Kampf der Generationen oder harmonische Staffelübergabe? Durch die Hallen der Edelschmiede Lightweight weht frischer Wind. Das Sortiment um Urgestalt und Co. wird um EDELSTOFF bereichert. Nein, nicht das Bier aus München! Es geht um Lightweight EDELSTOFF, die neue Kleidungskollektion aus Friedrichshafen.
Was haben The White Stripes, Microsoft und Lightweight gemeinsam? Sie alle wurden in Garagen gegründet. „Heinz Obermayer und Rudolf Dierl haben die ersten Lightweight Laufräder in einer kleinen Garage in München entwickelt. Schon damals waren die Einzelstücke ihrer Zeit weit voraus. Ich kenne die Marke Lightweight seit der Zeit, als mein Vater sie von Heinz und Rudolf übernommen hat. Für mich steht die Marke für eine faszinierende Geschichte und für Produkte, die es seit zwei Jahrzenten schaffen, in Qualität und Fahreigenschaften unerreicht zu bleiben“, schwärmt Matthias, der mittlere der drei Wissler-Geschwister. Er ist in den Vertrieb eingebunden und wird sich in den nächsten zwei Jahren um den Marktaufbau in den USA kümmern.
Der Älteste, Andreas, ist der Technikbegeisterte. „Von klein auf haben mich die technischen Hintergründe und der Werkstoff Kohlefaser interessiert. Dass ein Rad mit so wenig Gewicht so viel Mensch tragen kann, ist für mich auch heute noch faszinierend. Ich kümmere mich hauptsächlich um den asiatischen Raum, was neue Rahmen und Komponenten angeht. Aber auch die Kommunikation mit unseren Vertriebspartnern gehört zu meinen Aufgabenbereichen“, berichtet der Verfahrensmechaniker für Kunststoff und Kautschuk.
Isabell Wissler, die Jüngste, hat an der ESMOD in Berlin Modedesign studiert. Die 24-Jährige ist seit 2013 in die Firma involviert. Wir haben Miss EDELSTOFF und ihre Geschäftspartnerin Katharina Schneider auf der Eurobike getroffen und mit den beiden über EDELSTOFF gesprochen.
Rennrad-News.de: Wie bist du mit der Marke Lightweight aufgewachsen?
Isabell Wissler: Als mein Vater Lightweight gekauft hat, war ich elf Jahre alt. Die einzige Veränderung, die mir damals aufgefallen ist, war dass wir regelmäßig die Tour de France angeschaut haben. Ich weiß noch, dass es sehr schön war. Lightweight war immer wie eine Familie – man hat immer viele interessante Menschen kennengelernt.
Welchen Bezug hast du zum Radsport?
Katharina Schneider: Als Tiroler Madl bin ich von klein auf mit den verschiedensten Bergsportarten verbunden gewesen. In den Rennradsport bin ich erst in den letzten drei Jahren, seit meinem Beginn bei Lightweight, mit Herz und Seele reingewachsen.
Seit wann und wie bist du in die Firma beruflich eingebunden?
Isabell: Katharina und ich haben zusammen an der ESMOD in Berlin studiert. Durch gemeinsame Hobbys sind wir in Kontakt geblieben. Lightweight wollte schon länger die Bekleidungskollektion auf ein neues Level heben. Schon während meines Modedesignstudiums habe ich Ideen gesammelt und überlegt: Was fehlt dem Rennradmarkt?
Katharina: Eines Abends beim After-Sport-Wein meinte ich dann aus dem Bauch heraus: „Lass’ mich das doch mal anschauen“… Und so ging die Reise los. Wir starteten mit gezielter Recherche und haben ein Konzept geschrieben. Am 25. Dezember 2013 haben wir der Geschäftsleitung Lightweight EDELSTOFF präsentiert. Das Konzept überzeugte, und wir bekamen das Budget für die erste eigene Kollektion.
Was für ein Weihnachtsgeschenk! Wie konntet ihr überzeugen?
Isabell: Man darf nicht vergessen, dass Lightweight bereits Bekleidung verkauft hatte, allerdings in Kooperation mit einem anderen Hersteller und mit fremdem Know-How. Das wollten wir ändern.
Der Grundgedanke war folgender: Rennradfahren findet draußen statt. Eine intakte Natur ist deshalb elementar. Daher sollte die Bekleidung doch eigentlich so nachhaltig wie möglich sein. Wir haben nicht verstanden, warum es so wenig nachhaltige hochtechniche Bikewear gibt. Für uns war klar, dass die neue Lightweight Bekleidungslinie diese Lücke schließen kann.
Ihr wohnt und arbeitet in Berlin. Der Firmensitz liegt in Friedrichshafen. Wie läuft das Daily Business ab?
Isabell: Dank der Technik spielt die Entfernung eigentlich keine Rolle. Um kreativen Input zu bekommen, zum Beispiel auf den Fashion Weeks, ist es für uns wichtiger, in Berlin präsent zu sein.
Katharina: Unser Daily Business besteht aus Prototypen, Entwicklung und sehr viel Spaß. Unser Arbeitsplatz ist eine Remise in Berlin, mit wunderschönem Atelier inklusive sieben Nähmaschinen und einem Garten. Natürlich telefonieren, skypen und whatsappen wir täglich mit den verschiedenen Zulieferern, Produzenten, internen und externen Mitarbeitern rund um den Globus.
Der Bekleidungsmarkt ist recht gesättigt und hart umkämpft. Wie grenzt ihr euch von der Konkurrenz ab?
Isabell: Durch Qualität. Wir platzieren uns ganz klar im High-End-Bereich: sowohl durch unsere Stoffe als auch durch unsere Passform. Darüber hinaus produzieren wir fair und nachhaltig. EDELSTOFF ist mehr als die neue Kollektion von Lightweight. Es ist etwas ganz neues und eigenes. Etwas, in dem unglaublich viel Zeit, jede Menge Schweiß und Herzblut steckt.
Dann ist es für dich auch mehr als nur ein Projekt nach der Modeschule?
Isabell: Absolut! Natürlich höre ich ab und zu, „die Lightweight-Tochter kann sich bisschen austoben…“. Aber es ist einfach so viel mehr. Bis zur Präsentation auf der Eurobike 2016 haben Katharina und ich knapp drei Jahre gearbeitet. Das nenn’ ich mehr als nur Austoben.
Ich habe erlebt, wie mein Vater diese Firma aufgebaut hat. Er hat die Geschichte und die Tradition weiter entwickelt. Das hat ihn viel Kraft, Zeit und einige Opfer gekostet. So hat er einen Teil meines Erwachsenwerdens verpasst. Deshalb würde ich nichts von seinem Werk kaputt gehen lassen. Von klein auf haben meine beiden Brüder und ich viel über Unternehmensführung und strategische Entwicklung gelernt. Wir haben es quasi beim Abendessen in uns reingelöffelt. Dieses Know-How können wir jetzt anwenden und unseren Vater tatkräftig unterstützen.
Wie kann ich mir den Entstehungsprozess der Kollektion vorstellen?
Katharina: Vereinfacht könnte man den Entstehungsprozess eines Trikots so darstellen:
- Es wird recherchiert und beschlossen, welche Styles in die Kollektion kommen.
- Dann wird getrennt designt (pro Bekleidungsstück rund 40 Entwürfe).
- Auf dem Boden wird alles verteilt, aus- und umsortiert. Am Schluss kristallisiert sich das „Best Of“ heraus.
- Wir wälzen uns durch Stoffmuster und Zutaten, schmeißen damit wild im Raum herum und finden am Schluss die richtigen Labels, Reißverschlüsse und Stoffe. Besonders gerne entwickeln wir aber zusammen mit den Herstellern unsere Stoffe selbst.
- Wir setzen uns an den Schnitt: ganz klassisch mit Papier, Lineal, Bleistift und Schere.
- Dann nähen wir den ersten Prototypen.
- Wir machen ein Fitting am Model auf der Fahrradrolle.
- Mit vielen Klebestreifen passen wir den Schnitt an.
- Dann nähen wir den zweiten Prototypen.
- Auch dieser wird am Model auf der Rolle getestet und angepasst.
- Wenn wir schließlich zufrieden sind, ist es Zeit für die erste Order bei unserem Produzenten in Portugal. Jetzt beginnt der Papierkram: alle Schnitte sauber zeichnen, Zutaten und Stoffe bestellen und Orderlisten ausfüllen.
- Der Produzent näht ein Sample und schickt es uns.
- Wir machen erneut ein Fitting am Model auf der Rolle.
- Wir listen die gewünschten Änderungen auf und schicken alles zurück nach Portugal.
- Für unsere 17 Testfahrer werden 90 Prototypen gefertigt. Wöchentlich erhalten wir Feedback von den Fahrern und können somit weiter am Schnitt feilen.
- Der Produzent näht für unsere Testfahrer die zweiten Muster…
- Wenn wir dann alle zufrieden sind und das Produkt unseren Ansprüchen entspricht, fliegen wir zu den letzten Verhandlungen nach Portugal. Erst dann wird das Endprodukt genäht.
- Zwei bis drei Monate später wird alles nach Friedrichshafen geliefert. Zur Qualitätskontrolle wird eine bestimmte Stückzahl jedes Stils zehn Mal gewaschen und anschließend überprüft.
- Wenn alles passt, wird in Friedrichshafen verpackt und gelagert, bis das Teil an seinen stolzen Träger geliefert wird.
Hattet ihr Hilfe oder habt ihr die Kollektion alleine gestemmt?
Isabell: Zum Großteil haben wir die Entwicklung alleine gestemmt. Radsportmode steht zwar nicht auf dem Stundenplan, dafür haben wir gelernt, wie man eine Kollektion von A bis Z entwickelt. Wenn man dann nach der Uni eine Marke wie Lightweight hinter sich hat, wird man automatisch in einen Strudel der Perfektion gezogen. Das hat uns enorm motiviert und angetrieben.
Wie frei wart ihr in euren Entwürfen?
Katharina: Unser Ausgangspunkt waren die Grundwerte von Lightweight. Mit Bekannten aus den verschiedensten Bereichen haben wir ein Konzept entwickelt, das der Lightweight CI gerecht wird und uns bei der Konzeption von EDELSTOFF nicht einschränkt.
Wie ist die Rollenverteilung in der EDELSTOFF-Schmiede?
Isabell: Katharina kümmert sich um die Produktionsbetreuung: Stoff- und Komponentenhersteller sowie Prototypen fallen in ihren Aufgabenbereich. Ich bin mehr im Management tätig: Preise kalkulieren, Planungen usw.
Den Designprozess und die Stoffauswahl teilen wir uns.
Gab es Reibereien im Entwicklungsprozess?
Katharina: Na klar! Dadurch, dass wir zwei komplett verschiedene Lebenseinflüsse und auch oft verschiedene Denkweisen haben, kracht es natürlich ab und an. Bis zu einem gewissen Punkt sind wir beide recht stur und erbarmungslos ehrlich. Da bleibt öfter mal das eine oder andere übermüdete Auge nicht trocken. Aber letztlich bringt uns genau das zur Perfektion, die wir anstreben.
Auf welches Teil der Lightweight EDELSTOFF Kollektion bist du besonders stolz?
Isabell: Das kann ich so gar nicht genau sagen. Ich betrachte eine Kollektion immer als ganzes und frage mich, ob sie in sich stimmig ist. Harmonieren die Teile miteinander? Ich muss zugeben, dass ich auf alle Teile wahnsinnig stolz bin.
Katharina: Unser neues Sakko liegt mir schon sehr am Herzen, weil es Funktion, Design und Tradition vereint.
Ein weiteres Highlight ist natürlich das von Karen Jessen veredelte Damentrikot. Karen Jessen ist Inhaberin des Berliner Labels BENU BERLIN. Benu steht für den Phönix, der aus der Asche aufersteht. Dieses Bild wird auch vom Label getragen. So werden Jeans und Couchen gejagt, zerlegt und neu in wunderschöne Couture-Einzelstücke verwandelt. Wir haben Karen unser Damentrikot, eine Hose und den Trikotstoff zur Verfügung gestellt. Es wurde geschnitten, gezogen, geknotet und handgenäht. Entstanden ist etwas vollkommen Neues. Im Laufe des Jahres wird es eine Special-Edition geben, bei der wir die spezielle Knüpftechnik als Print darstellen werden.
Wie rechtfertigen sich die recht hohen Preise?
Katharina: Hinter jedem einzelnen Teil steckt sehr viel Herzblut und Zeit. In die 2017er Lightweight EDELSTOFF Kollektion sind knapp drei Jahre Entwicklung geflossen. Wir konzentrieren uns auf nachhaltige und somit auch zertifizierte Stoffe und Zutaten. Fast alle unsere Stoffe stammen aus der EU: Italien, Deutschland und Portugal. Nur Merinoschafe fühlen sich hier nicht so wohl wie in Neuseeland.
Isabell: Dazu kommt, dass wir in Portugal produzieren lassen und aktuell noch am Anfang der Kollektion stehen. Dadurch haben wir noch sehr geringe Abnahmemengen, was den Einkauf wiederum teurer macht.
Wie war das Feedback auf der Eurobike und wie geht es weiter mit Lightweight EDELSTOFF ?
Katharina: EDELSTOFF wird nicht als Accessoire zu den Rahmen und Laufrädern von Lightweight gesehen, sondern für sich voll anerkannt. Das motiviert uns natürlich immens. Mit unserer ersten Kollektion können wir nicht alle Märkte gleichermaßen zufrieden stellen. Der europäische Markt hat andere Ansprüche als der australische, asiatische oder amerikanische. Jedoch bekommen wir von unseren Distributoren und Händlern viel Feedback und hilfreiche Ideen. Wir wollen unsere Kollektion langsam wachsen sehen. Der Fokus liegt ganz klar auf Qualität und Perfektion. Aus diesem Grund werden wir auch nicht jede Saison neue Ware präsentieren.
Erst wenn wir mit Hilfe neuer Technologien die Stoffe und Schnittführungen unserer Produkte ernsthaft verbessern können, hat es in unseren Augen Sinn, Teile auszutauschen oder die Kollektion zu erweitern.
Isabell: Das Feedback war insgesamt sehr gut. Vor allem unser City-Bike Sakko kam auf der Messe sehr gut an. Momentan konzentriere ich mich voll auf Lightweight EDELSTOFF. Die nächsten 40 Jahre werde ich alles dafür geben, zusammen mit meiner Familie und meinen Kollegen das weiter zu führen, was mein Vater aufgebaut hat.
Mehr Bilder von der Lightweight EDELSTOFF Kollektion gibt es hier.
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