Ich bin sicher, irgendwann in nächster Zeit einen Bericht über einen abgeschlossenen 600er von dir zu lesen.
Das wäre dann heute soweit. Mein erster 600 ist im Kasten. Die ACP-Nummer fehlt zwar noch, aber da ist in Frankreich irgendetwas schief gelaufen, nicht bei der Fahrt (der Veranstalter hat bereits Nachforschungen angestellt).
Ich fahre nach Irland: Ich habe festgestellt, das ein Flug nach Irland netto auch nicht viel mehr kostet als eine Autofahrt ins belgisch-maastrichter-niederrheinische 3-Ländereck brutto. Also fix gebucht und dem schlechten Gewissen die Kosten für den Radtransport geflissentlich verschwiegen.
Ich komme Donnerstag am späten Abend in Dublin an, die Abfahrt ist aber erst am Samstag. Also wäre die normale Möglichkeit sich ein Hotel, B&B oder Hostel zu nehmen. Nicht der Randonneur, der will seinen Schlafsack und die neue Isomatte legitimiert wissen und draußen schlafen. Das ist in Irland gar nicht so einfach, denn der Ire baut Mauern, Zäune, Hecken oder eine Kombination daraus. Jede Pups-Baustelle ist hermetisch abgeriegelt, jedes verlassene Haus (und davon gibt es viele) mit Brettern vernagelt, es gibt keine Bushäuschen, keine Tische und Bänke und auch die Parks werden nachts tatsächlich abgeschlossen. Auf dem Land stellt sich das auch nicht besser dar, da mag es aber im Tageslicht neben den Hauptstraßen vielleicht doch noch mehr Gelegenheiten geben; am Strand der Irischen See z.B.
Wenn aber um den Strand ein Zaun wäre den nachts jemand zusperrt, es würde mich nicht wundern.
Es ist noch immer donnerstags, nach diversen Erkundungskilometern verschlägt es mich in die Kirche direkt neben dem Startort, dort ist ein Streiflein Wiese zwischen Glockenturm und Mauer durch einen Baum geschützt... aber ab 1:00 Uhr regnet es. Also unters Vordach des Turmes... die Augen der Gläubigen Omas und Opas lassen Gedanken wie "Räuber", "Plünderer" und "etwas noch viel schlimmeres" erahnen. Also sattle ich die Hühner, denn der Regen hat zum Glück aufgehört und erkunde die etwas weitere Umgebung (siehe Strand).
Die nächste Nacht schlafe ich beim Organisator im Haus, denn der Start ist um 6:00 Uhr und ich will nicht in ein Hostel gehen um dort zu verschlafen. Aeidan (?) hat Platz für mich und meinen Plunder, das Wasser der Dusche kocht und morgens zum Frühstück gibt es Porridge mit Honig und Rosinen. Genial, das zeug hält ewig in den Muskeln!
Gefahren wird mit ca. 20 Mann im Uhrzeigersinn (
Karte), recht flott, bis zur ersten Kontrolle bleiben wir zusammen, es wird viel geschwätzt - wenn ich denn verstehe was die Herren (keine Dame) meinen - denn das "Englisch" ist, um es mal ganz vorsichtig zu formulieren, "urwüchsig". "Englisch" ist es auf jeden Fall keins!.
Irgendwann regnet es - und hört nicht mehr auf. Das ist gar nicht so schlimm, denn der irische Regen ist irgendwie angenehmer und leichter zu ertragen. Trotzdem sind nachher alle meine Wechselklamotten und meine Brevetkarte durchgeweicht.
Die Landschaft ist toll, grüner als franko-deutsches und Benelux-Grün. Aber irgendwann hat man dann halt doch auch irgendwie alles gesehen. Tolle Häuser, Traktoren, Regen, Grün, Irland. Abwechslungen bieten kleinere Sporthäfen oder Ortschaften, dabei macht mir der Linksverkehr überhaupt keine Mühe. Links abbiegen geht klasse, Verkehrszeichen und Ampeln sind generell nur Richtlinien für Autos, für Radfahrer gelten sie nur wenn der Papst konvertiert.
Mein/unser Grüppchen isst irgendwann zu Mittag. Auswärts Essen ist wohl die Hauptnahrungsquelle der Iren, ich habe tatsächlich ein Werbeplakat gesehen auf dem sinngemäß stand das selbst zubereitetes Essen gar nicht so gut sein kann wie vorgefertigtes. Das was der Ire "Mittagessen" nennt ginge hier aber wohl nur als "Flugzeug-Baguette" durch. Gut für Randonneure: da ist überall eine Unmenge an Zucker drin und der hält auf Trab und enthält genug Salz um ebendiesen Zucker zu kaschieren.
Auch das Abendessen, also die "eigentliche" Mahlzeit besteht eher aus Lieferservice als aus Holzlöffelschwingen. Kein Wunder, dass die Iren beim Übergewicht ganz vorne mit dabei sind.
Zurück zum Brevet. Iren kennen anscheinend keine Stempel. Zumindest nicht flächendeckend, insofern kauft man irgendwo eine Kleinigkeit (Tankstelle, Mini-Supermarkt die in größeren Örtchen auch schon mal bis nachts geöffnet haben oder eben halt beim Pizza-, China- oder Fritten-Laden) und sammelt die Kassenzettel im Zip-Loc-Beutel. So geht das landauf, landab bis wir nach Einbruch der Dunkelheit in Carrick on Shannnon landen. Dort gibts Pizza-Pommes-Hühnerteile für alle die da sind - mir fällt die Pizza auf den Boden... - und nachdem wir tropfend den kompletten Laden unter Wasser gesetzt haben (draußen regnet es ja immer noch) machen wir uns in Splittergruppen wieder auf in die tiefe Nacht hinein.
Ich fahre ein paar Kilometer mit einem älteren Herren der wirklich wirklich wiiiiirklich lang.s.a.m. f.ä.h.r.t. Dabei kommt mir die Idee abzuhauen, aber das macht mein Kopf nicht mit. Ich überlege mich ihm anzupassen, dafür liege ich aber mMn. zu gut im Schnitt um mir den mit "im Regen trödeln" zu versauen. Die Nacht einfach so durchzufahren (also "normal" schnell) ist auch eine Option, aber ich bin zu faul. Die nächste Kirche ist also mir und ich schlafe vor der Tür im Windfang bis die Sonne mich nach etwas mehr als 4h durch derbes ins-Gesicht-scheinen weckt. Das müsste so bei Kilometer 350 gewesen sein, kurz darauf, das Wetter ist wieder gnädig, treffe ich einige andere Schläfer. Diese haben in B&Bs geschlafen, z.T. für unter €20,- incl. Frühstück und Lunchpaket. Hätte ich das mal... nein, so denke ich nicht.
Später hole ich einen Fahrer sein der eine gute anderthalbe Stunde damit vertan hat jemanden zu finden der ihm seine gebrochene Sattelstütze flickt (es ist ja Sonnatg). Der hatte echt Glück im Unglück, ein Bauer hatte tatsächlich eine komplette Werkstatt da und "eben mal" geschweißt, was nach einem Selbstversuch mit einem Stück Holz nicht hielt.
Jetzt mit dem geflickten
Sattel ist der Kamerad sauschnell und ich hab echt Mühe an ihm dran zu bleiben - was mir aber bis ins Ziel gelingt.
Nach 590km Land stehen noch 10km Industriegebiet an die uns gnadenlos auf den Boden dubliner Tatsachen zurückholen. Nach 37h 15min stehen wir wieder am Startort und mein erster 600er ist im Kasten. Sehr sehr geil!
Meine Quali für PBP hab ich also im Kasten und mein bisher längstes Brevet (theoretisch) homologiert (ich warte noch auf die Nummer).
Nach einer weiteren Nacht beim Organisator fahre ich dann noch mit dem Bus für zwei Nächte in den Nord-Westen in ein Hostel, in dem ich vor 10 Jahren schon mal war, um dort auf Slieve League herumzukraxeln. Zurück gehts dann noch ca. 40km an der Atlantikküste entlang nach Donegal, um von dort wieder den Bus nach Dublin zu nehmen.
Wenn die Jungs von Audax Ireland 2016 wieder einen 1200er anbieten... ich würde mitfahren wollen.
NACHTRAG: Kleinere Verbesserungen und
10h zur Gesamtzeit hinzugerechnet...