Der King of the Lake ist ein europaweit bekanntes Zeitfahr-Event mit eindrucksvoller Strecke rund um den malerischen Attersee in Oberösterreich. Rennrad News Redakteur Harald Englert hat sich einen lang gehegten Wunsch erfüllt und ist selbst an den Start gegangen.
Profi-Feeling wie bei Evenepoel und Co.
Auf der Startrampe steht ein Helfer und fixiert mein Bike zwischen den Beinen. Ich steige in Ruhe auf und klicke die Schuhe in die Pedale ein. Beide Hände fest am Unterlenker schaue ich auf die Uhr an der Seite der Startrampe, auf der die letzten 15 Sekunden vor dem Start nach unten laufen. Ab 5 Sekunden zählt ein weiterer Helfer neben mir laut nach unten.
„5, 4, 3, 2, 1, los!“ Mit voller Kraft trete ich in die Pedale und rolle unter dem Jubel der Zuschauer los, den ersten kleinen Anstieg nach oben, bevor die Strecke abflacht und mich auf 47 Kilometern und 280 Höhenmetern um den malerischen Attersee führen wird.
Einzigartige Veranstaltung für Jedermann
Wir sind bei einem der größten und wichtigsten Zeitfahren für Jedermänner in ganz Europa. 1.400 Starter aus 17 Nationen sind ins österreichische Salzkammergut gekommen, um sich einmal wie ein echter Radprofi fühlen zu können und ein Rennen auf abgesperrter Strecke gegen die Uhr zu bestreiten. Hier gibt es die einzigartige Möglichkeit, ein echtes Zeitfahren auf komplett gesperrter Straße zu bestreiten. Inklusive einer Startrampe wie bei den Profi-Zeitfahren im Rahmen großer Rundfahrten.
Die Einzigartigkeit der Veranstaltung und die professionelle Organisation haben schnell für großen Andrang gesorgt und so war 2024 nicht das erste Jahr, in dem die Startplätze aufgrund des großen Andranges verlost werden mussten. Die Anmeldung läuft jeweils im April für zwei, bis drei Wochen, danach werden die Teilnehmer benachrichtigt. Wer kein Losglück hatte, kann später noch auf der Warteliste sein Glück versuchen.
Offen ist das Zeitfahren mit dem klangvollen Namen „King of the Lake“ (kurz KOTL) prinzipiell für alle begeisterten Radsportler. Neben der Klasse für Einzelstarter mit Zeitfahrmaschinen gibt es auch eine Rennrad-Klasse, in der Auflieger und Scheibenräder nicht gestattet sind. Zudem gibt es eine Spezial-Kategorie für Handbikes, Tandems oder Spezialräder. Wer sich nicht alleine quälen will, kann in einem 4er oder 10er-Team antreten. Gewertet wird in Altersklassen und separaten Elite-Kategorien für die ganz schnellen Männer und Frauen.
An die Grenze gehen
Der kurze Anstieg nach dem Start hat dafür gesorgt, dass mein Puls direkt nach oben geschossen ist, die Beine waren ohnehin vom Aufwärmen schon auf Betriebstemperatur. Jetzt gilt es, Tempo aufzubauen und so gut wie möglich zu halten. Der erste Streckenabschnitt bis zum südlichen Ende des blau-grün schimmernden Attersees ist der schnellste Streckenabschnitt. Hier geht es fast eben und mit nur wenigen leicht geschwungenen Kurven immer am Seeufer entlang.
Die Beine treten im anvisierten Leistungsbereich zwischen 210 – 230 Watt konstant in die Pedale, der Herzschlag pendelt sich bei rund 165 Schlägen ein, die Atmung läuft mit hoher Frequenz, um maximal viel Sauerstoff ins Blut zu bekommen. So kommt selbst ein Hobby-Zeitfahrer wie ich auf ein Durchschnittstempo von über 40 km/h. Das fühlt sich trotz der hohen Intensität gut an, denn man fliegt förmlich über die Straße und kommt in den berühmten Flow, bei dem man das Geschehen um einen herum weitestgehend ausblenden kann und mehr oder weniger nur im Moment lebt.
Die erste Rhythmusänderung kommt bei Kilometer 24 mit einem etwas längeren Anstieg, durch den das Tempo drastisch nach unten geht und die meisten Normalsterblichen aufs kleine Kettenblatt wechseln müssen. Ich hangele mich jedenfalls einen Gang nach dem anderen nach oben, bis ich sogar kurz den kürzesten Gang mit 36 – 30 Zähnen nutze. Auf der nachfolgenden Abfahrt wird es so schnell, dass ich mir eine längere Übersetzung als 52 – 10 wünsche, doch es sind nur wenige Sekunden, die ich aufgrund des hohen Tempos nicht mehr effektiv mittreten kann.
Das ist der einzige Moment während des kompletten Zeitfahrens, an den ich mich erinnere, nicht getreten zu haben. Ansonsten ist die Strecke nahezu perfekt geeignet für ein Event dieser Art. Es gibt keine gefährlichen Stellen, keine unübersichtlichen Kurven und die einzige Stelle, bei der man kurz in die Bremse greifen muss, ist der 90-Grad-Knick, kurz vor dem Ziel.
Doch dort bin ich noch nicht angelangt. Vorher gilt es auf der Westseite des Sees die Strecke zurück zum Start in Schörfling zu bewältigen. Und die ist deutlich anspruchsvoller als die Ostroute auf dem Hinweg. Hier ist ein Großteil der rund 280 Höhenmeter in einigen kurzen Anstiegen zu finden, die immer wieder den Rhythmus stören und das Tempo drücken. Der gemeinste Anstieg kommt erst einige Kilometer vor dem Ziel und führt hoch zu einer Kirche. Dank der Besichtigungsrunde am Vortag gehe ich schon kurz vor der Steigung in den roten Bereich, um das Tempo zu erhöhen und so viel Schwung wie möglich mitzunehmen. Was auch recht gut funktioniert, denn im Rennen kommt mir der Mini-Berg gar nicht mehr so steil wie bei der Besichtigung vor.
Danach ist es nicht mehr weit und ich beschließe etwas mehr ins Risiko zu gehen und fahre so, dass es richtig weh tut. Die Quittung dafür kommt zum Glück erst wenige hundert Meter vor dem Ziel. Die oben angesprochene 90-Grad-Kurve zwingt mich dazu, kurz nicht zu treten und das gefällt meinen Beinen gar nicht. Im rechten Bein verkrampfen gleichzeitig die Oberschenkelmuskeln und die Wade. Für einen kurzen Moment schaffe ich es nicht, wieder zu treten. Erst eine Dehnung der Wade im Pedal lindert den Krampf ein wenig und ich trete unter argen Schmerzen die letzten Meter bis zum Zielbogen.
Die zwei, drei verschenkten Sekunden ärgern mich nicht, vielmehr freue ich mich, dass mein Pacing offensichtlich nicht so verkehrt war. Ich konnte die gesamte Strecke über sehr gleichmäßig im vorher angepeilten Zielbereich fahren und in den letzten Minuten die Leistung halten oder sogar noch minimal steigern.
Mit 215 Watt Normalized Power und einem Geschwindigkeits-Schnitt von 38,6 km/h konnte ich das liefern, was aktuell möglich ist. Die Vorbereitung war alles andere als optimal, denn ich war einige Tage vor dem Rennen mal wieder krank. Zudem war mein komplettes Training im Projekt Road to Ironman Frankfurt auf den Langdistanz-Triathlon in der Main-Metropole Frankfurt am Main ausgelegt und damit fast konträr für ein Zeitfahren.
Es war mir schon vorher sonnenklar, dass ich am Attersee nichts reißen kann. Dennoch stand das Rennen seit einigen Jahren auf meiner To-do-List. Schon alleine wegen der Startrampe und den Helfern, die einen dort vor dem Start festhalten! Näher kommt man als Hobby-Lusche wohl kaum an das Gefühl eines Rad-Profis heran.
Traumkulisse und Profi-Orga
Ist das Zeitfahren King of the Lake am Attersee so geil, wie es auf den Fotos mit dem blaugrünen See aussieht? Absolut! Bei optimalen Bedienungen mit blauem Himmel kamen wir uns schon auf der Besichtigungsrunde am Freitagnachmittag vor, als würden wir durch eine Postkarten-Idylle fahren. Die grandiose Landschaft wirkt zum Teil fast kitschig schön und zaubert einem einfach ein inneres Lächeln ins Gesicht. Hier muss man einfach Spaß haben!
Beim Rennen kommt die tolle Organisation hinzu und macht das Erlebnis perfekt. Komplett gesperrte Strecke, großer Parkplatz direkt an Start und Ziel, exakt eingehaltener Zeitplan, freundliche Helfer – mir fällt auf Anhieb nichts auf, was man besser machen könnte. Wer einmal im Leben (oder auch öfter) ein professionell organisiertes Zeitfahren bestreiten will – auf an den Attersee! Das einzige Problem ist die Tatsache, dass die Startplätze verlost werden und man ein wenig Glück benötigt, um einen der begehrten Startplätze zu erhalten. Aber die Chancen stehen nicht schlecht.
Anmeldung auf der Homepage des Veranstalters: www.kotl.at
Bike und Ausrüstung
Im Großen und Ganzen kam eine ähnliche Ausrüstung zum Einsatz, wie beim Ironman Frankfurt. Am Canyon Speedmax CFR habe ich allerdings eine etwas aggressivere Sitzposition gewählt, da diese zuvor auf den 180 km langen Bikesplit beim Triathlon optimiert worden war. Da man beim Zeitfahren die Beinmuskulatur nicht für einen Marathon schonen muss, wanderte der Sattel rund 8 mm nach oben, zudem baute ich das Cockpit rund 15 mm tiefer, um den Windwiderstand etwas zu verringern. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich an der Front wohl noch deutlich tiefer gehen können, aber die Zeit vor dem Rennen war zu knapp, um das final zu testen.
Ein Zeitfahranzug mit langen Ärmeln findet sich nicht in meinem Schrank, deshalb habe ich den aero-optimierten Aero Tri Suit von Swiss Side gewählt. Der ist zwar für den Einsatz beim Triathlon konstruiert, dürfte einem reinen Zeitfahranzug jedoch nicht viel nachstehen. Auf jeden Fall für meinen Zweck mehr als ausreichend schnell. Eine Regel zur Länge der Socken, wie bei UCI-Rennen, gibt es beim King of the Lake nicht, deshalb kamen auch die Swiss Side Aero Calf Sleeve zum Einsatz. Welchen aerodynamischen Vorteil das bringt, kann ich nicht sagen, aber es macht auf keinen Fall langsamer!
Der MET Codatronca ist ein Zeitfahr-Helm, der auch bei nicht perfekter Kopfhaltung gut funktionieren sollte, deshalb ist er für mich zumindest bei gemäßigten Temperaturen erste Wahl. Bei rund 20 Grad und Sonnenschein war die eingeschränkte Belüftung dennoch zu spüren. Der Schweiß floss in Strömen und tropfte dank der guten Abschirmung durch das große Visier dauerhaft von der Nase. Wer schnell sein will, muss leiden.
Die DMT KR SL gehören zu meinen Lieblings-Rennrad-Schuhen, zudem haben sie keine hervorstehenden Einstellräder, die im Wind stehen und Zeit kosten können. Sie passen exzellent und schienen mir aerodynamisch vorteilhaft, deshalb war die Wahl schnell klar.
Das Zipp Super-9 Scheibenlaufrad läuft aktuell noch im Test und konnte auch beim Einsatz am Attersee auf ganzer Linie überzeugen. In der Gabel steckte das passende Laufrad Zipp 858 NSW. Ausgestattet mit dem Continental Aero 111 Reifen in 29 mm Breite. Der neue Pneu, der zusammen mit Swiss Side und DT Swiss entwickelt wurde, bewies erneut welch positiven Einfluß er auf die Seitenwindempfindlichkeit am Vorderrad hat. Zudem rollt er annähernd leicht wie der Grand Prix 5000 TT TR am Hinterrad. Um optimalen Pannenschutz und leichten Lauf zu garantieren wurden die Reifen im tubeless Set Up ohne Schlauch aber mit Dichtmilch eingesetzt.
Schnelle Jungs und Mädels
Auch wenn der King of the Lake in erster Linie eine Breitensport-Veranstaltung ist, die Jedermann offen steht, bedeutet das keineswegs, dass hier keine schnellen Jungs und Mädels am Start sind. Traditionell gibt es auch immer wieder Besuch von bekannten Fahrerinnen und Fahrern, die mit hohem Tempo um den See ballern.
In diesem Jahr begeisterte unter anderem die österreichische Olympiasiegerin Anna Kiesenhofer, die mit einer Zeit von 1:02:21,64 Stunden einen neuen Streckenrekord für Frauen in der Elite-Klasse aufstellen konnte. Zudem war auch Race-Across-America-Champion Christoph Strasser am Start. Die schnellste Zeit des Tages markierte jedoch der fünfmalige Sieger Julian Braun aus Deutschland in der Klasse Elite mit 0:55:59,20 Stunden. Das entspricht einem Temposchnitt von 50,6 km/h!
Alexandra Krenmayr krönte sich zur „Queen of the Lake“ mit einer Zeit von 1:11:42,89. Bei den Herren sicherte sich Daniel Hochstraßer vom veranstaltenden Verein Atterbiker mit 0:58:02,92 den Titel „King of the Lake“. Elisa Winter (1:06:32,82) und Leander Scheer (0:59:53,14) holten sich die „U23“-Titel. Das Radsport-Team Gaimersheim verteidigte erfolgreich seinen Titel im 4er-Mannschaftszeitfahren und sorgte mit einer Zeit von 0:57:50,70 für den Streckenrekord in dieser Klasse. Im 10er-Mannschaftsrennen ging der Sieg dank einer Rekordzeit von 0:58:44,82 an das Cycling Team Schwingshandl.
Wer von euch war auch schon beim King of the Lake am Start?
Hier lest ihr alle Artikel zur Serie „Road to Ironman Frankfurt“ auf Rennrad-News
- King of the Lake Attersee – Mitgefahren!: Saisonabschluss mit brennenden Beinen
- Road to Ironman Frankfurt – Teil 9: Bike und Technik für den Radsplit
- Road to Ironman Frankfurt – Teil 8: Das Rennen – Ziel verfehlt aber überlebt
- Road to Ironman Frankfurt – Teil 7: Finaler Pacing-Test zum Rennen
- Road to Ironman Frankfurt – Teil 6: Warum Triathlon-Bekleidung 2.000 € kosten kann
- Road to Ironman Frankfurt – Teil 5: Finaler Race-Test und Trainingsendspurt
- Road to Ironman Frankfurt – Teil 4: Vorbereitungsrennen Challenge Walchsee
- Road to Ironman Frankfurt – Teil 3: Bikefitting und Trainingsintensivierung
- Road to Ironman Frankfurt – Teil 2: Der Renn-Fahrplan plus Bonus steht
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