Das Race Across Germany gilt als härtester Ultra-Radmarathon Deutschlands. Bei seiner Nord-Süd-Variante müssen die Teilnehmer 1.100 Kilometer von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen in 48 Stunden schaffen. Für Torsten Weber ist es ein Traum, dort zu starten. 2018 erfüllt er sich für ihn zum ersten Mal. Rennrad-News schaut dem Vater von zwei Kindern bei seinen akribischen Vorbereitungen über die Schulter. Für Teil 1 saßen wir bei der ersten gemeinsamen Probefahrt im Teambus.
Euskirchen, 9. Februar 2018. Der Wetterbericht hat für das Rheinland klaren Himmel vorhergesagt. Das sind gute Bedingungen für das Team um Torsten Weber. Für heute hat Torsten eine kurze Proberunde zum Test der Zusammenarbeit angesetzt. „Kurz“ steht dabei für eine Herausforderung, für die sich andere eine Finisher-Plakette über das Bett hängen: Über 200 Kilometer verzeichnet der Streckenplan. Es soll durch die Voreifel und das Rheinland gehen. An den Straßenrändern und auf den Feldern der weitgehend topfebenen Gegend liegen Schneereste. Wärmer als 5 Grad soll es tagsüber nicht werden. Für die Nacht ist Bodenfrost angekündigt. Und bis in den späten Abend wird die Fahrt dauern. Das fällt für die meisten Rennradfahrer eigentlich nicht unter das Stichwort „gute Bedingungen“.
Für Torsten Weber ist das Ganze dennoch ein echter Glücksfall. Der 34-jährige hat noch 130 Tage, bis er in der Zeit von genau zwei Tagen Deutschland der Länge nach durchqueren muss. 1.100 Kilometer mit 7500 Höhenmetern will er beim Race Across Germany in weniger als 48 Stunden schaffen. Bisher läuft alles nach Plan: Es gab keine längeren Krankheitsphasen, ein siebenköpfiges Team steht, das Vorhaben ist halbwegs finanziert. Auch der erste Leistungstest bei Staps ist absolviert, die Familie unterstützt ihn. Torstens Kalender hat einen vorläufigen Fixpunkt, dem sich jetzt — außer dem Beruf — vieles unterordnen muss: Den Start des RAG 2018 am 29. Juni 2018.
Welche Vorerfahrung muss ein Mensch haben und wie muss er „gestrickt“ sein, um sich so einer Herausforderung zu stellen? Fitness gehört dazu. Wie viele Radsportler, die auch in der Mitte des Lebens hohe Leistungen auf dem Rennrad abrufen, hat Torsten in der Jugend lange im Rennradsattel gesessen. Mit 13 nahm er das Training beim VfL Rheinbach auf. Dort fuhr er später im Bundesligateam unter anderem mit David Kopp (ehemals Team Gerolsteiner) und Christian Knees. Während Trainingspartner Knees immer dabei blieb und heute für das britische Team Sky fährt, gab Torsten Weber den Radsport aber mit 20 Jahren in der U23 auf. „Ich habe dann 15 Jahre lang gar nichts gemacht, hab’ enorm zugenommen, irgendwann wieder angefangen mit Laufen, um abzunehmen, aber das lag mir nicht so“, schildert Weber den weiteren Weg. Über eine Zeitschrift „von der Tanke“ findet er Gefallen an Mountainbikes und kauft sich kurzerhand ein MTB. Das war vor fünf Jahren. „Von da an verging eigentlich kaum ein Tag, an dem ich nicht auf dem Rad saß“, sagt Weber.
„Aber ich bin irgendwie so ein Typ, ich brauche Ziele, und Wettkampf gehört für mich dazu“
Am Anfang stand der Spaß am Fahren im Vordergrund. „Aber ich bin irgendwie so ein Typ, ich brauche Ziele, und Wettkampf gehört für mich dazu“, so Torsten. Einer der ersten Wettkämpfe ist gleich ein 24-Stunden-Rennen. Andere wären stolz, es geschafft zu haben. Torsten verbucht es im Rückblick unter „nicht so erfolgreich“, weil nur ein Platz im Mittelfeld drin war. Es geht ihm offensichtlich ums Gewinnen. Und er gewinnt. Im 2er-Team der Hobbyklasse fährt er zusammen mit Johannes Nassheuer 2014 gleich dreimal auf einen ersten Platz: Bei den 24-Stunden am Nürburgring, in Duisburg und bei der Deutschen Meisterschaft.
Der nächste Schritt: Der Start als Solofahrer. Drei Jahre lang tritt Torsten bei 24-Stunden-Rennen alleine an. Dann verliert er den Ehrgeiz. Neue Ziele sind im MTB-Bereich nicht in Sicht: „Mehrtägige Ultracycling-Wettkämpfe, vergleichbar mit dem Race Across Germany oder Race Across Austria, habe ich für Mountainbiker nicht gefunden“. Ein Gespräch mit dem Extremsportler Michael Kochendörfer gibt schließlich den entscheidenden Impuls. „Er hat gesagt, dass es beim Ultracycling viel um Disziplin geht, dass es eine Kopfsache ist, was mir sehr entgegenkommt“, erinnert sich Torsten. So landet er 2017, 14 Jahre nach den letzten Rennen als Jugendlicher, wieder im Sattel eines Rennrades. Neues Fernziel: Die Teilnahme am Race Across America. Das Race Across Germany 2018 ist als Qualifikationswettbewerb Teil des größeren Planes.
Jetzt sitzt Torsten am Küchentisch, auf dem sich gepackte Kisten mit jeder Menge Trinkflaschen, eine Tasche mit belegten Brötchen, Desinfektionsmittel und anderes Equipment für die Probefahrt stapelt und wartet auf sein Team. Das Desinfektionsmittel ist für die Betreuer im Bus. Sie müssen sich die Hände desinfizieren, bevor sie Torsten Lebensmittel anreichen. So soll die Chance verringert werden, dass der geschwächte Körper sich im RAG einen Infekt zuzieht. Auch dass Torsten sich während des Rennens regelmäßig die Zähne putzen soll, gehört zur Infektvermeidungs-Strategie.
Die RAG-Mannschaft rekrutiert sich aus dem Eifel Cycling Team Northwave, für das auch Torsten fährt. „Beim Ultracycling ist 90 Prozent das Team, dann kommen die finanziellen Mittel, dann der Fahrer“, zitiert Torsten den Tipp eines anderen Ultracyclists. Man tauscht sich aus. Im November kam auch Pierre Bischoff, der Sieger des Race Across America 2016, nach Euskirchen, um dem Team Tipps für die Vorbereitung zu geben.
Torsten selbst hat schon erhebliche Mengen Zeit, Geld und Überzeugungskraft investiert. Er nennt ein Beispiel: „Im Herbst 2017 ist mir der Motor des Teamfahrzeuges, ein VW Bus Camper, kaputtgegangen. Die Reparatur sollte 5000 Euro kosten. Gleichzeitig steht die Kommunion meiner Tochter an. Da hat meine Frau schon gefragt, wie ich das finanzieren will.“ Die Lösung brachte das Crowdfunding auf fairplaid.org, das über 2200 Euro einbrachte. Seinen eigenen Aufwand für die Vorbereitung auf das Race Across Germany schätzt er auf zirka 20 Stunden pro Woche – neben einem Vollzeit-Job als Elektroniker bei Procter & Gamble. Dabei entfallen 10 bis 15 Stunden auf das Training, das er seit November 2017 gezielt auf den Wettbewerb im Juni ausrichtet.
„Vor diesem November habe ich noch nie einen Zeitfahraufsatz benutzt“, witzelt Torsten, „ich kam mir sofort unglaublich schnell vor“. Die längsten Fahrten im Training dauerten bis zum Februar vier Stunden. Wenn es auf den Wettkampf zugeht, sieht der Trainingsplan bis zu achtstündige Fahrten an einem Stück vor. An einigen Tagen fährt Torsten morgens vor der Arbeit zwei intensivere Zwei-Stunden-Enheiten und schiebt nachmittags nochmal eine vierstündige Ausfahrt ein. Zur Vorbereitung will er auch Langdistanzen bei den Klassikern wie Lüttich-Bastogne-Lüttich in sein Training einstreuen.
Die Trainingspläne erstellt das Institut Staps aus Köln. Das ist Torsten jeden Monat 140 Euro wert. Dafür erhält er der Form oder Ausfällen durch Krankheit angepasste Pläne. Auch drei Leistungstests im Jahr sind inbegriffen. Bei seinem letzten Leistungstest – außerhalb der Saison – wog er 84 Kilo und trat 320 Watt an der anaeroben Schwelle. Bis zum RAG sollen noch vier Kilo purzeln. Auch eine aerodynamische Optimierung der Sitzposition auf der Radrennbahn in Büttgen ist bereits geplant. „Ich glaube nicht so an Computerwerte, aber ein großer Vorteil für mich ist, dass ich mich gut aufgehoben fühle“, nennt Torsten seinen wichtigsten Grund, sich betreuen zu lassen. Dennoch optimiert er sein Material auch nach Labortests. Für das Rennen will er einen Vittoria Corsa Speed Open TLR-Reifen tubeless einsetzen, der in einem Test der Zeitschrift Tour die bisher geringsten Rollwiderstandswerte erzielte.
Inzwischen ist das Team eingetroffen und packt den Bus. Es sitzt zwar nicht im Sattel, muss aber ebenfalls viel Zeit und Engagement für die Sache aufbringen. Es darf niemand auf halbem Weg abspringen. „Ich habe deshalb vorher genau gesagt, was ich erwarte, aber versprochen, dass keiner aus dem Team neben der Zeit und dem Urlaub finanzielle Mittel einbringen muss“, so Torsten. Er schätzt, dass jeder aus dem Team rund 2 Stunden pro Woche allein für die Vorbereitung des Rennens aufbringt. Alle Team-Mitglieder sind Radfahrer. Torsten: „Ich bin super dankbar, ich denke, dass wir jetzt das perfekte Team haben.“
In der Begleitcrew sind immer vier Leute. Erstens: ein Teamleiter am Funk, der navigiert. Er trifft die Entscheidungen, auch für Torsten. „Wir haben abgemacht, bis zum Startschuss gebe ich die Kommandos und nach dem Startschuss habe ich eigentlich nichts mehr zu kamellen“, beschreibt Torsten die wichtige Rolle des Teamleiters. Zweitens ist an Bord: ein Fahrer. Drittens: ein Beifahrer, der den Radfahrer versorgt. Und viertens: ein „Berichterstatter“, der direkt aus dem Fahrzeug die Medien des Teams betreut. Er fährt bei beiden Teams mit.
Und Torstens Begleitcrew besteht aus zwei solcher Teams. „Wir wechseln nach jeweils 12 Stunden das gesamte Team aus. Mir war die Sicherheit der Mannschaft wichtig; 24 Stunden und mehr am Stück hinter einen langsamen Radfahrer herzufahren, das ist im Auto sehr anstrengend“, so Weber. Gewechselt wird bei der Übernachtung im Hotel, die für das Team nach jeweils 12 Stunden eingeplant ist. Torsten will durchfahren.
Es geht nordwärts. „Und, wie geht es, läuft doch, oder, wir haben Rückenwind“, spricht Team-Chef Frank Reiferscheid durch das Funkgerät. Die Antwort von Torsten geht im Bus etwas unter. Die Anzeige auf dem Tablet im Cockpit, das die Route für den VW Bus anzeigt, spricht aber eine deutliche Sprache. Ständig stehen dort 36 bis 39 km/h auf dem Display. Torsten ist schnell unterwegs. Zumindest erscheint es Außenstehendem so. „Und wie fühlst Du Dich, Puls soweit okay“, fragt Frank nochmal nach. „Ja, bin mitten im Grundlagenausdauerbereich“, meldet Torsten zurück.
Immer wenn eine andere Straße den Weg kreuzt, haben Torsten und sein gelbes Rad schnell einige hundert Meter Abstand zum Teambus und verschwinden aus dem Sichtfeld. Helmut Wolf am Lenker des Busses hält sich stur an die Strecke. Torsten Weber hat den gleichen Track auf seinem Garmin Edge 1000 am Lenker. Dennoch kommt es ab und an zu Unstimmigkeiten. Einmal ist nicht klar, ob die gewählte Straße für Radfahrer freigegeben ist. Einmal biegt Torsten zu früh ab. Es dauert immer lange, bis er wieder eingeholt ist. Minuten der Unsicherheit im Bus. So etwas darf im Rennen nicht passieren. Was wenn der Bus Torsten für längere Zeit verliert und ausgerechnet in so einem Moment ein Defekt auftritt? „Das wären Momente, vor denen ich die größte Angst habe, dass etwas schief geht, dass man sich verfährt und darüber eine Platzierung verliert und dass es darüber zu Streitigkeiten im Team kommt“, sagt Torsten. Er trägt zwar einen GPS-Tracker, seine Position kann auf einer Karte angezeigt werden, aber nicht gleichzeitig mit der Route. Eine wichtige Erkenntnis aus dem Test – eventuell müssen zwei Anzeigegeräte für das Race Across Germany her, notiert man im Logbuch.
Vor dem VW-Bus kurbelt Torsten in die Dämmerung. Im Race Across Germany kämen jetzt seine starken Stunden. Er glaubt, die Nacht liegt ihm. Bei den 24-Stunden-Rennen macht er in der Dunkelheit immer Zeit gut. „Ich freu’ mich auf die Nacht“, sagt Torsten. Ab 19 Uhr soll es schneien.
Mehr Infos zu Torsten Weber: www.torstenweber-cyclist.de
Mehr Infos zum Race Across Germany: www.raceacrossgermany.de
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