Rennräder aus Carbon sind nicht mehr wegzudenken – allerdings stellen sie aus Sicht der Nachhaltigkeit ein Problem dar. Mittlerweile gibt es immerhin Carbonteile, in deren Beschreibung irgendetwas mit Recycling steht. Grund genug, sich das Thema etwas genauer anzuschauen.
Hochwertige Rennräder werden heute fast immer aus Carbon – richtig wäre eigentlich kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff – hergestellt. Und die meisten von uns wissen: Umweltfreundlich ist das Material nicht. Aber die daraus hergestellten Rahmen sind einerseits bei hoher Steifigkeit und Belastbarkeit schön leicht und andererseits optisch häufig ansprechender gestaltet als Rahmen aus Metall, bei denen der Zusammenbau aus Profilen, Rohren und Frästeilen nicht so schön „aus einem Guss“ erscheint.
Carbon am Fahrrad – so funktioniert’s
Was an Carbon – ich erspare aus Gründen der Leserlichkeit die technisch korrekte Bezeichnung – ist bedenklich? Achtung, die Liste wird jetzt eher lang:
- Der Verbundwerkstoff besteht aus Fasern (das eigentliche „Carbon“) und Matrix, einem Kunststoff, in dem die Fasern eingebettet sind. Diese Verbindung ist beinahe untrennbar, und genau das macht ein Recycling so schwierig. Dazu später mehr.
- Fasern und Matrix basieren auf Erdöl, und die Produktion ist extrem energieintensiv.
- Bei der Verarbeitung von Epoxidharz entstehen gesundheitsschädliche Dämpfe, Hautkontakt ist zu vermeiden. Und die trockenen, ultrafeinen Carbonfasern sind Lungen-gängig, oder kürzer formuliert: Beide Werkstoffe sind eine ziemliche Sauerei.
- Die Fasern werden für die Herstellung von Fahrradteilen in der Regel als Gelege oder Gewebe (genau wie Stoffe) in Meterware angeliefert. Beim Ausschneiden der benötigten Formen entsteht ein Haufen Verschnitt. Ein Fahrradrahmen besteht beispielsweise aus mehreren hundert kleinen Stücken, das garantiert Verschnitt. Der Verschnitt wird in aller Regel nicht recycelt, der Grund dafür ist wiederum 1).
- Nicht nur die Herstellung der Fasern ist energieintensiv, auch die Herstellung der aus dem Vollen gefrästen Werkzeuge (mindestens eines pro Rahmengröße, für höhere Stückzahlen mehrere) und das Aushärten der Rahmen im Ofen verbraucht jede Menge Energie.
- Während der Verarbeitung fallen jede Menge Müll an: Von den vielen sinnvollen Masken, Handschuhen bis hin zu Kernen, auf denen die Faserpatches platziert werden – all das bedeutet noch mehr Kunststoff.
- CFK (Carbonfaser-verstärkter Kunststoff) hat anisotrope Eigenschaften. Ergebnis sind Teile, die in der Regel ideal auf die „richtige“ Belastung ausgelegt sind. Bei den „falschen“ Belastungen aber (Sturz, Bremshebel schlägt ins Oberrohr …) ist der Werkstoff leider empfindlich und wird dann häufig aus Sicherheitsgründen ausgetauscht.
Einen moralischen Ausweg aus diesem Dilemma bieten inzwischen diverse Hersteller an, die mit „Recycling-Carbon“ oder ehrlicher „Recycling-fähigem Carbon“ werben. Im gleichen Zug sollen sogar noch bessere Fahreigenschaften erreicht werden. Der heilige Gral sozusagen. Hintergrund ist in den meisten Fällen die Verwendung eines anderen Kunststoffs als Matrix.
Ein Thermoplast hat gegenüber einem Duroplast (darauf setzen die allermeisten Fahrradrahmen und Komponenten) den unschlagbaren Vorteil, dass er erneut aufgeschmolzen werden kann, um, ganz genau, Recycling zu betreiben. Das macht sich jeder Pullover, der mal eine PET-Flasche war, zunutze. Die Molekülketten können durch Temperatur immer wieder gelöst werden und verbinden sich beim Abkühlen in einer neuen Form. Und tatsächlich sind diese Thermoplast-basierten Verbundwerkstoffe robuster, was beispielsweise Steinschlag angeht, und weisen gute Dämpfungseigenschaften auf.
Doch leider gibt es ein dickes, fettes Aber:
Woraus besteht eine solche „recyclingfähige“-Carbonfelge? Aus „Endlos“ Fasern, sprich Fasern mit einigen Zentimetern Länge aufwärts; und aus dem thermoplastischen Kunststoff. So weit, so gut. Aber: Wie recycelt man nun eine Carbonfelge? Hierzu wird sie geschreddert und die entstandenen Schnipsel werden aufgeschmolzen, bevor sie in eine neue Form injiziert werden. Eine gleichwertige Carbonfelge mit den kurzen, nicht ausgerichteten Faserschnipseln herzustellen, ist unmöglich. Darf hier von Recycling gesprochen werden? Downcycling trifft es eher. Und anders als Downcountry ist das kein Modell mit Zukunft.
Recycling von Carbon
Dennoch sind solche thermoplastischen Faserverbundwerkstoffe natürlich ein Schritt in die richtige Richtung, denn besser schlecht recyceln als gar nicht. Und bevor ihr hier alle schlechte Laune vom Lesen kriegt: Irgendwo am Horizont gibt es ein wenig Hoffnung hinsichtlich des Recyclings von duroplastischem Carbon, denn das Problem ist bekannt und wird angegangen – schließlich werden auch viele andere Dinge aus Faserverbundwerkstoffen hergestellt und stehen vor der gleichen Herausforderung. Bis dahin bleiben zwei mittelmäßige Ansätze zum Thema Recycling die einzigen Optionen:
Pyrolyse und Solvolyse. Bei der Pyrolyse wird das Material unter Ausschluss von Sauerstoff „verbrannt“. Die Matrix, also der Kunststoff, verbrennt dabei; es bleiben nur die temperaturbeständigen Fasern übrig; also können auch nur sie „recycelt“ werden. Jetzt können sie entweder direkt zu einem – minderwertigen – Garn verarbeitet werden oder als Füllstoff etwa in Spritzgussgranulat landen.
Pyrolyse ist die derzeit einzige, industriell verwendete Methode für das Recycling von Carbon – in Stade steht beispielsweise ein der wenigen solchen Anlagenparks weltweit, der mehr als 1.000 Tonnen Carbon pro Jahr verwertet, oder anders ausgedrückt: Genug Kapazität, um eine halbe Millionen Carbonrahmen pro Jahr zu verarbeiten.
Realistisch gesehen ist das dann aber doch weder möglich noch die Praxis, denn die große Masse kommt eher durch Produktionsabfälle als durch Endprodukte zustande, aber immerhin. Zum Vergleich: Jedes Jahr werden derzeit mehr als 100 Mal so viele Tonnen Carbonfasern produziert!
Bei der Solvolyse wird der Matrix-Kunststoff chemisch-thermisch gelöst und kann – in weiteren Prozessschritten – mehr oder weniger zurückgewonnen werden. Die Fasern bleiben sogar in besserer Qualität erhalten, als bei der Pyrolyse. Sie können jetzt ebenfalls zu Vliesen oder Garnen verarbeitet werden, die aber leider ebenfalls nicht an die Qualität des Ausgangsmaterials herankommen.
Video: Carbon-Pyrolyse
Wie heute industriell beim Recycling von Carbon vorgegangen wird, zeigt dieses Video gut.
Das Gute: Diese Prozesse sorgen für ein wesentlich geringeres CO₂-Äquivalent, als wenn Neufasern hergestellt werden. Außerdem wird Müll vermieden. Bis diese Prozesse flächendeckend verwendet werden, ist es aber noch ein weiter Weg. Aktuell werden CFK-Produkte noch nicht einmal einheitlich gekennzeichnet, das heißt: Das Recycling ist unnötig schwierig, weil Faser- und Matrixart nur schwer zu identifizieren sind.
Um noch ein wenig Licht am Ende des schwarzen Carbon-Tunnels zu verbreiten: Es wird fleißig daran geforscht, Kohlenstofffasern statt aus petrochemischen Ausgangsmaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen. Forscher verfolgen den Ansatz, Lignin oder Cellulose als Ausgangsmaterial zu verwenden. Im Labormaßstab gelingt es beispielsweise am Fraunhofer-Institut für Polymerforschung, dass die Fasern entlang der Faserrichtung hoch steif und fest sind; auf dem Niveau erdölbasierter „High-Modulus-Fasern“.
Kombiniert mit der richtigen Matrix ließen sich damit dann bio-basierte Fahrradrahmen mit ähnlichem Gewicht und Fahreigenschaften erzielen, wie wir sie gewohnt sind – anschließend aber auch nur so gut oder schlecht recyceln, wie bisher.
Wo also bleiben die Bikes aus Recycling-Carbon? Hochwertige Recycling-Rahmen in Handarbeit will in Zukunft Petit-Breton herstellen – aus Airbus-Produktionsabfällen, und nicht aus alten Fahrradrahmen. Und wenn erst einmal Rahmen im Spritzguss hergestellt werden, können die klein gehäckselten Carbonfasern doch noch ihren Mehrwert liefern. Aber ich wiederhole mich nur ungern: Echtes Recycling ist das nicht.
Fazit
Dass langsam, aber sicher die ersten „recyclingfähigen“ Fahrradprodukte aus Carbon erscheinen, ist schön. Solange aber keine Fahrräder aus recyceltem Carbon erscheinen, bedeuten Carbonfahrräder den Beginn einer Downcyclinggeschichte. Die nachhaltigste Lösung (nach dem Verzicht auf Carbon) bleibt deshalb: Carbonprodukte so lange verwenden, wie irgendwie möglich. Und wenn etwas kaputtgeht: Carbon reparieren! Das geht überraschend gut, wird aber enttäuschend selten gemacht – von völlig zerborstenen, katastrophal gebrochenen Fällen mal abgesehen.
Wer von euch denkt beim Kauf von Carbonprodukten über die Verwertung des Werkstoffs am Ende des Fahrspaßes nach?
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