Challenge Roth 2023: Der Challenge Roth ist nicht nur einer der größten und bekanntesten Langdistanz-Triathlon der Welt, sondern auch für seine grandiose Stimmung auf der Rennstrecke weltbekannt. Unser Redakteur Harald Englert wollte persönlich erleben, was an den begeisternden Berichten dran ist und ob das Rennen nahe Nürnberg tatsächlich so mitreißend ist, wie man allerorten hört. Deshalb war er am 25. Juni 2023 selbst am Start und berichtet hier aus erster Hand vom Mythos Roth.
Mythos Roth
Meine Oberschenkel brennen, mein Herz hämmert in der Brust und ich habe Mühe, nicht völlig außer Atem zu geraten. Aber trotz der Anstrengung jagt mir ein wohliger Schauer über den Rücken, denn links und rechts neben mir, keinen Meter entfernt, schreien mir Menschen mit voller Kraft ins Gesicht, die ich zuvor noch nie gesehen habe. Vor mir spaltet sich eine geschlossene Menschenmenge und gibt eine winzige Gasse frei, auf der ich mich den Solarer Berg nach oben kämpfe. Getragen vom frenetischen Jubel unzähliger Menschen, die heute offensichtlich nichts Schöneres zu tun haben, als mich bei meiner zweiten Triathlon-Langdistanz anzufeuern.
Die Profis sind hier schon lange durch, mit mir zusammen fahren Agegrouper aus der ganzen Welt die kurze Steigung hoch, die zwar hart für diesen Tag trainiert haben, aber alles andere als bekannt oder gar berühmt sind. Trotzdem geht es hier zu, wie auf den letzten Kilometern einer hart umkämpften Bergankunft der Tour de France. Die Fans (darf man die Zuschauer:innen hier eigentlich so nennen, denn sie kennen die Akteure auf den teuren Zeitfahrmaschinen in der Regel ja gar nicht) flippen regelrecht aus und feuern mich an, als wäre ich ein Weltstar. Rasseln, Kuhglocken, Schreie in allen Tonlagen bilden eine Kulisse, die wohl niemanden kaltlässt und ich bekomme tatsächliche feuchte Augen ob der schieren Passion, die mir entgegenschlägt.
Das ist er also, der viel beschworene Mythos Roth und er hat mich voll gepackt und treibt mich viel schneller den Berg hoch, als es meine Oberschenkel eigentlich hergeben. Aber der Wattmesser und die geplanten Leistungsgrenzen spielen jetzt keine Rolle, ich lebe nur noch im Moment und nehme ihn mit allen Sinnen wahr. So ähnlich muss es sich wohl anfühlen, wenn man ein Superstar ist und von seinen Fans bejubelt wird. Näher kommt ein Normalsterblicher wie ich wohl nie mehr an ein solches Stimmungshoch.
Start beim Challenge Roth – wie es dazu kam
Ursprünglich hatte ich mein Heimrennen in Frankfurt am Main als meine zweite Langdistanz nach der Premiere beim Ironman Kopenhagen auserkoren. Doch dann hörte ich von Freunden und Bekannten, wie genial das Rennen in Roth sein soll und ich entschied mich für einen Start beim weltweit bekannten Rennen in Franken.
Die Frage nach dem „warum“, stellt sich begeisterten Triathleten in der Regel nicht: Dieses Thema beschäftigt eher das Umfeld und „Außenstehende“. Bei mir ist es der Spaß am Wettbewerb und die Trainings-Motivation, die eine Anmeldung bei einem Langdistanz-Triathlon mit sich bringt. Für mich ist es schlicht und ergreifend einfacher, lange und anstrengende Trainings-Einheiten zu absolvieren, wenn ich ein klares Ziel vor Augen habe. Dann fällt es leichter, früh aufzustehen und im Winter lange eintönige Einheiten auf dem Smarttrainer zu absolvieren.
Die Vorbereitung
Ein Langdistanz-Triathlon ist kein unmögliches Unterfangen, aber auch kein Spaziergang; dessen sollte man sich bewusst sein, bevor man den Anmelde-Button drückt. Mit einem strukturierten Training und einer gewissen Disziplin sollte es aber für fast jedermann*frau möglich sein, ein solches Rennen zu finishen. Wie bei fast allem im Leben, macht es durchaus Sinn, sich Schritt für Schritt vorzuarbeiten, mit kürzeren Distanzen zu starten und danach immer weiter fortzuschreiten.
Meine konkrete Vorbereitung mit einem Trainingsplan war auf 36 Wochen angelegt und verlief halbwegs nach Plan. Freilich gab es die eine oder andere Woche, die aufgrund einer Erkältung oder kleinen Verletzung angepasst werden musste, aber im Großen und Ganzen konnte ich mich gut vorbereiten und in der Regel zwischen 8 und 12 Stunden in der Woche trainieren.
Der große Tag
Da es rund um den Veranstaltungsort nur eine begrenzte Anzahl an Hotels gibt und ich keine Lust auf eine stressige Anreise am Renntag hatte, habe ich den Rat eines Roth-Kenners befolgt, ein Wohnmobil gemietet und campe direkt neben dem Schwimmstart auf einer großen Wiese, die vom Veranstalter kostenlos für Teilnehmer des Rennens zur Verfügung gestellt wird. So ist man direkt am Ort des Geschehens und kann am Renntag völlig entspannt zum Schwimmstart schlendern.
Auch das Einchecken des Rades ist dann natürlich logistisch deutlich einfacher, da man direkt neben der Wechselzone campt. Dort ist übrigens am Samstag schon richtig Stimmung, als die vielen Profis ihre High-Tech-Rennmaschinen in die Wechselzone bringen.
Schwimmen
Des schwachen Schwimmers Freund ist der Neopren-Anzug! Da ich ein miserabler Schwimmer bin, fiel mir die Anmeldung für Roth ganz besonders leicht, denn dort gibt es fast schon eine Neopren-Garantie. Sprich, das Wasser im Main-Donau-Kanal überschreitet zur Zeit des Rennens nur selten die magische Grenze von 24,5 Grad, ab der die Verwendung von Neopren-Anzügen laut Reglement untersagt ist. Sollte es doch einmal passieren, gibt es die Möglichkeit, die Schleuse oberhalb des Schwimmstarts für kurze Zeit zu öffnen und so kühleres Tiefenwasser nach oben zu spülen. Allein die Tatsache, dass dies für einen Triathlon in Betracht gezogen wird, zeugt davon, wie die gesamte Region und die öffentlichen Behörden hinter der Veranstaltung stehen.
Mit der schwarzen Pelle am Leib stehe ich also kurz vor 07:30 Uhr am Rande des Kanals und bin guter Dinge, dass ich die 3,8 km lange Schwimmstrecke dank der Auftriebshilfe am Körper halbwegs gut überstehen werde. An meine Schwimmzeit denke ich dabei nicht wirklich, denn für mich geht es ehrlicherweise mehr darum, das Schwimmen ohne Krämpfe in den Beinen zu beenden. Der Start erfolgt in mehreren Wellen, bei denen jeweils ein großer Schwung an Agegroupern im Wasser wartet und nach dem Startschuss los krault.
Was wiederum dazu führt, dass es auf den ersten Metern recht turbulent zugehen kann. So bin ich auch nicht sonderlich überrascht, dass ich zu Beginn des Schwimmens öfter mal „Fremdkontakt“ habe, sprich den Fuß oder Arm eines Kollegen zu spüren bekomme. Für gute Schwimmer ist das nicht allzu schwer zu handeln, ich entscheide mich jedoch dazu, lieber kurz zu warten und dann in ruhigerem Wasser weiter zu schwimmen.
Dann geht es darum, einen guten Rhythmus zu finden und diesen möglichst auf der kompletten Strecke durchzuziehen. Da man im Kanal schwimmt, ist die Orientierung eher nebensächlich, immer geradeaus am Ufer entlang schaffe sogar ich ohne Zickzack-Kurs. Eine kleine Enttäuschung erlebe ich jedoch, als ich am Ufer ein Schild mit der Angabe 1.900 Meter erblicke. „Oh, nein, du hast erst die Hälfte“, schießt es mir durch den Kopf. Bis dahin war ich der festen Überzeugung gewesen, schon deutlich weiter und damit dem Ende der ungeliebten Disziplin bereits näher zu sein. Also weiter im Takt unter dem Jubel der Zuschauenden, die am Ufer des Kanals stehen und deren lautstarke Anfeuerung trotz Ohrenstöpsel und Badekappe gut zu hören ist. Schon hier beim Schwimmen ist richtig Stimmung und die Begeisterung der Zuschauer förmlich zu spüren.
Radfahren
Als ich nach 1 Stunde und 20 Minuten im Wasser dankend die Hand eines Helfers greife und aus dem Main-Donau-Kanal steige, bin ich der festen Überzeugung, die schlimmste Anstrengung des Tages bereits überstanden zu haben. Beutel suchen, umziehen und ab aufs Rad. „Jetzt beginnt mein eigentliches Rennen.“ Doch die ersten 20 Minuten auf der Zeitfahrmaschine verlaufen nicht so rund, wie ich das geplant hatte. Die Beine sind schwer – mir kommt zum ersten Mal der Gedanke, dass heute ein sehr langer Tag werden könnte.
Ein unschönes Gefühl, dass sich zum Glück nach einer halbstündigen „Einrollphase“ wieder verflüchtigt und dem Spaß auf der Radstrecke Platz macht. Hier bin ich in meinem Element, kann mich an der Strecke, dem Fahrtwind und den Zuschauern erfreuen. Diese sind in Roth ganz besonders enthusiastisch und zahlreich. Nicht nur am Solarer Berg, von dem ich schon zu Beginn berichtet habe.
Praktisch in jeder Ortschaft, die wir passieren, gibt es Stimmungsnester mit verkleideten Fans, lauter Musik und begeisterten Einheimischen, die ob der Straßensperren nicht genervt, sondern von den Sportler:innen vor ihrer Haustür hochgradig begeistert sind. Hinzu kommen rund 300.000 Zuschauer:innen, die extra für den Event anreisen und die Sportler:innen vom Streckenrand supporten.
Mein Radsplit läuft weitestgehend nach Plan: Möglichst gleichmäßiges Tempo fahren, auf die Wattwerte beim Fahren achten, regelmäßig Energie über Gels zuführen und genügend trinken, um der Hitze zu trotzen. Klingt ganz einfach, ist es eigentlich auch – wenn der Motor in den Beinen mitspielt. Am Ende stehen 5 Stunden und 24 Minuten für die 180 Kilometer und somit ein Schnapszahlen-Schnitt von 33,33 km/h auf der Uhr.
Laufen
Auch der Wechsel auf die Laufstrecke ist in Roth etwas Besonderes. Nachdem ich mein Rad einem Helfer übergeben habe, laufe ich Richtung Wechselzelt und höre direkt jemand meinen Namen rufen. Nachdem sich meine Synapsen ein wenig geordnet haben, realisiere ich, dass einige Meter vor mir ein Helfer steht und mir meinen Wechselbeutel mit den Laufschuhen entgegenstreckt.
Normalerweise muss man diesen selbst suchen und sich dann allein umziehen. In Roth werden einem die Laufutensilien überreicht. Welch schöne Geste! Und der Service ist noch lange nicht zu Ende. Im Wechselzelt nimmt mir eine freundliche Helferin den Beutel aus der Hand und überreicht mir in Windeseile meine Laufschuhe, Salztabletten und die Sonnenbrille. Währenddessen fragt sie mich, ob ich mit Sonnencreme eingeschmiert werden möchte (!) und schmeichelt mir damit, welch super Leistung ich schon vollbracht hätte und wie toll sie uns Sportler findet.
Trotz meines schon leicht angeschlagenen Zustands vergesse ich zum Glück nicht, mich ganz herzlich zu bedanken und ihr zu versichern, dass sie und die vielen tausend anderen Helfenden die wahren Helden sind. Und nicht wir Verrückte, die wir uns hier freiwillig die Kante geben. Dann trabe ich los zum finalen Marathon.
Die ersten 15 Kilometer laufen wie geschmiert. Mein Körper funktioniert wie eine Maschine. Ich schütte Wasser und eine Zuckermischung hinein, die Beine bewegen mich im gleichmäßigen Tempo den Schotter-Weg am Kanal entlang. In dieser Phase fühle ich mich großartig, rechne zum ersten Mal eine utopische Zielzeit hoch. Doch ich fürchte, dass es nicht ewig so laufen wird: Es ist heiß, die Sonne brennt und am Kanal findet sich nahezu kein Schatten.
Zudem ist die Laufstrecke eine echte mentale Prüfung. Es geht eine elend lange Ewigkeit nur geradeaus, die Zuschauer:innen werden weniger und man sieht die Läufer:innen vor sich gefühlt bis zum Horizont. Hier fällt es schwer, die Strecke in kleine Stücke aufzuteilen, die man geistig einfacher bewältigen kann als 42,2 Kilometer am Stück.
Zudem melden sich meine Oberschenkel jetzt in regelmäßigen Abständen und signalisieren, dass sie eigentlich bereits bedient sind. Das ist definitiv zu früh, denn ich habe noch nicht einmal die Halbmarathon-Marke hinter mir. Also nehme ich etwas Tempo raus, verabschiede mich von meiner virtuellen Fabel-Zeit und stelle mich auf einen beschwerlichen Lauf ein.
Nachdem die Strecke den Kanal endlich verlässt, erlebe ich ein kleines Zwischenhoch, dass jedoch noch mehrmals von tiefen Tiefs unterbrochen wird. Nach einigen Gehpausen fasse ich 6 Kilometer vor dem Ziel schließlich den Entschluss bis ins Stadion auf keinen Fall noch einmal stehenzubleiben. Die vage Aussicht doch noch eine Zeit von unter 11 Stunden zu schaffen, hilft mir dabei ungemein und so darf ich am Ende glücklich und voller Freude zusammen mit meinen beiden Jungs, die mich im Stadion erwarten, über die Ziellinie rennen. In einer Zeit von 10:57 Stunden – Mission erfüllt!
Glücklich sein
Es ist nicht schwer, nach einem Triathlon ein intensives Glücksgefühl zu erleben, besonders wenn man seine Ziele halbwegs erfüllt hat und die allgemeine Stimmung so gut ist wie in Roth. Hier hatte ich permanent das Gefühl, dass all die Helfer und Helferinnen rund um die Veranstaltung tatsächlich Spaß haben und ihren Job genießen. Deshalb ist es ein ganz besonderes Erlebnis, an das ich mich hoffentlich noch sehr lange erinnern kann.
Challenge Roth 2023 – Tag der Rekorde
Neben den rund 3.500 Agegroupern, die in Roth ihre Höhen und Tiefen erlebten, schrieben die Profis im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte und verbesserten die Weltrekord-Zeiten sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern. Herzlichen Glückwunsch an die Schweizerin Daniela Ryf mit der neuen Weltbestzeit von 8:08:21 Stunden und den Gesamt-Sieger Magnus Ditlev aus Dänemark mit einer neuen Weltbestzeit von 7:24:40 Stunden!
Challenge Roth 2024 – deine Teilnahme
Die gute Nachricht: Jede:r kann persönliche Hochgefühle beim Challenge Roth erleben. Es gibt keine Qualifikation oder Ähnliches. Einfach anmelden, trainieren und Spaß haben!
Die schlechte Nachricht: Die meisten Startplätze für das Rennen im Jahr 2024 sind bereits belegt. Sie waren nach der Öffnung der Online-Anmeldung innerhalb von 40 Sekunden vergeben! Für fest Entschlossene gibt es dennoch Hoffnung: Traditionell werden am Nikolaustag, am 6. Dezember um 12:00 Uhr noch Restplätze vergeben. Die Anmeldung dafür und alle Informationen zum Challenge Roth gibt es auf der Internetseite der Veranstaltung: www.challenge-roth.com
Wer von euch war schon in Roth dabei oder möchte gerne dort starten?
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