Weil unser Hotel zu weit vom Etappenort entfernt liegt, verzichten wir erneut auf die Pasta-Party in Crespano del Grappa. Wir finden eine herausragende Osteria in Fonte und schlemmen uns Gang für Gang durch die Speisekarte. Begleitet werden wir heute von Katrin und Robert, die ein Mixed-Team bei der TOUR Transalp bilden.
Das Paracetamol und die kulinarischen Leckerbissen haben Chris wahren Gesundheitszustand wohl verschleiert. Als Alex am nächsten Morgen aufwacht, liegt ein kreidebleicher Teampartner neben ihm. Was es heißt, bei Fieber die Königsetappe mit 142 Kilometern und 3.300 Höhenmetern zu fahren, kann sich jeder ausmalen. Wir gehen kein Risiko ein. Chris meldet sich bei der Rennleitung ab, Alex stellt sich alleine in den Startblock.
Hier sein Rennbericht:
Es ist verdammt heiß, die kleine Wasserflasche habe ich vor dem Start bereits fast vollständig ausgetrunken. Aber bei Kilometer 25 kommt ja die erste Verpflegungsstation, sollte also ausreichen.
Täglich wird das Scott-Attak Trikot verliehen, und zwar an das Team, welches im Vergleich zur vorherigen Etappe den größten Sprung nach vorne gemacht hat. Heute dürfen Dominic und Markus aus der ersten Reihe starten. Die beiden sind keine Unbekannten im Fahrerfeld, denn sie beweisen, dass am Ende des Tages nicht die Performance eines >5.000 Euro-Rennrads entscheidend ist, sondern pure Muskelkraft, Ausdauer und vor allem der Kopf. Dominic ist einer der jüngsten Fahrer im Feld, sitzt aber wie ein Pro auf seinem Alu-Renner! Die beiden haben Christian und mir gestern eine halbe Stunde abgenommen… davor waren wir oft gleichauf.
Bereits nach sechs Kilometern starten wir in den 1.300hm-Anstieg hinauf zum Monte Grappa. Die Hitze steht, und ich selbst auch fast. Es will kein Druck aufs Pedal. Liegt es daran, dass sich alle mehr Kraft für diese Etappe aufgespart haben als ich? Oder habe ich nun auch schon das Dampflock-Phänomen meines Teampartners Chris in den Muskeln. Ich hoffe auf letzteres…
Als ich mir das erste Mal wünsche oben zu sein, habe ich gerade einmal 300 Höhenmeter zurückgelegt. Meine letzte Hoffnung ist, dass mir zwei Energieriegel die nötige Energie liefern. Im Nachhinein eigentlich klar: Zum Frühstück gab es nur einfaches Weißbrot (wir sind hier halt schon in Italien) und durch die Hitze kam bisher kein Hungergefühl auf. Nach dem Frühstück am Berg ging es dann. Ich finde meinen Rhythmus und mit jedem weiteren Höhenmeter wird die Temperatur auch angenehmer. Drei Kilometer vor der ersten Verpflegungsstation sind beide Trinkflaschen leer. Also nach weniger als 25 Kilometern. Das ist neuer Rekord!
[youtube id=“D5WP11UfeNU“]
Kurz vor dem Gipfel des Monte-Grappa sehe ich wieder bekannte Gesichter, darunter das Team Erni ohne Bert! Bergab lasse ich mein Votec Vrc Elite, was bisher echt hervorragend und sorgenfrei läuft, mal richtig fliegen und bilde mir ein, durch die Hochprofilfelgen einen positiven Effekt in der Aerodynamik zu spüren. Den negativen Effekt spüre ich gleich in der nächsten Kurve: Bei den herrschenden Windverhältnissen sind die Laufräder etwas windanfälliger. In Summe lohnt es sich natürlich schon – alleine der cooleren Optik wegen!
Der zweite Anstieg geht von 300 auf 1.400 Meter hoch. Also erneut gegen den Schweinehund ankämpfen und das Bike hochdrücken. Bei stehender Hitze und erneut über 30°C benötigt man zur Motivation eigentlich seinen Teampartner. Muss mich also selbst motivieren und definiere mir ein Ziel: Ich möchte an den beiden Männern mit den roten Stöckli Klamotten dran bleiben. Leichter gesagt als getan. Zwischenzeitlich trennen uns über 100 Meter. Als es nach der zweiten Verpflegungsstation leicht anfängt zu regnen, habe ich entgegen aller anderen Rennradler ein breites Grinsen im Gesicht: Bereits während der ersten Etappe war zu spüren, dass die Leute bei Regen deutlich langsamer fuhren, und zwar nicht nur bergab…. Als erfahrener Mountainbiker profitiere davon enorm und kann auf der 20 Kilometer langen Abfahrt einige Teilnehmer, die mir am ersten Berg davongefahren sind, einholen.
Im Tal angekommen erwische ich eine flotte Gruppe, die sich immer weiter vergrößert. Das Tempo ist enorm. Bis zum Ziel sind es noch 30 Kilometer. Dazwischen kommen immer wieder kleine, giftige Anstiege. Meine Beine brennen. Führungsarbeit erhöht den Laktatspiegel in den Beinen nur noch weiter, also bleibe ich die letzten zehn Kilometer vor dem Ziel eher hinten – und habe noch zu kämpfen. Inzwischen habe ich vier Gels und vier Riegel gegessen (auch neuer Rekord), doch ich weiß, dass noch ein Anstieg kommt. Gel Nummer fünf verursacht Übelkeit. Ich hätte es lieber sein lassen.
Ich erreiche nach 5h54min das Ziel in Levico Terme. Team Stöckli hat mir während der letzten zehn Kilometer doch noch ein wenig Zeit abgenommen. Doch ich bin zufrieden, wenn auch ziemlich gezeichnet von den Strapazen.
So schön und landschaftlich abwechslungsreich die Etappen auch sind, ich freue mich nun auf die letzte Etappe. Denn eines ist klar: Diese TOUR Transalp zehrt an den Kräften. Und an unseren ganz besonders. Das Verhältnis von Trainingsumfang zu Platzierung mag bei uns beiden bis Chris’ Krankheit zwar überdurchschnittlich gut gewesen sein (im Gesamtclassement meist um Platz 150 von 400), doch wir haben es entgegen bisheriger Etappenrennen nicht geschafft, uns während des Wettkampfs zu steigern. Die notwendige Härte dafür hatten wir anscheinend noch nicht in den Beinen.
Morgen kommt also die letzte Etappe. Chris fühlt sich besser, das Fieber ist weg und er ist guter Dinge, morgen zu starten.