Rennräder gibt es viele – solche wie die Urwahn Schmolke Edition aber nicht. Die Magdeburger verfolgen ihren ganz eigenen Ansatz und transferieren ihr Urban-Bike „Stadtfuchs“ durch jede Menge Schmolke Carbon-Teile in Richtung Roadbike. Ist das Urwahn überhaupt ein Rennrad? Das haben wir ausprobiert.
Steckbrief: Urwahn Schmolke Edition
Einsatzbereich | Tour |
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Rahmenmaterial | Stahl |
Gabel | Carbon |
Gewicht (o. Pedale) | 9,2 kg |
Stack | 427 mm |
Rahmengrößen | XS, S, M, L, XL (im Test: M) |
Website | www.urwahnbikes.com |
Fangen wir vorne an: Im Laserstrahlschmelzen, auch als SLM oder LBPF-Metall bekannt, lässt sich Metallpulver in Form schmelzen. Tatsächlich in eine ziemlich beliebige Form. Das macht sich Urwahn Bikes im Hintergrund zu Nutze, um relativ komplizierte Muffen aus Edelstahl zu fertigen. Die werden dann mit geraden Rohren verlötet und so aufwändig verschliffen, dass tatsächlich keine Übergänge mehr zu erkennen sind. So sieht das Bike schlicht und aus einem Guss aus, wobei eines direkt ins Auge sticht: Das Sitzrohr biegt einfach in die Sitzstreben ab, anstatt das Tretlagergehäuse zu treffen. Von der Seite erinnert das an die vorgespannten Läufe des Fuchses, was auch dem Stadtrad seinen Namen gibt.
Ausstattung
Urwahn baut ja schon seit ein paar Jahren Fahrräder, aber ein Rennrad war bisher nicht dabei. Zwei Herausforderungen stellen sich Urwahn dabei: Erstens ist der unkonventionell gestaltete Rahmen schwerer als moderne Rennradrahmen, zweitens ist ein Umwerfer mangels Sitzrohr gar nicht zu montieren. Die Lösung: Bei Schmolke greift man einfach zu den „TLO“-Modellen. Steht für: „The Lightest One“. Das erklärt dann eigentlich auch schon fast alles. Fehlen nämlich nur noch ein paar Tune King / Kong Naben und eine kabellose SRAM Red 1X12 Schaltgruppe, und fertig ist ein Rennrad. Zugegebenermaßen haut ein Gewicht von 9,1 kg niemanden um, es ist gemessen an den verbauten Komponenten sogar richtig hoch. Auch über die Alltagstauglichkeit der Übersetzung lässt sich streiten, ein 50er Blatt ist am Berg sicher eine Herausforderung. Komplettiert wird das Ganze durch SRAM Red Bremsen und Conti Grand Prix 5000 Rennrad-Reifen und, speziell für diese Edition, eine aufwändige Verkupferung, die sich absolut sehen lassen kann.
Modell | Schmolke Edition |
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Preis | 8.499,00 € |
Gewicht (56cm) | 9,1 kg |
Rahmen | Urwahn SP1-FR1 | CrMo Stahl |
Gabel | Urwahn Aero | Carbon | Tapered |
Bremsen | SRAM Force eTap AXS |
Schalthebel | SRAM Force eTap AXS 1x12 |
Schaltwerk | SRAM Force eTap AXS, 36T max Zähne |
Umwerfer | - |
Kurbel / Zähne | SRAM Red AXS Aero 50Z |
Laufradsatz | Tune King / Kong Schmolke SCH9 Clincher 45 mm |
Reifen | Continental Grand Prix 5000 |
Cassette | SRAM Force 1X12 10-28Z |
Innenlager | SRAM DUB |
Kette | SRAM Force, 12 speed |
Sattel | Schmolke TLO 64g |
Sattelstütze | Schmolke TLO 78g |
Lenker | Schmolke TLO 440mm 155g |
Vorbau | Urwahn Aero 90mm |
Der Preis von 8.499 € kann übrigens mindestens als „fair“ bezeichnet werden: Erstens sind die Anbauteile durchweg hochwertig und teuer, zweitens ist der Rahmen in der Produktion sehr aufwändig. Laserstrahlschmelzanlagen sind enorm teuer und in Relation langsam – obendrauf kommen dann auch noch viel Handarbeit für das Entfernen der Stützstrukturen, Löten, Polieren, Polieren, Polieren… und das alles in Deutschland! Die Rohre werden in Düsseldorf beschnitten, der 3D-Druck und eigentliche Rahmenbau findet in Dresden statt. Zertifiziert ist das Bike bei EFBE in Waltrop, und die Endmontage läuft in Magdeburg.
Geometrie: flink wie Fuchs
Die erste kleine Enttäuschung gleich vorne weg: Das Urwahn ist nicht als Maßrahmen erhältlich. Zwar könnte im 3D-Druck eigentlich jeder Rahmen mit anderen Muffen ausgestattet werden, doch die Sache hat zwei kleine Haken: Erstens muss man diese Varianten erst einmal konstruieren oder die Konstruktion automatisieren. Und zweitens müssen die Teile nachverfolgt und unterschiedlich assembliert und gerichtet werden. All das erzeugt einen Aufwand, den Urwahn – zumindest heute – nicht für umsetzbar erachtet.
Die fünf verfügbaren Rahmengrößen sind von XS bis XL benannt, dahinter verstecken sich Sitzrohre zwischen 52 und 58 cm. Die Lenk- und Sitzwinkel betragen über alle Rahmengrößen hinweg 73°, der Radstand landet bei dem von mir gefahrenen M-Rahmen bei 996 mm, ist also ziemlich kompakt.
Rahmengröße | XS | S | M | L | XL |
Reach | 395 | 411 | 427 | 444 | 460 |
Stack | 509 | 524 | 538 | 552 | 567 |
Sitzrohrlänge | 520 | 535 | 550 | 565 | 580 |
Überstandshöhe | 820 | 834 | 849 | 863 | 877 |
Oberrohrlänge | 520 | 540 | 560 | 580 | 600 |
Steuerrohrlänge | 135 | 150 | 165 | 180 | 195 |
Lenkwinkel | 73.0° | 73.0° | 73.0° | 73.0° | 73.0° |
Sitzwinkel | 73.0° | 73.0° | 73.0° | 73.0° | 73.0° |
Tretlagerabsenkung | 45 | 45 | 45 | 45 | 45 |
Tretlagerhöhe | - | - | - | - | - |
Kettenstrebenlänge | 405 | 405 | 405 | 405 | 405 |
Radstand | 956 | 976 | 996 | 1016 | 1036 |
STR-Wert | 1,29 | 1,27 | 1,26 | 1,24 | 1,23 |
Praxis-Test: Urwahn Schmolke Edition
Genug gesprochen, los geht’s. Ich sitze mit 177 cm auf einem Rad in Größe M, das mache ich meistens. Das Urwahn fühlt sich für mich etwas auf der großen Seite an, das vielleicht vorne weg. Einige wenige Worte zu den „Initialimpressionen“:
- Das Bike ist schwerer, als man es erwartet. 9,15 kg zeigt meine Waage, ohne Pedale. Mit den vielen Schmolke TLO-Teilen hätte man was anderes erwartet, „leicht“ ist anders.
- Der Sattel ist speziell, mit 64 g muss er perfekt passen. Das tut er bei mir nicht, also bin ich die meiste Zeit mit einem anderen Sattel gefahren – geschenkt, das ist normal.
- Schon nach den ersten Antritten steht fest: Der Rahmen ist im Tretlagerbereich überhaupt nicht weich, das fehlende Sitzrohr wurde offenbar gut kompensiert. Im Gegenzug ist er aber tatsächlich in den Sitzstreben etwas weicher, hier scheint das Konzept also zu funktionieren!
Bei den folgenden Ausfahrten, konnte ich feststellen: Das Bike fährt sich gut, und wesentlich weniger spektakulär als es aussieht. Ein steifes Steuerrohr sorgt für Präzision beim Lenken, das steife Tretlager für knackige Antritte. Bergauf ist es leider durch die gewählte Übersetzung – ein 50er Kettenblatt gepaart mit einem 28er Ritzel – nicht alltagstauglich. Ehrlich gesagt hätte ich hier wenigstens auf ein etwas kleineres Kettenblatt oder eine größere Kassette gesetzt, so muss man an doch vielen Anstiegen sehr beißen oder kommt sie schlicht nicht hoch. Eine Classified-Nabe wäre sicher ein interessanter Ansatz, um trotz fehlendem Umwerfer mehr Bandbreite zu generieren.
Die Sitzposition ist tatsächlich recht sportlich, sodass in der Ebene und bergab ordentlich Tempo gemacht werden kann. Das Lenkverhalten ist dabei recht wendig, dank der hohen Steifigkeit aber nicht nervös. Insgesamt fährt sich das Urwahn Schmolke Edition so direkt und schnell, dass man nicht meinen sollte, dass hier irgendwann einmal ein Urbanbike die Gene gespendet hat.
Für mich persönlich könnte das Rad etwas laufruhiger sein (Lenkwinkel flacher, Tretlager runter), das Oberrohr vielleicht etwas tiefer – doch so wie der Rahmen ist, maximiert er den visuellen Effekt des fehlenden Sitzrohrs definitiv, und das ist sicher ein wichtiger Punkt für Interessenten des Urwahn. Den Blicken von Passanten nach zu urteilen, schafft es dieses Bike, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wie es nur wenigen Fahrrädern heute noch gelingt.
Haltbarkeit
Auf den zweiten Blick fielen ein Paar Platzer der Beschichtung auf – unser Testrad war zuvor schon in mehreren Redaktionen und hat hier offenbar etwas gelitten. Es gibt sicher robustere Beschichtungen, aber Hand aufs Herz: Wer sich ein Kupfer-Gold-Hochglanz-Fahrrad in den Keller stellt, der denkt nicht viel über Robustheit nach.
Aus dem Bereich des Sattels kam bei Torsionsbelastung häufig ein leichtes Knarzen. Ich kann nicht sagen, ob es der Sattel in der Sattelstütze oder die Sattelstütze im Rahmen war, beim normalen Fahren trat es auch nicht auf, aber wer hier pingelig ist, hätte sich daran gestört. Ansonsten machten die TLO-Komponenten trotz ihres Gewichts einen robusten Eindruck, ich bin mit 68 kg aber auch keine „Belastungsprobe“.
Test-Fazit: Urwahn Schmolke-Edition
Ein Bike, das Blicke auf sich zieht - und bei aller außergewöhnlichen Optik recht gewöhnlich fährt - was in diesem Fall ein Kompliment ist. Es ist schwer, die Geometrie lässt sich trotz 3D-Druck nicht individualisieren, es passt nur ein Flaschenhalter, kein Umwerfer, ... alles richtig. Wer sich in das Urwahn verliebt, wird darüber aber wohl hinweg sehen. Alle anderen dürfen sich auf die Zukunft freuen, denn ich bin mir sicher: Da kommt noch was.
Pro / Contra
Pro
- Design
- Für Made in Germany, Produktionsprozess und Komponenten fair bepreist
- Steif im Antritt und in der Lenkung
- Bequem im Sitzen
Contra
- Schwer
- Keine Individualgeometrie trotz 3D-Druck
- Kein Umwerfer möglich, nur eine Flaschenhalter-Aufnahme
Testablauf
Wer von euch könnte sich in das Urwahn vergucken? Oder ist euch das „von Allem zu viel“?
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