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Pyrenäen 2014

Sonntag, 15. Juni 2014: Les (Espagna) - Seix (France) (90 km, 2.300 hm; morgens düster bewölkt, später freundlicher, kühl)
Die Straße ist noch nass vom nächtlichen Regen, dunkle Wolken hängen tief im Tal, der Verkehr auf der Nationalstraße nervt und ich frier bei 15 ° einen ab. Als es noch anfängt zu regnen, wird meine Laune auch nicht besser. Als ich in St-Béat Richtung Col de Menté (1.349 m) abbiege, sieht es schon etwas freundlicher aus. Größere blaue Wolkenlöcher lassen die vielen Wolken nicht mehr ganz so unfreundlich erscheinen. In der Sonne ist es auch warm, ohne aber empfindlich kalt, vor allem in den Abfahrten.

Die Passstraße geht zügig bergauf, wieder runter, am Denkmal für Fabio Casartelli, der hier 1995 verunglückte, vorbei wieder hoch auf den Col de Portet d'Aspet (1.069 m) und runter durch die einsame schöne Landschaft. Vor dem nächsten Anstieg brauch ich was im Magen. In Portet d'Aspet finde ich zum Glück ein kleines Restaurant. Ich werde nicht gefragt, was ich essen will und bekomme Rotwein, Wasser und Brot, Melone mit Schinken, Hähnchen mit Kartoffeln, Käse, Apfelkuchen und Kaffee serviert. 15 € zusammen. Die Familie isst zu siebt am Nebentisch. Der Col de la Core zieht sich ganz schön hin. Liegt das am Rotwein? Oben treffe ich drei Schweizer, die auch mit Rennrädern unterwegs sind. In Seix bekomme ich ein sehr schönes und geräumiges Zimmer in der Auberge du Haut Salat (47 €). Salat, so heißt der Fluss.
 
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War das am Berg La Rhune, etwas westlich von Sare? Da stand plötzlich ein alter Waggon in den Bergen. Schienen einer Zahnrradbahn gabs auch. Bergbaugegend, wenn ich das richtig erkannt habe. Mitfahren wäre natürlich ne super Sache, aber totaaaaler Stilbruch, geht gar nicht, schnüff.

Jawoll, diesen Zug meinte ich. Weiterhin bonne route !
 
Montag, 16. Juni 2014: Seix - Tarascon sur Ariège (65 km, 1.700 hm; erst sonnig, dann bedeckt, kühl)
Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel in mein schönes Zimmer. Meine Beine wollen gerne hier bleiben. Mein Kopf sagt, okay, kein Stress, es fühlt sich gut an hier, und ich hatte auch schon lange keinen Ruhetag mehr. Leider habe ich meine Entscheidung ohne den Wirt gemacht. Es ist kein Zimmer frei. Echt Pech.
Na gut, fahr ich halt los. Wetter passt und ich kann auch in den Anstiegen meinen Puls unter 120 halten.
Das Tal zum Col de Latrape (1.110 m) ist traumhaft ruhig und schön. Am Wegesrand wachsen hier viele Knautien und Flockenblumen. Vielleicht hilft mir das später, diese vielen schönen Täler zu unterscheiden. Der Himmel zieht langsam dicht, kühl, aber nicht regenbedrohlich.

In Aulus-les-Bains schreib ich Ansichtskarten an befreundete Geburtstagskinder, esse Brot, Käse und Obst, bevor es auf den Col d'Agnes (1.570 m) geht. Gut 800 Höhenmeter bis in alpine, sprich baumfreie Regionen. Scheint hier nette Wanderungen zu Bergseen zu geben.


Schneebefleckte Berggipfel. Auf der Passhöhe treffe ich einen Radler. Am Col de Lers (1.517 m) sind sie am Buddeln, erzählt er, der Pass sei gesperrt, er aber durchgekommen.
Die Überfahrt zum nächsten Pass ist nur ne kleine Delle von 200 Höhenmetern, vorbei an einem düsteren See, in dem sich die dunklen Wolken spiegeln. Hinauf auf den Pass ist nur ne kleine Truppe am werkeln, die mich freundlich durchwinkt. Die Passhöhe ist flach, Kühe dösen, die Sonne kommt gerade mal durch.

Mit zwei saarländischen Motorradpärchen hab ich nen netten Plausch, bevor es runter geht nach Tarascon, vorbei an vielen Baustellen mit auch größerem Gerät. Der Ort ist irgendwie total normal, ein kleiner alter Turm auf einem Hügel, alte und normale Häuser. Ein Bioladen! Der Verkäufer ist leider etwas weltfremd, weiß nicht, wo es eine Bäcker gibt im Ort. Is eh egal, die hamm heute - lundi - alle zu. Ich nehm ein Zimmer mit Blick auf die Ariège und witzigem Wirt (50 €).
 
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Dienstag, 17. Juni 2014: Tarascon sur Ariège - Mijanes (75 km, 2.300 hm; bewölkt, Regen, kalt)
Viele Wolken hängen am Himmel. Wenige Sonnenflecken machen mir Hoffnung. Frisch ist es auch. Egal, es geht bergauf, nachdem ich kurz unterhalb von Tarascon bei Bompas von der Nationalstraße im Tal der Ariège in ein Seitental abgebogen bin, Richtung Route de Corniches. Nach einem kleinen Anstieg von 300 Höhenmetern führt die Straße angenehm rauf- und runterschaukelnd nahezu höhengleich weit über dem Ariègetal und seiner bis hier oben hörbaren Nationalstraße.

Im Anstieg überholen mich eine Handvoll ehrgeizige Rennradler. Den Rest der Ruote de Corniche bin ich fast alleine. Leider kommt auch keine Boulangerie, Bar oder Alimentation für ein zweites Frühstück. So muss mich meine letzte Banane über die Runden retten. Irgendwann fahr ich unter einer Seilbahn durch, die, wie ich später auf Infotafeln lese, Talkum aus einem Steinbruch in den Bergen zu einer Fabrik im Tal befördert.
Die Straße schwenkt bei Bestiac in einen weiten Talkessel, wechselt die Talseite und steigt gemächlich, bald durch Wald bis zum Col de Marmare (1.361 m) und kurz darauf zum Col de Chioula (1.461 m) hinauf. Eine flotte Abfahrt führt mich nach Ascou auf 1.000 m runter. Auch hier finde ich nichts zu futtern und hab schon ein großes Loch im Bauch. Damit zum Port de Pailhères hoch? Ein Restaurant neben einem Campingplatz rettet mich. Eine Tafel verkündet, dass hier auch englisch, spanisch, italienisch und deutsch gesprochen wird. Der freundlich lächelnde Typ, versteht aber irgendwie jarnüscht. Ich bestell ein Escalope. Schnitzel, sagt er. Ein Glas Wein bekomme ich nur mithilfe der Chefin.
Mit vollem Bauch geht es hinauf. Abgesehen von der hässlichen, aber nicht allzugroßen Skistation und den zugehörigen, in den Wald gepflügten Pisten, ist das Tal sehr schön. Im unteren Teil verläuft die Straße direkt neben einem munteren Gebirgsbach.
Der erste kurze Schauer ereilt mich bei der Skistation und motiviert mich, mein Gepäck regendicht zu machen. Beim zweiten muss dann auch die Regenjacke her. Auf dem Pass regnet es zwar nicht mehr, es ist aber windig und schweinekalt. Wolken in den Bergen und irgendwo in der Ferne Sonne - sieht toll aus, ich will aber doch lieber schnell ins warme. Das Sträßchen ist anrührend schmal und kurvig verlegt. Vor rund zehn Jahren bin ich hier schon mal hoch und finde wieder, es ist eine der schönsten Passauffahrten.

In Mijanès nehme ich das erste und einzige Hotel, das seine besten Tage schon gesehen hat. Ein altes Haus, eigentlich ganz hübsch, aber leider mit einer Instant-Plastik-Duschkabine verhunzt (45 €).

Mittwoch, 18. Juni 2014: Mijanès - Cubières-sur-Cinobles (110 km, 2.200 hm; heiter, warm)
Der Tag fängt wieder mit vielen Wolken an. Ich freu mich über jeden wärmenden Sonnenstrahl, der seinen Weg zu mir findet. Im Aude-Tal ist es sehr frisch.

Mächtige Gebäude aus ehemaligen Glanzzeiten säumen die Straße in der engen Schlucht. Mein Weg führt mich bald hinauf über den Col des Moulis (1.099 m) und den Col de Garavel (1.256 m) zum Col du Jau (1.506 m). In der Abfahrt ist mir immer noch kalt, bis sich bei Mosset alles ändert. Die Luft ist warm, die Vegetation trocken, auf einem Feld wächst Lavendel, die Häuser sind nicht mehr schiefergedeckt, sondern mit gebrannten Tonziegeln.

Durch schöne Orte und eine tiefe Schlucht geht es immer weiter runter, bis ich kurz vor Prades abbiege und durch von Cistrosen beherrschte Vegetation wieder rauffahre zum Col de Roque Jalère (991 m).

Jetzt geht es überwiegend bergab bis Saint Paul de Fenouillet am Eingang zur Gorge de Galamus. Ich weiß noch nicht, was ich tun soll und trinke auf dem belebten Platz einen Kaffee und esse ein Eis. Ich hab immer noch keinen Impuls, ein schönes Hotel hab ich nicht gesehen, also trink ich noch einen Ricard. Das hilft meiner Entscheidungsfreude auf die Sprünge, ich kauf zwei Bananen und setze mich wieder aufs Rad. Bis zur Gorge ist es nicht weit. Sie ist sehr tief und steil und schmal eingeschnitten, die Straße abenteuerlich. Am oberen Ende der Schlucht ist die Luft aber raus aus mir und ich nehme mir ein Privatzimmer (32 €).
 
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Donnerstag, 19. Juni 2014: Cubières-sur-Cinobles - Brassac (165 km, 2.500 hm; sonnig und sehr warm)
Keine Wolke am tiefblauen Himmel den ganzen Tag, von ein paar Bilderbuchquellwolken am Nachmittag abgesehen radle ich heute durch den südfranzösischen Spätfrühling. Hinter Soulatge geht es hoch zum Col de Redoulade (759 m) durch Steineichenwälder, an trockenen Weiden, blühenden Ginsterhängen und vielen kleinen blühenden Schönheiten vorbei. Nach dem Pass geht es, abgesehen von einer kurzen Gegensteigung bei Auriac und einer der vielen Katharerburgen nur noch bergab bis Lagrasse.

Dort kauf ich ein, gönne mir ein Formule du Midi, heb Geld ab. Der Ort ist eine ausgesprochene Perle, enge Gassen, alles picobello restauriert, Künstlerateliers, auch junge Leute auf den Straßen, gemäßigter Tourirummel.

Ich spüre deutlich die Zäsur in meiner Tour. Pyrenäen ist hier endgültig vorbei. Auf eine Gewalttour, 2.000 km in 10 Tagen, hab ich null Bock. Von diesem ursprünglichen Plan Abschied zu nehmen, dauert aber auch seine Zeit. So beschließe ich, erstmal gemütlich und genussvoll weiterzuradeln, mal schauen, wo ich bleibe.
Die Landschaft gefällt mir sehr gut, ist schön bunt. Viele Weingüter. Nach dem kleinen La Fer de Cheval (315 m) öffnet sich die weite Ebene, durch die auch der Canal du Midi führt.

Ich quere eine Autobahn und Bahnstrecke. Soviel Zivilisation muss wohl sein. Langsam steigt die Landschaft wieder an und geht in die Montagne Noire über. Ich fahr durch eine kleine Schlucht - Gorge de la Clamoux - und plötzlich macht das Radeln wieder mehr Spaß. Pic de Nore (1.211 m), wo bist du? Er war schon von weitem an seinem Funkmast zu erkennen. Quasi Mont Ventoux für Arme oder auch Brocken für Südfranzosen. Nach 10 km Anstieg ist meine Euphorie verpufft. Zieht sich ganz schön, der Bursche. Oben irre Aussicht. Die Hauptkette der Pyrenäen verschwindet aber im Dunst.

Die Abfahrt nach Mazamet ist anstrengend, schmale Straße, schlechter Belag. Mazamet gefällt mir gar nicht. So bleibt mir nichts anderes übrig, als nochmal 30 km und 500 Höhenmeter hinzulegen. Ich kann zwar nicht mehr, lass es also ruhig angehen und versuche, den Mittsommerabend zu genießen. Alle anderen machen das bestimmt auch, nur nicht auf der Straße, denn die habe ich ganz für mich alleine.
Um halb neun bin ich in Brassac. Es gibt zwei Hotels. Ich entscheide mich fürs Hotel de Paris (45 €). Die nette Wirtin hat mit einer größeren Gesellschaft alle Hände voll zu tun, so dass ich warten muss, ne halbe Stunde. Ich bin froh, eine Bleibe zu haben und trinke zwei Bier.

Freitag, 20. Juni 2014: Brassac - St-Rome sur Tarn (120 km, 1.500 hm; sonnig und heiß)
Bis ins Tarntal geht es beständig rauf und runter, erst durch bewaldete Hügel, dann nehmen Wiesen, Getreidefelder und Brachflächen zu. Auch ein paar Sonnenblumenfelder sind dabei.

Endlich im Tarntal bekomme ich Hunger und bestelle mir in einem gut besuchten Restaurant in Trébas ein Formule du Midi.

Die Strecke führt zunächst auf einer ehemaligen Bahnstrecke durchs Tal, immer mal wieder durch einen Tunnel, alle sehr schmal und unbeleuchtet. 300 m geht noch ohne Licht. Dann kommt der zu lange, beampelte, für den ich eine kleine Lampe dabei habe. Auch mit ihr ist es ziemlich duster und ich bin froh, als der Lichtschein am Ende näher rückt. Ein Stück weiter heißt es Route barrée. Das wollen wir doch erstmal sehen, liebe Franzosen. Ich will auf der Bahntrasse bleiben und ignoriere, dass mein GPS sagt, ich soll die andere Straße nehmen. Der Grund der Sperrung ist ein Tunnel, der gerade inspiziert wird. Die beiden Inspekteure lassen mich mit meiner Funzel aber anstandslos durch.
Ich komme auf ne Haupstraße und denke, klar doch, links rum geht es zurück zu meiner Strecke. Nach nem Kilometer kommen Zweifel auf. Ich dreh um. Wieder kein gutes Gefühl. Okay, die Karte muss her. Ich hab keine Papierkarte mehr, sondern Screenshots von Viamichelin auf meinem Tablett. Etwas komplizierter, aber es geht. Die ursprüngliche Richtung war richtig.
Die Bahntrasse ist jetzt perdu. Dafür hat EDF mit vielen kleinen, aneinandergereihten Stauseen die Regie übernommen. Die Straße führt jetzt lästig und oft steil auf und ab. Ich hab den Verdacht, das liegt an den Stauseen, denn die traditionelle Wegführung war sicher effizienter.
Badestellen sind rar. Genauer gesagt es gibt keine. Die Hitze drückt von oben, leere Wasserflaschen sind besonders schwer, der Magen ein Loch, die Beine dick. Kein Ziel, keine Erlösung in Sicht. Da kommt sie, wie gerufen, die kleine Badebucht. Ein junges Pärchen spielt Boule, ein Frau spielt mit ihrem Hund, ein älterer Herr kühlt seinen Bauch im Wasser. Zu dem geselle ich, auch nicht mehr der jüngste, mich.
Danach gönne ich mir Kaffee, ein Eis und Wasser in der kleinen Strandbar. Das Pärchen ist auch da, wir kommen ins Gespräch. Er, Vincent, kommt aus dem nahen St-Rome, sie, Elisa, ist Japanerin mit amerikanischer Mutter. Er gibt mir eine Drink aus. Sehr nett. Wir spielen Karten, erst ein Anlegespiel, dann Memory. Er empfiehlt mir die Auberge (50 €) in St-Rome de Tarn und bietet mir eine Stadtführung an. Um acht treffen wir uns. Der Ort hat eine lange Geschichte in den Religionskriegen. Früher gabes Weinbau. Daher rühren die sehr tiefen Keller und verfallenden Terrassen in der Umgebung. Ein Bach fließt durch den Ort, der sehr schöne Gärten unterhalb des Ortes bewässert und in einem hübschen Wasserfall in die Tarn stürzt.
 
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Samstag, 21. Juni 2014: St-Rome de Tarn - Les Laubies (140 km, 2.000 hm; sonnig und sehr warm)
Les Laubies in der Margeride ist heute mein Ziel. 140 km, etwas weit, zumal mir die ersten Tritte schwer fallen, es heiß wird und ein paar Anstiege am Nachmittag drohen. Aber ich will da sehr gerne hin, denn ich bin dort vor zehn Jahren schon mal sehr herzlich aufgenommen worden.

Es geht auch erstmal relativ flach durchs Tarntal und ich finde bald meinen Tritt. Die Beine wissen mittlerweile von alleine, was sie tun müssen und solange ich sie nicht überfordere, tun sie das auch anstandslos. So komme ich zum, auch für Autohasser, beeindruckenden Viaduct von Millau. Der verbindende Aspekt des Brückenbauwerks überwiegt. Der höchste Pfeiler ist 343 m hoch, nicht schlecht.
In Millau kauf ich mir leckere Törtchen (framboise et myrtilles) und quere auf die andere Talseite. Durch Kirschplantagen führt die verkehrsarme Straße und unter den ersten steilen Felswänden, die erahnen lassen, was noch kommt. Ich will Kirschen kaufen, bekomme in dem Lädchen aber keine, nehme stattdessen eine Honigmelone, die ich am Flussufer verspeise. Sie ist supersüß und saftig, meine Hände dementsprechend klebrig, ich nehme ein Bad in der knapp hüfttiefen Tarn zwischen Unmengen kleiner Fische und blühenden Wasserhahnenfüßen.
Dann passiert es. Ich sitze wieder auf dem Rad, fahr langsam die Holperpiste zurück zur Straße. Hat sich da doch tatsächlich ein trockener Grashalm an meiner Vorderradnabe verfangen. Ich will ihn ganz locker mit der rechten Hand entfernen, fahr unachtsam einen kleinen Schlenker und meine Hand landet in den Speichen und ich übern Lenker im Staub. Ich lerne: Messerspeichen schneiden Luft gut, Haut auch noch, alles andere aber schlecht, zum Glück! Auf der anderen Seite hat es den Ellenbogen erwischt, etwas aufgeschürft. Schlimm: meine Schaltung ist vorne und hinten verstellt, echt nervig, keine Ahnung, wie das passieren konnte.

Der beeindruckendste Teil der Tarnschlucht kommt. Die trotz Samstag erstaunlich leere Straße führt teilweise unter überhängenden, hohen Felswänden entlang, in denen sich Kletterer tummeln. Im Fluss lassen sich frohgelaunte Kanuten treiben. Auf der anderen Talseite liegen kleine, traumhafte Siedlungen, zu denen Seilbahnen führen.

In Ste-Enimie verlasse ich das Tal, nachdem ich mir ein großes Eis einverleibt und das hier massive Touritreiben eine Weile beobachtet habe. In der größten Nachmittagshitze geht es in der prallen Sonne über 500 m bergauf. Mein schöner Tritt vom Morgen hat sich verkrümelt. Ich fühle mich eher wie der Cowboy, der sich auf seinem halbverdursteten Klepper durch die heiße Prärie schleppt und alle seine physische und mentale Energie in die Aufgabe steckt, nicht vom Gaul zu fallen. Im Gegensatz zu ihm hab ich in meinen Feldflaschen noch Wasser, das zu Trinken aber auch keinen Spaß macht. Und meine Aufgabe besteht darin, mit nicht vorhandener Kraft abwechselnd den rechten und linken Steigbügel nach unten zu drücken. Und bloß nicht die Zügel loslassen, sonst lande ich wieder im Wüstenstaub und komme nie wieder hoch.
Irgendwann komme ich tatsächlich auf der Hochfläche an und kann in einem toten Miniort meine Flaschen nachfüllen. Die Vegetation ist karg hier oben.
In Chanac im Lottal biege ich mal wieder auf eines meiner Ministräßchen ab und bin froh, vor der Reise im Internet recherchiert zu haben und mich von einem GPS-Gerät leiten zu lassen. Ich muss bald auf die Nationalstraße nach Mende. Ist aber nicht viel los. Bei Barjac biege ich ab auf die letzte Bergprüfung des Tages. Ich kann und will irgendwie nicht mehr. Bis Les Laubies sind es noch 30 km und einige 100 Höhenmeter. Hat nicht gerade Christoph Strasser das Race across Amerika gewonnen? Knapp 5.000 km in unter acht Tagen, keine sechs Stunden geschlafen? Das motiviert mich auch etwas, einfach nur weiterzufahren, egal wie, mein Ziel vor Augen. An einem Brunnen esse ich meine letzten Käse- und Brotvorräte. Es sind noch einige Wellen durch einsame Landschaft, viel Wald, ein See, auch Weiden.
Kurz vor Les Laubies kommt die Angst, was wenn ich keine Unterkunft bekomme. Das Haus sieht verlassen aus, aber ein Auto steht davor. Ich klingle an der verschlossenen Tür. Von oben ruft es 'j'arrive' und die sehr freundliche Wirtin öffnet mir, gibt mir ein Zimmer, fragt mich, was ich essen will. Hach, angekommen und ich fühle mich sehr wohl. Hier bleibe ich zwei Nächte, darin bestärkt sie mich. Langsam kommt auch ihre Erinnerung und wir sind nur uneins, wie lange das genau her ist. Sie erinnert sich dann, dass sie mir damals Waschutensilien hinterhergefahren hat, die ich in der Dusche vergessen hatte.

Sonntag, 22. Juni 2014: Les Laubies, Mende (0 km, 0 hm; sonnig und heiß)
An wen erinnert mich Nadja? Wir haben uns namentlich bekannt gemacht. Ist ne Mischung aus einer meiner netten Tanten und Tina Turner. Sie ist sehr unkompliziert und stört sich nicht im geringsten daran, dass ich nur die Hälfte von dem verstehe, was sie sagt. So lerne ich viel und es wird immer weniger anstrengend für mich, französisch zu sprechen und zu radebrechen.
Sie bietet mir an, mir ein trés jolie vallée zu zeigen. Es ist ein wirklich sehr hübsches kleines Bachtal, bunte Blumen am Ufer, Kühe auf der Weide, eine kleine Cascade, zwei ehemalige Mühlen. An einer macht sie einen kleinen Hund los, der uns überglücklich begleitet. Am Wegrand liegen riesige, runde Felsen übereinandergetürmt. Ursache ist wohl ein Tsunami in uralten Vorzeiten.

Danach fahren wir noch nach Mende, der nächsten größeren Stadt. Sie zeigt mir die alte Brücke und die Kathedrale, beide leider völlig glatt überrestauriert und die engen Gassen der Altstadt. Danach fahren wir noch hoch zum Aerodrôme. Der Anstieg heißt Montée Jalabert, denn der Liebling der Franzosen gewann hier in 1995 eine Touretappe. Wir fahren über den langen Berg, vorbei an vielen Picknickplätzen bis zum letzten Parkplatz, dort gehen wir ein gutes Stück zu Fuß runter bis zu einem Tor. Sie öffnet es und wir stehen im Innenhof eines ehemaligen kleinen Klosters. Von einer Terrasse hat man einen tollen Blick über die Stadt. Ein schmaler Pfad mit 14 Leidensstationen Christi führt herauf. Wohl kaum jemand kennt ihren Lieblingsplatz, sagt Nadja.
Wir fahren zurück, sie kocht etwas, wir essen gemeinsam und kommen auf immer spannendere und persönliche Themen: Familiengeschichte, Zweiter Weltkrieg, Neinsagen, den Wahlerfolg der Front National. Hier im Ort sieht es wohl ganz duster aus. Da kommt Patrice an, von dem sie schon erzählt hat, vor allem, wie dick er ist, wie viel er essen kann und wie schnell er außer Puste kommt. Wie ich feststelle, lacht er außerdem sehr gerne. Als er hört, dass ich mit dem Rad unterwegs bin, schüttet er sich erstmal aus. Dann erzählt er, dass er in Deutschland Englisch gelernt hat. Wieder ein Lachanfall. Unwiderstehlicher Knabe! Da ich dem Gespräch der beiden sowieso nicht immer folgen kann, überprüfe ich ihn. Und er schafft es tatsächlich, auch mal einen Satz zu Ende zu sprechen, ohne in schallendes Gelächter auszubrechen.
 
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Mal wieder echt super! Ich sitz hier beim Frühstück und habe dabei Urlaub in Frankreich:daumen:

Den Griff in die Messerspeichen stelle ich mir allerdings extrem eklig vor. Ich hätte beefürchtet, da wären die Finger ab:eek:
 
Hey danke, nette Rückmeldung. Bei dem Speichengriff war ich zum Glück sehr langsam, daher nur etwas Haut ab. Seither hab ich keine größeren Dummheiten gemacht.
 
Montag, 23. Juni 2014: Les Laubies - Aurec sur Loire (155 km, xy hm; erst bewölkt, dann sonnig und warm)
Meine Fresse, hab ich heute abend gut gegessen! Bis Aurec im Loire-Tal hab ich es geschafft, am Schluss so ziemlich auf dem Zahnfleisch. Der Ort ist verschnarcht, kein Hotel, also fahr ich wieder zurück zum Ortseingang. Dort steht das Hôtel Les Cèdres bleues. Der Zimmerpreis ist normal (48 €), die Menüs fangen bei 29 € an. Ich nehme das günstigste, das aus regionalen Spezialitäten besteht. Es ist super lecker und sieht absolut geil aus, wenn ich das so sagen darf. Im nachhinein denke ich, absolut geschenkt, so viel leckere Zutaten und Kreativität steckt darin. Ich hab auch eine 3/8-Liter-Flasche Wein für 24 € intus.
Der Morgen begann mit dem etwas traurigen Abschied von Les Laubies, Nadja und Patrice, aber auch dem Gefühl, hier einen besonderen Ort mit besonderen Menschen gefunden zu haben. Es ist bedeckt und etwas kühl, passend für den Anstieg zum Col des trois Soeur (1.470 m). Gleichmäßig steigt die Straße durchs Truyère-Tal an. Die vielen bunten Blumen bedrängen den Asphalt.

Hinter Grandrieu geht es flott ins Allier-Tal runter. Ich bin jetzt im Department de la Haute Loire. Nochmal muss ich auf 1.200 m rauf, dann hab ich einen Blick in die weite Landschaft des Velay mit vielen alten Vulkanen und bin kurz darauf im Loiretal. Zwei kleine Schlösschen unterstreichen das. Das Tal ist nicht so spektakulär, harmonisch schlängelt es sich durch die Landschaft, leider mit einer für meine Verhältnisse recht stark befahrenen Straße bis Aurec.
 
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Dienstag, 24. Juni 2014: Aurec-sur-Loire - Mably (115 km, 900 hm; vormittags Regen und frisch, abends sonnig und warm)
"Attention, un petit singe!" ruft mir ein junges Pärchen aus einem überholenden Auto lachend zu. Ich winke ihnen hinterher. Selten, aber immer wieder werde ich auf meinen kleinen Begleiter, der aus dem Rucksack lugt, angesprochen.
Morgens schau ich aus dem Fenster, es pieselt. Auch noch nach dem Frühstück. Die Straße ist nass. Komischerweise hebt das meine Laune. Vielleicht, weil es typisches Bremer Wetter ist, vielleicht weil ich spüre, es wird Zeit anzukommen, gerne auch mit einer abschließenden Zugfahrt von der deutschen Grenze. Das müsste ich eigentlich bis Sonntag schaffen.

Da es nur leicht regnet, ziehe ich keine Regenjacke, sondern wegen der nassen Straße nur die Überschuhe an. Bald geht es nochmal rauf nach Chambles, bis rein in die Wolken. Ich ziehe meine Regenjacke an, um in der Abfahrt nicht völlig zu durchnässen. Ein entgegenkommender Radler, älterer Franzose, schwer bepackt, hält an. Wir wechseln ein paar Worte.
Hinter St-Just-St-Rambert öffnet sich das Loiretal zu einer weiten Ebene. Erst geht es flach, dann immer welliger gen Roanne. In Chambéon hat eine Epicerie geöffnet, in der ich mich mit Obst und Apfelstrudel, der in der Theke direkt neben der Wurst liegt, ein und verspeise das ganze mit meinen Brot- und Käsevorräten. Ein englisches Pärchen mit Tandem und Anhänger gesellt sich dazu. Sie haben ganz schön mit den vielen Anstiegen und Abfahrten, die hinter ihnen und noch vor mir liegen, zu tun.

Neben der Straße blüht ein erstes Sonnenblumenfeld. Auf einer Weide erprobt eine kleine Ziege seine Sprungkraft - voll süüüß - Mama und Papa eher ihre Bockigkeit.
Hinter Roanne und Mably weist ein Schild zu einem Hotel. Links des Weges steht ein repräsentatives Anwesen. Das würde mein Budget übersteigen. Ich lande auf einem hübschen, ländlichen Hof. Isses aber auch nicht. Direkt am nahen Kanal, wohl ein Seitenkanal der Loire, und einer Schleuse steht das Hotel de Cortillon (40 €). Eher ne Absteige, aber der Typ ist sehr freundlich und ich krieg was zu essen.
 
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Mittwoch, 25. Juni 2014: Mably - Nolay (135 km, 800 hm; wolkenlos am Morgen, später Quellwolken, warm)
Sein Name und die Karte an der Wand weisen darauf hin, dass der Hotelier Portugiese ist. Und so ist es. Er kommt ins Schwärmen von seiner Heimat, nur das Fußballteam findet er arrogant. Portugal, das scheint mir ne gute Idee für meine nächste Radreise.
Bei wolkenlosem Himmel und einem lauen Gegenwindchen fahre ich auf anfangs leider viel befahrener Straße los. Ziemlich flach alles. Unspektakuläre Landschaft, aber angenehm.

Marcigny ist hübsch und lebendig. Ich trinke einen Kaffee. Paray-Le-Monial ist aufgemotzt schön, ruhig, wartet auf die Touriströme. Es gibt eine Basilika und, wichtiger, eine Eisdiele, die aber, es ist 12 Uhr 30, gerade schließt. Ich bekomme gerade noch ne Waffel mit Caramel au beurre salé und Cassis.

Bis Montchanin geht es jetzt megaflach am Canal du Centre entlang, der Loire und Saone verbindet. Die Sonne scheint, die Bilderbuchwolken spiegeln sich im Wasser, meine Weg begleiten hübsche Häuschen und Hausboote, Schlösschen und Schleusen. Und das Gefühl, mich sehr auf Zuhause zu freuen.
Montchanin ist stinknormal. Danach wird es wellig, ich komme in die Bourgogne. Auch hier scheint die Welt in Ordnung. Kuhherden weiden so vor sich hin, meist auch ein Bulle dabei. Nolay ist etwas touristisch. Hier bleibe ich im Hotel de la Halle, von Franzosen geführt (70 €), sehr hübsches Zimmer.

Donnerstag, 26. Juni 2014: Nolay - Auberive (135 km, 1.200 hm; sonnig und warm)
Ich bin in der abenteuerlichen Auberge l'Abbatiale in Auberive gelandet. Hier könnte man unmittelbar den 'Namen der Rose' drehen. Uralte Gemäuer, verwinkelte Gänge und Treppen, Gobbelins an den Wänden, riesiger Kamin, viel altes Einrichtungszeugs. Es gibt repräsentative Zimmer mit Himmelbetten. Meines ist bescheidener, aber für mich als Rennradfahrer ideal: die Türe ist etwa 1,50 m breit und genauso hoch, so dass ich in Unterlenkerhaltung gut durchpasse. Das Bad ist hypermodern, mit so ner Dusch-Massage-Anlage an der Wand. Es funktioniert aber nur die Regenbrause, muss ich hier beichten.

Morgens ging es los, wellig bis zum oberen Einstieg ins Ouche-Tal. Sanft geht es bergab auf verkehrsarmen Straßen. Gelegentlich ein LKW, okay, muss auch mal sein. Heute geht es überwiegend durch sanfte Hügellandschaft, geprägt durch Weiden, mehr oder weniger reife, teils auch schon abgeerntete Getreidefelder, auch reife Raps- und junge Maisfelder sind dabei, Wälder und Gehölzstreifen. Von der Einsamkeit und Ruhe bin ich begeistert und berührt. Auch von der Schönheit der oft menschenleeren Dörfer. Ab und zu taucht unerwartet ein Schlösschen oder repräsentatives Anwesen auf. Alles ganz alleine für mich, wie schön.

Aus dem Ouche-Tal geht es etwas rauf. Bei Panges führt mich mein GPS auf ein schmales, schedderiges Sträßchen. Da ich den Typen kenne, der es gefüttert hat, vertrau ich ihm mal, obwohl die normale Straße nicht schlecht aussieht. Das Sträßchen führt mich ins Val Suzon. Zahlreiche Radler kommen mir entgegen, Autos fast keine. Das Tal mündet bei Messigny-et-Ventoux in eine weite, leicht gewellte Ebene. Durch die Getreidefelder schlängelt sich eine Straße, begleitet von einzelnen Bäumen. Der Himmel ist mit Wolken betupft. Wie gemalt.

Wenige Kilometer weiter hört der Spaß auf. Auf einem Schild stellt sich 'Molosse' vor, ein Dobermann. Er ermordet jeden Eindringling. Ich guck im dictionaire nach: mordre heißt nur beißen.

Bis Is-sur-Tille muss ich 5 km auf einer vielbefahrenen, besser gesagt -beheizten Straße fahren. Im Ort finde ich kein nettes Café für ne Pause, aber einen Früchteladen, der auch leckeren Käse hat. Ich esse alles im Park der Stadt auf und radle das Tilletal hoch. Einsamkeit pur. In der späten Nachmittagssonne leuchten die Felder, Wiesen und Weiden. Das Getreide reift ganz unterschiedlich, so dass die Felder unterschiedlichste Farbtöne zeigen. Die Kuhherden bleiben auf ihren riesigen Weiden immer ganz kuschelig beieinander.


Oben endet das Tilletal in einem Hochplateau, von dem mein Weg plötzlich in ein steiles Tal anfällt. Bald darauf bin ich in Auberive und finde die Unterkunft, von der ich vor zehn Jahren schon mal angetan war (60 €). Der freundliche Hotelier bringt mir gleich das gewünschte große Bier, regionale Produktion, hefetrüb, refermentée au miel, lecker, www.la-choue.com. Er ist gesprächig, ist schon 50 Marathons gelaufen, in New York unter drei Stunden, einmal 100 km in 9 und einmal 201 km in 24 Stunden. Alle Achtung.
 
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Danke für den schönen Bericht - ich sollte auch wieder einmal in die Pyrenäen. Die von dir angegebenen Zimmerpreise bestätigen meine Erfahrungen, dass man in F als Alleinfahrer ziemlich "unwirtschaftlich" reist - ich nehme daher dort immer wenn es geht bei warmshowe-Kollegen Quartier. Noch gute Weiterfahrt und Heimreise !
 
Freitag, 27. Juni 2014: Auberive - Gondrecourt-le-Château (125 km, 1.200 hm; bewölkt, ab und zu Sonne, warm)
Heute war ein durchschnittlicher, durchwachsener Tag. Der Himmel ist grau mit wenig blauen Löchern. Die endlose wellige Landschaft mit großen Feldern ist nicht mehr so abwechslungsreich, die Dörfer auch sehr null acht fuffzehn. Ab und zu etwas Wald, ein Schlösschen, ein Windpark. Nichts, was mein Herz mal hüpfen lässt. Vielleicht liegt das auch an meiner mäßigen Motivation und Laune.
Im Niemandsland nördlich von Auberive ist die Straße gesperrt. Die Deckschicht wird gerade erneuert. Kilometerlang fahre ich auf einer dicken Splittschicht und komme nur im Schritttempo voran. Irgendwann taucht auch die eigentliche Baustelle auf. Drei LKW fahren hintereinander her. Der erste schüttet eine dicke Splittschicht auf die Straße, der nächste gießt schwarze, qualmende Soße drüber, der dritte wieder Splitt. Ich weiche auf den Grünstreifen neben der Straße aus und schiebe mein Rad 100 m.

Nogent ist ein etwas größerer Ort. Hier decke ich mich mittags bei einer Boulangerie ein. Später sehe ich, dass es auch ein nettes, belebtes Restaurant gibt. Ich war allerdings unter Zeitdruck, kurz vor halb eins. Nachmittags mach ich noch ein kleines Nickerchen an einem Stausee. Wasserfassen ist hier nicht so ganz einfach. Die Brunnen sind alle ausgetrocknet und Geschäfte oder Bars gibt es keine. So radle ich quasi mit dem letzten Tropfen nach Gondrecourt-le-Château (35 €).

Samstag, 28. Juni 2014: Gondrecourt-le-Château - Perl (Deutschland) (170 km, 1.100 hm; bewölkt, nachmittags regnerisch, frisch)
Am letzte Tag will mein Garmin mich zur Verzweiflung bringen. Bei bewölktem Himmel fahr ich los. Er findet aber die Strecke nicht. Dreimal fahr ich durch den Ort hin und her. Das Satellitensignal ist prima. "Genauigkeit 4m" sagt er. Die Strecke zeigt er nur in der Gesamtansicht. "Distanz bis zur Strecke" ist über 100 km, etwa die Distanz zum Zielpunkt. Auch Aus- und wieder Einschalten hilft nicht weiter. Nach 10 Minuten beschließe ich, einfach der Nase nach in die grobe Richtung loszufahren und nach zwei Minuten hat er die Strecke und ich bin sogar richtig gefahren. Meine Stimmung steigt sprunghaft. Ich freue mich auf die letzte Etappe und mein baldiges Ankommen. Außerdem läuft es heute ausgesprochen gut. Ich hab endlich mal wieder Rennradfeeling und Lust, mich zu fordern, schneller zu fahren als nötig, meine Kraft zu spüren, dahinzufliegen. Mein Puls steigt zwar kaum über 130. Nach einem Durchschnittspuls gestern von 97 aber ne ganz schöne Steigerung.




Die Landschaft bietet nichts Besonderes. Als ich mich Metz nähere, fängt es an zu tröpfeln. Auch das Wetter will, dass ich meine Tour beende. Das AKW von Cattenom ist im Regendunst kaum zu sehen. Als ich in der Bahnhofsruine von Perl ankomme, sind meine Füße durchnässt, ich aber glücklich und stolz auf meine Abenteuer. Die restliche Strecke bis Bremen vertraue ich mich der Deutschen Bahn an.
 
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Spannende Reisereportage! :daumen: Deine anderen Reportagen nehme ich mir auch noch vor. Auch von mir herzlichen Dank und großen Respekt. Habe den gestrigen Regentag genutzt, um deine Strecke mit google maps abzufahren. Nur so am Rande: Auf der Strecke Girona - Gombren habe ich ne Orientierungsschwierigkeit: Der Coll de Coubet befindet sich doch an einer Weggabelung an der N260a zwischen Olot und Ripoli, also hinter Olot, das passt nicht zu deiner Wegschilderung oder ich hab da irgendwas übesehen.
 
Echt großes Kino, Dein Tourtagebuch:daumen: Danke, hat viel Freude gemacht beim Lesen.

Da hattest irgendwo weiter oben was von der nächsten Radreise in Portugal geschrieben. Also da habe ich bei meinen 2 Etappen von der spanischen Grenze nach Porto recht durchwachsene Erfahrungen gemacht. Ob das (meist holprige Straßen, aggressive Autofahrer) für den Rest des Landes repräsentativ ist, weiß ich nicht. Aber es zählte nicht gerade zu meinen Radreise-Highlights - im Gegensatz zu Spanien.
Rennradfahren in Portugal?

Warum das Fragezeichen? Nun ja, an Portugal fiel radfahrtechnisch folgendes auf:
Der Portugiese fährt gerne Auto, auch auf waldwegartigen Straßen im Hinterland, gerne schnell, gerne die Kurven schneidend ("Ist doch nicht mein Problem, wenn Ihr meint, hier Rad fahren zu müssen"). In den Ortschaften gibt es oft durchgehend Kopfsteinpflaster der übelsten Sorte. Dazu gibts an jeder Ecke aggressive, oft freilaufende Köter:mad:

Die erste Etappe habe ich, in Anlehnung an die anstehenden Frühjahrsklassiker "Die Hölle des Südens" genannt. Das war nicht nur der meteorologisch unbefriedigenden Gesamtsituation geschuldet, sonder auch dem sägezahnartigen Höhenprofil und dem besagten Kopfsteinpflaster. Auch haben viele der Straßen sonst eine "kartoffelackerartige" Struktur. Das führe ich darauf zurück, dass die Portugiesen einfach seit ungefähr 500 Jahren immer wieder über ihre geliebten Kopfsteinpflasterstraßen drüber asphaltieren. So haben oft selbst neugemachte Straßen schon eine "rubbelige" Oberfläche. Man kann den Portugiesen wahrlich nicht vorwerfen, dass sie EU-Millionen für das Schaffen makelloser Rennradinfrastruktur in der Mitte von Nirgendwo verprassen würden. In Spanien wundert man sich schon manchmal, wenn man mutterseelenallein auf einem frisch asphaltierten Waldweg an einem Schild vorbeifährt, das auflistet, welche EU-Mittel hier wieder zum Wohle des Radsports verbuddelt wurden.

Auch die letzte Etappe nach Porto war landschaftlich sehr lohnend. Die Straße schlängelt sich fast die ganze Zeit hoch oben an einem sehr grünen und tief eingeschnitten Tal entlang. Der Genuss wurde jedoch nicht unbeträchtlich durch die Tatsache geschmälert, dass es in der Zeit von 9:00 bis ca. 16:30 keine einizige Minute mal nicht geregnet hat. Es war mit Abstand die längste Regenetappe, die ich jemals gefahren bin. Die ersten Stunden war ich trotzdem noch wahrnehmungssfähig für die schöne grüne Gegend. Aber spätestens unten auf der stark befahrenen Straße im Dourotal war dann einfach nur noch "Kampfsau-Modus" bei Gegenwind angesagt. Wenigstens am Atlantik angekommen, hat's für ein "Zielfoto" dann mal ganz kurz aufgehört zu regnen - "Klick". Aber alles in allem blieb's bei Regen, bis am nächsten Mittag der Flieger abhob. Naja, solche Etappen sind zumindest gut für die mentale Stärke.
 
Vielen Dank für den wirklich schön geschriebenen Bericht. Ich habe ihn gerade eben beim Durchstöbern des Forums gefunden und beim Abendbrot komplett gelesen. Nach diesem "Kopfkino"-Erlebnis habe ich richtig Lust, die Pyrenäen nochmal und diesmal nicht mit dem Motorrad, sondern mit dem Rad zu erfahren.
 
Danke, freut mich, dass es euch gefällt.
@Bayerwaldler: Hast recht. Hab da was verwechselt, weil ich vom Bas kein Foto hab und vom Coubet ein verregnetes. Habs schon korrigiert.
@kendo05: Okay, ich überlege es mir nochmal mit Portugal.
Die Fotos und Tracks liefere ich demnächst noch.
 
Ich war fleißig: hab Fotos ergänzt und die Links zu den Tracks auf GPSies.com. Eine noch fehlende Etappe nachgetragen. Jetzt kommen noch technische Informationen:

Mein Rad:
- Canyon Ultimate Aluminium 2013
- Dura Ace 2004: Bremsschalthebel, Bremsen
- Schaltwerk 105 lang
- Kurbel Ultegra 48:34
- Zahnkranz XT 11:34
- Innenlager neu: Hope
- Laufräder: Mavic Ksyrium Elite mit Conti 4000S II, 25 mm
- Sattel: Fizik Antares, Metallgestell
- Computer: Garmin Edge 500

Erfahrungen: Die wilde Schaltungskombination funktioniert so einigermaßen, aber nie ganz sorgenfrei. Die Bremsen finde ich recht schwammig im Vergleich zu meiner 7900er. Sind vielleicht auch einfach etwas alt.
Die Tour hab ich mit GPSies.com am Rechner geplant und auf den Garmin gespielt. Das Planen hat Spaß gemacht, ging ganz flott und passte fast immer (Ausnahmen: Jaca und Hernani in Spanien). Parallel hatte ich noch viamichelin.com geöffnet, um die schönen, kleinen Sträßchen zu finden. Das war auch meine Maxime. Hat sich sehr bewährt und ich würde die Strecke im nachhinein nur minimal verändern, vor allem östlich von La Pobla de Segur. Da ist der weiter südlich gelegene Coll de Bóixols wahrscheinlich besser als der langweilige Coll de Cantó an der N260. Aber auf jeden Fall durch Tuixent östlich davon fahren!
Der Bildaufbau des Garmin dauert auch während der Fahrt meist etwas und alle paar Tage stürzte das Teil ab, meist bei längeren Streckenabweichungen. Es lässt sich dann nur mühsam neu starten.
Mit meinen Ortlieb-Taschen war ich unzufrieden. Eine Klemmschraube an der Lenkertaschenhalterung war abgebrochen, so dass die Tasche nur noch von einer Schraube gehalten wurde. Unangenehme Vorstellung, wenn die Halterung auf holpriger Abfahrt versagt und die Tasche aufs Vorderrad knallt. Dann liegt man mit Sicherheit auf der Schnauze. Warum bauen die da keine stabileren Schrauben ein? Ich hab das Problem dadurch gelöst, dass ich die Tasche, gefüllt mit überflüssigem Gepäck, nach Hause schickte.
Auch die Halterung der Satteltasche ist nicht so der Hit. Bei einem Notfall-Bunny-Hop krachte die Tasche aus der Halterung und wurde so gerade noch von dem zarten Klettbändchen um die Sattelstütze gehalten.

Super genial war das Tablett. Es ist klein und leicht (gut 300 g). Es ersetzte bei mir sämtliche Bücher (außer einem Heft für meine persönlichen Notizen, die ich lieber handschriftlich mache, und einem Sudokuheft) und leistet sehr wertvolle Dienste:
- Fotos draufladen, angucken, vorsortieren, verkleinern, Sicherheitskopie
- eBooks und pdf-Dateien (Lesebücher, Reiseführer, Wörterbücher/Sprachführer, Tour-Downloads von Reiseberichten und Pass-Steckbriefen)
- Kartenmaterial (Screenshots von viamichelin.de, geht bestimmt noch besser)
- Musik
- Hörbücher (Gerhard Polt von meiner lieben Kollegin Rebecca, Känguru-Chroniken)
- sonstige Dateien (meine Reiseplanung, meine Trainingsdaten)
- Internetzugang über WLAN
Leider erkennt das Gerät den Garmin 500 nicht über USB.

Gepäck:
- Radhose, Trikot, Unterhemd, Socken am Leib, jeden Tag gewaschen
- MTB-Schuhe, Helm, Sonnenbrille mit Korrekturclip, Brustgurt, auch am Leib
Im Rucksack (Deuter Race Air, ca. 5.5 kg)
- Weste, Armlinge, Beinlinge
- Regenjacke, Regenüberschuhe
- Zipp-off-Wanderhose, Unterhose, T-Shirt, Wollshirt und ärmelloses Wollshirt, 1 P. Ersatzsocken
- Badehose, kleines Handtuch
- Flip-Flops
- Tablett, Smartphone, Tagebuch, Sudokuheft, Stifte, Jonglierbälle, Plüschaffe, Brille, Taschenmesser
Satteltasche (Ortlieb, ca. 1,5 kg)
- Werkzeug
- Waschzeug
- Spiralschloss
Minilampe (Rücklicht am Rad montiert)
zwei Flaschen 0,7 l
Schutzblech hinten
 
Mit den Fotos lohnt es sich, deinen Bericht nochmal zu lesen! :daumen: Danke auch für die Inventarliste. War die 34:34er Übersetzung nur für den äußersten Notfall oder wurde sie gerne mal aufgelegt? Habe da keine Erfahrung, wie "mürbe" man bei solchen "Gewalttouren" wird.

Schöne Grüße von einem ehemaligen Bremer (Blockland und Wümmedeich sind echt Klasse - da erinner ich mich gerne dran)
 
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