Die besten Abenteuer ergeben sich spontan. Wenn sich alle Teile ohne große Planung fließend zusammen finden und sich die Wettergötter von ihrer freundlichen Seite zeigen, dann bin ich in meinem Element. Und genau so kommt es, dass eine verletzte Enduro-Fahrerin, ein Rennrad Tour Operator und ein Velo-Chamäleon zusammen aufbrechen, um die französischen Alpen zu durchqueren. Unser Trio besteht aus Caro Gehrig, Enduro-Profi, Lukas Kamber von Cycling Adventures und mir, dem Velo-Chamäleon.
So kommt es, dass eine verletzte Enduro-Fahrerin, ein Rennrad Tour Operator und ein Velo-Chamäleon zusammen aufbrechen.
Die Route des Grandes Alpes ist eine der berühmtesten Routen quer durch die französischen Alpen zum Mittelmeer. Die vielleicht schönste Panoramastrasse Europas wurde 1910 vom Touring Club de France gegründet und 1937 feierlich eröffnet. Die Route überquert 16 Alpenpässe und führt vom Genfersee bis nach Nizza an der Côte d’Azur. Die meisten Pässe gehören zu den Klassikern der Tour de France und gehören ins Palmarès jedes Rennrad Enthusiasten.
Logistisch stellt uns die Route vor eine Herausforderung, die wir aber unkompliziert zu lösen vermögen: Mit dem eigenen Auto fahren wir bis Evian-les-Bains am Genfersee und nehmen am Schluss der Reise ein Mietauto von Nizza zurück nach Evian. Da wir ohne Support-Fahrzeug unterwegs sind, müssen wir unser Gepäck selber schleppen. Kein Wunder also, dass wir so leicht wie möglich packen. Jedes Gramm zählt, das nicht über die Pässe getragen werden muss. Die Route überwindet auf rund 700 Kilometer einen Höhenunterschied von 16.000 Höhenmeter. Übergepäck addiert sich da schnell und wird zu einem wahren Handicap. Wir entscheiden uns alle für eine Bikepacking Satteltasche von Ortlieb, die sich im Laufe der Woche als wahres Wunder entpuppt, da sie das Fahrverhalten der Räder nur minimal einschränkt und absolut wasserdicht ist. Für die Sachen, die wir schnell bei Hand haben müssen, montieren wir entweder eine kleine Lenkertasche oder eine Rahmentasche. Bei meinem kleinen Rahmen ist die Rahmentasche aber keine Option, denn zwei Trinkflaschen müssen für mich unbedingt mit.
Bevor wir losfahren lockt schon das erste Pain au Chocolat. Die französische Patisserie ist einfach ungeschlagen und zur Einstimmung gönnen wir uns schon in Evian eine Kostprobe. Unsere erste Etappe führt uns vom Genfersee nach Morzine, über den Col des Gets zum Col de Romme und schliesslich zum Col de la Colombière, dem ersten Pass-Klassiker unserer Route. 115 Kilometer und 2900 Höhenmeter sind ein stolzer Einstieg in die Tour, zumal wir aufgrund der Anreise und dem Pain au Choco erst kurz vor Mittag in die Gänge kommen.
115 Kilometer und 2900 Höhenmeter sind ein stolzer Einstieg.
Ein kleine Fehlplanung kurz nach Evian beschert uns einen fiesen, steilen Stich und offenbart die Kletterqualitäten unseres Trios. Kurioserweise wird es der steilste Abschnitt der ganzen Tour bleiben.
Eine ausgiebige Pause in Morzine hilft nicht gerade das Planungs-Soll einzuhalten, verbreitet aber eine wohltuende Ferienstimmung. Spät, aber rechtzeitig vor der vorhergesagten, aber geflissentlich ignorierten Gewitterfront fahren wir in «Le Grand-Bornand» ein, wo eine Not-Pizza den Weg in drei hungrige Mägen findet, begleitet von einem kühlen Hellen.
Die erste Etappe war nicht ohne und lässt mich kurz zweifeln, ob wir die Route tatsächlich in sechs Tagen schaffen können.
Zwei Mahlzeiten und acht Stunden Schlaf später sind wir jedoch wieder frisch und munter. Die zweite Etappe startet gemächlich über Saint-Jean-de-Sixt zum Col des Aravis. Auf der Passhöhe des Aravis stockt uns kurz der Atem: Perfekte Sicht auf den Mont Blanc, den höchsten Gipfel der Alpen – ein wahrer Glücksmoment.
Nach einer rasanten Abfahrt wartet der Col des Saisies. Die Patisserie in dem wenig ansehnlichen Skigebiet schneidet im Boulangerie-Ranking eher schlecht ab, doch die müden Beine werden wieder mit reichlich Energie versorgt, denn zwei Pässe warten noch. In einer freien Interpretation der RDGA fahren wir über den Col du Pré, der mit einem atemberaubenden Ausblick über den Roselend Stausee alle Strapazen vergessen lässt. Zum Schluss wartet noch die Cormet de Roselend, an dem die Kräfte allmählich schwinden. Auf dem Pass kaufen wir etwas Käse und Salami ein, denn es wartet nur noch eine rasante Abfahrt nach Bourg-Saint-Maurice. Ein Teil der Erstversorgung nach der Tour schlummert also schon in der Trikottasche. Beim Apéro auf der Hotel Terrasse freuen wir uns, dass uns das einrollende Gewitter abermals nichts anhaben kann.
Das Nachtlager in Bourg-Saint-Maurice hat seine Spuren hinterlassen. Die lokale Brauerei war etwas zu gut, die Nachtruhe etwas zu kurz und das Frühstück etwas zu knapp. Nach 10 gefahrenen Metern steuern wir daher einen Bioladen an für das zweite Frühstück, bestehend aus Früchtebrot mit dick aufgetragenem Peanutbutter-Gel. Beine und Kopf kommen heute nur langsam in Schwung, doch geschont werden wir nicht! Es wartet mit 2764 m der Col d’Iséran, der höchste Straßenpass der Alpen.
Die lokale Brauerei war etwas zu gut.
Nach den ersten Anlaufschwierigkeiten drehen die Beine wieder rund. Das Wetter spielt zwar nicht ganz mit, doch nach einem Stopp in Val d’Isère kann uns auch das nichts mehr anhaben. Der französische Kaffee ist zwar nicht weltberühmt, doch er tut seine Aufgabe und gibt uns nochmals einen kleinen Turbo-Boost für den Aufstieg. Dieser zieht sich lange hin, und aufgrund der Höhe hat es hier oben auch noch reichlich Schnee. Die letzten Kehren winden sich durch dahinschmelzende Schneewände.
Was nun folgt, ist die wohl längste Abfahrt meines Lebens.
Auf dem Col d‘Iséran heißen uns ein kalter Wind und einige Regentropfen willkommen. Es ist der einzige Moment der Reise, wo ich um das mitgebrachte Stirnband und die Handschuhe froh bin. Was nun folgt, ist die wohl längste Abfahrt meines Lebens. Nach der Passhöhe warten zunächst enge Kurven und hochalpines Gelände, etwas tiefer unten führt die Strasse das Tal raus und wir strampeln im Gegenwind so schnell wie wir können um dem drohenden Regen zu entkommen.
Gegenwind und Kälte haben doch ordentlich Körner gekostet und der mögliche Regenguss erleichtert uns die Entscheidung, einen geplanten Schwenker über Aussois rechts liegen zu lassen. Wir haben Glück und schaffen es noch im Trockenen nach St. Michel-de-Maurienne. Ein herzlicher Dank gebührt hier Lukas, der sich als Lokomotive im Wind geopfert hat.
Die Superlative jagen sich auf dieser Tour: Tag vier verspricht den Col du Télégraphe zum Frühstück und nach einem Pain au Chocolat in Valloire (Boulangerie Ranking Nebensache, der Kaffee ist weit über dem französischen Durchschnitt) auch noch den Col du Galibier. Die Sonne lacht uns ins Gesicht und einmal mehr staunen wir, wie sanft die französischen Pässe sind. Wir fahren kaum einmal einen längeren Abschnitt mit mehr als 7% Steigung und kurbeln uns relativ gemütlich die Pässe rauf. Auf der engen Passhöhe des Galibier tummeln sich die Fahrrad- und Motorrad-Touristen. Eigentlich erstaunlich, denn viel Verkehr auf den Strassen herrscht nirgends.
Der Col du Galibier empfiehlt sich ganz klar als bisheriger landschaftlicher Höhepunkt.
Trotz Gerangel erkämpfen wir uns natürlich ein exklusives Gipfelfoto mit dem Passschild und nehmen in der Abfahrt den Col du Lautaret noch gratis mit.
In Briançon geniessen wir bei strahlender Sonne eine Galette und dank der Mittagshitze macht sich eine lähmende Müdigkeit breit. Da wir die Wahl unseres Übernachtungsortes jeweils mehr oder weniger spontan treffen, entscheiden wir uns, die Nacht in Briançon zu verbringen.
Die Altstadt ist auf alle Fälle ein Besuch wert und wir geniessen ein ausgiebiges Apéro bei Sonnenuntergang auf der Stadtmauer. Briançon hat es auf alle Fälle in der Hitparade unserer Lieblingsplätze ganz nach oben geschafft.
Knie und Nacken spüre ich jeweils bereits am Morgen beim Aufstehen.
Wenn vier von sechs Tagen geschafft sind, dann geht es in schnellen Schritten dem Ziel entgegen. Natürlich schwinden die Kräfte, Knie und Nacken spüre ich jeweils bereits am Morgen beim Aufstehen. Die gute Stimmung in unserer Gruppe lässt mich die Wehwehchen aber jeweils schnell wieder vergessen. Tag fünf hat den Col d’Izoard auf dem Menu. Grosse Rennrad-Schlachten wurden an diesem Pass bereits bestritten, doch für uns verheisst er vor allem ein atemberaubendes Panorama. Der Abschnitt durch die «Casse Deserte» nach der Passhöhe schafft es dann auch dem Col du Galibier den ersten Platz im Landschafts-Ranking streitig zu machen. Über den Pass gelangen wir von dem Departement Savoyen in die Provence und die Fahrt in den Süden wird mit jedem zurückgelegten Meter spür- und sichtbarer.
Auf dem Col d’Izoard habe ich bereits das Gefühl, das Tagessoll in den Beinen zu haben. Doch es wartet mit dem Col du Vars noch ein zweiter Pass. Über eine landschaftlich wunderschöne Strasse fahren wir weit ins Tal hinunter, wo die Hitze sitzt und uns fast erschlägt. Die ersten Höhenmeter am Col du Vars fühlen sich dementsprechend an wie in einer Sauna. Zum Glück schafft ein kalter Brunnen auf halbem Weg nach oben Abhilfe. Vom Col du Var sollte es eigentlich nur noch bergab gehen, doch ein strammer Gegenwind lässt uns die letzten 15 Kilometer nochmals ordentlich rackern. Das kühlende Bier und ein Gelato am Zielort Barcelonnette lassen uns die Strapazen des Tages jedoch schnell wieder vergessen. Irgendwie unheimlich, aber wahr: Ich genieße noch immer jeden gefahrenen Meter der Route.
Der letzte Tag verspricht nochmals ein wahres Highlight zu werden. Zwischen uns und dem Mittelmeer liegt nur noch der Col de la Bonette. Wir kämpfen uns als Gruppe vereint nochmals auf 2.715 m zur Passhöhe hinauf und singen vor Freude dazu. Natürlich gibts oben die obligaten High-Fives und Umarmungen vor Glück. Wir feiern hier vor allem Caro, die tatsächlich alle 16 Pässe mit ihrer gebrochenen Hand bravourös gemeistert hat. Ohne ihre Verletzung und die damit verbundenen Suche nach einem Alternativ-Plan, wären wir wohl gar nie zu dieser tollen Reise aufgebrochen.
Auf der Passhöhe gelangen wir auch von der Provence ins Departement der Maritimen Alpen.
Hundert Kilometer und eine Unmenge an Tiefenmetern trennen uns noch von der Meeresbrise. Bis Nizza geht es nur noch bergab, denken wir uns… 100 Kilometer Gegenwind später lachen wir darüber, als wir in Nizza am Strand den wohl verdienten Champagner schlürfen.
Infos Route des Grandes Alpes in 6 Tagen
Strecke und GPS-Daten
Tagesetappen
Etappe 1 Evian-les-Bains – Le Grand-Bornand: 115 km / 2870 Hm
Etappe 2 Le Grand Bornand – Bourg-Saint-Maurice: 100 Km / 2880 Hm
Etappe 3 Bourg-Saint-Maurice – St. Michel-de Maurienne: 122 Km / 2320 Hm
Etappe 4 St. Michel de Maurienne – Briançon: 72 Km / 2250 Hm
Etappe 5 Briançon – Barcelonnette: 100 Km / 2540 Hm
Etappe 6 Barcelonnette – Nizza: 142 Km / 2040 Hm
Genutzte Unterkünfte
Le Grand Bornand: Logis Croix-Sainte-Maurice
Bourg-Sainte-Maurice: Base Campe Lodge
Briançon: Hotel Edelweiss
Barcelonette: Le Grand Hotel
Logistik & Wetter
Mietauto von Nizza Flughafen zurück nach Evian les Bains Bahnhof. Mietauto unbedingt noch in Frankreich abgeben, das reduziert die Kosten massiv. Das Wetter kann wie überall in den Bergen schnell umschlagen. Eine Wind-/ Regenjacke gehört griffbereit. Empfohlene Reisezeit: Ende Juni – Ende September
Ausrüstung
Die RDGA ist eine Route quer durch die Alpen, eine Mindestausstattung an Ersatzmaterial und eine Notfallapotheke ist unbedingt mitzuführen. Trotz der angenehmen Steigungen ist eine Compact Kurbel (50-34) unbedingt zu empfehlen. Licht! In den dunklen Tunnels und wegen der ungewissen Fahrzeiten ist ein Licht absolut empfehlenswert.
Habt ihr noch Tipps für die Routes des Grandes Alpes?
Über die Autorin
Nathalie Schneitter startete ihre internationale Mountainbike-Karriere im Jahr 2004 mit dem Gewinn des Cross-Country-Weltmeistertitels bei den Juniorinnen. Seither ist sie Vollgas auf den Rennstrecken dieser Welt unterwegs. In Jahr 2008 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking und 2010 sicherte sie sich den Heimsieg beim Cross-Country-Weltcup in Champéry. 2019 wurde Nathalie erste E-MTB Weltmeisterin der Geschichte und erzielte 2020 den 2. Platz. Vollgas gibt Nathalie auch neben der Rennstrecke: Sie lacht viel, ist bisschen verrückt und tanzt in jeder möglichen Situation. Sie ist Messeverantwortliche im Organisationsteam der Bike Days in Solothurn und des Urban Bike Festival in Zürich und spricht auf Red Bull TV den Deutschen Co-Kommentar des MTB Cross Country Weltcups.
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40 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumVielen Dank für die Antworten auf meine Fragen - wir checken die Mietwagen-Optionen ab. Weiss jemand wir die Situation betreffend Übernachtungen/geöffneten Hotels im September ist? Wir planen erste und 2te Septemberwoche. Sollte man vorab reservieren oder kann man spontan von Tag zu Tag buchen?
Vielen Dank und Gruss
Bert
Phuu, schwer zu sagen. Normalerweise kann man im September schon recht spontant entscheiden. Aber was ist noch normal punkto Reisen und Reiseverhalten. Drum würde ich mich da zu keiner Prognose hinreissen lassen.
lg, Lukas
Kennt jemand die "Militärstraße", die von Faux Col de Restefond (am Col de la Bonnette) rüber führt zum Refuge Hotel de Bayasse am Col de la Cayolle?
Kenne sie nicht, aber von oben sah sie lecker aus und hat uns Lust auf eine Gravelreise in der Ecke gemacht
30 Jahre nach einer Alpenüberquerung vom Bodensee nach Nizza hätte ich Lust auf ein Revival, strikt die RDGA + Cime de la Bonnette und dann wieder runter und rüber zum Col de la Cayolle, da würde sich diese alte Straße anbieten, müsste aber mit 28-32mm Reifen realisierbar sein, da ich keine Semigravel auf diese Tour mitnehmen will, daher meine Frage.
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