Idyllisch liegt das kleine renovierte Gehöft am Ende einer kurzen Allee im rechtsrheinischen Köln, wo wir Torsten Weber treffen wollen. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, ein kleiner Café-Tisch mit Stühlen vor einer gepflegten Fachwerkwand zeugt von Lebensgenuss. Auf dem kleinen Schild neben dem Tisch steht „Staps“. Direkt daneben öffnet sich eine grüne Tür. Auch die ist klein, so klein, dass sich größere Menschen beim Eintreten bücken müssen. Da kann man schon ahnen, was sich dahinter auftut: eine institutionalisierte Kammer des Schmerzes.
Unter dem WM-Trikot von Tony Martin
Staps betreibt Leistungsdiagnostik für Profis und Hobby-Radsportler. Und um Leistungsdaten zu ermitteln, müssen Sportler Leistung bringen, konkret: an ihre Leistungsgrenzen gehen. Das tut weh, zumindest kurz. Prominente Namen im Radsport sind schon über die Schwelle des Schmerzes getreten. Von Tony Martin hängt ein signiertes Zeitfahr-Weltmeistertrikot im Flur. Darunter lehnt die TT-Maschine von Edwald Boasson Hagen an der Wand. Neben der Leistungsanalyse betreut Staps Sportler aller Niveaus auch beim Training, erstellt Trainingspläne und führt Bikefittings durch – bis hin zu aerodynamischen Optimierungen der Sitzposition.
An diesem Tag bückt sich Torsten Weber durch die Tür. Er fährt schon seit Jahren 24-Stunden-Rennen und lässt sich seit 2014 von den Kölnern beraten. Für seine Race Across Germany Vorbereitung nimmt er die ganze Palette der Angebote von Staps in Anspruch und zahlt dafür einen monatlichen Paketpreis. Es verbleiben ihm noch 9 Tage bis zum Start des Ultra Cycling Events, bei dem genau 1.111 km zwischen Flensburg und Garmisch zu bewältigen sind.
Der letzte Leistungstest steht an
Heute steht der letzte Leistungstest an: zur Positionsbestimmung vor dem Event. Es geht um Gewissheit für die Einteilung der Kräfte auf der Distanz und für die Psyche: Hat das Training in den 3 Monaten seit dem letzten Test etwas gebracht? Mit welcher Leistung wird Torsten in das Rennen starten? Und nicht zuletzt denkt der Ultracyclist und 24-Stunden-Rennfahrer Weber bereits weiter: „Nach dem Rennen ist erstmal längere Zeit kein Leistungstest sinnvoll, es geht auch darum, nachher zu wissen, auf welcher Grundlage ich die Leistung beim RAG erbracht habe. Daraus kann ich Schlüsse für das Fernziel Race Across America ziehen“. Schafft er das RAG unter 48 Stunden, hat er für 2 Jahre eine Starterlaubnis für das Race Across America. Das findet just genau zu der Zeit, als Torsten bei Staps ist, auf der anderen Seite des Ozeans statt. „Ich betreue einige Fahrer in einem 4er-Seniorenteam, das beim RAA mitfährt, die sind im Schnitt über 70“, erwähnt Torstens Trainer Benjamin Schwan am Rande.
Bevor Torsten seine Leistung liefern kann, wird das Ergometer von SRM auf seine Sitzposition eingestellt. Die hat er erst vor wenigen Wochen bei einem Aero-Test auf der Radrennbahn mit Staps noch einmal für das Rennen optimiert. Es hat sich gelohnt: 23 Watt bei 40 km/h spart er durch die bei zahllosen Runden auf der Bahn neu eingestellte Sitzposition. Bei 33 km/h sind es immer noch 12 Watt. Und die sollte er ungefähr halten können. Denn das Team um Torsten geht für die ganzen 1.111 km von einer Durchschnittsleistung von 180 Watt aus. „Bei einer angenommenen Durchschnittsleistung von 180 Watt kann ich inklusive der Berechnung von durchschnittlicher Steigung ziemlich genau 1 km/h schneller fahren. Das heißt ich komme bei gleicher Leistung circa 1 Stunde früher an“, hat Torsten mit Staps errechnet. Neben der Sitzposition hat Torsten auch Equipment getestet. Eine überraschende Erkenntnis, die sich mit Blick auf das zu erwartende heiße Wetter an den Renntagen als positiv herausstellt: Der Semi-Aero Helm „Trenta“ seines Sponsors MET schneidet im Aero-Test bei Torstens Sitzposition und 33 km/h fast 12 Watt besser ab als das Aero-Modell, das schlechter belüftet ist.
Auf die Waage und an die Zange
Auch auf die Waage muss Torsten nochmal, bevor er sich auf das Ergometer begibt. Er hadert offenbar mit seinem Gewicht. Gegenüber dem Winterzustand konnte er nicht so viel abspecken, wie er gehofft hatte. Von 87,4 kg im Winter hat er sich auf 85,7 kg herunter gearbeitet. Mit einer Fettzange bestimmt Benjamin Schwan außerdem den Körperfettanteil. Der hat sich ebenfalls nur leicht verbessert: von 16,2% auf nun 16%. Ein Wert, der übrigens auch Chris Froome im Jahr 2007 zugeschrieben wurde.
Der erste Test, der ansteht ist ein Sprint-Test. Das bedeutet für Torsten: 15 Sekunden alles geben, all-out! Das Ergometer hält eine voreingestellte Trittfrequenz. Je fester Torsten tritt, desto größer wird auch der Widerstand. 1.061 Watt tritt Torsten beim Abbruch. Eigentliches Ziel des Tests ist es aber, die sogenannte VLamax zu bestimmen, die maximale Laktatbildungsrate. Gewünscht für eine extreme Ausdauerleistung ist eine niedrige VLamax. Denn eine geringere Laktatbildungsrate bedeutet einen höheren Anteil der Fettverbrennung an der Energiebereitstellung. Auf diese Weise halten die Energiereserven länger.
„Als Torsten 2014 zum ersten Mal bei uns getestet wurde, war die VLamax eher schlecht und lag bei 0,85. Im Sommer waren es dann 0,46 – auch bei Profis liegt sie meist irgendwo zwischen 0,4 und 0,5“, sagt Benjamin Schwan: „Physiologisch gesehen ist Torsten eher der Typ „Rouleur“, gute absolute anaerobe Schwelle, aber nicht der Leichteste. Längere gleichmäßige Belastungen liegen ihm aufgrund seiner tendenziell niedrigen VLamax mehr als kurze wellige Anstiege und Kurse“. Das kommt Torsten beim RAG zu gute.
Mit der Sprint-Quälerei ist es nicht getan. Es folgt der „Rampentest“. Hier wird auch ein Wert ermittelt, der vielen Hobbysportlern bereits ein Begriff ist: die Leistung an der Anaeroben Schwelle, kurz „ANS“. Staps definiert sie als den Punkt, bei dem Laktatbildung und -Abbau im Gleichgewicht stehen, also kein Laktat im Körper angehäuft wird. Sie herauszufinden, verlangt von Torsten noch mehr Einsatz als der Sprint-Test. Das Ergometer beginnt bei 175 Watt und steigert die Leistung in Stufen um jeweils 25 Watt. Jede Stufe muss 30 Sekunden gehalten werden. Bis zur Aufgabe – die Bilder der Chronologie des Tests sagen mehr als tausend Worte.
Als Torsten die Puste ausgeht, zeigt das Display des angeschlossenen Computers 525 Watt. Alle anderen Zahlen bespricht Torsten mit seinem Trainer nach dem Duschen. Die nüchternen Fakten im Überblick:
- Leistung an der ANS: 345 Watt
- Laktatbildungstrate VLamax: 0,54 (mmol/l/s)
- Maximale Sauerstoff-Aufnahme VO2max: 65 ml/min/kg
- Relative Leistung an der ANS: 4,03 Watt/kg
Was leiten Trainer und Ultracyclist daraus ab? Benjamin Schwan ist zufrieden, dass Torsten die maximale Sauerstoffaufnahme verbessern konnte von vorher 61 ml/min/kg auf nun 65 ml/min/kg, ohne sich bei der Laktatbildungsrate deutlich zu verschlechtern. „Für die Startphase des Wettkampfes ist es wichtig, mit der richtigen Leistung loszufahren“, meint Torsten. Sein Trainer rät ihm, mit um die 250 Watt zu starten. „Das ist die Leistung, die er auf Dauer theoretisch fahren kann, wenn die Ernährung optimal ist, also die Zufuhr und Aufnahme so wie normal läuft“, erklärt Benjamin Schwan.
Die Ernährung auf der Langstrecke plant Torsten akribisch. Was er essen kann und wie er es unterwegs zu sich nimmt, hat er auf Testläufen zuvor ausprobiert. „Ich versuche so viele verschiedene Sachen wie möglich mitzunehmen“, sagt er. Wraps mit Milchreis, Brötchen mit Käse, aber auch Flüssignahrung gegen Magenprobleme stehen auf dem Speiseplan. Auf Energie-Gels und Riegel will er sich auf keinen Fall verlassen. „Ich nehme mal an, dass Du nach einem Tag nichts Süßes mehr essen kannst“, wagt Schwan eine Prognose. Auch könne es durch die Aeroposition leichter zu Magenproblemen kommen.
Das Team um Torsten will genau so viel Nahrung zuführen, wie er Energie verbraucht. Dazu können sie die Angaben von Staps verwenden. An der ANS, wo der Fettverbrauch annähernd Null ist, verstoffwechselt Torsten circa 300 g Kohlenhydrate pro Stunde. Mehr als 80 g pro Stunde neue Kohlenhydrate kann der Körper aber nicht aufnehmen. Sie werden auch nicht gespeichert, sondern nur direkt zur Verfügung gestellt. „Wenn man einmal leer gefahren ist, füllt sich der Glykogenspeicher nicht mehr auf“, erklärt Schwan. Daraus ergibt sich für Torsten die Pflicht zum Haushalten mit den eigenen Reserven und die Notwendigkeit, sich beim Start zu bremsen. Mehr als 250 bis 280 Watt will er nicht riskieren.
Torsten Weber im Interview vor dem Race Across Germany 2018 von JNL – Mehr Rennrad-Videos
Zu akribisch will er sich allerdings auch nicht an diese Zahlen halten. „Ich mach das nach Gefühl“, sagt er: „Wenn man nur streng nach Watt fährt, geht es eigentlich immer schief.“ Ob es gut gegangen ist, wird er am Sonntag um 08:12 Uhr morgens im Schatten der Sprungschanze von Garmisch wissen. Bis dahin kann man sein Fortkommen auch live verfolgen unter: https://www.facebook.com/groups/TorstenRAG18/
Live-Tracking des Race Across Germany 2018: Tractalis
Hintergrundwissen zur Leistungsdiagnostik allgemein bei Staps: Staps
Noch mehr Artikel zu Torsten beim Race Across Germany auf Rennrad-News
9 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumSorry, vielleicht etwas verkürzt ausgedrückt. Die große grüne Zahl auf dem Foto ist die aktuelle Leistung. Vorgabe ist 450 Watt, Torsten ist also leicht darunter in dem Moment, aber 450 Watt ist die Rampe, die durch 25 teilbar sein muss. Dann sieht man auf dem Foto noch die ersten drei Rampen, eine Art Warmfahren, das mit in die Zeit eingeht. Die 30 sec pro Erhöhung um 25 Watt sind gesetzt. Man kann dann (450-175):25:2 rechnen und landet bei 5,5 Minuten. Das heißt, Torsten ist bei 175 Watt gestartet, nach 5,5 Minuten soll er bei 450 Watt sein, ist aber bei 445 Watt. Der Rest muss Warmfahrzeit sein, also circa 3 min. pro Rampe.
Ah Ok! Bleibt noch die Frage warum due Rampen so kurz sind? Ich kenns aus 2014 und BDR-Protokoll (?) mit 2 oder 3 min und 20 Watt.
Die Frage muss ich weiterleiten. Werde ich.
"Da kann man schon ahnen, was sich dahinter auftut: eine institutionalisierte Kammer des Schmerzes."
Wir laden dich ein, jeden Artikel bei uns im Forum zu kommentieren und diskutieren. Schau dir die bisherige Diskussion an oder kommentiere einfach im folgenden Formular: