Spätestens seit die Tour de Suisse regelmäßig in Disentis Sedrun gastiert, ist die Region für Rennrad-Liebhaber ein Begriff. Nathalie Schneitter hat die Klassiker der Landesrundfahrt unter die Räder genommen und stattete auf der Tour de Obersaxen auch den unbekannten Allroad-Straßen der Surselva einen Besuch ab.
Runda Curnera: Höhenluft und Serpentinen
Unsere Tour startet in Disentis auf 1.129 m ü. M. Das Dorf liegt am Fuße des Oberalp- und Lukmanierpasses und das Ortsbild ist durch das imposante Benediktinerkloster geprägt. Rennradträume treffen hier, im westlichsten Ecken Graubündens, auf eine geballte Ladung Kultur.
Wir nehmen von Disentis aus die Ost-Rampe des Oberalppasses in Angriff, ein echter Klassiker der Schweizer Alpenpässe. Die Steigung startet gemächlich und erlaubt es den Beinen in Fahrt zu kommen. Erst nach Sedrun wartet die erste der steilen Rampen, die charakteristisch für die Alpen sind. Die Strasse schlängelt sich taleinwärts, der Vorderrhein stets linkerhand. Eine gefühlte Ewigkeit lang führt die Strasse gerade ins Tal hinein und ich bin ausnahmsweise dem Gegenwind dankbar, denn dank ihm kann ich mich hinter meiner bärenstarken Begleitung im Windschatten verstecken – und hoffe heimlich, dass auch er vorne im Wind an seine Grenzen kommt.
Nach dem Passieren des pittoresken Passdorfes Tschamut warten Serpentinen der Extraklasse. Die Kehren lassen die letzten Höhenmeter zur Oberalp-Passhöhe mühelos schmelzen und verleiten dazu, im Wiegetritt etwas härter in die Pedale zu treten. Auf der Passhöhe des Oberalppasses steht der einzige Leuchtturm der Alpen, der hier, als Hommage an die Mündung des Rheins in Rotterdam, die Quelle des Rheins markiert.
Anstatt über den Pass nach Andermatt zu fahren, wie es die Tour de Suisse Mitte Juni beim entscheidenden Zeitfahren machen wird, haben wir heute etwas anderes vor: Die Strasse zum Lai da Curnera wurde uns von Locals als Geheimtipp empfohlen. So jagen wir die Serpentinen des Oberalppasses wieder hinunter (und ganz ehrlich: abwärts machen erklommene Kurven noch etwas mehr Spass!). In der letzten Links-Kurve biegen wir rechts ab in ein unscheinbares Strässchen. Nicht weit danach passieren wir eine Schranke, die für uns Rennradfahrer kein Hindernis darstellt, unerwünschten motorisierten Verkehr jedoch fernhält.
Die nun folgende Steigung zum Lai da Curnera ist kurz, aber eine zum Geniessen. Ein kurzes Innehalten und den Blick ins Tal des Vorderrheins schweifen zu lassen ist fürs Gemüt sehr empfehlenswert. Die Staumauer beim Lai da Curnera ist der Endpunkt der Steigung.Ein Blick auf die umliegenden Dreitausender: Einfach wow!
Die Abfahrt zurück nach Disentis ist schnell. Volle Konzentration ist gefragt. Bremste der Gegenwind bei der Auffahrt meinen Begleiter aus, lässt uns nun der Rückenwind in Aero-Position zurück nach Sedrun und weiter nach Disentis düsen.
In der «La Conditoria» in Sedrun legen wir einen kurzen Stopp ein für Kaffee und die Spezialität des Hauses: die wohl kleinste Nusstorte der Welt. Genuss gehört für uns Ex-Radprofis mittlerweile einfach dazu – und beim von Graubünden kreierten «Menu for Cyclists» sowieso. Die «Runda Curnera» ist nämlich nur eine von zahlreichen Touren des Menüs, die darauf warten, entdeckt zu werden.
Wer in Disentis noch Körner im Tank hat, der hängt den Lukmanierpass an. Den Statistikern unter euch sei gesagt: Dieses Jahr passiert die Tour de Suisse den Lukmanier bereits zum 36. Mal. Die hochalpine Region bietet also beste Voraussetzungen für anspruchsvolle Routen und sportliche Höchstleistungen. Apropos Höchstleistungen: Wer einen epischen Tag im Sattel sucht, der kann Oberalp-, Gotthard- und Lukmanierpass auch an einem Tag fahren. Die Runde ist aber nichts für schwache Nerven; die Dreipässefahrt führt über 152 Kilometer und 3520 Höhenmeter.
Disentis Sedrun Infos und GPS-Daten
Den GPX-Track der gesamten Runda Curnera gibt es aud dem Tourenportal Komoot zum Download. Die Routenvorschläge teilen sich in zwei Tracks auf:
Runda Curnera – Lukmanierpass extended: 87 km, 2.300 Höhenmeter
Königsetappe in Disentis Sedrun: Oberalp– Gotthard – Lukmanier: 152 mkm, 3.520 Höhenmeter
Fahrradfreundliche Unterkünfte Disentis Sedrun
Disentis: Catrina Resort, Hotel Alpsu, Hotel La Furca
Sedrun: Hotel Krüzli, Hotel Cresta, Hotel Cruna, Hotel Posta
Essen und Trinken entlang der Route
Stiva Grischuna, Disentis
Stiva Sogn Placi, Disentis
Alpsu, Disentis
Menono, Sedrun
Bikeshops
Sportshop Catrina, Disentis
Curschellas Sport, Tujetsch
Infos zur Anreise
Disentis ist mit dem ÖV gut erschlossen: bis Chur mit der SBB, danach weiter mit der Rhätischen Bahn bis Disentis. Die Anreise mit Auto ist ebenfalls kein Problem, Parkplätze gibt es beim Bahnhof.
Beste Reisezeit
Mitte/Ende Juni bis anfang Oktober, je nach Schneelage
Kulturelle Highlights
Besichtigung Benediktinerkloster Disentis
Allroad Rennrad-Tour durch die Surselva
Graubünden bedeutet für mich die Seele baumeln lassen. Hiess es für mich früher Sommer für Sommer ins Höhentrainingslager im Engadin zu reisen, hat mich heute der Entdeckergeist gepackt. Einsame, unentdeckte Bergsträsschen verbunden mit epischen Panoramen lassen mein Herz höher schlagen und so erkunde ich am liebsten diejenigen Ecken Graubündens, die auf meiner mentalen Landkarte noch ein unbeschriebenes Blatt sind.
Ilanz, die erste Stadt am Rhein auf rund 700 m ü. M. liegt im rätoromanischen Sprachgebiet. Viele Touristen schaffen es überraschenderweise nie bis hierher. Dies, obwohl Ilanz bequem mit dem Öffentlichen Verkehr zu erreichen und perfekter Ausgangspunkt für Entdeckungstouren per Rennrad oder Gravelbike ist.
Wir nehmen bis Chur den Schnellzug und steigen dann auf die Rhätische Bahn um. Die Bahnfahrt durch die Rheinschlucht, den Grand Canyon der Schweiz, lässt die Vorfreude ins Extreme steigen. In Ilanz heißt es für uns: aussteigen und lostreten. Zum Aufwärmen geht’s gemächlich los, entlang des türkisen Vorderrheins rollen wir talaufwärts. In Danis biegen wir rechts ab und müssen kurz, aber heftig in den Lenker beißen in Richtung der idyllischen Dörfer Capeder und Schlans.
Vierhundert Höhenmeter später brennen Lunge und Beine. Bevor es wieder zurück ins Tal geht, wartet noch eine kurze Kies-Passage, die mit dem Rennrad ohne Probleme zu bewältigen ist. In der Schweiz gibt es noch urchige Bergdörfer, deren Zufahrtsstrassen nicht perfekt asphaltiert sind – mir ist das sympathisch. Hier erhaschen wir auch einen ersten Panoramablick in Richtung Hochplateau Obersaxen, welches wir später auf der Tour erkunden werden.
Auf der kurzen Abfahrt nach Trun tanken wir neue Energie. Trotzdem legen wir In der Casa Tödi in Trun einen kurzen Stopp ein für Kaffee und Kuchen. Das Restaurant liegt in einem imposanten Gebäude, dessen Bau bereits 1530 begann und das um 1700 zu einem mächtigen Patrizierhaus umgebaut wurde.
Von Trun geht es kurz talabwärts, bevor die Straße nach Obersaxen abzweigt. Das Hochplateau liegt auf der rechten Talseite des jungen Rheins und an der Nordflanke des Piz Mundaun. Die Steigung ist stetig. Steile Rampen sucht man vergebens. Die engen Serpentinen lassen uns richtig in den Flow kommen. Aber Achtung: Es gilt rund vierhundert Höhenmeter zu bewältigen. Es lohnt sich also, haushälterisch mit den Kräften umzugehen. Ich zumindest lasse mich in den schönen Kurven zum Attackieren verleiten und muss am Ende der Steigung hart dafür büßen. Oder ist es der Zucker-Boost des Kuchens, der langsam nachlässt?
Die kupierte Strasse durch die Dörfer des Hochplateaus von Obersaxen erstreckt sich auf einer Länge von 14 Kilometer und lädt mit ihrem grandiosen Panorama zum Genießen ein. Obersaxen ist eine walserdeutsche Sprachinsel im ansonsten rätoromanischen Sprachgebiet. Der höchste Punkt der Tour liegt in Affeier (1290 m ü. M.). Von hier geht es fast nur noch abwärts.
Die Abfahrt ist zunächst gemächlich, wird aber schnell schwindelerregend rasant. Wir treten unseren härtesten Gang und gehen in Aero-Position. Doch bald gehen uns die Gänge aus. Wir genießen den Wind im Gesicht. In hohen Tempi geht es zurück nach Ilanz, wo wir in der Altstadt ein Eis schlemmen. Genuss gehört im Urlaub einfach dazu – und beim von Graubünden kreierten „Menu for Cyclist“ sowieso, die «Tour de Obersaxen» ist nämlich eine von zahlreichen Touren des Menüs.
Wer in Ilanz noch Körner im Tank hat, der pedaliert mit dem Rennrad durch die Rheinschlucht zurück nach Chur oder dehnt die Runde sogar noch aus über Riein und die Dutjer Alp. Eine Übernachtung in der Region und eine weitere Erkundungstour kann ich sehr empfehlen.
Rennradtour in der Surselva Infos und GPS-Daten
Tour de Obersaxen mit Dutjer Alp & Rheinschlucht nach Chur: 91 km, 2.380 Höhenmeter
Fahrradfreundliche Unterkünfte rund um Ilanz/Obersaxen
Hotel Rätia, Ilanz
Hotel Central, Obersaxen
Hotel Eden, Ilanz
Casa il Siemi, Luven
Restaurant-Tipps entlang der Route
Casa Tödi, Trun
Hotel Eden, Ilanz
Casa Casutt, Ilanz
Hotel Central, Obersaxen
Bikeshops
Menzli Sport, Ilanz
Cresta Sport, Affeier, Obersaxen
Infos zur Anreise
Ilanz ist mit der Rhätischen Bahn ab Chur rasch und bequem erreichbar. Die Anreise mit dem Auto ist ebenfalls kein Problem, Parkplätze gibt es beim Bahnhof.
Beste Reisezeit
Ende Mai bis Anfang Oktober
Kulturelle Highlights auf der Tour
Altstadt Ilanz, die erste Stadt am Rhein
OGNA, Trun
Holzbrunnen in Valendas
Kulturelle Highlights der Surselva im Video
Über die Autorin
Nathalie Schneitter startete ihre internationale Mountainbike-Karriere im Jahr 2004 mit dem Gewinn des Cross-Country-Weltmeistertitels bei den Juniorinnen. Seither ist sie Vollgas auf den Rennstrecken dieser Welt unterwegs. 2008 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking und 2010 sicherte sie sich den Heimsieg beim Cross-Country-Weltcup in Champéry. 2019 wurde sie erste E-MTB Weltmeisterin der Geschichte. Vollgas gibt Nathalie auch neben der Rennstrecke: Sie ist Messeverantwortliche im Organisationsteam der Cycle Week in Zürich und spricht auf Red Bull TV den Deutschen Co-Kommentar des MTB-Cross-Country-Weltcups. Mit Graubünden verbindet sie eine große Liebe zu Singletrails, epischen Alpenpässen und „urchiger“ Kulinarik.
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