Mit „Schotter, Kies und Moos“ fand vor kurzem das erstere größere Gravelevent in NRW statt. Ob man beim „Schottern“, wie es die Veranstalter des Radladencafés Schicke Mütze nennen, auch abseits von großen Bergen Fahrspaß haben kann, haben wir ausprobiert.
Gravelrides tauchen in diesem Jahr so zahlreich neu im Eventkalender auf wie Kies in der Kiesgrube. Der geneigte Gravelpilot kann sich auf ein 300 km Gravelabenteuer in Italien stürzen, mit Radprofis gelassen durch die niederländischen Berge und die Eifel graveln oder gleich nebenan beim Dirty Boar die belgisch-harte Variante auf 170 km durch die Ardennen testen. Als deutsches Graveldorado scheint sich der Schwarzwald zu etablieren, wo neben dem Votec Gravelfondo inzwischen auch eine Schwarzwald Gravelrallye und weitere Rennradtouren über befestigte, aber nicht asphaltierte Wege beheimatet sind.
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Gemeinsam ist allen, dass sie in mehr oder wenigen entlegenen Gegenden starten. Gezielt suchen sie die Hügel oder Berge auf, wo sich passende Waldrennbahnen nebst Trails für gelegentliche Sonderprüfungen gehäuft in die malerische Landschaft schmiegen. Rund 60 km mit 1.700 Höhenmetern, bitte, kein Problem.
Ähnliche Bilder drängen sich dem Rennradfahrer bei Düsseldorf nicht spontan auf. Von der Kö zum Kies (auf dem Weg) ist es im Kopf ein langer Weg. In der Wirklichkeit dauert er circa 20 Minuten. Schon im Grafenberger Wald führt der Bunny Hop über den Bordstein der Tempo 30 Zone direkt auf kleine Trails, die wie gemacht fürs Cyclocross oder Gravelbike sind: wenig Wurzeln, viele Kurven.
Das ist eine Lektion, die mich „Schotter, Kies und Moos“ mit der Schicken Mütze lehrt. Das Gravelrevier Grafenberger Wald bleibt auf meiner persönlichen Rennrad-Karte gespeichert. Die „Schicke Mütze“ selbst hatte dort schon einen Platz. Der Rennradladen mit Café in einem Hinterhof unweit vom Düsseldorfer Hauptbahnhof hat sich als Anlaufstelle und Art Kommunikationsplattform für Rennradfahrer der Region Rhein-Ruhr-Bergisches Land etabliert, die am Rennlenker auch eine Art Lebensstil gefunden haben.
Das Team „der Mütze“ rekrutiert sich zum Teil aus Klassikerfahrern und -freunden, hat aber auch zumindest früher kompetitiv ausgerichtete Mitglieder – vereint durch eine Freude an den schönen Dingen und Devotionalien des Rennradports und urbaner Radkultur. Für Letztere setzt man sich auch aktiv ein: mit Events zum Tour de France-Start in Düsseldorf, als Veranstalter der Bicycle Film Festivals, bei regelmäßigen Frauen-Rennradausfahrten und natürlich mit der Klassikerausfahrt, aus der Alles hervorging.
„Es gibt Bereiche, in denen man ruhig mal ein paar Meter schieben darf“
Jetzt also Gravel: Weil die Mützenmacher den eigenen Klassikertouren immer etwas Eroica mitgeben, waren erste mögliche Streckenabschnitte wohl bekannt. Schweres Terrain, das auch auf 35 mm dicke Stollenreifen etwas Fahrtechnik fordern sollte, wurde laut Konrad Gläser, einem der Scouts, gezielt hinzu gesucht, Strava-Segemente wurden angelegt und dann zu 2 Runden zusammengestellt: eine mit 75 km und eine mit 120 km, beide mit Streckenabschnitten beidseits des Rheins. „Es gibt Bereiche, in denen man ruhig mal ein paar Meter schieben darf und soll, das ging uns bei den Kontrollfahrten auch so“, hieß es in der Einladung.
=> Hier gibt es die Fahrt des Autors als Strava-Aktivität
Am Morgen des 2. September haben laut Mitinhaber Carsten Wien rund 80 Starter die Einladung der „Mützenbrigade“, wie sie sich selbst nennt, angenommen. Mehr Tickets – zu je 15 Euro – wurden auch gar nicht in den Nischenmarkt gegeben. Stichprobenartige Kontrollen ergeben, dass die meisten wohl aus der Region kommen. Auch ein Team von St. Joris Cycles ist aus Eindhoven in den Niederlanden angereist. Statt Rennfieber herrscht Plauderstimmung an den Tischen in der Morgensonne des Innenhofes. In der Einfahrt schicken Konrad und Carsten jeweils maximal vier Fahrer zusammen auf die Strecke. Das soll Zusammenrottungen von Gravelbikern vermeiden helfen, aus denen sich ein Konfliktpotential mit Wanderern, Reitern oder Spaziergängern ergibt.
Nach der Einfahrt geht es links, den Rest des Weges zeigt das GPS-Gerät. Die Tracks dazu wurden vorab per Mail verschickt. Weil in meinem Viererteam, das sich aus CX-erfahrenen Mitfahrern zusammensetzt, drei GPS-Geräte dabei sind, halten sich die falschen Abbiegemanöver später stark in Grenzen. Wir bilden uns ein, auch die kleineren Wege neben den Straßen gefunden zu haben.
Der erste davon wartet, nachdem wir 15 Minuten Ampelhopping durch das sonntagsmorgendlich gähnend leere, beinahe romantische Düsseldorf hinter uns haben. Die vielen kleinen Kurven, die kurzen Sandpassagen im Grafenberger Wald sind gleich eines der Filetstücke der Route. Eine Vorstufe zum CX-Rennen sozusagen. Es folgt eine Art Achterbahn aus Kieswegwellen, die ordentlich Kraft aus den Beinen zieht. Der erste längere steile Anstieg wirkt, als sei er direkt aus der Route des Amstelgold-Race hierher verfrachtet. Meine Beine machen gleich zu, und ich bin froh, dass ich tatsächlich nicht im Schwarzwald an einem Gravelevent teilnehme. Genauso erleichtert bin ich, dass nur noch ein weiterer solcher Scharfrichter folgt, alle anderen Hügel auf der mit rund 800 Höhenmetern noch flachen 120-km-Runde lassen sich mit einer übersaisonalen 100-KM-RTF-MIT-28ER-SCHNITT-KONDITION gut bewältigen.
Aber es wird dennoch anstrengend. Der Untergrund wechselt zwischen holprigem Asphalt, feinem Kies, grobem Schotter und zum Glück trockenem Waldboden. Gefühlte 30 Prozent der Strecke sind Asphalt, auf dem man sich ebenso wie auf den flachen Kieswegen zwischendurch immer wieder erholen kann. Weitere gefühlte 30 Prozent führen über Wege, die der Eroica-Fan Strade Bianche nennen würde – und die im Bergischen Teil auch schöne Blicke in die Landschaft freigeben, während es im rheinischen Teil eher den Niederlanden ähnelt. Den Rest teilen sich in der Erinnerung Wald, Traktortracks und Schotterpassagen.
Die Fahrer machen einen Gravelride schwer, nicht die Strecke, lässt sich im Nachhinein sagen. Mein Viererteam verfährt nach der Devise „je schwerer das Gelände, desto schneller die Fahrt“. Auch zwei bis drei Abfahrten mit „Gaps“ sind dabei, die mit einem Rennlenker dem einen Respekt einflößen, den anderen zum Springen einladen. Die Summe der Ereignisse saugt mir bis zur ersten und einzigen Verpflegung sämtliche Reserven aus dem Körper. Zum Glück ist die Auswahl an Speisen vor der verlassenen Villa in einem Park reichlich. Obst, Gummibärchen, Brote und Hummus mit Roter Bete stehen auf den Bierbänken. Wir bleiben 4 Landungen lange. Die Zeit lässt sich in Landungen angeben, denn ungefähr alle 5 Minuten senkt sich ein Jet geschätzte 50 Meter über unseren Köpfen der Landebahn des Flughafens entgegen.
Dann geht es auf die linke Rheinseite und es wird flach – aber nicht locker. Zum Einstieg in die letzte Schleife servieren die Mütze-Streckenköche ein Highlight: schmale und manchmal sandige Trails am Rhein. Rechts tingeln die Düsseldorfer zum Baden und tuckern Schiffe, von vorne weht ein erfrischender Wind und unter dem Lenker schlingert der Reifen durch die Spurrillen. Keine Bäume, die einem das Licht wegnehmen. Sand knirscht in der Kette, Sonne glitzert in den Speichen. Hier hat mich Graveln nach rheinischer Art schon fast überzeugt.
Richtig rund macht das Ganze aber erst die Rückkehr in den Hof „der Mütze“. Die Pasta, die im Startgeld inbegriffen war, hat den italienischen Namen ebenso verdient wie der Espresso, an der Wand lehnen die Räder der anderen Starter zur gefälligen Betrachtung – das Teambike von St. Joris Cycles mal als Beispiel fotografiert – und niemand hat es eilig, wieder aufs Rad zu kommen.
Für 2019 ist eine Wiederauflage von „Schotter, Kies und Moos“ geplant. Hier geht es zum Event auf Facebook.
Am 22. September kommt mit dem Votec Gravelfondo der nächste etwas größere Gravelride nach Nordrhein-Westfalen. Dort geht es in die etwas hügeligere Elfringhauser Schweiz zwischen Essen und Wuppertal. Mehr Infos dazu hier: Gravel Fondo Ruhrpott Ride
Danke an Michael, Jan und Gene für die Geduld bei den Fotos und Gene für den Lead-out am Rheinufer, dem ich leider nicht mehr folgen konnte :-).
P.S.: das Sputnik-Gravelbike – Fundstück vom Mützen-Ride, handmade in Eindhoven