Am Samstag steht Kim Kohlmeyer mit Fahrerinnen wie der Zeitfahrweltmeisterin Annemiek van Vleuten oder Trixi Worrack am Start des Klassikers Omloop Het Nieuwsblad. Dabei hat sie erst vor vier Jahren ihr erstes Rennrad gekauft. Wir sprachen mit der Kielerin über ihren Sprint in die Radkarriere, den Frauenradsport in Belgien versus Deutschland und die Vereinbarkeit von Beruf und Radtraining.
Rennrad-News.de: Hallo Kim, es wird nicht gerade warm werden beim Omloop, das Rennen gilt ohnehin als hart mit einem Finale wie bei der alten Flandernrundfahrt inklusive Muur van Geraardsbergen und Bosberg. Du fährst erst seit vier Jahren Rennrad und kämpfst jetzt im Frauenrennen gegen die Weltelite. Kannst Du kurz erklären, wie das geht?
Kim Kohlmeyer: Hallo (lacht)! Das frage ich mich auch manchmal. Ich habe die Tendenz, Sachen ‘wenn dann richtig’ und mit vollem Herzblut zu machen. Das ist in meinem Job super; im Hobby führt es beizeiten zu witzigen Resultaten. Es ist nicht einmal, dass ich übermäßig ehrgeizig bin. Ich habe einfach großen Spaß daran ‘zu schauen, was geht’. Der Umbruch und Wachstum des Frauenradsports in den letzten Jahren, hat mir da sicherlich sehr geholfen.
Aber für so einen Schritt reicht ja nicht Charakterstärke. Wie waren Deine sportlichen Voraussetzungen?
Ich habe mein Leben lang Sport gemacht. Früher bin ich insbesondere geritten und habe sehr lange Fußball gespielt. Dann bin ich lange und viel gelaufen. Dazwischen habe ich glaub ich so ziemlich jeden Sport von Rhönrad über Judo und Handball bis zu American Football mal ausprobiert.
Wie ist es dann ganz grob weiter gegangen bis zur Aufnahme in das belgische Team Autoglas Wetteren?
Ich bin Langstrecke gelaufen und wollte einen Ironman machen. Dafür hatte ich mir vor ca. 4,5 Jahren mein erstes Rennrad gekauft. Ich habe dann auch eine Zeit Triathlon gemacht, da bin ich als Drittletzte aus dem Wasser, war aber als Erste nach der Radstrecke wieder in der Wechselzone, und dann hat es sich beim Laufen irgendwo im vorderen Mittelfeld eingependelt. Da lag die Überlegung nahe, es mal mit dem Radsport zu probieren. In der ersten Saison habe ich dann alles Mögliche ausprobiert. Die zweite war schon mehr auf die Straße und das Zeitfahren konzentriert. Bei der jetzt kommenden Saison wird sich das noch mehr konzentrieren. Ich fahre ca. 20.000 km im Jahr. Mein Coach achtet akribisch auf meine Ruhephasen. 😉
Wie hast Du Dich auf den Omloop vorbereitet?
Ich hatte das Glück, dass ich trotz meines Bänderrisses im September eine beinahe reibungslose Aufbauphase über den Winter hatte. Mit und durch meinen Coach Philipp und sehr strukturiertem Training habe ich es geschafft, mit einer sogar noch besseren Fitness in die neue Saison zu starten, als ich letztes Jahr aufgehört habe. Ich habe ein Trainingslager zu Hause über Weihnachten und eins im Januar in Israel gemacht. Die letzten 1 ½ Wochen haben wir dann noch über ‘Motor’-Pacing mit guten Fahrern aus der Region und ein bisschen unstrukturierter Belastung im Training versucht, wenigstens ein bisschen Rennhärte zu erreichen.
Keine Angst vor Kopfsteinpflaster?
Nein, darauf freue ich mich. Kopfsteinpflaster liegt mir schon allein meiner Körperstruktur wegen.
Du fährst gegen Weltklasse-Fahrerinnen wie Elisa Longo Borghini oder das starke Canyon-Sram Team, das unter anderem mit Trixi Worrack und Tiffany Cromwell an den Start geht. Wie fühlt sich das jetzt an?
Aufregend. Gerade bei einem taktisch-technischen Rennen wie dem Omloop wird das eine besondere Herausforderung. Da kommt es, zumindest nach den ersten 60 km, nicht mehr so sehr auf die Beine, sondern auf die Erfahrung an – das ist offensichtlich nicht meine Stärke. Beim Molenberg (dem ersten von mehreren schweren Anstiegen mit Kopftseinpflaster im Rennen, Anm. d. Redaktion) zum Beispiel ist die Positionierung in den letzten 1-2 km vorher kriegsentscheidend. Wer beim Einbiegen mit dem Peloton den Ziehamonika-Effekt mitmacht, wird ungleich größere Schwierigkeiten haben.
Ein bisschen unfair ist, dass Du kein Radprofi bist, sondern im Hauptberuf als Anwältin arbeitest. Wie vereinbarst Du Profisport und Beruf?
Ich habe das Glück, dass ich mir bereits eine Karriere ‘aufgebaut’ habe. Das macht es einfacher. Ich bin selbstständig, so dass ich mir die Zeit besser einteilen kann als früher in der Großkanzlei. Das bedeutet dann halt öfter sehr frühes oder spätes Arbeiten, wenn ich mittags draußen trainiere. Oder frühes oder spätes Trainieren auf der Rolle, wenn ich Termine habe. Für mich ist das jeweils andere aber grundsätzlich ein toller Ausgleich. So werden Kopf und Körper gefordert.
Weißt Du wieviele Frauen vom Radsport als Aktive leben können?
Nein, dazu habe ich keine Statistiken. Für die meisten ist es aber selbst als Profi eher ein Nullsummenspiel. Wirklich verdienen tun nur die ganz Großen.
Ich habe gelesen, dass Du einen schweren Unfall nach einem Carbongabel-Bruch aufgrund eines Materialfehlers hattest. Hat Dir Dein Beruf in der Aufarbeitung des Unfalles geholfen?
Nicht das Carbon der Gabel ist gebrochen, sondern der Aluverbindungsteil. Meine juristische Fachkenntnis hat mir dabei sehr geholfen. Dadurch konnte ich die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten insbesondere im Hinblick auf Beweisführungsproblematiken einschätzen und mir dadurch einen sinnlosen, nervenaufreibenden Prozess mit hohen Risiken und wenig monetärem Gegenwert ersparen (zwinkert). Schmerzensgeldsummen sind in Deutschland nicht wie in den Staaten.
Wie war die Reaktion auf Herstellerseite auf den Unfall?
Erwartungsgemäß wenig zuvorkommend. Sie hätten sich damit sonst in einige weiterführende Probleme gebracht.
Fährst Du weiterhin mit Carbongabel?
Ja.
Was hat Dich der Radsport bisher gekostet?
So denke ich nicht. Viel.
Was gibt er Dir zurück?
Sehr viel. Ich liebe Ausdauersport. Ich liebe es draußen zu sein. Ich liebe den Mix aus Ballern und Chillen. Ich kann beim Radfahren komplett abschalten. Bei meiner Wien-Nizza Tour durch die Alpen bin ich 14 Tage jeden Tag ca. 8 Stunden alleine im Regen Rad gefahren und habe mich nicht gelangweilt. Dabei langweile ich mich sonst recht schnell und Geduld ist auch nicht meine erste Stärke.
Du bist für die Radsportsparte des FC St. Pauli gefahren. Ist der Radverein so unkonventionell wie der Fußballverein auftritt?
Bei St. Pauli habe ich wirklich tolle Radfahrer und Menschen kennengelernt, die sicherlich einen großen Teil an meiner Liebe zum Radsport beigetragen haben.
Wie kommt es, dass Du für ein belgisches Team fährst?
Der belgische Frauenradsport hat eine ganz besondere Qualität und der Rennstil gefällt mir gut. Ich attackiere gerne; fahre aber auch gerne Löcher zu. Da komme ich in Belgien ganz auf meine Kosten. Daher bin ich letzte Saison schon viele Rennen in Belgien gefahren. Ich fand es schade, dort immer ohne Team zu starten, so dass ich mich dafür entschieden habe, von meinem deutschen Bundesligateam zu Autoglas zu wechseln.
Gibt es ein Unterschied im Frauenrennsport zwischen Belgien und Deutschland?
Ja, da gibt es einen großen Unterschied. Die Rennen in Belgien sind qualitativ und quantitativ höher besetzt. Das erlaubt einen anderen Rennstil. Es wird viel mehr attackiert und mehr auf Risiko (in Bezug auf Platzierungen) gefahren. Dadurch sind die Rennen meines Erachtens weniger voraussehbar. In Deutschland muss man zwischen den Bundesligarennen und den ‘normalen’ Lizenz-Eliterennen unterscheiden. Leider gibt es, gerade hier im Norden, bei den Lizenzrennen oft keine kritische Masse. Dadurch werden die Rennen entweder langweilig oder mit verschiedensten anderen Klassen zusammen gelegt. Das ist beides verständlich, aber für alle Beteiligten unbefriedigend.
Dadurch komme ich oft in die Zwickmühle: bei einem deutschen Rennen starten, dass mir weniger Training und Spaß bringt, aber den deutschen Frauenradsport zu stützen; oder in Belgien bei einem international besetzten Rennen zu starten, bei dem ich viel lerne und den Rennstil sehr schätze, aber das Feld des deutschen Rennens implizit noch kleiner zu machen. Es wäre schön, wenn sich das Problem etwas abschwächen würde. Mein Traum ist es, ein norddeutsches Frauenteam auf etwas höherem Level aufzubauen, aber das dauert wohl noch ein bisschen.
Was ist Dein Ziel für den Omloop?
Soweit kommen wie geht 😉 Ganz ehrlich, das ist mein erstes UCI 1.1 Rennen, das erste Rennen der Saison (die Profis haben schon ein bisschen Rennhärte gesammelt), das erste Rennen auf so einem Parcours … Da bin ich tatsächlich glücklich, wenn ich bis zu dem spannenden Teil komme, ohne durch größere taktische Fehler rauszufliegen. Ein großer Traum wäre es, noch die Muur mitzunehmen. Die einmal im Rennen zu fahren ist schon traumhaft. Aber das ist, wie gesagt, eher Wunschtraum.
Das “Openingsweekend” geht am Sonntag weiter mit Kuurne-Brussel-Kuurne. Stehst Du dort auch am Start?
Bei uns Frauen geht es am Sonntag mit dem Omloop het Hageland (auch UCI 1.1) und Dienstag Samyn (UCI 1.2) weiter.
Kannst Du Dir vorstellen, noch höhere Ziele im Radsport und den Beruf unter einen Hut zu bringen?
Bis jetzt geht das wirklich gut. Das Problem wird wahrscheinlich insbesondere die Fahrzeit zwischen Belgien und Kiel während der Saison werden. Das ist verschwendete Zeit und dafür habe ich bisher noch keine vernünftige Lösung gefunden. Training und Kanzlei kann ich bisher (mit Abstrichen in anderen Lebensbereichen, guter Planung, viel Toleranz und Unterstützung meiner Familie und Freunde sowie meines ‘Teams’) sehr gut vereinbaren.
Danke für das Gespräch, Kim. Wir wünschen Dir viel Erfolg am Samstag und bei Deinen weiteren Vorhaben!