Wie fühlt es sich an, als Freizeitsportler einen Ironman Langdistanz Triathlon mit 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,2 km Laufen zu absolvieren? Unser Redakteur Harald Englert hat es ausprobiert und nach intensiver Vorbereitung den Ironman Kopenhagen bestritten. Hier gibt es den Erfahrungsbericht.
Schon beim Anziehen des Neoprenanzugs pfeift ein kühler Wind über den Amager Strandpark in Kopenhagen. Der Einstieg in die flache Lagune hinter der Halbinsel kostet schon einiges an Überwindung, die Ostsee fühlt sich an den Füßen und Händen eiskalt an. Das Wasser, das über den Reißverschluss langsam in den Neo sickert, jagt ebenfalls kalte Schauer über den Rücken, nach dem ersten Eintauchen des Kopfes in das kühle Nass bleibt mir erst mal kurz die Luft weg.
Nach dem Umziehen an Land habe ich erst mal heftige Zitteranfälle vor lauter Kälte und mache mir direkt Sorgen.
„Puh, das Wasser ist deutlich kälter als befürchtet“, schießt es mir bei den ersten Kraulzügen durch den Kopf. Ich schwimme mich nur ein für den Renntag, aber wärmer wird das Wasser sicher nicht mehr. Nach hundert Metern habe ich mich jedoch mehr oder weniger an die Kälte gewöhnt und versuche sie zu ignorieren. Das funktioniert auch für die 20 Minuten Einschwimmen am Freitagnachmittag relativ gut. Aber nach dem Umziehen an Land habe ich erst mal heftige Zitteranfälle vor lauter Kälte und mache mir direkt Sorgen, wie sich das wohl am Sonntag nach eineinhalb Stunden im kalten Wasser anfühlen wird.
Mein erster Ironman – Wie kam es so weit?
Wie es so weit kommen konnte, dass ich nach Dänemark fliege und dort freiwillig in der 16 Grad kalten Ostsee schwimme, anstatt gemütlich die Fahrradstadt Kopenhagen zu besichtigen? Ganz einfach – ich bin zum Ironman Rennen angemeldet! Die Idee dazu entstand nicht aus einer Laune heraus beim Bier mit Freunden, sondern ist über die letzten Jahre in meinem Kopf gewachsen.
Es ging los mit einem Volkstriathlon im Nachbarort, dann folgte relativ schnell ein Rennen über die olympische Distanz (1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren, 10 km Laufen) und schließlich ein paar Jahre später der Start bei einer Mitteldistanz (1,9 km Schwimmen, 90 km Radfahren, 21,1 Kilometer Laufen). Einige Rennen später kam zum ersten Mal der Gedanke, dass das Unmögliche vielleicht doch möglich ist, die Königsdisziplin im Triathlon auch für mich persönlich realisierbar sein könnte!
Damit wir uns nicht falsch verstehen – die Distanzen eines Ironman schienen mir auch bei der Anmeldung für das Rennen noch als extreme Herausforderung, und zwar jede für sich allein. Abgesehen vom Radfahren, denn in dieser Disziplin hatte ich natürlich am meisten Erfahrung und auch schon deutlich längere Strecken zurückgelegt. Ein Marathon allein, schien auch machbar, wobei ich vor dem Ironman noch nie eine so lange Strecke zu Fuß zurückgelegt hatte. An das Schwimmen mochte ich hingegen gar nicht denken, hatte ich doch bisher schon bei olympischen Distanzen von „nur“ 1.500 Metern bitter gelitten und jede Menge Wasser geschluckt.
Wir wollten, wussten aber nicht genau, ob wir es schaffen können.
Wenn man jedoch einen Ironman machen will, muss man sich irgendwann anmelden, auch wenn einem die Aufgabe schier unlösbar erscheint. Eine profane Erkenntnis, die man jedoch erst einmal realisieren und umsetzen muss. Und so habe ich es dann schließlich auch gemacht, und zwar zusammen mit einem guten Freund, der sich in der gleichen Situation befand wie ich. Wir wollten, wussten aber nicht genau, ob wir es schaffen können.
Für mich war auf jeden Fall klar, dass es ein Rennen sein muss, bei dem man sicher mit Neopren-Anzug schwimmen darf. Ohne die Schwimmhilfe, die ja eigentlich als Kälteschutz gedacht ist, schien mir die erste Disziplin nahezu unmöglich zu bewältigen. Deshalb schied der Ironman Frankfurt vor meiner Haustür aus (zu oft herrschte dort schon wegen hoher Temperaturen Neopren-Verbot) und die Wahl fiel auf Kopenhagen: Wasser kalt genug, relativ flache Radstrecke, flache Laufstrecke durch die Innenstadt mit viel Zuschauer-Support. Das Rennen schien ideal und sollte sich im Nachhinein auch tatsächlich als Glücksgriff erweisen.
Triathlon Langdistanz – Der große Tag
Womit wir wieder zurück beim Einschwimmen am Freitag wären. So kühl hatte ich mir die Ostsee dann doch nicht vorgestellt. Nach einer unruhigen Nacht, in der ich viel über das Schwimmen im kalten Wasser und Unterkühlungen nachdachte, rettete ein dänischer Händler und Freiwasserschwimmer am Samstagfrüh auf der Veranstaltungs-Expo meinen Tag. Ich erwarb – unter seinem mitleidsvollen Lächeln und blumig geschilderten Berichten von nordischen Schwimmwettbewerben bei 14 Grad Wassertemperatur in Badehose – Neoprensocken und eine Neoprenhaube für den Kopf und fühlte mich damit besser vorbereitet denn je!
Im Wasser
So gut, dass es mir auch gar nichts ausmachte, dass die Socken- und Häubchenträger am Renntag ganz klar zu einer verschwindend kleinen Minderheit gehörten. „Man muss zu seinen Schwächen stehen“, dachte ich mir noch und rannte nach dem Startzeichen freudestrahlend in die kalte Ostsee. Um es kurz zu machen: Ich habe keine Sekunde wirklich gefroren und habe mich über jeden einzelnen Cent gefreut, den ich in den Kälteschutz investiert hatte.
Ein relativ ruhiges und gleichmäßiges Schwimmen führte zu einer – für meine bescheidenen Verhältnisse – persönlichen Spitzenzeit von knapp 1:16 Stunden. Das sorgte beim Schwimmausstieg für ein persönliches Hochgefühl, welches den gesamten Tag über nicht mehr komplett verfliegen sollte. Anfang gut – alles gut!
Auf dem Rad
Dermaßen gut gelaunt, konnte es mich auch nicht aus der Bahn werfen, dass ich ungefähr bei Kilometer drei auf dem Rad nach einem fiesen Schlagloch mein komplettes Werkzeug verlor. Ich hatte es ja zum Glück bemerkt, hielt kurz an und holte mir meine Ersatzschläuche und Gaskartuschen zurück. So früh im Rennen auf diesen Notnagel zu verzichten, schien mir viel zu wagemutig, um auch nur darüber nachzudenken, einfach weiterzufahren.
In der ersten Stunde auf dem Rad dachte ich immer wieder an die gleichlautenden Ratschläge aller erfahrenen Langdistanz-Triathleten und Trainer, mit denen ich gesprochen hatte oder mir ihre Tipps aus dem Netz gezogen hatte: „LASS ES LANGSAM ANGEHEN!“ Schon nach rund 40 Minuten fühlte ich mich körperlich gut, hatte einen passenden Rhythmus gefunden und freute mich über leichten Rückenwind auf einer landschaftlichen famosen Route direkt am Meer entlang.
Das war der Zeitpunkt, zu dem ich das Rennen zum ersten Mal richtig genießen konnte. Strahlender Sonnenschein, grandiose Szenerie und ich flog scheinbar mühelos mit fast 40 km/h am Meer entlang. Ich kam gar nicht mehr aus dem Grinsen heraus und freute mich einfach tierisch, dass ich nach all dem Training und Warten und Bangen wegen Corona endlich mitten im Rennen war! Dass ich dabei von Rückenwind profitierte, und dass dies nicht während dem kompletten Rennen der Fall sein würde, war mir natürlich klar, aber ich genoss den Moment.
Die erste von zwei Radrunden lief einfach klasse – trotz Toilettenstopp und deutlich mehr Hügeln als gedacht. Dann stieß ich ungefähr bei Kilometer 90 auf Ralph. Ich kannte ihn freilich nicht, las jedoch seinen Namen auf seiner Startnummer als er an mir vorbeizog. Und ich erinnere mich noch genau, dass er mit einem Scheibenlaufrad unterwegs war. Kurzum, ich hängte mich an ihn dran, freilich immer unter Einhaltung der Abstandsregeln, denn Windschattenfahren ist bei Triathlon Rennen in der Regel streng verboten.
Aber ich wusste von den umfangreichen Simulationen und Messungen der Aerodynamik Spezialisten von Swiss Side, dass man auch mit einem Abstand von mehr als 12 Metern vom Windschatten profitieren kann. Vom mentalen Effekt einer „Zugmaschine“ gar nicht zu reden. So ließ ich mich also eine Weile von Ralph über die anspruchsvolle Strecke in wieder urbaner Umgebung ziehen und bemerkte dabei fast nicht, dass ich mehr als einmal über meinen Verhältnissen fuhr.
In einem lichten Moment wurde mir klar, dass ich mich entscheiden muss: Fahre ich weiter mit hohem Speed hinter meinem unfreiwilligen Tempomacher und wechsle mich dann fairerweise auch mit ihm bei der Arbeit im Wind ab oder gehe ich auf Nummer sicher und fahre weiter in meinem eigentlichen Wohlfühltempo? Angesichts der Tatsache, dass ich erst ein wenig mehr als die Hälfte der Radstrecke bewältigt hatte und im Anschluss noch der Marathon im Raum stand, entschied ich mich für die sichere Variante. Ich ließ Ralph ziehen und bereute es keine Sekunde lang.
Denn die zweite Runde wurde naturgemäß schwerer als die erste. In der letzten Stunde schmerzte der Rücken, zudem bekam ich leichte Sitzbeschwerden und rutschte mehr als einmal auf dem Sattel hin und her. Dennoch lief es leistungsmäßig gut und ich konnte mein Tempo bis in die zweite Wechselzone durchziehen. 5:24 Stunden mit einem Schnitt von 33,3 km/h trotz zweier Toilettenstopps und der kurzen Zwangspause wegen dem verlorenen Werkzeug. Das war absolut in Ordnung für mich!
Beim Laufen
Umso mehr hob sich meine Laune, als mir meine Frau nach drei Laufkilometern eine prognostizierte Endzeit von 10:27 Stunden zurief! Auch davor hatte ich versucht auf die Tipps der Erfahrenen und Trainer zu hören und hatte mich in den ersten Laufminuten extrem eingebremst, um nicht zu schnell anzulaufen. Dennoch war ich mit einer glatten 5er Pace unterwegs, die sich zunächst allerdings anfühlte wie entspanntes Joggen.
Die nächsten Kilometer liefen weiter glatt. Ich war genau mit meiner Zielpace zwischen 5:00 und 5:10 Minuten pro Kilometer unterwegs und nahm gewissenhaft Gels, Wasser und Salztabletten nach Plan zu mir. Auch in dieser Phase hatte ich ein wahres Hochgefühl und kam aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Auf der kompletten Laufstrecke wurden wir frenetisch angefeuert und von unzähligen Zuschauern unterstützt. Ich erlebte diese Phase des Rennens keineswegs als Quälerei, sondern als großen Spaß – als Belohnung für die vielen Trainingsstunden. Die Ernte wurde eingefahren!
Und zwar genau bis zu Kilometer 28 – dann wurde mir an einer Verpflegungsstelle leicht schwindlig, ich bekam wacklige Knie und dachte mir nur: „Nein, bitte nicht – es lief so gut bisher, jetzt keinen Totaleinbruch!“ Intuitiv tat ich das richtige: Ich nahm mir einen Moment Zeit, blieb stehen, trank in Ruhe einen Becher Wasser, nahm ein Gel und eine Salztablette und trabte schließlich langsam wieder los.
Jetzt war allerdings mit einem Schlag jede Leichtigkeit verflogen, die Beine schwer wie Blei, Schmerzen in den Oberschenkeln bei jedem Schritt. Ich nahm mir vor, nur noch von Verpflegungsstelle zu Verpflegungsstelle zu planen, an jeder Station kurz zu gehen und mir Zeit zum „Essen und Trinken“ zu nehmen. So kämpfte ich mich weiter und fühlte mich zum Glück mental schnell wieder besser. Der Schmerz in den Beinen blieb, aber ich war wieder guter Dinge, dass ich ins Ziel komme und eventuell sogar mein Maximalziel, eine Zeit unter 11 Stunden halten kann.
Im Ziel
Mein Tempo auf dem letzten Viertel der Marathon-Distanz war zwar langsamer als zuvor, aber dennoch relativ gleichmäßig und ich schaffte es, nur an den Verpflegungsstellen kurz zu gehen und ansonsten immer zu laufen. Vier Kilometer vor dem Ziel war ich mir schließlich endgültig sicher, dass ich eine Zeit unter 11 Stunden schaffen würde und biss mich durch die letzten Minuten.
An einen Schlusssprint war nicht mehr zu denken, aber ich hatte meine erste Langdistanz anständig beendet und direkt meine – nur insgeheim geplante – Zielzeit unterboten. 10:47 Stunden standen auf der Uhr, als ich die berühmten Worte „you are an Ironman“ zu hören bekam. Tiefe Zufriedenheit legte sich über die enorme Müdigkeit und machte die nächsten Tage zu einem einzigartigen Hochgefühl, das ich nie mehr missen möchte!
Kannst du dir vorstellen selbst einen Ironman in Angriff zu nehmen?
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