Dann mach ich mal mit, bei mir eine Geschichte in drei Akten... Entschuldigung vorab für die Textmassen!
Mit 14 wechselte ich auf eine Schule, in der auch die Zukunftshoffnungen des großen lokalen Radsportvereins waren. Ohne vorher mit Radsport zu tun zu haben, gefiel mir das irgendwie. Fahrräder, die aussahen wie perfektionierte Sportgeräte, eine eigene Sprache voller komischer Begriffe... Also fing ich an, teils mit meinem Jugend-Sportrad, teils mit geliehenem Material, auf den Trainingsfahrten mitzukommen. Nebenbei sparte ich eifrig, und nach (damals gefühlt) ewig langer Zeit ging ich zum Radladen und kaufte das günstigste Rennrad, was gerade da war. Marke, Ausstattung, Größe, war mir alles egal, ich wollte nur ein Rennrad. Es wurde ein stählernes Trek in dunkelblau, 7-Gang uuuund Bremsschalthebeln!!!
Damit fand ich, konnte ich ernst machen, ich begann mich, bei Rennen einzuschreiben, um mittelmäßige Platzierungen einzuheimsen und jede Menge Spaß zu haben. Die Trainingsfahrten allein waren immer sehr "jugendlich". So hart einen Berg hochfahren, dass die Lichter fast ausgehen, oben Jacke überziehen, runterwärts versuchen, den Tacho auf dreistellig zu bekommen... Jedes fahrende Moped, jeder Roller, den ich sah, war eine Herausforderung zum Sprint... Im Nachhinein - junge Menschen sind halt noch doof
Diese Phase endete schlagartig mit 18, Umzug zum Studium, Rennrad nicht mitgenommen, ganz andere Dinge im Kopf.
Zehn Jahre lang war dann radfrei, arbeiten, arbeiten, arbeiten. Irgendwann sehnte ich mich nach einem bewegenden Hobby, und mir fiel das Rennradfahren wieder ein. Nach einigen Runden mit dem wieder ausgegrabenen blauen Trek wurde mir bewusst, dass ich ja kein mittelloser Schüler mehr war. Und deswegen machte ich das, was wohl die meisten machen - ich begann, Fachzeitschriften zu lesen, um zu erfahren, welches Rad ich brauchte. Und ziemlich schnell wurde mir bewusst, es muss Carbon sein. Und Ultegra. Der Rest war weniger wichtig.
Nach einigen Pausengesprächen mit den bekennenden Rennradfahrern auf Arbeit - die alle meine Carbon+Ultegra Vision bedingungslos unterstützten, wurde es ein Specialized in rot. Größe ergab sich aus einem Blick des Radladeninhabers.
Diese Rennradphase bestand aus ein bis zwei Solofahrten in der Woche und dann dem Höhepunkt am Sonntag:Gruppenausfahrt mit den anderen Carbonultegras. Aus jedem verlorenem Ortsschildsprint wurde ein Komponentenkauf im Radladen, wir waren alle komplett überzeugt, gute Leistung resultiert fast ausschließlich aus gutem Material.
Über die Jahre gab ich das Speci in Zahlung für ein Trek Madone mit Chorus, später gesellte sich noch ein Planet X TT Rad für den gelegentlichen Triathlon dazu, als Schlechtwetterrad ein Cannondale 10 mit Force.
Wenn sich mal ein neuer mit 105 oder schlimmerem zur Sonntagsrunde verirrte, war ihm mein Hohn und Spott sicher. So kann man ja nicht richtig fahren, da kann es auch ganz lassen... Ich war der mittelklassige Bikesnob, den man auch manchmal hier finden kann.
Diese Phase endete eines Sonntags, als ich morgens in den sauber ausgeräumten Keller kam. Und in Folge lernte, dass meine Versicherung zwar für Diebstahl aus dem unabgeschlossenen Fahrradraum des Hauses zahlte, jedoch nicht aus dem mehrfach abgeschlossenen, nicht einsehbaren Keller. Somit vier Räder, sechs LRSe, jede Menge Teile ersatzlos weg. Immerhin: Mein blaues Uralt-Trek hatten sie stehen gelassen. Nicht sicher, ob das ein Zeichen für Anstand oder Geschmack war...
Ich war trotzdem satt und hatte keine Lust auf Fahrrad mehr.
Das hielt nicht lange. Gut zwei Jahre danach wollte ich wieder Rad fahren. Zwei Runden auf dem alten Stahlrad, wegen mangelnder Pflege mittlerweile nur Dualspeed und fast brakeless, und ich wusste, ich will wieder Rennrad fahren. Reflexartig griff ich zur Fachpublikation, und diesmal würde ich keine Kompromisse eingehen. Meine Rückkehr zur Sonntagsrunde würde phänomenal werden. Dafür braucht es bestes Material. Cervélo. Super Record. 50mm Carbonräder. Leistungsmessung. Also ab zum Bikestore und in Auftrag geben.
Der neue Typ dort brachte dann meinen ganzen Plan durcheinander. Fragte er doch, ob mir das Cervélo überhaupt passt. Wie passt? Ist doch egal, oder? Unter 6.8 kg, das muss doch passen? Er brachte mich ins Grübeln. Ich bestellte das Cervélo erstmal nicht.
Und da fing ich an zu lesen. Und mehr zu lesen. Und noch mehr. Foren, Meinungen, Theorien. So kam ich auch erstmals zum Forum hier.
Und nach dem Lesen probierte ich aus. Räder von Freunden, Räder aus Shops, Räder aus befreundeten Shops, Vorbaulängen, Sattelversätze, Cleatpositionen, alles. Und bald war klar, ich wollte etwas ganz anderes als das Cervélo mit SR und Poserrädern. Ich wollte
- ein Rad das genau so passt, wie ich mir das vorstelle
- auch billige Komponenten ausprobieren, um mir eine Meinung zu bilden
- Selbst an meinen Fahrrad bauen
Und so wurde es beim dritten Versuch ein Alu-
Orbea mit kompletter
Shimano 2300 für 550 Euro nach Herbstrabatt. Soviel hatte ich ein paar Jahre davor für ein Set Red-Bremsschalthebel ausgegeben, weil sich Force nicht wertig genug anfühlte…
Mein Comeback bei der Sonntagsrunde war von viel - und nicht freundlichem - Gelächter geprägt. Die Gang war in der Zwischenzeit vollständig im DI2-Zeitalter angekommen und da stand ich nun mit meinem 12 kg Achtgangrad. Beim Warten, bis alle da sind, bekam ich Zweifel, ob das die beste meiner Ideen war. Wegen irgendwas wird das teure Zeug ja wohl teuer sein...
Die Runde dann war dann aber recht unspektakulär. Mein Abschneiden bei Sprints ist noch genau so schlecht wie früher, der Rest geht aber mindestens gleich gut. Mir dämmerte, dass für eine 120 km-Runde mit ein paar Bänkerinnen und Bänkern ein 550-Euro-Rad offenbar reicht, wenn man selbst gut drauf ist.
Ich bin dann ein Jahr lang unverändert gefahren, hab mein Rad dann mit Ebayfunden und Sonderangeboten zu
Frankensteins Fahrrad umgebaut. Ernst nimmt mich Sonntags jetzt trotzdem keiner wegen, sondern trotz meines Fahrrads.
Und daneben halte ich auch meinem Erstrad die Treue, mittlerweile als Rad der Wahl bei Familienausflügen und manchmal für den Weg zur Arbeit. Und wenn mich jemand fragt, wie bei mir das Rennradfahren begann, kann ich auf den jetzt versicherungsabgedeckten Keller deuten und sagen “Mit dem dunkelblauen Trek da”