Am 19. August 2019 startet Andy Müller bei Paris-Brest-Paris mit einem Faltrad. Vor ihm liegt das bekannteste und eines der härtesten Brevets der Welt: 1.200 km nonstop auf einem umgebauten 250-Euro-Baumarktrad. Die Hauptmodifikationen sind ein 80-Zähne-Kettenblatt und ein anderer Lenker. Geht das? Alle notwendigen Prüfungen über 600, 400 und 200 km hat Andy bereits bestritten. Ebenfalls mit dem Rad. Bei einer brach ihm der Rahmen. Er glaubt ans Durchkommen. Und auch sonst ist der Wuppertaler in der Brevet-Szene eher ein Non-Konformist. Zuletzt fuhr er mit dem Fatbike den Ruhr-Radweg nonstop – auch knapp 600 km. Wir waren mit Andy auf seiner Lieblings-Trainingsstrecke unterwegs, der Wuppertaler Nordbahntrasse, und haben dabei mit ihm über die Herausforderung Paris-Brest-Paris 2019 gesprochen.
Ich kenne Andy schon etwas länger – das heißt, erst kannte ich ihn und sein Fahrrad, aber nicht seinen Namen. „Wer ist denn der Verrückte mit dem Faltrad und dem Mega-Kettenblatt“, habe ich immer gedacht, wenn ich ihm begegnet bin: „Trainiert der für einen Geschwindigkeitsrekord?“. Und begegnet bin ich ihm eigentlich regelmäßig, wenn ich zum Training über die Wuppertaler Nordbahntrasse in die Hügel des Bergischen Landes aufbrach. Die breite, verkehrsfreie ehemalige Bahntrasse ist die ideale „Ausfallstraße“ für Touren raus aus der Stadt. Für Andy ist sie die Haupt-Trainingsroute. Auf dem Radweg schrubbt er seine Kilometer, in den Tunneln und Viadukten kann er jedes Graffiti, das neu hinzu kommt, persönlich begrüßen. Andy ist deshalb auf dem Weg, der viele zum Schaulaufen einlädt, einer der bunteren unter den Bunten Hunden.
Dass der unauffällige Typ mit dem auffälligen Rad gleichzeitig zum kleineren Kreis der Brevet-Fahrer mit Paris-Brest-Paris-Aspirationen gehört, erfuhr ich erst später bei einer zufälligen gemeinsamen Fahrt bei einem regelmäßigen Feierabendtreff. Für das Interview haben wir uns dort verabredet, wo er die meisten Kilometer abspult und während des Gespräches noch läppische 38 km hinzugefügt. Als ich ihn treffe, beschäftigt er sich gerade mit den V-Brakes seines Faltrades. In seiner Strava-Ausrüstungsliste ist es als „Godlike“ eingetragen und hat bereits rund 24.000 km auf der Uhr. „Godlike“ ist ein Prophete, Modell Genießer, das so ähnlich zur Zeit der Interview-Erstellung für 250 € bei Neckermann im Angebot war. Andy hat einige Modifikationen vorgenommen. Eine der ersten und auffälligsten war das größere Kettenblatt.
RN: Hallo Andy, wie geht es?
Andy: Joa, gut! Die Bremsen quietschen wie Sau, die Leute erschrecken sich richtig, hast Du das schonmal gehabt? (Er führt es vor, markerschütterndes Quietschen!)
So noch nicht.
Ich werde erstmal die Bremsflanken mit Seife reinigen, wenn es gar nicht geht, die Bremsklötze tauschen.
Andy, um an Paris-Brest-Paris teilnehmen zu können, muss man ja verschiedene Vorprüfungen bestehen, kannst Du kurz erklären, welche Brevets Du für PBP (die Abkürzung für Paris-Brest-Paris) schon gefahren bist?
Man muss im Kalenderjahr der Austragung erst ein 200 km-Brevet, dann ein 300er, ein 400er und ein 600er fahren. Die Veranstalter wollen wissen, dass du auf die Distanz einigermaßen vorbereitet bist. Ich bin zunächst ein 200er Brevet hier in Wuppertal gefahren (hier geht es zum Brevet auf Strava). Dann das 300er Brevet, ebenfalls ab Wuppertal. Bei dem ist der Rahmen an der Sattelstütz-Aufnahme angerissen. Ich bin dann so weitergefahren bis zum nächsten Bahnhof in Düsseldorf. Abbruch, nicht gewertet.
Danach musste ich einen Ersatztermin in Hessen machen, was dann ein 400er war, weil keine 300er mehr angeboten wurden und ich ja auch nicht jeden Samstag frei habe. Die Fahrkarte hin hat mal eben 40 Euro gekostet, sch*** teuer! Und zurück musste ich ja auch noch. Das 600er Brevet ging dann wieder in Wuppertal los, aber schon zwei Wochen später. Es führte über Maastricht nach Luxemburg, zurück durch die Eifel mit ungefähr 4.500 Höhenmetern. Die Strecke wird auch so ausgesucht, um den Höhenmeteranteil bei PBP nachzustellen. PBP hat rund 1.000 Höhemeter auf 100 km. Mit dem Klappi und dem großen Kettenblatt war das auf den 600 km für mich stellenweise schon grenzwertig. Ich hoffe, die Anstiege bei PBP sind nicht so steil.
Ich hoffe, die Anstiege bei PBP sind nicht so steil.
Apropos Klappi, was für ein Faltrad fährst Du?
Es ist ein Prophete Genießer. Ich glaube, es hat so 300 Euro gekostet, wenn ich mich richtig erinnere. Ich habe erst diese Birdys gesehen, die kriegste ja nicht geschenkt, und dann habe ich gesucht, ob es da nicht was günstigeres gibt, weil ich nicht mehr als 500 € ausgeben wollte. Dann gab es hier irgendwo dieses Prophete, da waren auch schon dünne Reifen drauf, Kenda.
Was hast Du dran geändert?
Ja, das Kettenblatt natürlich. Ich muss ja mit den schnellen Jungs auf den Rennrädern mithalten, wenn die richtig reintreten. Wenn man in der vorderen Gruppe bei einem Brevet startet, fahren die erstmal mit 35 km/h los. Ich fahre erstmal eine Weile da mit, wenn ich nicht mehr kann, lasse ich mich zurückfallen. Irgendwann kommt wieder von hinten eine Gruppe, die etwas langsamer fährt. Ganz hinten geht es nur ums Ankommen. Man findet eigentlich meistens eine Gruppe zum Mitfahren. Das ist ja das schöne an den Brevets.
Fällt das Klapprad nicht sehr auf, keine Akzeptanz-Probleme?
Klar fällt das Rad auf, und die Leute sprechen mich an. Die haben es gut, die können sich hinterher immer an mich erinnern, aber ich kann mir die einzelnen Rennradfahrer nicht so gut merken (lacht).
Hast Du noch mehr Änderungen gemacht?
Die Kassette hat ein 32er Ritzel als kleinsten Gang, die habe ich geändert. Ich habe eine Zeit lang mit den Übersetzungen gespielt, es gibt für E-Bikes noch viele 7-fach Schraubkranz-Kassetten in verschiedenen Abstufungen. Die Brems-Schalthebel habe ich von einem Kumpel günstig bekommen. Ist schon komfortabler mit der zusätzlichen Handposition. Aero-Bars wie beim Triathlon sind bei PBP nicht erlaubt. Darauf ist die Gefahr einzuschlafen zu groß.
Klappräder sind aber erlaubt?
Ja, das Reglement wurde wohl vor ein paar Jahren gelockert. Es fahren auch Liegeräder und MTB mit. Es gibt wohl einen Extra-Startblock für besondere Räder, ich starte aber im normalen Block am Ende des Startzeitfensters – wenn man mich nicht vor Ort in den Spezialblock verlegt.
Ich sehe gerade die Nabe (die Original-Nabe), darin hast Du Vertrauen?
Ja, die hält, die hat ja bis jetzt auch gehalten, was soll daran kaputt gehen? Nachdem der Rahmen angerissen war, konnte ich einfach den gesamten hinteren Teil austauschen – Klapprad sei dank!
Hast Du einen Mechaniker?
Ja, das macht ein Second-Hand-Fahrradgeschäft hier in Wuppertal. Passende Reifen sind gar nicht so einfach zu finden. Hinten habe ich jetzt die Reifen gewechselt, weil ich eine breitere Felge als Ersatzteil habe, bin ich auf breitere Schwalbe Marathon Racer umgestiegen. Vorher hatte ich vorne und hinten 28 mm breite Continental Speed Contact, Die haben 18.000 km gehalten, fast ohne Defekte.
Was wiegt Dein Rad?
Ja, so 12 kg ohne das Zubehör dürften das schon sein. Mit vielleicht 15 kg. Wenn es hügelig wird, bin ich natürlich damit im Nachteil gegenüber den anderen, die kommen da ja mit Sieben-Kilo-Rädern zu den Brevets.
Wie schnell kannst Du damit fahren?
So auf der Geraden 40 bis 46 km/h, bergab auch schonmal 60 bis 70 km/h. Das wird dann schon ein bisschen wackelig. Du musst ja auch überlegen, du musst die nachher wieder runterbremsen. Ich hatte anfangs ein 70er Kettenblatt drauf. Da bin ich hier beim Uni-Radrennen mitgefahren (ein Amateur-Radrennen rund um die Wuppertaler Universität, das im Wesentlichen pro Runde einmal bergauf und einmal bergab geht und eine steile Abfahrt mit einer anschließenden leicht hängenden Kurve aufweist; es gibt auch eine Hobby-Version). Ich konnte es mit dem wackeligen Klapprad ja in der Kurve nicht rollen lassen, da ist die Felge beim Bremsen so heiß geworden, dass auch der Reifen extrem warm wurde, der klebte richtig am Asphalt. Das war echt heftig, ich habe gedacht, wieso rollt der denn jetzt nicht mehr?
Wie kam es überhaupt dazu, dass Du PBP fahren wolltest, bist Du schon vorher oft lange Distanzen gefahren?
Neee, ich habe letztes Jahr ein Video von PBP auf Youtube gesehen. Da war so ein Opa, 84 Jahre alt, der hat die 1.000 km noch geschafft. Da habe ich gedacht, „ach, das ist ja nächstes Jahr, da kann ich ja mal mitfahren“. Eben einen 600er letztes Jahr gemacht, da sind den Leuten allen die Augen rausgefallen, als ich da angekommen bin mit dem Klapprad.
Hast Du eigentlich kein Rennrad?
Doch, habe ich. Das hat mich ja erstmal süchtig gemacht nach dem Fahrradfahren. Dann habe ich gesehen, joa, 30 kannste fahren, dann wollte ich es halt mal mit dem Faltrad versuchen. Jetzt will ich es (PBP) mit dem Klapprad schaffen!
Hast Du noch andere Räder?
Ja noch ein paar, zuletzt habe ich das Fatbike ausprobiert, mit Rennlenker. Das Fatbike habe ich fürs Gelände. Zuerst habe ich es auf meiner 100 km Standardrunde ausprobiert, über die Nordbahntrasse, Niederbergbahn runter, an der Ruhr entlang, Glückauf-Trasse wieder hoch, mit einem 26er Schnitt, also deutlich langsamer als mit dem Klapprad. Mit dem Klapprad kann ich so 30 km/h eine ganze Weile locker fahren.
Die nächste Fatbike-Tour war dann der Ruhr-Radweg bis zur Quelle und wieder zurück. Ich wollte die Strecke durchfahren als Test für mich und das Rad.
Hast Du vorher schonmal Sport gemacht?
Ja, Sport habe ich immer gemacht. Das ganze Leben mache ich schon Sport, ich habe immer schon Fußball gespielt und so, dann 20 Jahre lang Inliner gefahren. Auf den Inlinern bin ich auch schon eine lange Strecke gefahren, bis Amsterdam von Düsseldorf, das waren so 250 km bis Amsterdam, zurück bin ich nur bis Kleve gekommen, da war ich nach 180 km kaputt, weil ich volle Pulle gefahren bin. Da bin ich um ein Uhr nachts in Kleve am Bahnhof angekommen, fuhr kein Zug mehr, habe ich da übernachtet, fast erfroren, war plötzlich null Grad, das war im Herbst. Dann mit dem ersten Zug nach Hause, duschen, fix und fertig von der Tour und dann arbeiten eben. (lacht).
Ja, und dann habe ich gemerkt, man kann lange Strecken machen, aber mit Inlinern ist es schwierig. Und dann war hier die Trasse fertig, dann bin ich aufs Fahrrad umgestiegen. Meistens fahre ich jetzt von einer Trasse zur nächsten, alles gesichert, kein Verkehr, keine Ampeln, musst auch nicht lange suchen.
Was arbeitest Du?
Ich bin Paketbote.
Tagsüber kannst du eigentlich immer durchfahren.
Hast Du eine Strategie für PBP?
Ich werde in der letzten Gruppe starten. Da ich ja keinen Rekord fahren will von 39,5 Stunden oder so, muss ich ja nicht vorne starten (lacht). Ich will einfach von hinten das ganze Feld aufrollen (lacht), nein, geht nicht, die ersten kommen fast schon wieder an, wenn ich starte. Das Startfenster geht ja über zwei Tage.
Ich will gucken, dass ich unter 70 Stunden komme. Die erste Nacht fahre ich durch und dann muss ich halt sehen, wie fit ich noch bin, tagsüber erstmal weiter fahren, dann muss ich in der zweiten Nacht halt pennen. Ich will erstmal schauen, dass ich die erste Hälfte schonmal schaffe, bevor ich schlafen werde. Also erstmal bis Brest. In der Gruppe sind das etwas über 30 Stunden…
…dann hättest Du 10 Stunden zum Schlafen….
…, ja (lacht), dann würde es passen. Das Problem ist die Nacht. Tagsüber kannst du eigentlich immer durchfahren, Kaffee oder Snack, dann geht es wieder, also bei mir zumindest. Bei anderen ist das nicht umbedingt so. Deswegen werde ich versuchen, die erste Nacht durchzustehen. Wenn die anderen 4 Stunden schlafen, kann ich 100 km fahren.
Es fängt an zu regnen.
Hast Du Angst vor dem Wind oder Wetter?
Mmmmhh, wenn so ein extremer Gegenwind ist, schaffst du natürlich nicht den 30er Schnitt, vielleicht 28 oder so. Aber weil es so viele Gruppen sind, kann man bestimmt immer von einer zur anderen Gruppe hüpfen, so lang man fit genug ist, und dann hat man wieder Windschatten. Das ist das Gute an so einer Veranstaltung. Man kann immer von einer Gruppe zur anderen sprinten.
Auf so einer Distanz noch zwischendurch sprinten?
Klar, so lange die Beine fit genug sind, geht das, mir macht das nix aus. Du musst halt nur sehen, dass deine Energie immer ausreicht bis zur nächsten Kontrolle, immer genug essen. Nicht Unterzuckern ist das wichtigste. Wenn einmal die Muskeln weg sind, ist es vorbei. Ich nehme natürlich eine Regenjacke mit. Aber die Nächte, die Nächte, die sind das Problem, es sind ja drei Nächte, es wird richtig kalt da, manchmal sind es nur 10 Grad, es sind ja kilometerlang freie Felder.
Hast Du nie Probleme auf den langen Distanzen?
Ja, mal mit dem Hintern, aber nichts Gravierendes. Oder mit den Füßen, aber die sind nach einem bisschen Laufen wieder fit (Andy fährt nicht mit Klickpedalen).
Hast Du noch einen Tipp für andere für das nächste PBP in vier Jahren?
Ja, am besten im Jahr zuvor schon so lange Brevets wie möglich fahren. Man muss bereits ein Brevet für die Anmeldung vorweisen. Wie ich gehört habe, haben alle, die sich für 2019 „nur“ mit einem 200er aus 2018 angemeldet haben, gar keine Voranmeldung mehr bekommen. Ich hatte sozusagen Glück, dass ich in 2018 schon den 600er gemacht habe. Aber es sind wohl später nochmal 1.000 Startplätze freigegeben worden, vielleicht, weil viele die 200/300/400/600 Serie nicht geschafft haben.
Danke, dass Du Dir Zeit genommen hast. Wir wünschen Dir eine gute Fahrt und sprechen uns noch mal nach Deiner Rückkehr!
Die offiziellen Infos zu Paris-Brest-Paris findet ihr hier: www.paris-brest-paris.org
Was wäre euer Traumrad für Paris-Brest-Paris?