Ein Wochenende bei Lüttich-Bastogne-Lüttich: Jedes Jahr Ende April bittet „La Doyenne“ zur Audienz: Liège-Bastogne-Liège gilt als die alte Dame der Klassiker mit ihrer ehrwürdigen Tradition als ältestes noch ausgetragenes Radrennen im Profikalender. Mit über 5.000 Höhenmetern setzt LBL auch in Sachen Steigungen den Ardennenklassikern die Krone auf. Wer es den Männern und den Frauen aus dem Pro-Peloton nachfühlen will, kann das direkt am Vortag des World-Tour-Rennens bei der LBL-Challenge für Jedermänner tun. Reizvoll daran: Am Tag danach kann man die Profis an den steilen Anstiegen anfeuern. Wir waren 2018 vor Ort und haben den Bericht für heute aktualisiert.
Mit dem Rad zum Radklassiker: nicht allein
Große Radsport-Monumente ziehen große Kreise. Als ich am Freitag vor dem letzten Aprilwochenende 2018 mein Rennrad in den Regionalexpress von Köln nach Aachen schiebe, finde ich einen vollbesetzten Waggon vor. Rennrad an Rennrad lehnt vor den hochgeklappten Stühlen im Multizweck-Abteil, zwischen den Rädern blicke ich auf rasierte Beine und Radkäppis.
Offenbar bin ich nicht der Einzige, der sich vorgenommen hat, zum letzen Frühjahrsklassiker des Jahres wenigstens ein Teilstück mit dem Rad anzureisen. Von Aachen, an der Grenze zu Belgien und den Niederlanden, sind es knapp 50 km bis Liège im wallonischen Teil Belgiens. Die Distanz schien mir ideal, um den Körper einzustimmen auf mein Vorhaben für den nächsten Tag: die Teilnahme an der Liège-Bastogne-Liège Challenge, der Jedermann-Variante des World Tour-Rennens, bei dem regelmäßig auch die Klassement-Fahrer der großen Rundfahrten an den Start gehen, weil die Höhenmeter den großen Bergetappen von Giro d’Italia und Tour de France nicht nachstehen.
Unter einer Mütze entdecke ich Michael, der gelegentlich für Rennrad-News schreibt und mit seiner Frau Lydia das gleiche Ziel ansteuert. Ein schöner Zufall. So roulieren wir gemeinsam Richtung Maas. Die anderen Rennradfahrer wollen auch Lüttich ansteuern, ziehen aber eine andere Route vor. Vom Aachener Bahnhof aus sind die Ausläufer der Domstadt schnell erreicht, und die Landschaft öffnet sich zu Hügeln und von Hecken durchzogenen Weiden. Später machen wir Halt an einem Eiscafè, das Michael von seinen längeren Ausfahrten ab Köln kennt (und liebt). Drei Kugeln sind drin. Große Vorhaben, große Portionen. Beschränken müssen sich Michael und Lydia beim Gepäck. Sie haben alles, was sie für das Rennwochenende brauchen, in Bikepacking Taschen. Sie erzählen, dass sie sich in einer Pension außerhalb Lièges eingemietet haben. Meine Reisegruppe hat sich dagegen für ein Appartement-Hotel im Stadtzentrum entschieden – die weit teurere Variante, wie sich im Gespräch zeigt.
Bis zur Maas führt der Weg über kleine Straßen. Immer wieder erinnern Denkmäler und Schilder am Wegrand daran, dass hier die Schlachtfelder des ersten Weltkriegs lagen. Am Fluss angekommen, freuen wir uns auf einen einfachen Weg am Ufer entlang in die Stadt. Aber nichts da. Die Beschilderung der touristischen Maas-Radroute erweist sich als lückenhaft. Einmal landen wir in irgendeiner Sackgasse in aufgelassenen Industrie-Arealen am Fluss. Bei der Weiterfahrt am Albert-Kanal erinnern vor sich hin rostende Stahlwerke daran, dass die Region eine ähnliche Industriegeschichte hat wie das Ruhrgebiet. Auch in die Helikopter-Aufnahmen der TV-Übertragung schleicht sich diese, touristisch wenig attraktive, aus Radperspektive optisch imposante Seite Lièges manchmal ein.
Hier findet ihr die gefahrene Route Aachen-Liège auf Strava
Unser Ziel liegt auch direkt am Flussufer, am Quais des Wallonies. In den Halles des Foires hat die ASO die Startnummernausgabe für die Jedermann-Challenge einquartiert – heute liegt sie wegen einer Großbaustelle im Zentrum im Vorort Banneux. Die Nummern sind schnell geholt, die Organisation ist perfekt. Radsportluft schwebt über dem Gebiet. An der Allee zur Flusseite steht bereits eine hunderte Meter lange Armada von Wohnmobilen mit Heckträgern. Ältere Herren in Radhosen angeln in den letzten Sonnenstrahlen, die über die Dächer Lièges kommen. Hier trennen sich unsere Wege.
Der Challenge-Tag: Defekt bei der Doyenne
Meine „Renngemeinschaft“ findet sich im Dunst des nächsten Tages am Start ein. Zum Glück stehen die Wallonen Samstags anscheinend spät auf, sonst wäre die Anfahrt aus dem Stadtzentrum über die dreispurigen Straßen ohne Radwege sicher weniger romantisch als an diesem stillen Morgen.
Nach dem Start heißt es zunächst Stop-and-Go raus aus der Stadt. Alle Kreuzungen sind mit Ordnern besetzt, die Beschilderung mit neonfarbenen Pfeilen lässt nichts zu wünschen übrig. Das ändert sich, nachdem der Rennrad-Lindwurm auf die andere Seite des Flusses gewechselt ist. Zwischen niedrigen Backsteinhäusern in einer langen Folge aus Kreisverkehren und kleinen Kreuzungen verliert ,man schnell die Übersicht und schwimmt mit dem Strom. Unsere Gruppe hat sich zerstreut, angehängt an links vorbei schießende Züge auf teuren Roadbikes, die sich auf Englisch „Car“ zurufen, wenn Gegenverkehr das Überholmanöver bremst oder ausgebremst durch Ampeln, die plötzlich auf Rot schalten. Und wir machen es nicht wie viele Belgier, die sich in großen Gruppen an Parkplätzen sammeln, um auf jeden einzelnen Mitfahrer zu warten.
Danach bilden sich schnell größere Gruppen, die gemeinsam Richtung Ardennen rollen.
Bis sich das Jedermann-Peloton den ersten Anstieg raus aus der Stadt hinauf schlängelt, dauert es eine Weile. Danach bilden sich schnell größere Gruppen, die gemeinsam Richtung Ardennen rollen. Es geht über eher sanft ansteigende Hügel und teils gefährlich schnelle Abfahrten Richtung Osten. Ein Terrain, an dem es sich lohnt ab und zu mal in den orangenen Bereich zu gehen, um eine passende Gruppe zu halten. Die erste Verpflegung bei Sprimont lasse ich deshalb links liegen – der Riegelvorrat aus dem Starterkit ist großzügig genug. Die belgischen Autofahrer zeigen sich großteils verständig. Nur der Shoppingverkehr in manchen Städtchen fügt sich nicht so recht mit dem Geschehen auf dem Rennrad zusammen. Hier heißt es Umsicht bewahren.
Doch abseits der Häuser läuft es ruhig. Ein erster kleiner Vorgeschmack auf die Côtes der Ardennen ist ein langer flacher Anstieg nach Bossson, an dessen Ende die zweite Verpflegung willkommen ist. Als ich nach der Pause weiterfahren will, rastet beim ersten Antritt mein Freilauf nicht ein. Ich trete kurz ins Leere, bevor die Sperrklinken greifen. Vor dem vorbildlichen Service-Course Wagen von Mavic steht schon eine Schlange. Ich reihe mich ein, erfahre aber später, dass sich nichts machen lässt. Also trete ich sicherheitshalber die Rückfahrt an.
Es läuft. Nur manchmal klinkt sich der Freilauf aus. Weil die 150-km-Strecke wie eine Doppel-Acht angelegt ist, kann ich ab dem zweiten Knotenpunkt auf dem Rückweg einfach der Beschilderung folgen und komme gleichzeitig ziemlich direkt nach Liège. So fahre ich das Finale der Pros und der Jedermänner und muss nicht den eher langweiligen Beginn wiederholen. Mein Glück: Alle rennentscheidenden Anstiege sind dabei. Den Anfang macht gleich die legendäre „Redoute“. Die Bilder bleiben im Kopf. Aus dem beschaulichen Remouchamps geht es vorbei an einem großen WoMo-Parkplatz in eine Seitenstraße, dann das Schild mit den zweistelligen Steigungsprozenten, eine Matte zur Zeitnahme, weiter unter einer Autobahnbrücke hindurch und rechts in den richtigen Anstieg. Profi-Feeling fährt mit, Wohnmobile rahmen den schmalen Weg, Grillduft weht herüber, sonnenverbrannte Camper haben es sich in ihren Klappstühlen gemütlich gemacht und rufen den Jedermännern ein „Allez“ oder „doortrappen“ zu, je nach Herkunft. Die Namen der Pros auf dem Asphalt beflügeln zusätzlich.
Aber Achtung, nicht übermotivieren lassen! Denn, wenn das Wohnmobil-Spalier vorüber ist, folgt der steilste Teil des Anstiegs. Hier liegen die zweistelligen Prozente, die zur 8,9 Prozent Durchschnittsangabe führen. Mein Freilauf schwächelt zum Glück weniger als ich – ich frage mich, wie man diese Steigung flüssig bewältigen soll, wenn man die ganze Strecke in den Beinen hat. Die Antwort liefert das Bild auf der Straße: Manche schieben, andere taumeln, wenige eilen flüssig pedalierend die letzten 100m bis zur Zeitnahme und zum obligatorischen Sportograf-Foto hoch.
Hinterher im Apartment berichten die anderen von der großen Schleife durch die Ardennen. Tenor: schwieriger als gedacht. Sie fühlten sich etwas irregeleitet von dem Aufkleber für das Oberrohr, der alle Anstiege auflistet – ähnlich wie die Pläne, die sich die Pros auf Vorbau oder Oberrohr kleben.
=> Hier findet ihr eine Galerie der Rennräder der Profis bei LBL 2018
Der Haken an dem Aufkleber: Zwischen den aufgeführten Anstiegen liegt auch noch der eine oder andere kleine Hügel, der ebenfalls Kraft aus den Beinen zieht, wird mir versichert. Es geht durch das ruhige Herz der Ardennen, viel Grün, viel Nadelwald und viele kurvige Kletterpartien kennzeichnen den Anderen zufolge das Teilstück auf der letzten großen Schleife der mittleren Runde. Die Straßen: typisch belgischer „Klebeasphalt“ mit offenporiger Oberfläche, der irgendwie schlechter rollt. Es sei insgesamt ratsam, sich immer etwas größere Reserven im Tank zu behalten, als man aus den Informationen auf dem Streckenplan schließen kann. Wer die GPS-Daten von der Seite des Veranstalters herunterlädt, ist in dieser Hinsicht sicher besser aufgestellt als reine „Aufkleber-Piloten“. Mit dem Wissen über meine Qualen an der Redoute steigt meine Hochachtung vor allen, die hier 144 km oder gar 266 km fahren.
Doortrappen!
Hinter der Redoute formieren sich wieder kleine Gruppen, doch es lohnt sich nicht, dafür den eigenen Wohlfühlbereich zu verlassen. Zu oft geht es leicht bergan oder bergab. So rollt eine lange Reihe versprengter Fahrer zurück Richtung Liegè. Vor dem Erreichen der Stadt an der Maas bäumen sich außerdem noch ein paar Côtes auf. Vor allem die Côte de la Roche-aux-Faucons hat es noch einmal in sich. Mit einer maximalen Steigung von 15 % ist sie aber der letzte harte Brocken, bevor es vergleichsweise einfach durch recht öde Vorortstrukturen zurück Richtung Liège rollt. Die Abfahrt in das Häusermeer ist dann noch einmal ein Highlight. Dann windet sich die Route von Kreuzung zu Kreuzung, so dass der „Flow“ – oder, was davon übrig blieb – sich endgültig verabschiedet. Mein Freilauf hat bei den Stopps immer mehr Aussetzer und ich bin froh, die letzten Kilometer bis ins Ziel an den Markthallen nicht schieben zu müssen.
Für mich ist es an diesem Tag zu spät, aber wer die Achterbahn der Côtes schnell hinter sich bringt, kann sogar noch die Teampräsentation am Vortag des Rennens im Stadtzentrum besuchen.
Noch das World-Tour-Rennen schauen
Es lohnt sich, trotz schwerer Beine am nächsten Morgen früh aufzustehen. Die World-Tour-Teams stellen ihre Busse gewöhnlich auf dem Platz vor der Stadthalle auf, wo bisher immer der Start des Rennens der Männer stattfand. So kann man noch einmal einen Blick auf die Räder der Profis werfen und beobachten, wie die Sammler Karten mit Autogrammen einsacken wie Kinder Bonbons beim Martins-Singen. In 2018 war zugleich ein Markt mit regionalen Spezialitäten aufgebaut. Da lässt sich das Frühstück gleich hierher verlegen.
Seit 2019 hat die ASO erstmals einen alten Streckenverlauf reaktiviert. Die Doyenne endet wieder im Zentrum von Liège, nicht mehr im Vorort Ans. Und auch 2023 liegt der Zieleinlauf wieder mitten im Zentrum am Qai Des Ardennes unweit des Ufers der Maas. Der Nachteil daran: Auf den schnellen Geraden im Stadtzentrum sieht man die einzelnen Fahrer*innen nicht so lange wie an der langen Côte de Saint Nicholas früher.
Die Zielankunft am Berg hatte auch ihren Charme, weil sich in Hinterhöfen und Bars ein fachkundiges Publikum versammelte, um das Rennen live im TV zu verfolgen. Alles drängte dann an die Gitter, wenn die versprengten Gruppen vorbeizogen. Manche Räder vor den Bars glaubte man vom Vortag wiederzuerkennen. Insofern ist die aktuelle Streckenwahl für eingefleischte Fans eher weniger attraktiv – zumal das Zentrum derzeit von einem großen Straßenbahn-Bauprojekt lahmgelegt wird. Wer möglichst lange einen Blick auf die Pros werfen will, fährt deshalb am besten früh mit dem Rad an eine der Côtes bei Liège, etwa in Roche-aux-Faucons.
Dafür ist im Stadtzentrum die Dichte an Cafés und Bars entlang der Strecke höher. Und Gleichgesinnte mit Rennrädern wird man auch dort finden. Beim Besuch 2018 hatte sich in der Etage unter unserer Gruppe ein Team dänischer Hobbyfahrer eingerichtet, die sich den Namen „Oldcranks“ gegeben hatten. Dass die Jedermann-Events zu den Klassikern beinahe ein so internationales Teilnehmerfeld haben wie das World-Tour-Rennen selber, ist eine besonders schöne Seite. Oldcranks kommen wieder. Wir auch.
Infos Liège-Bastogne-Liège Challenge
Rund 6.000 Teilnehmer stellten sich 2018 der Herausforderung von Lüttich-Bastogne-Lüttich für Jedermänner. Die LBL-Challenge, so der offizielle Name, beinhaltet auf der langen Strecke alle mythischen Anstiege des Ardennenklassikers: Die Côte de Wanne oder die bis zu 20% steile Côte de la Redoute sind auch Teil der Lüttich-Bastogne-Lüttich Challenge. Die Jedermann-Veranstaltung im Stile einer RTF findet am Vortag des World-Tour Rennens statt. Die Camper der Fans reihen sich schon entlang der Anstiege auf, wenn die Hobbyfahrer auf die Strecke gehen. 2019 haben die Challenger die Wahl zwischen drei verschiedenen Kursen:
- Termin ein Tag vor LBL
- Startort 2023: Banneux, bei Liége
- Strecken 81 km mit circa 1200 Hm / 155 km mit 2700 Hm / World-Tour-Strecke über 251 km mit mehr als 4.400 Hm
- Preise 40 Euro / 55 Euro / 70 Euro (Early Bird)
- Teilnehmer 6.000 in 2018 laut Veranstalter / kein Limit bekannt
- Charakter anspruchsvoller Parcours mit zahlreichen Steigungen. Obwohl die einzelnen Anstiege selten mehr als 200 Hm am Stück aufweisen, addieren sich die Höhenmeter zu einer Zahl, die auf der langen Strecke höher liegt als beim Ötztaler Radmarathon. Auch die kürzere 147 km Variante hat es in sich. Es erfolgt eine Zeitnahme, manche Gruppen lassen es sehr schnell angehen, andere fahren eher gemütlich. Französisch, Niederländisch (Flämisch) und Englisch sind die meistgehörten Sprachen auf der Strecke. Gefühlt liegt der Anteil deutscher Teilnehmer hier aber höher als bei den anderen „Cyclosportifs“ zu den Frühjahrsklassikern in Belgien und Frankreich.
- Mehr Infos: www.sport.be/lblcyclo
Die genannten Preise beziehen sich auf die Einschreibung als „Early Bird“. Einschreibung vor Ort ist noch am Vortag der Challenge und am „Raceday“ selber möglich. Alle Strecken sind ausgeschildert. Wie in den Niederlanden und Belgien üblich sind die Straßen nicht für den Verkehr gesperrt und die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung wird teils von der Polizei überwacht. Dennoch werden Zeiten an einigen der mythischen Anstiege per Chip erfasst.
Habt ihr Erfahrungen mit der LBL-Challenge? Schreibt sie in die Kommentare!
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