerer in der Anfangsphase, fester beim Sprint oder im entscheidenden Anstieg. Schnürsenkel können nur einmal zu Beginn eingestellt werden und dann sucht man immer einen Kompromiss. Beim Exos99 gab es keine Alternative zu Schnürsenkeln, um das Gewicht unter der magischen 100 g Grenze zu halten.
Das Boa System war ein ausdrücklicher Wunsch der Pros.
Warum keine zwei Boa-Verschlüsse?
Jeder Boa-Verschluss addiert vergleichsweise viel Gewicht. Und wir wollten den Schuh am Spann so flexibel wie möglich halten. Der Boa IP1 Verschluss, den wir einsetzen, besitzt ein ausreichend langes Band, um den ganzen Spann zu umschließen und das Micro-Adjust-System, um ihn während der Fahrt anzupassen.
Kann man den Exos mit den Body Geometry Elnlegesohlen kombinieren?
Ja, alle Merkmale des Body Geometry-Konzeptes sind im Exos auch umgesetzt. Das spiegelt sich besonders in der Sohle. Um Gewicht zu sparen, liegt es nahe, Carbonsohlen – das schwerste Teil des Exos – flach, auszulegen, und dann zu versuchen, die nötige Unterstützung des Längsgewölbes mit einer Einlegesohle zu erzielen. Aber wenn die Schuhsohle nicht entsprechend geformt ist, biegt sich die Einlage einfach auf die Seite. Die Carbonsohle des Exos besitzt eine Form, die das Längsgewölbe unterstützt, erkennbar auch an der größeren Dicke an der Kurbelseite. Damit sie nicht zu schwer wird, ist an der anderen Seite Material ausgespart. Das wiederum ist in der Fertigung aufwendiger.
Trotz Anpassparkeit, gibt es Fußformen oder Fahrstile, für die der Exos weniger geeignet ist?
Ja, weniger optimal ist das Verschlusssystem mit nur einem Boa-Deal für Füße mit einem hohen Spann. Es passt natürlich, aber die beste Wahl für solche Fußformen ist der S-Works 7 mit den drei Anpassungs-Möglichkeiten über die ganze Länge des Spanns.
In Sachen Fahrstile gibt es keine Limits, ich denke, dass sich der Tragekomfort auf langen Strecken natürlich besonders auszahlt.
Was sind im Schuh generell die Zonen, die für die Kraftübertragung zuständig sind?
Eine verbreitete Vorstellung ist „steife Carbonsohle gleich maximale Kraftübertragung“. Das stimmt für Sprintsituationen, das plötzliche Beschleunigen, aber wenn man rouliert wird die Steifigkeit der Sohle kaum genutzt. Die Bedeutung der generellen Passform wird dabei stark unterschätzt. Specialized hat zum Beispiel in einem Wingate-Test für den S-Works 7 ermittelt, dass Fahrer mit einem guten Fersenhalt beim Sprint aus dem Stand, wenn ich mich richtig erinnere ,0,8 Sekunden schneller ihre maximale Leistung erreichen, wie gesagt, aus dem Stand. Aber auch das Material an sich spielt eine Rolle. Wo sich Materialien verformen, da geht Energie verloren, beispielsweise in den verschiedenen Schichten eines Schuhs.
Auf den ersten Testfahrten machten wir die Erfahrung, dass besonders die Ferse geradezu wie angegossen im Schuh sitzt…
…die Ferse ist ein Bereich, an dem wir viel getestet haben. Wir hätten einfach bestehende Formen im Material reduzieren können, aber damit ließ sich dieses „eingepackte“ Gefühl, das wir anstrebten, nicht erzielen. Die Technik, die jetzt zum Einsatz kommt, ist ähnlich zu Kletter-Schuhen. Der Halt entsteht nicht durch eine feste Kappe, sondern durch Umschließen der Fußform unter Spannung beim Schließen, ähnlich auch den Track-Running und 100-Meter-Sprint-Schuhen von früher.
Ist es denkbar so einen Schuh für MTB oder Graveleinsatz zu bauen?
Wir könnten ohne Frage den leichtesten Gravel- oder MTB-Schuh der Welt bauen. Aber aus unserer Sicht macht es wenig Sinn, einen derart minimalistischen Schuh für die spezifischen Bedingungen beim Hiken und Biken zu produzieren, es ist einfach nicht die richtige Antwort auf die Bedürfnisse.
Was ist Deine Lieblingstour auf dem Rennrad?
Ich liebe generell die Gegend hier rund um die Specialized Deutschland Zentrale und Rosenheim. Es gibt hier soviel Gelegenheiten neue Wege zu erkunden. Wir unternehmen oft Lunchrides mit Gravelbikes oder dem Rennrad, das schätze ich sehr. Es ist ein großer Vorteil gegenüber Kalifornien, wo es ebenfalls viele sehr schöne Straßen gibt, aber viele sind Privatstraßen und nicht zugänglich.
Wir danken für das Gespräch!
Das Interview wurde per Videokonferenz auf Englisch geführt und aufgezeichnet, anschließend übersetzt und die Fotos nachträglich zu den Inhalten angefertigt.
Was denkt ihr über den Specialized S-Works Exos?
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