Was erlebt ein Zeitfahrspezialist, wenn er sich zum ersten Mal in ein Cyclocross-Rennen stürzt? Kai-Henrik Günther, der amtierende Niedersächsische Meister im Zeitfahren, hat es getan. Seine Eindrücke vom Finallauf des Stevens Cyclcocross-Cup 2018 teilte er mit dem pd-f, der für uns berichtet.
Sonntag nachmittag, 14:10 Uhr. Die ersten aufkommenden Nebelfelder ziehen über die Nordheide. Die Temperatur liegt um den Gefrierpunkt. Am Eingang zum Buchholzer Stadtwald warten 19 Radfahrer gespannt auf das Startsignal. Statt auf dem Sofa zu entspannen, liegt vor ihnen eine Stunde Hochleistungssport. Die Fahrer kennen sich untereinander, wissen um die Stärken und Schwächen des anderen. Das Rennen in Buchholz ist Abschluss ihrer anstrengenden Saison und das letzte Event des Stevens Cyclocross-Cup 2018.
Heute ist ein Neuer unter ihnen: Kai-Henrik Günther. Der amtierende niedersächsische Meister im Einzelzeitfahren und langjährige Straßenradrennfahrer nimmt zum ersten Mal an einem Cyclocross-Rennen teil. Die Anspannung ist ihm schon den ganzen Tag anzumerken. Dabei ist er gut vorbereitet: Kai trainiert seit Jahren im Winter mit seinem Cyclocross-Rad im Göttinger Wald. Konditionell ist er durch viele Straßenrennen und Einzelzeitfahren in guter Form und dem Zufall überlässt er ohnehin nichts, was die eigens mitgeführte Rolle zum Warmfahren bezeugt. Dann ertönt das Startsignal.
Der Kurs: Statt langer glatter Geraden wimmelt es von kurzen anstrengenden Anstiegen. Abfahrten wechseln sich ab mit technisch anspruchsvolle Passagen, die teils laufend bewältigt werden müssen. Der Untergrund sind Wurzeln, sandige Kurven, Schlammlöcher und einfache Trampelpfade. Eine Runde ist in etwa zwei Kilometer lang und stark gewunden.
Gemeinschaftlicher Spaß vor sportlichem Erfolg
Bereits seit dem frühen Morgen füllt sich das Veranstaltungsgelände. Über die Jahre hat sich in Norddeutschland eine eingeschworene Cyclocross-Gemeinschaft entwickelt. Viele Starter reisen gemeinsam mit dem Wohnmobil oder Auto an. Der Parkplatz ist lange vor dem Start voll. Jeder Radfahrer wird unterstützt und angefeuert, die meisten kennen sich beim Vornamen. Insgesamt steht aber nicht der sportliche Erfolg an erster Stelle. Das gemeinschaftliche Sporttreiben ist wichtiger. Eine Erfahrung, die auch Kai macht.
Kurz nach dem Start ist der Sieg für ihn bereits in weiter Ferne.
Die geübten Spitzenfahrer haben ihm in den ersten technischen Passagen wertvolle Sekunden abgenommen. Jetzt geht es nur noch darum, die eigenen Grenzen zu erkunden, zu lernen und dabei Spaß zu haben. „Konditionell war ich ganz gut dabei, nur in den technischen Teilen habe ich Zeit verloren. Ich habe deshalb meine Gegner im Rennen immer wieder studiert und deren Technik anschließend in den Schlüsselstellen versucht anzuwenden“, erzählt Kai hinterher. So fällt es ihm in den späteren Runden leichter, sein Stevens Super Prestige durch enge Kurven und sandige Passagen zu manövrieren.
Das Cyclocross-Rad unterscheidet sich für einen Laien auf den ersten Blick kaum von einem Rennrad. Doch technisch gibt es einige Unterschiede. Da geringere Geschwindigkeiten als beim klassischen Straßenrennen gefahren werden, bedarf es keiner so breiten Gangübersetzung. Das Tretlager ist etwas höher, damit auch Sprünge über Hindernisse gemeistert werden können. Scheibenbremsen sind bei neueren Modellen Standard. Das wichtigste Kriterium sind jedoch die Reifen, die deutlich breiter und profilierter als beim normalen Rennrad sind. Bei einem offiziellen Rennen ist eine maximale Reifenbreite von 33 Millimetern vom Radsportverband zugelassen. Zudem gibt es je nach Untergrund diverse Profile zur Wahl: zum Beispiel für matschigen, sandigen oder gefrorenen Boden. Bedingungen, die nichts mit dem gängigen Rennradfahren zu tun haben.
Der richtige Reifen macht’s
Kai nutzt vor Rennbeginn die Möglichkeit, die Strecke ausgiebig zu begutachten. Dabei inspiziert er die technisch anspruchsvollen Passagen, aber auch den Untergrund. Dieser ist am Morgen der Streckenbegehung noch vereist. Doch am Vormittag weicht die Januar-Sonne den Boden auf. Auch ist das Männer-Rennen nicht der erste Wettkampf des Tages. Kinder diverser Altersgruppen sowie ein Frauenrennen hinterlassen bereits erste Spuren in der Strecke. „Es ist sicherlich sinnvoll, einen Matschreifen zu fahren“, kriegt Kai vom Veranstalter als Tipp und entscheidet sich schließlich für den „X-One Bite“ von Schwalbe.
Für das Rennen eine gute Wahl, denn die Ideallinie des Kurses weicht von Runde zu Runde immer mehr auf, das Geläuf wird tiefer. Trotz der passenden Reifen wird die richtige Fahrtechnik deshalb immer wichtiger. Die Spitzenfahrer wissen dies geschickter zu nutzen und die ersten überrunden Kai bereits, der sich allerdings weiterhin im Mittelfeld bewegt. Zu seiner Überraschung erhält er von den passierenden Fahrern einen aufmunternden Klaps auf den Rücken. „Von einem Straßenradrennen kenne ich eine derartige Kameradschaft unter den Teilnehmern nicht. Da geht es verbissener zu“, meint Kai.
Überrundete Fahrer werden beim Cyclocross jedoch nicht aus dem Rennen genommen.
Sie dürfen das Rennen einfach eine Runde eher beenden. Zum Abschluss mobilisiert Kai nochmals seine letzten Körner. Der Fahrer vor ihm hat sich einen technischen Fehler erlaubt und so kann Kai den Abstand etwas verringern. Am langen Schlussanstieg setzt er zur Attacke an und überholt. Im Ziel angekommen, wird er von seinem Konkurrent direkt auf das Überholmanöver angesprochen. „Am letzten Berg noch überholen, geht doch nicht“, ruft dieser Kai lachend zu. Die Beiden klatschen ab und gratulieren sich zu ihrem tollen Rennen, das sie als 13. und 14. beenden. „Dieses Gemeinschaftsgefühl finde ich toll“, resümiert Kai. „Nach ein paar Rennen ist man sicherlich komplett in die Gruppe integriert.“ Müde, aber glücklich wäscht er abschließend sein Rad und macht sich dann auf den Heimweg.
Für Veranstalter Michael Boving geht der Tag indes noch weiter. Nach dem Männer Elite-Rennen steht das Hobby-Rennen der Ü40- und Ü50-Fahrer auf dem Programm. Mit fast 50 Startern die größte Gruppe. Hier steht definitiv der Spaß im Vordergrund. Manch Fahrer verzichtet auf den Crosser und fährt mit seinem Mountainbike oder Trekkingrad mit. Dabei sein ist alles. Danach kommen noch Siegerehrungen und das gemeinsame Aufräumen. „Ich hoffe, bis zum Tatort liege ich auf der Couch“, blickt Michael voraus. 14 Stunden waren er und die weiteren ehrenamtlichen Helfer dann zum Ende der Cyclocross-Saison alleine am Renntag auf den Beinen. „Ich weiß aber, dass sich das lohnt. Ich freue mich jetzt schon wieder auf Oktober, wenn die Cyclocross-Saison startet und ich alle Teilnehmer wieder sehe“, freut sich Michael. Auch Kai plant dann, an einem weiteren Rennen teilzunehmen. Die Faszination Cyclocross hat ihn gepackt.