„Ich glaube ich könnte es schaffen!
Andere packen das ja auch!
Warum dann nicht ich!?
Das wär so geil, es hinzukriegen!!!“
Kennt ihr das? Ihr habt seit Wochen nur noch einen Gedanken im Kopf? Er ist immer präsent und rückt höchstens mal ein klein wenig in den Hintergrund. Du sitzt beim Essen oder im Auto oder sonstwo und du bekommst eigentlich nur die Hälfte mit, da die Gedanken und Vorstellungen und Pläne immer wieder wie durch einen riesigen Magnet auf die eine Sache gelenkt werden? Es vergingen gut 3 Monate voller ununterbrochenem Gegrübel und manchen schlaflosen Nächten, und dann gab es eigentlich nur Eins – es musste ausgesprochen werden:
„Ich will an Deutschlands härtestem Radrennen, dem 1.111 km langen Race Across Germany teilnehmen! Und ich will nicht nur teilnehmen, ich möchte das Rennen innerhalb von 48 Stunden beenden, um mich für meinen riesigen Traum, dem 4800 km langen Race Across America zu qualifizieren! Und dafür brauche ich Eure Hilfe! Wer von Euch hätte Lust mich zu unterstützen?“
Die Leute schauten mich, wie so oft schon in der Vergangenheit, an als hätte ich eine Macke.
„Warum?“
„Meinst du du schaffst das überhaupt?“
„Du fährst erst wieder seit 4 Jahren Rad, das is noch ne Nummer zu hart für Dich!“
„Bleib doch erstmal bei den 24-Stunden-Rennen und sammle Erfahrung.“
„Weißt Du was sowas kostet?“
„Willst Du noch mehr trainieren!?“
„Du hast doch noch nichtmal ein Rennrad!“
„Du hast se nicht mehr alle!“
Nur einer reagierte, und unter anderem deshalb mag ich ihn so sehr, ganz anders: Ich habe ihm mein Vorhaben am Telefon mitgeteilt:
„(ca. 10 Sekunden Stille) Bekloppt, aber GEIL! Ich bin dabei! Wenn es einer hinbekommt, dann Du! Wann gehts los?“
Es war Mario aka Muschi! Er hatte eine unglaubliche Gabe, Menschen und Denkweisen so an zu nehmen, wie sie sind und Unmögliches einfach anzugehen ohne Ängste, was da wohl noch alles an Hürden kommen mag! Stundenlang habe ich nachher mit ihm telefoniert und wir haben uns zusammen überlegt, wie wir es schaffen können, ein Projekt wie „Race across America“ erfolgreich zu stemmen. Zirka 30.000 € an finanziellen Mitteln müssten, falls das Projekt „Race Across Germany“ erfolgreich beendet würde, durch Unterstützer und Sponsoren besorgt werden.
„Das geht nur, wenn wir Sachen anders machen als die Konkurrenz! Und die Sachen, die die Konkurrenz macht, müssen wir eben noch besser machen! Wir brauchen mediale Aufmerksamkeit, um später Sponsoren zu finden! Da muss ’ne richtige Story hinter! Eine ehrliche Story, wo nichts verborgen bzw. geschönt werden darf! „Wir machen ein Riesen-Tamm-Tamm daraus! Das wird der Hammer!“
Das waren nur einige der Worte und Ideen von Mario. Es folgte eine regelrechte mediale Aufrüstung. Fortan bestand ein grosser Teil unserer Zeit darin, mein nahezu komplettes Leben der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es folgten etliche Interviews, Facebook-Posts, Zeitungsberichte und sogar Fernsehauftritte.
Aber warum erzähle ich euch das Ganze?
Weil es fast dazu beigetragen hatte, das ganze Projekt kurz vorm Start noch zum Scheitern zu bringen: Bis zirka eine Woche vor dem Rennen war mein kompletter Tagesablauf minutiös durchorganisiert. Gerade mit Job und Familie, die leider sehr oft in den letzten Monaten zu kurz kam. Und dafür möchte ich mich enorm bei meiner Frau und den Kindern bedanken! Absoluter Wahnsinn, was meine Frau alles auf sich genommen hat, um mich dabei zu unterstützen! Nur zwei Beispiele: Rasen gemäht habe ich dieses Jahr nicht ein einziges Mal und die defekte Lampe am Auto wurde auch von Sarah getauscht.
Fünf Tage vor dem Rennen war alles vorbereitet. Der Bus gepackt, alles organisiert. Es stand nur noch ausruhen und abwarten auf dem Plan.
Und genau dort begann das ganze Übel!
Ich hatte auf einmal seit Monaten das erste Mal Zeit, in Ruhe über das bevorstehende Rennen nach zu denken. 1.111 km, 48 Stunden lang treten. Ich bekam plötzlich richtig Angst! Der ganze mediale Tamm-Tamm hatte super funktioniert, aber was passiert, wenn ich es nicht schaffe? Das „Mediale-Schnauze-aufreißen“ ist super, wenn man das Angekündigte auch packt und erfolgreich beendet! Und ich habe nicht nur gesagt, ich komme in Garmisch an, nein, ich sagte jedem: „ICH WILL DAS DING GEWINNEN!“
In diesem Moment hätte ich so gerne die Uhr zurückgedreht.
Der Höhepunkt der Angst kam am Tag vor dem Rennen: Ich war 8 Monate lang nicht krank. Und 2 Tage vor dem Rennen bekomme ich Kopf und Halsschmerzen. Und am Tag vor dem Rennen kam auch noch Husten dazu. Ich konnte es nicht glauben! Auch körperlich fühlte ich mich nicht fit. Die letzte Fahrt am Tag vor dem Start spürte ich, dass mein Körper nicht richtig auf der Höhe war.
Die Nacht vor dem Rennen war eine meiner schlimmsten Nächte. Normalerweise habe ich null Probleme zu schlafen, im Gegenteil, eher Probleme aufzuwachen ?. Aber diesmal lag ich die ganze Nacht wach und hatte regelrecht Angst. Angst, es körperlich nicht zu schaffen. Angst, es psychisch nicht zu packen.
Wie peinlich ist es, wenn ich es nicht schaffe?
Alle werden es sehen! Mit Sicherheit warten Leute/Neider genau auf solch einen Ausgang! Sponsoren/Unterstützer haben soviel investiert und werden enorm enttäuscht sein! Wenn ich jetzt erzähle, ich bin krank, werden alle denken, dass es eine Ausrede!
Aber es hatte auch eine positive Folge: Zum ersten Mal in meinem Leben saß ich als erster am Frühstückstisch ? Irgendwie habe ich es dann auch bis zum Start geschafft und es ging eeeeendlich um 8:12 Uhr auf die Strecke. Normalerweise ist die Aufregung schlagartig weg, sobald das Rennen los geht. Darauf hatte ich mich schon gefreut und spekuliert. Aber diesmal war es nicht so. Ich hatte die ersten Stunden immer noch wahnsinnige Angst und konnte mich nicht richtig auf das Radfahren freuen. Immer wieder Gedanken und Sorgen um meine Gesundheit.
Nach 3-4 Stunden bekam ich enorme Müdigkeitsanfälle und Sekundenschläfe. „Das gibt’s doch nicht“, dachte ich mir. „Jetzt schon? Wie soll das weiter gehen?“ Ich teilte meinem Team mit, dass ich enorm müde bin, und ich bat sie, aufzupassen, falls ich einschlafen würde. Ich denke es war eine Folge des Schlafentzugs der letzten, verkorksten Nacht. Das Team tat alles Erdenkliche um mich wach zu halten. Und es funktionierte!
Nach ca. 6-7 Stunden lief es wieder super und ich war wieder auf der Höhe. Ebenfalls bekam ich Gewissheit, dass der Husten und die Halsschmerzen mich wohl doch nicht so viel beeinträchtigen. Es wurde sogar eher besser als schlimmer. Ich bekam neuen Mut und konnte endlich das Rennen für mich beginnen und den Flow einfach genießen. Ab da lief es auch immer besser und ich musste aufpassen, nicht zu überdrehen. Immer wieder checkte ich die Wattzahlen und bremste mich.
In der Nacht fühle ich mich immer besonders wohl
In der Nacht fühle ich mich immer besonders wohl. Diese kühle, frische Luft gepaart mit einer friedlichen Ruhe und dem meditativen Scheinwerferlicht meiner Lupine-Lampe weckten irgendwie neue Kräfte in mir. So konnte ich dann auch zu meiner Überraschung die Führung im Rennen übernehmen.
Voller Euphorie und mit jeder Menge Spaß fuhr ich dem Sonnenaufgang entgegen. Normalerweise kommt noch einmal ein richtiges Hoch, sobald die Sonne aufgeht. Zu meiner Verwunderung blieb es aber bei mir leider aus! Ganz im Gegenteil, ich spürte, wie mir im wahrsten Sinne des Wortes die Kraft und Energie verloren gingen. Ich wurde immer langsamer, trotz gefühlt stärkerer Anstrengung. Dies konnte ich auch schwarz auf weiß an den Wattzahlen und Pulswerten erkennen. Ich aß etwas mehr Zucker, um einen Kaloriendefizit auszuschliessen. Auch erkundigte ich mich bei der Crew, wie Kalorien- und Kohlenhydrathaushalt aussahen. Aber dort war alles bestens im Lot!
Es wurde immer schlimmer. Ich fing mit meinen „Standard Schweinehund-Überwindungsmethoden“ an. Aber alles brachte nichts, es wurde immer schlimmer. Irgendwann wurde mir alle paar Minuten schwindelig. Ich versuchte, diesem durch tiefes Atmen entgegenzuwirken. Ebenfalls zog ich die Jacke aus, in der Hoffnung, etwas Kühle würde belebend wirken. Der Schwindel wurde immer schlimmer und überfuhr mich nachher alle paar Sekunden.
Bis mir schwarz vor Augen wurde
Zirka. 1- 1,5 Stunden fuhr ich, wenn man es noch so nennen konnte, in diesem Zustand, bis mir plötzlich schwarz vor Augen wurde. Ich hörte auf zu treten und konnte nur noch grob den Strassenverlauf sehen. Ich hatte Mühe, mich darauf zu konzentrieren, nicht zusammenzubrechen und mich nicht zu übergeben. Als ich wieder anfangen wollte zu treten merkte ich, dass dies irgendwie nicht geht. So sehr ich wollte, ich bekam das Pedal nicht mehr nach unten!
Ab da kann ich mich nicht mehr richtig an die nächsten Stunden erinnern. Ich weiss noch, dass mich mein Vater und Andrea ins Auto getragen haben und ich irgendwann aufwachte, als man mich Richtung Fahrrad trug beziehungsweise stützte. 20 Minuten Powernap lagen wohl hinter mir, und nun ging es, wie vor dem Rennen von mir „befohlen“, falls eine solche Situation auftreten sollte, wieder auf das Rad!
Und irgendwie ging es auch! Zumindest waren der Schwindel und die Übelkeit weg. Ich habe bei Rennen schon einige Tiefpunkte erlebt. Und ich weiß, dass nach JEDEM Tief irgendwann wieder ein Hoch kommt! Aber Ich konnte mir in diesem Moment nicht vorstellen, wie ich es jetzt noch 500 km – und die Berge und Hitze sollten erst noch kommen – schaffen sollte, Fahrrad zu fahren. Das erste Mal erwischte ich mich wieder bei denselben Gedanken wie vor dem Rennen und in den ersten Rennstunden:
„Wenn ich jetzt abbreche, werden alle enttäuscht sein“
„Soviel Zeit und Energie hatte jeder einzelne meines Teams in meinen Traum gesteckt. Alles wäre dann umsonst gewesen.“ Stundenlang ging das so, irgendwie. Und ich habe auch keine Ahnung, was in der Zeit alles zu mir gesagt wurde, um mich bei Laune zu halten. Ich weiß nur dass das Team und Ihr, auf Facebook, WhatsApp, Telefon alles dafür getan habt, um mich über die schweren zweifelnden Stunden zu bringen!
Wie habe ich das Tief nun überwunden? Eine genaue Antwort darauf habe ich gar nicht. Ich weiss nur, dass ich irgendwann an dem Punkt ankam, wo mir bewusst wurde, dass es hier NICHT um Sponsoren oder andere Leute geht!
Es geht um mich!
Um mein grosses Ziel, das ich mir gesteckt hatte! Um Spaß am Radfahren! Um MEIN Abenteuer und um über MICH hinauszuwachsen! Alles andere ist Nebensache und interessiert nicht!
Und ab da habe ich mich wieder über jeden Tritt gefreut. Ich hatte plötzlich wieder Spaß an der ganzen Sache! Ich hatte Spaß, mir die Landschaft anzuschauen, Spaß zu sehen, wie die Rest-Kilometer weniger wurden, Spaß zu sehen, mit welcher Freude und Energie mein Team das Event genoss, Spass daran zu sehen und genießen wie einen sogar die Begleitcrews der „Konkurrenz bzw. eher Leidensgenossen“ anfeuerten. Diesen Zusammenhalt untereinander, innerhalb aller Teilnehmer erfährt man glaube ich auch nur bei Ultracycling-Veranstaltungen! Das ist so genial zu erleben, wie der gegenseitige Respekt in der Luft liegt. Ein irres familiäres Gefühl!
Ab da lief es wieder bei mir, und ich konnte den 2.Tag wirklich überwiegend genießen. Ein absolut geiles Gefühl zu merken, dass man den Kampf Kopf gegen Körper gewonnen hat! Dies ist glaube ich besser als jede Droge!
Noch unbeschreiblicher ist das Gefühl, kurz vorm Ziel zu sein! Wahnsinn, welche emotionale Achterbahnfahrten man in den letzten Stunden noch mitmacht, wenn einem bewusst wird, dass man es wirklich schaffen wird. Und das haben wir! Wir haben es geschafft! Zwar nicht gewonnen, aber auf dem 3. Platz innerhalb von 39 Stunden! Und damit die Qualifikation zum härtesten Radrennen der Welt erlangt, dem 4.800 km langen Race Across America (RAAM). Nur 4 Minuten hinter dem Zweitplatzierten und nochmals nur zirka 20 Minuten hinter dem Sieger (Mick McLoughlin) kam ich ins Ziel.
Einige Leute fragten mich nachher, ob ich nicht nochmal hätte dran ziehen können!? War doch nicht viel Abstand zum 2. oder 1. Keine Ahnung! Ich glaube, ich hätte vielleicht, aber darum geht es nicht bei solchen Events! Es geht nicht darum, kurz vor dem Ziel noch einmal an jemandem vorbei zu fahren, der gerade in einem riesigen Tief steckt.
Es geht um ganz andere Sachen! Es geht darum, seine Ziele zu erreichen , so aussichtslos wie sie auch immer erst erscheinen! (Es gibt IMMER einen Weg seine Ziele zu erreichen!) Es geht darum, den Zusammenhalt und die Hilfe zu erfahren von Leuten, die an einen glauben. Habt keine Angst nach Hilfe/Unterstützung zu fragen, um eurem Ziel näher zu kommen! Es geht darum, die beste Droge der Welt zu konsumieren: unheimlicher Stolz, glücklich sein und die Erkenntnis, ALLES schaffen zu können, wenn man den Mut hat, es auszusprechen, den Weg zu starten und bereit ist, hart dafür zu arbeiten!!
Man darf nicht vergessen, Spass zu haben
Ich habe wieder sehr viel für und über mich selber gelernt. Aber das Wichtigstem was ich lernen durfte: Man darf nicht vergessen, Spaß zu haben und es für einen selber zu machen! In diesem Sinne, an alle, denen ich es noch nicht persönlich aussprechen konnte: Noch einmal vielen vielen Dank vom ganzen Herzen für eure Unterstützung. Und ich hoffe ihr hattet auch ein wenig Spass und Spannung das Ganze zu verfolgen!
…es geht darum dem Körper klar zu machen, dass er keine Chance gegen den Kopf haben wird, egal mit welchen scheiß Ideen und perversen Tricks er einen zum Aufhören und Zweifeln bringen will!
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Kommentare
» Alle Kommentare im ForumEs war kein Zuckerschlecken: Das Race Across Germany 2018 ist Geschichte und Torsten Weber, den wir bei seinen Vorbereitungen über ein halbes Jahr begleitet haben, hat die erhoffte Qualifikation für das RAAM geschafft. Wie hart der Ultracyclist dafür zu sich selbst sein musste, versteht man sofort, wenn man seinen Rennbericht liest.
→ Den vollständigen Artikel „Torsten Weber beim Race Across Germany #3: Kopf gegen Körper: der Rennbericht“ im Newsbereich lesen
Schön geschrieben
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