Der Unterschied zwischen Gravelbike und Cyclocross-Rad? Gibt es nicht, sagen manche Hersteller. Ist gravierend, behaupten andere. Was stimmt? Und wer braucht dann noch ein All-Road-Rennrad?
Rennräder mit Stollenreifen, gibt es schon lange. Ebenfalls sehr lange hießen solche Räder fast ausschließlich Cyclocross-Räder – nicht zu verwechseln mit den Crossrädern, das sind Trekkingräder mit Stollenreifen, aber ohne Schutzbleche. Cyclocross-Räder, oder auf Deutsch „Quer-Räder“ waren ursprünglich echte Rennräder. Denn sie kamen nur für Renn-Wettbewerbe zum Einsatz. Weil die Gattung entstand, als die Bremsen noch weit über den Reifen thronten, war es ein leichtes, das normale Straßenrennrad zum Querfeldeinrad umzurüsten. Etwas breitere Reifen drauf, fertig. Geboren war das Rad für die Fahrt durchs offene Gelände.
Querfeldein war dabei fast wörtlich zu nehmen. Man fuhr anfangs über die Felder. Wenn man nicht mehr fahren konnte, lief man eben. Als der Sport sich spezialisierte, kamen Rundkurse, enge Kurven und lange Tragepassagen. Da wurde die bislang unveränderte Geometrie angepackt. Diese kurze Geschichte erklärt nicht, was ein Cyclocross-Rad ist, aber in welcher Tadition es sich sehen will. Und zum Teil ergeben sich daraus die:
Kennzeichen eines Cyclocross-Rades
- gemacht für Rennen auf winkligen, schlammigen Kursen
- 28-Zoll-Räder.
- eher schmale Stollenreifen. Für offizielle Cyclocross-Rennen dürfen sie nicht breiter als 33 mm sein. Das wird mit einem Block vor dem Rennen geprüft
- ein kurzer Radstand, der sehr nah am Rennrad liegt
- Ein recht steiler Lenkwinkel für Wendigkeit. Fußkontakt zum Vorderrad ist möglich
- traditionell ein höheres Tretlager, um tretend durch Kurven fahren zu können
- eine relativ sportliche Sitzposition mit viel Gewicht auf dem Vorderrad. Wie gesagt: für Rennen!
- oft keine Flaschenhalter (erst seit kurzem sieht man die Profis auch mit Trinkflaschen auf dem Kurs, aber Trinkflaschen während der Fahrt annehmen dürfen sie nicht)
- ein möglichst geringes Gewicht. Stichwort „Tragen und Springen“
Ein Cyclocross-Rad im engeren Sinne ist also ein Wettkampfrad. Aber jetzt kommt die neuere Geschichte des Cyclocross-Rades ins Spiel. Jemand erkannte, einige Jahre bevor es Komfort-Rennräder gab, dass Cyclocross-Räder eigentlich recht gut als Alltagsräder taugen. Dickere Reifen mit Pannenschutz vom Trekkingrad passten rein, Trekking-Laufräder mit Nabendynamo ebenso. Dann kamen Ösen für Schutzbleche ans Cyclocross-Rad (denn dafür bietet der Rahmen ja auch Platz) und sogar Gewindebuchsen für Gepäckträger. Schließlich passten einige Hersteller die Geometrien dem neuen Einsatzgebiet an. Der Radstand wurde verlängert, das Tretlager wanderte tiefer.
Jetzt ahnt der Leser, warum manche Hersteller behaupten, es gäbe keinen Unterschied zwischen Cyclocross- und Gravelbike. Denn tieferes Tretlager und mehr Radstand, das sind zwei besonders wichtige Dinge, die ein Gravelbike vom Cyclocross-Bike unterscheiden. Es sind:
Kennzeichen eines Gravelbikes
- gemacht für langes Fahren auf befestigten, aber nicht asphaltierten Wegen
- 28-Zoll-Räder oder 27,5-Zoll-Räder. Meist für Reifen bis 42 oder sogar bis hin zu 47 mm ohne Schutzbleche ausgelegt.
- soll auch als Alltagsrad dienen können
- eine eher aufrechte Sitzposition, um auf langen Strecken die Hände zu entlasten
- tieferes Tretlager für das Gefühl mehr „im Rad“ zu sitzen und mehr Stabilität in rauerem Gelände
- längerer Radstand – damit schlagen kleine Hindernisse nicht so stark durch (Hebelgesetze). Das Rad läuft tendenziell besser geradeaus. Wenn der längere Radstand vor allem am Hinterbau erzielt wird, hat es auch bessere Klettereigenschaften an Steilpassagen.
- oft ein flacherer Lenkwinkel und mehr Nachlauf an der Gabel für besseren Geradeauslauf
- Ösen, Ösen und nochmals Ösen an Rahmen und Gabel, um alles anschrauben zu können, was auf langen Fahrten helfen kann.
-> Hier findet ihr alles über Gravelbikes: Neuheiten und Tests
„Gravel“ bedeutet soviel wie „Kies, Schotter“. Ein Gravelbike im engeren Sinne ist also ein Rad für komfortables, schnelles Fahren auf Kies. Genauer gesagt, für Rennen oder RTF-ähnliche Events auf Kieswegen, die in den USA das Land erschließen und gerne gefahren werden, weil es dort weniger Konflikte mit Autofahrern gibt. Typischerweise laufen die Straßen ziemlich geradeaus oder sanft geschwungen gen Horizont – zumindest verglichen mit einem Crosskurs, der auf einem Acker Platz findet. Die Rennen für Gravelbikes heißen meist Gravelgrinder. Das wohl bekannteste Event in den USA ist das Dirty Kanza, das über mehr als 200 Meilen (rund 322 km) Gravelroads führt. In Deutschland sprossen Gravel-Events 2017 wie Pilze aus dem Boden. Der prominenteste Verteter scheint derzeit mit dem Votec Gravelfondo im Schwarzwald beheimatet zu sein.
Dirty Kanza 2017 Video
Die schiere Länge solcher Events erklärt die typische Auslegung der Gravelbikes. Allerdings: Nachdem das Rennlenker-Rad einmal den Weg zurück ins Gelände gefunden hatte, auf den es einst schon MTB-Legende John Tomac gesetzt hatte, war der Damm gebrochen. In Kombination mit der MTB-Laufradgröße 27,5-Zoll wurden weitere Spielarten des Gravelbikes möglich, die auch das Fahren in rauerem Gelände bis hin zu Trails zu einem relativen Vergnügen machen sollten. Das erreichen sie vor allem durch breitere Reifen. Deshab heißen sie „Gravel-Plus-Bikes“. Reifen von 47 mm bis hin zu 55 mm MTB-Pneus finden in den Gravel-Plus-Bikes Platz. Solche Walzen sind endgültig zu groß für die ebenfalls neue Kategorie des „All-Road-Racebike“.
Kennzeichen eines All-Road-Racebikes
- gemacht für schnelles komfortables Fahren auf Asphalt und Abschnitte von gemeinem Untergrund wie Kopfsteinpflaster oder befestigte Feld-, Wald-, und Wiesenwege.
- 28-Zoll-Räder mit Reifen bis rund 32 mm Breite, überwiegend aber 28 mm Breite sind der gängige Standard
- Ösen für Schutzbleche können vorhanden sein, sind manchmal sehr schön im Rahmen versteckt
- komfortable Sitzposition wie bei einem Marathon-Renner
- Rennrad-typischer Radstand und Rohrwinkel.
- Aero-Merkmale können vorhanden sein
Das All-Road-Rennrad ist am meisten Rennrad und am wenigsten Geländerad. Es sieht aus wie ein normales Rennrad (mit Scheibenbremse) und fährt in der Regel auch so, eher wendig als auf Geradeauslauf auf schlechten Straßen getrimmt. Die Sitzpositon wird in der Regel auf längere Strecken ausgelegt sein. Wer Straßenrennen fahren will, kauft kein All-Road-Rennrad, es ist sozusagen eher für ambitionierte Genießer gedacht, die sich nicht auf die Straße als Einsatzbereich festlegen wollen. Ab Werk sind in der Regel Slick-Reifen mit 28 mm montiert. Manchmal passen Reifen bis zu 32 mm zwischen Rahmen und Gabel. Blind ausgehen kann man davon aber nicht, das ist im Einzelfall zu erfragen. Weil die Hersteller von geringeren Belastungen ausgehen, können die All-Road-Rahmen in der Regel leichter sein. Komplettradgewichte unter 8 kg sind durchaus drin, wohingegen sie bei Gravebikes und Cyclocross-Bikes eher den ausgereizten Top-Modellen vorbehalten sind, wenn sie überhaupt erreicht werden. Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen, dass das All-Road-Rennrad das Main-Stream-Rennrad der Zukunft ist.
Gemeinsamkeit Scheibenbremse
Übrigens: Ob Gravelbike, Cyclocrosser oder All-Road-Rennrad – allen Typen gemeinsam ist, dass sie nahezu ausnahmslos auf Scheibenbremsen setzen. Die Disc-Stopper ermöglichen mehr Flexibilität bei den Laufrädern und Reifen. So können auch schon mal im Grunde sehr ähnliche Rahmen einmal als „Gravelbike“, einmal als „All-Road-Bike“ auftauchen. Insgesamt scheinen sich die gerade erst geschaffenen Kategorien „Gravel“ und „All-Road“ zu vermischen, während bei den Cyclocross-Rädern der Trend wieder zu reinen Wettkampfgeräten geht.
Geometrie im Vergleich: Cyclocross vs. Gravelbike vs. All-Road
Zum direkten Vergleich typischer Vertreter der drei Rennrad-Gattungen sind in der Tabelle 3 Geometrien direkt nebeneinander gestellt. Als Cyclocrosser haben wir ein Ridley X-Night SL Disc gewählt, das bekannt ist für seine radikale Cyclocross-Wettkampfgeometrie. Es ist auch die Basis für die Wettkampfgeräte der gesponserten Cyclocross-Teams. Ridley empfiehlt die 54er Rahmengröße für Körpergrößen, bei denen die anderen beiden Hersteller das 56er-Modell vorsehen. Daher haben wir diese auch als Vergleichsgröße herangezogen. Als Gravelbike Exempel dient ein Norco Search XR, das eher die stärker geländeorientierte Variante des Gravelbikes abbildet. Das Cannondale Synapse schließlich wird zwar nicht als All-Road-Rennrad vermarktet, hat aber alle Attribute eines Rennrades für viele Spielarten von Wegen.
Geometriedaten | Cyclocross | vs. Gravelbike | vs. All-Road-Bike |
---|---|---|---|
Ridley X-Night SL Disc | Norco Search XR Carbon | Cannondale Synapse Carbon | |
Rahmenhöhe (mm) | 540 | 555 | 560 |
Oberrohr horizontal (mm) | 545 | 565 | 561 |
Steuerrohr Länge (mm) | 140 | 155 | 173 |
Lenwinkel (Grad) | 72 | 71,75 | 73 |
Kettenstreben Länge (mm) | 425 | 422 | 410 |
Tretlager-Absenkung (mm) | 64 | 70 | 73 |
Radstand (mm) | 1009 | 1026 | 995 |
Stack (mm) | 554 | 580 | 590 |
Reach (mm) | 380 | 390 | 386 |
Stack to Reach (STR) | 1,46 | 1,49 | 1,53 |
Gravelbike oder Cyclclocrosser oder All-Road-Rennrad? Riesig scheinen die Unterschiede zwischen Cyclocross und Gravelbike oder All-Road-Racer auf den ersten Blick nicht. Vor allem für die vielzitierten Geometrie-Unterschiede muss man schon genauer hinsehen. Ein höheres Tretlager und eine sehr sportliche Sitzposition heben in diesem Vergleich den Cyclocrosser von den anderen Bikes ab. Das All-Road-Bike hat die entspannteste Sitzposition. Das muss aber nicht immer so sein. Wichtiger in der Praxis dürften folgende Punkte sein: Welche Reifen passen durch Rahmen und Gabel? Wieviel Platz bleibt dann noch für Schlamm oder Schutzbleche? Welche Anbauteile lassen sich leicht über vorhandene Ösen montieren? Im Zweifel also lieber nach Details schauen als nach Etikett kaufen.
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