AW: Ab wann gab es die ersten Alurahmen?
Kein Wunder dass es solange dauerte bis Alu Räder sich durchzusetzten.
Ab den 1950er Jahren dürften die höheren Kosten nicht mehr das zentrale Problem gewesen sein, denke ich, denn da wurden viele Alltagsgegenstände aus Aluminium hergestellt, und man war sehr an "Zukunftsmaterialien" interessiert. Hatte nicht das 'Hercules 2000' der späten 1950er Jahre in den frühen Ausführungen einen Aluminium-Druckgußrahmen (der später durch einen Stahl-Blechpreßrahmen ersetzt wurde) ? Ich vermute eher, dass es die negativen Gebrauchseigenschaften des Materials waren, die die Ausbreitung von Aluminiumrädern seinerzeit verhindert haben, die mangelnde Elastizität, die hohe Bruchgefahr und das unkomfortable Fahrgefühl - ich glaube, dass sich so unkomfortable und nicht dauerfeste Rahmen außerhalb des Rennbetriebs nicht durchsetzen konnten, zumal, da für die meisten Radfahrer bis mindestens in die 1980er Jahre das Gewicht eines Rades keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle spielte.
Dass die Kettler Alu Räder keinen besonderen Ruf haben liegt mit Sicherheit auch an der Geringschätzung die man einheimischen Fahrrad-Massenherstellern so generell entgegenbringt. Man will nicht haben was "jeder" fährt, lieber ein exotisches Label. Und wenn die Firma plötzlich weg ist wundern sich alle.
Das kann ich für mich nicht bestätigen - ich bin 1981 ein Mars 'Luxus' gefahren, ab 1983 ein Winora 'Sir', 1986 dann ein Patria-Rennrad, und war absolut happy damit, obwohl es einheimische, nicht besonders teure, nicht seltene und garantiert nicht coole Fahrräder waren. Genau in dieser Zeit berichtete mir der Nachbarsjunge von den Rahmenbrüchen bei seinem Kettler '2600', das war so meine erste "Begegnung" mit Kettler - und Rahmenbrüche waren ja in dieser Zeit bei Kettler keine Ausnahme. Das macht ein Rad nicht gerade begehrenswert, zumal, wenn es dann sogar relativ teuer ist...
Dazu kam, dass ich die Kettler-Räder von Anfang an auffallend häßlich fand, vor allem dieses '2600' mit den schräg abfallenden und geknickten doppelten Oberrohren, und wegen der erforderlichen dicken Rohrquerschnitte auch sehr plump (Sattelstützendurchmesser 31 mm - damals noch eine "Kettler-Spezialiät"). Auch die späteren Modelle waren in dieser Hinsicht nicht besser, im Gegenteil: Das Modell "Antje" war geradezu eine Verhöhnung des klassischen eleganten Hollandrades. Dazu kam dann die unästhetische Verarbeitung: plattgedrückte Rohrenden, mit fingerbreiten Nähten verschweißt - bah, wie häßlich!
Und letztlich hatten die Kettlers nicht ganz zu Unrecht immer so ein "Spießer-Image" - vorwiegend wurden ja die Dreigang-Ausführungen gekauft, und zwar wirklich auffallend oft von Leuten, die sich "mal richtig was gönnen wollten", ein deutsches Markenprodukt (bzw. zwei, denn man kaufte natürlich "Pärchen"
) - und dann nur mal im Sommer am Wochenende 20 Kilometer damit fuhren, ansonsten standen die Räder meisten hinten in der Doppelgarage des Vorstadt-Einfamilienhauses, neben der Kettler-Tischtennisplatte ... Einen ernsthaften und regelmäßigen Gebrauch unter Alltagsbedingungen haben zumindest die frühen Exemplare meist auch gar nicht gut vertragen, siehe Kapitel Rahmenbrüche. Und beim Ganzjahresgebrauch zeigte sich dann meistens schnell, dass es mit der von der Werbung hervorgehobenen Korrosionsfestigkeit auch nicht weit her war - die Geräte gammelten recht fröhlich, und an den Gabelköpfen rostete die Pulverbeschichtung großflächig weg.
Relativ brauchbar scheinen nur die Kettler-MTBs der frühen 1990er Jahre gewesen zu sein, da hatte man dann wohl inzwischen die Bruchprobleme in den Griff bekommen. Aber besonders cool waren sie auch nicht, im Vergleich zu den amerikanischen Vorbildern.
Also, es gab schon gewichtige Gründe, in den 1980er Jahren Kettler-Räder nicht zu mögen und nicht zu kaufen ...